George Herbert Mead: Unterschied zwischen den Versionen

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== Psychologie der Strafjustiz ==
== Psychologie der Strafjustiz ==


Ähnlich wie Durkheim zeigt Mead in diesem Aufsatz, wie «die Haltung der Aggressivität entweder gegen einen Gesetzesbrecher oder gegen einen äusseren Feind einer Gruppe ein Gefühl der Solidarität verleiht, das prompt wie eine Flamme emporschiesst und die Unterschiede der individuellen Interessen verzehrt». Der «Preis, der für diese Solidarität der Gefühle gezahlt wird, [ist allerdings] hoch und zuweilen verhängnisvoll.» Denn um diese Formung einer kollektiven Identität auf Dauer zu stellen, bedarf es immer neuer Feinde oder einer andauernd aktualisierten Feindschaft.
Der Strafprozess ist eine Aggression, mit der „wir die soziale Struktur gegen einen Widersacher verteidigen“ (Mead 1980:263). Er einigt alle Mitglieder der Gemeinschaft in einer Art emotionaler Aggressivität. Mead nennt das einen „einzigartigen Vorzug“ (S. 270). Damit steht Mead in der Tradition von Durkheim. Merton (1964: 61) spricht insofern von der latenten Funktion der Strafjustiz.


Mead hoffte (wie Durkheim und in gewissem Sinne auch Nietzsche), daß die Gesellschaft im Zuge der Modernisierung auf die Befriedigung von feindseligen Rache-Bedürfnissen verzichten könne. Als Hauptrichtung der Entwicklung sah er die "Resozialisierung" (Inklusion statt Exklusion). Als ersten Ausdruck einer integrativen Haltung gegenüber "Kriminellen" sah Mead die Jugendgerichte.
Ähnlich wie Durkheim zeigt Mead, wie «die Haltung der Aggressivität entweder gegen einen Gesetzesbrecher oder gegen einen äusseren Feind einer Gruppe ein Gefühl der Solidarität verleiht, das prompt wie eine Flamme emporschiesst und die Unterschiede der individuellen Interessen verzehrt». Der «Preis, der für diese Solidarität der Gefühle gezahlt wird, [ist allerdings] hoch und zuweilen verhängnisvoll.»
 
Um die so geschaffene kollektive Identität zu stabilisieren, bedarf es immer neuer Feinde oder einer andauernd aktualisierten Dauer-Feindschaft.
 
Seitdem Strafe nicht mehr bloße Vergeltung sein möchte, sondern der Prävention dienen will, entsteht ein neues Problem. Mead stellt fest, „daß ein System von Strafen, das im Hinblick auf seine abschreckende Wirkung entworfen worden ist, Verbrechen nicht nur sehr unzureichend unterbindet, sondern eine Klasse von Verbrechern produziert“ (Mead 1980:261).
 
Mead kritisiert das „Stigma, das dem Verbrecher zugewiesen wird“ (265).
 
„Wo immer die Strafjustiz, diese moderne, kunstvolle Ausarbeitung von Tabu und Bann mit deren Konsequenzen in primitiven Gesell-schaften, die öffentliche Meinung zur Verteidigung sozialer Güter und Institutionen gegen wirkliche oder vermeintliche Feinde organisiert und formuliert, bemerken wir, daß die Definition der Feinde, mit anderen Worten, der Verbrecher, eine Definition der Güter und Institutionen mit sich bringt. Diese Definition ist die Rache des Verbrechers an der Gesellschaft, die ihn vernichtet. Die Konzentration der öffentlichen Meinung auf den Verbrecher, die die Institution der Rechtsprechung mobilisiert, lähmt die Versuche, eine sinnvolle Vorstellung von unseren gemeinschaftlichen Gütern im Hinblick auf ihre nützliche Verwendung zu entwerfen“ (269).
 
Mead sieht die Nachteile der Strafjustiz: „Eine soziale Organisation, die aus Feindseligkeiten entsteht, begünstigt von vornherein einen Charakter, der auf Opposition und Widerspruch gegründet ist, und neigt dazu, alle anderen Charaktere bei den Gruppenmitgliedern zu unterdrücken. Der Ruf ‘Haltet den Dieb!’ vereinigt uns alle als Eigentumsbesitzer gegen einen Räuber. ... Im selben Ausmaß, in dem wir uns aufgrund von Feindseligkeit organisieren, unterdrücken wir unsere Individualität“ (71).
 
Mead Hoffnung war, daß die Gesellschaft im Zuge der Modernisierung auf die Befriedigung von feindseligen Rache-Bedürfnissen verzichten könne. Als Hauptrichtung der Entwicklung sah er die "Resozialisierung" (Inklusion statt Exklusion). Als ersten Ausdruck einer integrativen Haltung gegenüber "Kriminellen" sah Mead die Jugendgerichte.


"Seemingly without the criminal the cohesiveness of society would disappear and the universal goods of the community would crumble into mutually repellent individual particles. The criminal does not seriously endanger the structure of society by his destructive activities, and on the other hand he is responsible for a sense of solidarity, aroused among those whose attention would be otherwise centered upon interests quite divergent from those of each other. Thus courts of criminal justice may be essential to the preservation of society even when we take account of the impotence of the criminal over against society, and the clumsy failure of criminal law in the repression and suppression of crime." (591)
"Seemingly without the criminal the cohesiveness of society would disappear and the universal goods of the community would crumble into mutually repellent individual particles. The criminal does not seriously endanger the structure of society by his destructive activities, and on the other hand he is responsible for a sense of solidarity, aroused among those whose attention would be otherwise centered upon interests quite divergent from those of each other. Thus courts of criminal justice may be essential to the preservation of society even when we take account of the impotence of the criminal over against society, and the clumsy failure of criminal law in the repression and suppression of crime." (591)
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