31.738
Bearbeitungen
Tiao (Diskussion | Beiträge) (→Werk) |
Tiao (Diskussion | Beiträge) (→Werk) |
||
Zeile 26: | Zeile 26: | ||
Hulsman plädierte dafür, statt von Kriminalität von "problematischen Situationen" oder (mit Stephen Pfohl) von "trouble" zu sprechen. Was allgemein als Kriminalität bezeichnet werde, sei in Wirklichkeit zudem das Produkt und nicht etwa der Gegenstand der Aktivitäten der sog. Strafrechtspflege. Kriminalität bezeichne weder eine ausserordentliche Gruppe von Ereignissen mit gemeinsamen Eigenschaften, die sie von nicht-kriminellen Ereignissen unterscheide - noch machten "Kriminelle" eine besondere Gruppe von Menschen aus, die sich durch gemeinsame Eigenschaften von anderen Menschen unterscheiden ließen. Kurzum: der sprach "Kriminalität" jegliche ontologische Qualität ab. | Hulsman plädierte dafür, statt von Kriminalität von "problematischen Situationen" oder (mit Stephen Pfohl) von "trouble" zu sprechen. Was allgemein als Kriminalität bezeichnet werde, sei in Wirklichkeit zudem das Produkt und nicht etwa der Gegenstand der Aktivitäten der sog. Strafrechtspflege. Kriminalität bezeichne weder eine ausserordentliche Gruppe von Ereignissen mit gemeinsamen Eigenschaften, die sie von nicht-kriminellen Ereignissen unterscheide - noch machten "Kriminelle" eine besondere Gruppe von Menschen aus, die sich durch gemeinsame Eigenschaften von anderen Menschen unterscheiden ließen. Kurzum: der sprach "Kriminalität" jegliche ontologische Qualität ab. | ||
Hulsman (1986, 1991) | Die Aufgaben der akademischen Kriminologie sah Hulsman (1986, 1991) in der Erforschung der | ||
* | *tatsächlichen Arbeitsweisen von Institutionen und ihrer realen Auswirkungen auf verschiedene gesellschaftliche Bereiche | ||
*die | *Glaubenssysteme, die den Institutionen und ihren Arbeitsweisen zugrunde liegend | ||
*Einschränkungen, welche die Institutionen und ihre Praktiken gerade auch dadurch, dass sie so sehr zum Teil unserer Wahrnehmung, unserer Einstellungen und unseres Verhaltens geworden sind, für uns bedeuten. | |||
*tatsächlichen Bearbeitung von problematischen Situationen ohne Rückgriff auf das Strafrechtssystem (Dunkelfeld) | |||
*Strategien der Abschaffung des Strafrechtssystems. | |||
*welche | *Darüber hinaus verwies Hulsman immer wieder auf die Bedeutung, sich eines Vokabulars zu bedienen - oder es zu schaffen - das er erlaube, Fragen problematischer Situationen zu thematisieren, ohne dem "Bias" des herrschenden "control babble" (Stanley Cohen) zum Opfer zu fallen (Hulsman 1986: 78 f.). | ||
*Und schließlich war er von der Notwendigkeit überzeugt, mit den direkt Beteiligten zu kooperieren. Und mit den Praktikern der Strafrechtspflege, um auch auf diese Weise zur Transformation der Institutionen beizutragen. | |||
* | |||
*Strategien der Abschaffung des Strafrechtssystems | |||
* | |||
*mit den direkt Beteiligten | |||
Die Kritik am Strafrecht und der Strafrechtspflege, die Hulsman übte, betraf nicht die Ebene der Zweck-, sondern der Wertrationalität. Es war eine Fundamentalkritik, die den Sinn der Kategorie „Kriminalität“ selbst in Frage stellte. Weder billigte Hulsman „kriminellen“ Ereignissen einen ontologischen Status noch einen besonderen Schwerecharakter im Kontext anderer „problematischer Situationen“ (Hulsman), bzw. „Ärgernisse und Lebenskatastrophen“ (Hanak, Stehr, Steinert) zu. Da das Strafsystem zudem in der Praxis weder den Bedürfnissen der Opfer noch denen der Täter oder der Gemeinschaft auch nur annähernd genügend Rechnung zu tragen vermöge, dafür aber nachweisbar ein System der „Leidzufügung“ sei (Christie), schlug Hulsman unbeirrbar vor, Strafe und Strafsysteme selbst als „soziale Probleme“ zu betrachten und sich um eine Abschaffung (Abolition) und damit um eine Lösung dieses Problems zu bemühen. Die Auffassung vom „criminal justice system as a social problem“ vertrat er in der Gruppierung ICOPA (International Conference on Prison Abolition, bzw. on Penal Abolition) und bei seinen zahlreichen Konferenzbeiträgen und Vortragsreisen durch die ganze Welt. Louk Hulsmans kriminologisches Denken kann als eine eigenständige Weiterentwicklung der Ideen von Thomas Mathiesen in dessen Werk "The Politis of Abolition" angesehen werden. Hulsman selbst sagt, dass ihm schon in seiner Jugend klar geworden sei, dass die Dinge meist nicht so seien wie sie erschienen. Ihm wurde klar, wie wichtig es war, eigene qualitative Erfahrungen in den Realitätsbereichen zu erwerben - zum Beispiel in den Regelungsfeldern, die von der Gesetzgebung betroffen waren, mit der er in seiner Arbeit im Ministerium befasst war. Immer sei es problematisch gewesen, was Wissen sei (Epistemologie). Sein Leben sei auch ein langer Versuch, sich von der essentialistischen Denkweise zu befreien, die nicht nur die Welt des Kindes und das Alltagsdenken, sondern auch noch das Denken der Strafrechtsdogmatik durchwirke. Alles Wissen ist etwas zwischen dem Subjekt und der Außenwelt und besitzt insofern einen subjektiven Aspekt. Als inspirierende Quellen nennt Hulsman neben Thomas Mathiesen vor allem Michel Foucault und Paul Feyerabend. Er lernte aber auch viel von Arbeiten, die in ganz anderen Denktraditionen wurzelten, die er aber selbst produktiv rekontextualisierte. Neben die epistemologische Reflexion von Wissen kamen die Praxis von Wissen und die eigene Welterfahrung und ein der Einfluss von Malcolm Spectors Theorie der Konstruktion sozialer Probleme. | Die Kritik am Strafrecht und der Strafrechtspflege, die Hulsman übte, betraf nicht die Ebene der Zweck-, sondern der Wertrationalität. Es war eine Fundamentalkritik, die den Sinn der Kategorie „Kriminalität“ selbst in Frage stellte. Weder billigte Hulsman „kriminellen“ Ereignissen einen ontologischen Status noch einen besonderen Schwerecharakter im Kontext anderer „problematischer Situationen“ (Hulsman), bzw. „Ärgernisse und Lebenskatastrophen“ (Hanak, Stehr, Steinert) zu. Da das Strafsystem zudem in der Praxis weder den Bedürfnissen der Opfer noch denen der Täter oder der Gemeinschaft auch nur annähernd genügend Rechnung zu tragen vermöge, dafür aber nachweisbar ein System der „Leidzufügung“ sei (Christie), schlug Hulsman unbeirrbar vor, Strafe und Strafsysteme selbst als „soziale Probleme“ zu betrachten und sich um eine Abschaffung (Abolition) und damit um eine Lösung dieses Problems zu bemühen. Die Auffassung vom „criminal justice system as a social problem“ vertrat er in der Gruppierung ICOPA (International Conference on Prison Abolition, bzw. on Penal Abolition) und bei seinen zahlreichen Konferenzbeiträgen und Vortragsreisen durch die ganze Welt. Louk Hulsmans kriminologisches Denken kann als eine eigenständige Weiterentwicklung der Ideen von Thomas Mathiesen in dessen Werk "The Politis of Abolition" angesehen werden. Hulsman selbst sagt, dass ihm schon in seiner Jugend klar geworden sei, dass die Dinge meist nicht so seien wie sie erschienen. Ihm wurde klar, wie wichtig es war, eigene qualitative Erfahrungen in den Realitätsbereichen zu erwerben - zum Beispiel in den Regelungsfeldern, die von der Gesetzgebung betroffen waren, mit der er in seiner Arbeit im Ministerium befasst war. Immer sei es problematisch gewesen, was Wissen sei (Epistemologie). Sein Leben sei auch ein langer Versuch, sich von der essentialistischen Denkweise zu befreien, die nicht nur die Welt des Kindes und das Alltagsdenken, sondern auch noch das Denken der Strafrechtsdogmatik durchwirke. Alles Wissen ist etwas zwischen dem Subjekt und der Außenwelt und besitzt insofern einen subjektiven Aspekt. Als inspirierende Quellen nennt Hulsman neben Thomas Mathiesen vor allem Michel Foucault und Paul Feyerabend. Er lernte aber auch viel von Arbeiten, die in ganz anderen Denktraditionen wurzelten, die er aber selbst produktiv rekontextualisierte. Neben die epistemologische Reflexion von Wissen kamen die Praxis von Wissen und die eigene Welterfahrung und ein der Einfluss von Malcolm Spectors Theorie der Konstruktion sozialer Probleme. |