Marburger Programm: Unterschied zwischen den Versionen

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Als '''Marburger Programm''' wird die ursprünglich als Antrittsvorlesung im Marburger Universitätsprogramm gedruckte, eine Epoche einleitende Publikation des Strafrechtsreformers, Kriminologen, Völkerrechtlers und Kriminalpolitikers [[Franz von Liszt]] (* 2. März 1851 in Wien;  † 21. Juni 1919 in Seeheim a. d. Bergstraße) aus dem Jahre 1882 bezeichnet. In der mit  „Der Zweckgedanke im Strafrecht“ betitelten Schrift proklamierte von Liszt die Abkehr von der Vergeltungsstrafe hin zur zweckgerichteten Spezialprävention mit ihren Strafzwecken Besserung, Sicherung und Abschreckung.
Als '''Marburger Programm''' wird die Publikation des Strafrechtsreformers, Kriminologen, Völkerrechtlers und Kriminalpolitikers [[Franz von Liszt]] (* 2. März 1851 in Wien;  † 21. Juni 1919 in Seeheim a. d. Bergstraße) aus dem Jahre 1882 bezeichnet. Diese ursprüngliche Antrittsvorlesung, die im Marburger Universitätsprogramm verkündet wurde, leitete ein neues Paradigma ein. In seiner Schrift „Der Zweckgedanke im Strafrecht“ proklamierte von Liszt die Abkehr von der Vergeltungsstrafe hin zur zweckgerichteten Spezialprävention mit ihren Strafzwecken Besserung, Sicherung und Abschreckung.
 
''"Ist die Einzelschuld vielfach nur das Symptom einer Gesellschaftsschuld, so gilt das Wort, dass eine gute Sozialpolitik zugleich die wirksamste Kriminalpolitik sei".
''"Ist die Einzelschuld vielfach nur das Symptom einer Gesellschaftsschuld, so gilt das Wort, dass eine gute Sozialpolitik zugleich die wirksamste Kriminalpolitik sei".
Gustav Radbruch 1922 (Schüler von Franz von Liszt)''
Gustav Radbruch 1922 (Schüler von Franz von Liszt)''
==Zum Begriff==
==Zum Begriff==
Der ursprünglich in Wien studierte und an der Universität in Graz habilitierte Jurist von Liszt trat nach dreijähriger Professur in Gießen 1882 seinen Lehrstuhl in Marburg an. Die Schrift „Der Zweckgedanke im Strafrecht“ wird als „Marburger Programm“ bezeichnet, da sie ursprünglich als Antrittsvorlesung im Marburger Universitätsprogramm gedruckt wurde. In der von Franz von Liszt mitbegründeten „Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft“ erschien sie 1883 im dritten Band. 1905 wurde sie im ersten Band der Sammelbände „Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge“ von ihm erneut veröffentlicht.
Der ursprünglich in Wien studierte und an der Universität in Graz habilitierte Jurist von Liszt trat nach dreijähriger Professur in Gießen 1882 seinen Lehrstuhl in Marburg an. Die Antrittsvorlesung „Der Zweckgedanke im Strafrecht“ wird als „Marburger Programm“ bezeichnet, da sie ursprünglich im Marburger Universitätsprogramm verkündet wurde. In der von Franz von Liszt mitbegründeten „Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft“ erschien sie 1883 im dritten Band und 1905 erneut im ersten Band der Sammelbände „Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge“.
==Historische Entwicklung im Vorfeld des Marburger Programms==
==Historische Entwicklung im Vorfeld==
Der Mailänder Aristokrat und sogenannte Begründer der Kriminologie [[Cesare Beccaria]] forderte in seinem von utilitaristischem Denken geprägten, 1764 erschienenen Werk „Dei delitti e delle pene“ erstmals u.a. die Abschaffung des Strafzwecks der Vergeltung zugunsten der Abschreckung. Bislang herrschten allerdings die absoluten, sich auf den lateinischen Grundsatz: „Punitur, quia peccatum est“ (Bestraft wird, weil Unrecht begangen worden ist) stützenden Straftheorien [[Immanuel Kants]] und [[Georg Wilhelm Friedrich Hegels]] vor.  
Der Mailänder Aristokrat und so genannte Begründer der Kriminologie [[Cesare Beccaria]] forderte in seinem von utilitaristischem Denken geprägten, 1764 erschienenen Werk „Dei delitti e delle pene“ erstmals die Abschaffung des Strafzwecks der Vergeltung zugunsten der Abschreckung. Bislang galten die absoluten, sich auf den lateinischen Grundsatz: „Punitur, quia peccatum est“ (Bestraft wird, weil Unrecht begangen worden ist) stützenden Straftheorien [[Immanuel Kants]] und [[Georg Wilhelm Friedrich Hegels]] als wegweisend.  
Die positive Schule der Kriminologie mit ihren Mitbegründern [[Cesare Lombroso]], [[Enrico Ferri]] und [[Raffaele Garofalo]] trat 1876 der klassischen Schule gegenüber und bestritt den juristischen Charakter des Strafrechts. Vielmehr wurde es als Zweig der Gesellschaftswissenschaften angesehen.  
Die positive Schule der Kriminologie mit ihren Mitbegründern [[Cesare Lombroso]],[[Enrico Ferri]] und [[Raffaele Garofalo]] trat 1876 der klassischen Schule gegenüber und bestritt den juristischen Charakter des Strafrechts. Vielmehr wurde es als Zweig der Gesellschaftswissenschaften angesehen.  
Anfängliche Kriminalstatistiken, die nicht einheitlichen Erfassungsregeln unterlagen, behaupteten einen bedrohlichen Anstieg der Kriminalität. Daher wurde den Wirkungen der Strafe nunmehr misstraut und auch die Funktion des Strafgesetzbuches von 1871 als Schutz der Gesellschaftsordnung vor dem Verbrechertum wurde angezweifelt. Präventivmaßregeln (sogenannte „Strafsurrogate“) wurden postuliert. An Ferris weiter Definition der Kriminalsoziologie, die auch gesellschaftliche Kriminalitätsursachen mit einbezog, orientierte sich von Liszt. Der Rechtswissenschaftler und Vertreter der Interessensjurisprudenz  [[Rudolf von Jhering]]  übte als Anhänger der relativen Straftheorie auf von Liszt großen Einfluss aus. Er publizierte seine Vorstellungen von einer soziologischen Betrachtung des Rechts, die den Gesellschaftsschutz in den Mittelpunkt rückte, in seinem 1877 erschienenem Werk  „Der Zweck im Recht“.  Von Liszt übertrug die Konzeptionen seines Lehrers auf das Strafrecht. Damit setzte er mit seinem „Marburger Programm“ dem tatorientierten Vergeltungsstrafrecht, zu dessen Vertretern [[Paul Johann Anselm von Feuerbach]] und [[Karl Lorenz Binding]] zu zählen sind, das täterorientierte Präventionsstrafrecht entgegen.
Anfängliche Kriminalstatistiken, die nicht einheitlichen Erfassungsregeln unterlagen, behaupteten einen bedrohlichen Anstieg der Kriminalität. Daher wurde den Wirkungen der Strafe nunmehr misstraut und auch die Funktion des Strafgesetzbuches von 1871 als Schutz der Gesellschaftsordnung vor dem Verbrechertum wurde angezweifelt. Präventivmaßregeln (sogenannte „Strafsurrogate“) wurden postuliert. An Ferris weiter Definition der Kriminalsoziologie, die auch gesellschaftliche Kriminalitätsursachen mit einbezog, orientierte sich von Liszt. Der Rechtswissenschaftler und Vertreter der Interessensjurisprudenz  [[Rudolf von Jhering]]  übte als Anhänger der relativen Straftheorie auf von Liszt großen Einfluss aus. Er publizierte seine Vorstellungen von einer soziologischen Betrachtung des Rechts, die den Gesellschaftsschutz in den Mittelpunkt rückte, in seinem 1877 erschienenem Werk  „Der Zweck im Recht“.  Von Liszt übertrug die Konzeptionen seines Lehrers auf das Strafrecht. Damit setzte er mit seinem „Marburger Programm“ dem tatorientierten Vergeltungsstrafrecht, zu dessen Vertretern [[Paul Johann Anselm von Feuerbach]] und [[Karl Lorenz Binding]] zählten, das täterorientierte Präventionsstrafrecht entgegen.  
 
==Inhalt==
==Inhalt==
===Ausgangspunkt===
===Ausgangspunkt===
Nach von Liszt, der die bereits von dem antiken griechischen Philosophen [[Platon]] 400 v. Chr. und von dem römischen Philosophen [[Seneca]] im 1. Jh. n. Chr. formulierten Gedanken erneut aufgriff, sollte nicht länger gestraft werden, weil gesündigt worden ist, sondern damit zukünftig nicht gegen geltendes Recht verstoßen wird („Punitur ne peccetur“). Während die metaphysisch geprägten Vertreter der absoluten Straftheorie von einem freien Willen und somit personaler Verantwortung des Täters ausgingen und das Strafmaß von seiner Schuld abhängig machten, ging der vom Positivismus geprägte von Liszt von der Determiniertheit des Täters durch Motive in Form eines festen Ablaufs psychischer Kausalität aus und machte die Dauer der Strafe von der Gefährlichkeit des Täters abhängig. Nach von Liszt folgt die Tat einem festen Mechanismus, als notwendige und unvermeidbare Wirkung der vorgegebenen Bedingungen des Täterumfeldes. Seine naturwissenschaftlich fundierte Theorie schloss somit die Individualschuld i.S. von [[Hegel]] aus, wenngleich er den Schuldbegriff nicht gänzlich eliminierte.
Nach Ansicht von Franz von Liszt sollte nicht länger gestraft werden, weil gesündigt worden ist, sondern damit zukünftig nicht gegen geltendes Recht verstoßen wird („Punitur ne peccetur“). Damit griff er die bereits von dem antiken griechischen Philosophen [[Platon]] 400 v. Chr. und von dem römischen Philosophen [[Seneca]] im 1. Jh. n. Chr. formulierten Gedanken erneut auf. Während die metaphysisch geprägten Vertreter der absoluten Straftheorie von einem freien Willen und somit personaler Verantwortung des Täters ausgingen und das Strafmaß von seiner Schuld abhängig machten, ging der vom Positivismus geprägte von Liszt von der Determiniertheit des Täters durch Motive in Form eines festen Ablaufs psychischer Kausalität aus. Er war der Ansicht, die Tat folge einem festen Mechanismus. Sie sei als Folge der vorherrschenden Bedingungen des Täterumfeldes unvermeidbar. Daher machte von Liszt die Dauer der Strafe von der Gefährlichkeit des Täters abhängig. Seine naturwissenschaftlich fundierte Theorie schloss somit die Individualschuld i.S. von [[Hegel]] aus, wenngleich er den Schuldbegriff nicht gänzlich eliminierte.
===Strafe als Triebhandlung===
===Strafe als Triebhandlung===
Die von ihm geforderte Umgestaltung der blinden, triebartigen Reaktion auf Devianz als Ausfluss des Arterhaltungstriebes in zielbewussten Rechtsgüterschutz richtet sich seines Erachtens gegen relative Theorien da der absolute Ursprung der Strafe betont würde. Die Strafe sei nicht hervorgebracht durch den Zweckgedanken, sondern unabhängig von diesem und würde diesem in der menschlichen Kulturgeschichte vorausgehen. Von Liszt begründete seine Ansicht der Strafe als Triebhandlung damit, dass diese in der Urgeschichte aller Völker und sogar in der Tierwelt vorkäme. Gleichzeitig werde allerdings die Weiterbildung der Strafe von der Triebhandlung in die Willenshandlung durch den Zweckgedanken als Ergebnis der bisherigen Entwicklung nachgewiesen und als Forderung aufgestellt, weshalb auch absolute Theorien bekämpft würden. Damit konkretisiert von Liszt den entwicklungstheoretischen Ansatz hin zu einer Selektionstheorie darwinistischer Prägung. Er sieht sein Werk als „Vereinigungstheorie“, obwohl er als führender Vertreter der soziologischen Strafrechtsschule gilt.
Die von ihm geforderte Umgestaltung der blinden, triebartigen Reaktion auf Devianz als Ausfluss des Arterhaltungstriebes in zielbewussten Rechtsgüterschutz richtet sich seines Erachtens gegen relative Theorien da der absolute Ursprung der Strafe betont würde. Die Strafe sei nicht hervorgebracht durch den Zweckgedanken, sondern unabhängig von diesem und würde diesem in der menschlichen Kulturgeschichte vorausgehen. Von Liszt begründete seine Ansicht der Strafe als Triebhandlung damit, dass diese in der Urgeschichte aller Völker und sogar in der Tierwelt vorkäme. Gleichzeitig werde allerdings die Weiterbildung der Strafe von der Triebhandlung in die Willenshandlung durch den Zweckgedanken als Ergebnis der bisherigen Entwicklung nachgewiesen und als Forderung aufgestellt, weshalb auch absolute Theorien bekämpft würden. Damit konkretisiert von Liszt den entwicklungstheoretischen Ansatz hin zu einer Selektionstheorie darwinistischer Prägung. Er sieht sein Werk als „Vereinigungstheorie“, obwohl er als führender Vertreter der soziologischen Strafrechtsschule gilt.
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Das im Verbrechen innewohnende Recht des Bürgervertrages habe laut von Liszt die Ausstoßung aus der Rechtsgemeinschaft zur Folge. Um in der Rechtsgemeinschaft bleiben zu können, müsse der Verbrecher eine Strafleistung erbringen. Von Liszt spricht in diesem Zusammenhang von einem „Abbüßungsvertrag“, der die Objektivierung der Strafe durch den Zweckgedanken, aus dem sich das Maß der Strafe ergäbe, darstelle. Es werden zwei Gesichtspunkte zur Ermittlung der gerechten Strafe unterschieden. Zum einen handelt es sich dabei um den objektiven, der sich aus der Schwere der Rechtsgüterverletzung ergäbe und der bei der Aufstellung des Strafrahmens  Berücksichtigung zu finden habe und zum anderen um den subjektiven, der sich aus der Willensrichtung des Täters ergäbe und bei der Unterteilung der Strafrahmen und bei der Strafausmessung innerhalb des Strafrahmens verwendet werden solle. Bei der Gerechtigkeit im Strafrecht handele es sich um die Einhaltung des durch den Zweckgedanken erforderlichen Strafmaßes, d.h. nur die notwendige Strafe sei gerecht.
Das im Verbrechen innewohnende Recht des Bürgervertrages habe laut von Liszt die Ausstoßung aus der Rechtsgemeinschaft zur Folge. Um in der Rechtsgemeinschaft bleiben zu können, müsse der Verbrecher eine Strafleistung erbringen. Von Liszt spricht in diesem Zusammenhang von einem „Abbüßungsvertrag“, der die Objektivierung der Strafe durch den Zweckgedanken, aus dem sich das Maß der Strafe ergäbe, darstelle. Es werden zwei Gesichtspunkte zur Ermittlung der gerechten Strafe unterschieden. Zum einen handelt es sich dabei um den objektiven, der sich aus der Schwere der Rechtsgüterverletzung ergäbe und der bei der Aufstellung des Strafrahmens  Berücksichtigung zu finden habe und zum anderen um den subjektiven, der sich aus der Willensrichtung des Täters ergäbe und bei der Unterteilung der Strafrahmen und bei der Strafausmessung innerhalb des Strafrahmens verwendet werden solle. Bei der Gerechtigkeit im Strafrecht handele es sich um die Einhaltung des durch den Zweckgedanken erforderlichen Strafmaßes, d.h. nur die notwendige Strafe sei gerecht.
===Funktionen der Strafe===
===Funktionen der Strafe===
Von Liszt unterscheidet in seinem Werk drei verschiedene Wirkungen von Strafen. Dabei handelt es sich um die Besserung, unter der die Festigung altruistischer sozialer Motive zu verstehen sei, um die Abschreckung, mit der die Festigung zwar egoistischer, aber ebenfalls altruistisch wirkender Motive gemeint sei und um Unschädlichmachung, d.h. Ausgrenzung aus der Gemeinschaft. Diesen drei Strafformen entsprächen auch drei Kategorien von Verbrechern, nämlich die Besserungsfähigen/Besserungsbedürftigen, die gebessert werden sollen, die nicht Besserungsbedürftigen, die abgeschreckt werden sollen und die nicht Besserungsfähigen, die unschädlich gemacht werden müssten. Die „nicht Besserungsfähigen“ bezeichnet von Liszt als Gewohnheitsverbrecher, versteht hierunter allerdings den grundsätzlichen Gegner der Rechts-/Gesellschaftsordnung. Der Rückfallstatistik entnahm von Liszt, dass es sich bei mindestens der Hälfte aller Gefängnisinsassen um unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher, die überwiegend Eigentums- und Sittlichkeitsdelikte begehen, handelte. Für diese Spezies fordert er Einsperrung auf Lebenszeit ab der dritten Verurteilung in besonderen Anstalten wie Zuchthäusern bei gleichzeitigem Arbeitszwang und Prügelstrafe. Für die Besserungsbedürftigen, noch bekehrbaren „Anfänger auf der Verbrecherlaufbahn“ legt er sich ab der ersten Begehung einer strafbaren Handlung in den Bereichen Eigentums- und Sittlichkeitsdelikten auf die Abgabe in eine Besserungsanstalt nicht unter einem Jahr fest, um durch umfangreiche Resozialisierungsmaßnahmen auf  den Verbrecher bessernd einwirken zu können. Die Gelegenheitsverbrecher werden als „episodisch auftretende Täter“ beschrieben, die zu ihrer Tat meist durch äußere Einflüsse gebracht worden seien und eine geringe Rückfallwahrscheinlichkeit aufweisen würden. Für diese Gruppe schlägt von Liszt das Verpassen eines Denkzettels in Form einer geringen Freiheitsstrafe nicht unter 6 Wochen oder ersatzweise Geldstrafe vor.
Von Liszt unterscheidet in seinem Werk drei verschiedene Wirkungen von Strafen. Dabei handelt es sich um die Besserung, unter der die Festigung altruistischer sozialer Motive zu verstehen sei, um die Abschreckung, mit der die Festigung zwar egoistischer, aber ebenfalls altruistisch wirkender Motive gemeint sei und um Unschädlichmachung, d.h. Ausgrenzung aus der Gemeinschaft. Diesen drei Strafformen entsprächen auch drei Kategorien von Verbrechern, nämlich die Besserungsfähigen/Besserungsbedürftigen, die gebessert werden sollen, die nicht Besserungsbedürftigen, die abgeschreckt werden sollen und die nicht Besserungsfähigen, die unschädlich gemacht werden müssten. Die „nicht Besserungsfähigen“ bezeichnet von Liszt als Gewohnheitsverbrecher, versteht hierunter allerdings den grundsätzlichen Gegner der Rechts-/Gesellschaftsordnung. Der Rückfallstatistik entnahm von Liszt, dass es sich bei mindestens der Hälfte aller Gefängnisinsassen um unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher, die überwiegend Eigentums- und Sittlichkeitsdelikte begehen, handelte. Für diese Spezies fordert er Einsperrung auf Lebenszeit ab der dritten Verurteilung in besonderen Anstalten wie Zuchthäusern bei gleichzeitigem Arbeitszwang und Prügelstrafe. Für die Besserungsbedürftigen, noch bekehrbaren „Anfänger auf der Verbrecherlaufbahn“ legt er sich ab der ersten Begehung einer strafbaren Handlung in den Bereichen Eigentums- und Sittlichkeitsdelikten auf die Abgabe in eine Besserungsanstalt nicht unter einem Jahr fest, um durch umfangreiche Resozialisierungsmaßnahmen auf  den Verbrecher bessernd einwirken zu können. Die Gelegenheitsverbrecher wurden als „episodisch auftretende Täter“ beschrieben, die zu ihrer Tat meist durch äußere Einflüsse gebracht worden seien und eine geringe Rückfallwahrscheinlichkeit aufweisen würden. Für diese Gruppe schlägt von Liszt das Verpassen eines Denkzettels in Form einer geringen Freiheitsstrafe nicht unter 6 Wochen oder ersatzweise Geldstrafe vor.
 
==Kritik==
==Kritik==
Der deutsche Rechtswissenschaftler [[Karl von Birkmeyer]] merkte 1907 in seiner Schrift „Was lässt von Liszt vom Strafrecht übrig? kritisch an, dass sein Festhalten am Strafrecht inkonsequent sei. Da von Liszt die Gesinnung des Täters zum ausschlaggebenden Punkt erklärt, müsse eingeschritten werden, bevor die Tat begangen worden sei. Weiterhin kritisierte er, dass der Strafe bei der Bekämpfung des Verbrechens durch die Ablehnung der Vergeltungsstrafe und Forderung der zweckorientierten Schutzstrafe eine untergeordnete Rolle zukäme.
Der deutsche Rechtswissenschaftler [[Karl von Birkmeyer]] merkte 1907 in seiner Schrift „Was lässt von Liszt vom Strafrecht übrig? kritisch an, dass sein Festhalten am Strafrecht inkonsequent sei. Da von Liszt die Gesinnung des Täters zum ausschlaggebenden Punkt erklärt, müsse eingeschritten werden, bevor die Tat begangen worden sei. Weiterhin kritisiert er, dass der Strafe bei der Bekämpfung des Verbrechens durch die Ablehnung der Vergeltungsstrafe und Forderung der zweckorientierten Schutzstrafe eine untergeordnete Rolle zukäme.
 
[[Wolfgang Naucke]] kritisierte 1982 in seinem Aufsatz über die „Kriminalpolitik des Marburger Programms“ den unbestimmten Umgang mit den Autoritäten, die lückenhafte und vereinfachte Wiedergabe von Kants und Hegels Gedanken sowie der Geschichte des Strafrechts, die seines Erachtens zu einseitige und absolute Darstellung der Evolutionslehre, die den Boden für das Marburger Programm bereit habe und zu emotionale Untertöne in einer eher bürokratisch gehaltenen Abhandlung. Im Hinblick auf das Marburger Programm in der NS-Zeit legte Naucke dar, dass das selbige keine Regeln enthalte, für wen es gelten solle, d.h. selbst die Nationalsozialisten, die nur den Gedanken des Wegsperrens bzw. Vernichtens der Unverbesserlichen aufgriffen, können somit mit dem zum Zeitpunkt des Erscheinens des Marburger Programms als liberal und sozial geltenden von List in Zusammenhang gebracht werden. Weiterhin machte Naucke auf die Abhängigkeit der sozialen und liberalen Form der Verbrechensbekämpfung von günstigen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Umständen aufmerksam.  
[[Wolfgang Naucke]] kritisierte 1982 in seinem Aufsatz über die „Kriminalpolitik des Marburger Programms“ den unbestimmten Umgang mit den Autoritäten, die lückenhafte und vereinfachte Wiedergabe von Kants und Hegels Gedanken sowie der Geschichte des Strafrechts, die seines Erachtens zu einseitige und absolute Darstellung der Evolutionslehre, die den Boden für das Marburger Programm bereit habe und zu emotionale Untertöne in einer eher bürokratisch gehaltenen Abhandlung. Im Hinblick auf das Marburger Programm in der NS-Zeit legte Naucke dar, dass das selbige keine Regeln enthalte, für wen es gelten solle, d.h. selbst die Nationalsozialisten, die nur den Gedanken des Wegsperrens bzw. Vernichtens der Unverbesserlichen aufgriffen, können somit mit dem zum Zeitpunkt des Erscheinens des Marburger Programms als liberal und sozial geltenden von List in Zusammenhang gebracht werden. Weiterhin machte Naucke auf die Abhängigkeit der sozialen und liberalen Form der Verbrechensbekämpfung von günstigen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Umständen aufmerksam.  
Anders als von Liszt ging der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes, [[Winfried Hassemer]], von der Indeterminiertheit und damit von einem freien Willen des Täters und dessen Verantwortlichkeit aus und begründete seine Auffassung mit dem in unserer Kultur vorherrschenden Grundsatz von Personalität und Menschenwürde. Bezogen auf das materielle Strafrecht würde der Grundsatz der Menschenwürde im Prinzip der subjektiven Zurechnung wirksam und diese begründe die Schuld. Im Gegensatz zu Hassemer ging von Liszt, der zwar auch von „subjektiven Gesichtspunkten“ sprach und letztendlich ein subjektivistisches Täter- und Gesinnungsstrafrecht forderte, von physiologisch begründeten psychologischen Momenten der Eigenart des Täters aus. Hierzu zählte er Triebe, Süchte aber auch „Überzeugungstreue“, worunter er die aus grundsätzlicher Ablehnung gegenüber der herrschenden Rechtsordnung handelnden Gewohnheitstäter fasste.
Anders als von Liszt ging der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes, [[Winfried Hassemer]], von der Indeterminiertheit und damit von einem freien Willen des Täters und dessen Verantwortlichkeit aus und begründete seine Auffassung mit dem in unserer Kultur vorherrschenden Grundsatz von Personalität und Menschenwürde. Bezogen auf das materielle Strafrecht würde der Grundsatz der Menschenwürde im Prinzip der subjektiven Zurechnung wirksam und diese begründe die Schuld. Im Gegensatz zu Hassemer ging von Liszt, der zwar auch von „subjektiven Gesichtspunkten“ sprach und letztendlich ein subjektivistisches Täter- und Gesinnungsstrafrecht forderte, von physiologisch begründeten psychologischen Momenten der Eigenart des Täters aus. Hierzu zählte er Triebe, Süchte aber auch „Überzeugungstreue“, worunter er die aus grundsätzlicher Ablehnung gegenüber der herrschenden Rechtsordnung handelnden Gewohnheitstäter fasste.
==Auswirkungen und kriminologische Relevanz ==
==Auswirkungen und kriminologische Relevanz ==
Nach anfänglicher spärlicher Beachtung ist der Einfluss des Marburger Programms auf die Gesetzgebung in den zwanziger Jahren an der Einführung des ersten Jugendgerichtsgesetzes mit Schwerpunkt auf erzieherischen Maßnahmen, Beginn der Herausnahme von Bagatell- und Kleinkriminalität aus dem Strafrecht, stärkerer Differenzierung der Strafarten, vor allem Ausbau der Geldstrafen und einer Fixierung von spezialpräventiv gerichteten Vollzugsgrundsätzen erkennbar. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden von Liszts innovative Postulate weitestgehend zerstört. Nur in dem Gesetz gegen gemeingefährliche Gewohnheitsverbrecher von 1933 sind einzelne, aus dem Zusammenhang genommene Gedanken von ihm bzgl. des Umgangs mit unverbesserlichen Gewohnheitsverbrechern erkennbar. Die in der Nachkriegszeit zunächst eher in den Hintergrund gerückten Gedanken von Liszts fanden sich dann 1966 in dem von 14 Strafrechtslehrern vorgelegten „Alternativentwurf“ des Allgemeinen Teils des StGB wieder, indem die spezialpräventive Auffassung mit besonderer Betonung des Resozialisierungsgedankens und des Rechtsgüterschutzes besonderen Ausdruck fand. Der Alternativentwurf  übte nachhaltigen Einfluss auf die kriminalpolitische Entwicklung in Deutschland aus und trug maßgeblich zu den beiden Strafrechtsreformgesetzen von 1969 bei. Liszts Einteilung der Gefährlichkeit eines Verbrechens in objektive und subjektive Gesichtspunkte erhielt bei der Untersuchung einer Straftat in der heutigen Praxis üblichen Unterteilung in objektiven und subjektiven Tatbestand sowie Rechtswidrigkeit und Schuld Einzug. In § 46 (1) StGB (Grundsätze der Strafzumessung) wird eine Vereinigung des Vergeltungs- und des Zweckgedankens deutlich, wobei unter dem Vergeltungsgedanken im heutigen Sinn eher eine das Verhalten missbilligende, normbestätigende anstatt einer die Person des Täters verdammende Botschaft zu verstehen ist. In Satz 1 heißt es, dass die Schuld des Täters die Grundlage für die Zumessung der Strafe bilde, während in Satz 2 Liszts Forderung nach positiven spezialpräventiven Wirkungen der Strafe Berücksichtigung findet. Der Streit über die Annahme des freien Täterwillens auf der einen oder seiner Determiniertheit durch fremde Einflüsse auf der anderen Seite wurde weder zugunsten von Liszts noch seiner Widersacher entschieden, sondern ist heute noch nicht beigelegt. § 20 StGB fordert lediglich ein „frei sein von Mängeln“ und keinen Nachweis über den zum Zeitpunkt der Tat freien Willen des Beschuldigten.
Nach anfänglicher spärlicher Beachtung ist der Einfluss des Marburger Programms auf die Gesetzgebung in den zwanziger Jahren an der Einführung des ersten Jugendgerichtsgesetzes mit Schwerpunkt auf erzieherischen Maßnahmen, Beginn der Herausnahme von Bagatell- und Kleinkriminalität aus dem Strafrecht, stärkerer Differenzierung der Strafarten, vor allem Ausbau der Geldstrafen und einer Fixierung von spezialpräventiv gerichteten Vollzugsgrundsätzen erkennbar. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden von Liszts innovative Postulate weitestgehend zerstört. Nur in dem Gesetz gegen gemeingefährliche Gewohnheitsverbrecher von 1933 sind einzelne, aus dem Zusammenhang genommene Gedanken von ihm bzgl. des Umgangs mit unverbesserlichen Gewohnheitsverbrechern erkennbar. Die in der Nachkriegszeit zunächst eher in den Hintergrund gerückten Gedanken von Liszts fanden sich dann 1966 in dem von 14 Strafrechtslehrern vorgelegten „Alternativentwurf“ des Allgemeinen Teils des StGB wieder, indem die spezialpräventive Auffassung mit besonderer Betonung des Resozialisierungsgedankens und des Rechtsgüterschutzes besonderen Ausdruck fand. Der Alternativentwurf  übte nachhaltigen Einfluss auf die kriminalpolitische Entwicklung in Deutschland aus und trug maßgeblich zu den beiden Strafrechtsreformgesetzen von 1969 bei. Liszts Einteilung der Gefährlichkeit eines Verbrechens in objektive und subjektive Gesichtspunkte erhielt bei der Untersuchung einer Straftat in der heutigen Praxis üblichen Unterteilung in objektiven und subjektiven Tatbestand sowie Rechtswidrigkeit und Schuld Einzug. In § 46 (1) StGB (Grundsätze der Strafzumessung) wird eine Vereinigung des Vergeltungs- und des Zweckgedankens deutlich, wobei unter dem Vergeltungsgedanken im heutigen Sinn eher eine das Verhalten missbilligende, normbestätigende anstatt einer die Person des Täters verdammende Botschaft zu verstehen ist. In Satz 1 heißt es, dass die Schuld des Täters die Grundlage für die Zumessung der Strafe bilde, während in Satz 2 Liszts Forderung nach positiven spezialpräventiven Wirkungen der Strafe Berücksichtigung findet. Der Streit über die Annahme des freien Täterwillens auf der einen oder seiner Determiniertheit durch fremde Einflüsse auf der anderen Seite wurde weder zugunsten von Liszts noch seiner Widersacher entschieden, sondern ist heute noch nicht beigelegt. § 20 StGB fordert lediglich ein „frei sein von Mängeln“ und keinen Nachweis über den zum Zeitpunkt der Tat freien Willen des Beschuldigten.
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