Labeling Approach: Unterschied zwischen den Versionen

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1. Der Begriff ''label'' (engl.) geht auf das Alt-Französische ''label'', ''lambel'' (später ''lambeau'') zurück und wurde dort wahrscheinlich von dem Fränkischen ''labba'' oder dem wortverwandten ''lappa'' aus dem Althochdeutschen abgeleitet.<br>
1. Der Begriff ''label'' (engl.) n geht auf das Alt-Französische ''label, lambel'' (später ''lambeau'') zurück und wurde dort wahrscheinlich von dem Fränkischen ''labba'' oder dem wortverwandten ''lappa'' aus dem Alt-Hochdeutschen abgeleitet. <br>
In seiner ursprünglichen Verwendung bedeutete er soviel wie Fetzen oder Lumpen und diente später auch der Bezeichnung für Zettel, die zur Kennzeichnung an verschiedenste Objekte befestigt wurden. Dementsprechend kann label ''n'' heute wörtlich mit Etikett, Kennzeichnung oder Markierung bzw. label-ing ''v'' mit etikettieren, kennzeichnen oder markieren übersetzt werden.
Ursprünglich bedeutete er soviel wie Fetzen oder Lumpen und wurde dann später auch für Zettel verwendet, durch deren Beschriftung und Befestigung an verschiedenste Objekte eben letztere selbst bzw. deren Inhalt gekennzeichnet wurden. Dementsprechend kann label ''n'' heute wörtlich mit Etikett, Kennzeichnung oder Markierung bzw. label-''ing v'' mit etikettieren, kennzeichnen oder markieren übersetzt werden. <br>
Der Begriff ''approach'' (engl.) ''n'', geht auf das Mittelenglische ''approchen'' zurück. Abgeleitet wurde er vom Alt-Französischen ''aprochier'' (jetzt ''approcher'') und wurde dort von dem Lateinischen ''appropiare'' übernommen. In seiner wörtlichen Übersetzung bedeutet er soviel wie Annäherung ''n'' bzw. ''v'' sich annähern an, an etwas herantreten.
Der Begriff ''approach'' (engl.) n geht auf das Mittelenglische ''approachen'' zurück. Abgeleitet wurde er vom Alt-Französischen ''approchier'' (jetzt ''approcher'') und dort wiederum vom Lateinischen appropiare übernommen. Wörtlich übersetzt bedeutet er soviel wie Annäherung bzw. sich annähern an, an etwas herantreten. <br>
 
2. Der Begriff L.A. umschreibt eine in den 50er-Jahren aufgekommene und Ende der 60er-Jahren in Deutschland rezepierte kriminalsoziologische Strömung, deren Vertreter im Gegensatz zu früheren Erklärungsversuchen [[abweichendes Verhalten]] nicht als Merkmal individueller Anlagen oder Qualität einer bestimmten Handlung, sondern als das Produkt gesellschaftlicher Definitions- und Zuschreibungsprozesse qualifizieren.<br>
In den Labeling-Ansätzen wird also nicht mehr nach täter- oder situationsspezifischen Ursachen für abweichendes bzw. kriminelles Verhalten gefragt, sondern danach, wie sich der Prozess der [[Kriminalisierung]] vollzieht. Sehr unterschiedlich wird dabei auf makrosoziologischer Ebene mit der Definitions- und Selektionsmacht der Kontrollinstanzen und /oder mikrosoziologisch mit der stigmatisierenden Wirkung von Sanktionen bzw. deren Einfluss auf den Verlauf einer kriminellen Karriere argumentiert. Allen gemein ist aber, dass es die sozialen Reaktionen auf bestimmte Verhaltensweisen sind, die den zentralen Bezugspunkt für die Erklärung abweichenden Verhaltens Einzelner bzw. der Konstitution von Kriminalität in der Gesellschaft insgesamt bilden und in diesem Zusammenhang der Einfluss der sozialen Kontrolle (vgl. >[[soziale Kontrolle]]) in ihren unterschiedlichsten Erscheinungsformen und Ausprägungen zum Gegenstand der Überprüfung gemacht wird.<br>
Die Ansicht, dass „Abweichung“ und „Kriminalität“ nicht länger als deskriptive Kategorien gelten können, deren Erscheinung sich an objektiven Kriterien festmachen lässt, sondern vielmehr das Rechts- und Normenverständnis als solches und die bei der Beurteilung eines Verhaltens als "abweichend" bzw. "kriminell" maßgebenden Definitions- Interpretations- und Aushandlungsprozesse zum Gegenstand der Analyse gemacht werden müssen, markiert einen klaren Bruch zum Selbstverständnis der traditionellen Kriminologie mit ihrer Anbindung an staatliche und juristische Institutionen, da es v.a. das Handeln der Akteure der sozialen Kontrolle ist, welches hier in den Fokus gerät. Aus diesem Grund hat sich für diese Perspektive auch die Bezeichnung „neu“, „kritisch“ bzw. in Bezug auf spätere Ausführungen auch „radikal“ durchgesetzt.<br>
Die z. T. sehr unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen der Labeling-Ansätze machen es nahezu unmöglich, so etwas wie eine allgemeine Argumentationslinie für diese Perspektive aufzuzeigen. Sehr verallgemeinert wird zunächst argumentiert, dass „Abweichung“ in einer Gesellschaft erst dadurch entsteht, als dass bestimmte Verhaltensweisen von den formellen wie auch den informellen  Kontrollinstanzen zunächst so definiert werden (Fokussierung der Normsetzungsebene) und eben diese Definition dann personen- bzw. gruppenspezifisch unterschiedlich angewendet, das Merkmal insofern nur bestimmten Personen(-kreisen) zugeschrieben wird (Fokussierung der Normanwendungsebene). Relevant werden in diesem Zusammenhang schichtspezifische Unterschiede und Aspekte politischer bzw. allgemein gesellschaftlicher [[Macht]], die es bestimmten Personen(-gruppen) überhaupt erst ermöglicht, andere „erfolgreich“ als abweichend definieren bzw. behandeln zu können.<br>
An diese durch bestimmte Instanzen bzw. Personen vorgenommene Etikettierung anderer als "kriminell" knüpfen wiederum weitere Ansätze an, indem sie die ''Wirkung'' eben dieser Zuschreibung ''auf individueller Ebene'' problematisieren. Hervorgehoben werden hier die Schwierigkeiten und Probleme, die sich für die Betroffenen daraus ergeben, öffentlich als abweichend oder kriminell abgestempelt worden zu sein. <br>
Je nachdem, wo die Schwerpunkte der Argumentation gesetzt werden, wird der L.A. auch als Definitions-, Etikettierungs- oder Reaktionsansatz und aufgrund seiner Unvereinbarkeit mit dem früher vorherrschenden ätiologischen ([[Ätiologie]]) Bezugsrahmen in der Kriminologie z.T. auch als Kontrollparadigma bezeichnet (zum Paradigmenstreit vgl. u.a. Keckeisen 1976, 23ff. ; Lamnek 1997, 25ff.).


2. Der Begriff L.A. umschreibt eine in den 50er-Jahren im angloamerikanischen Raum aufgekommene und Ende der 60er-Jahre in Deutschland rezepierte kriminalsoziologische Strömung, deren Vertreter im Gegensatz zu vorangegangenen Erklärungsversuchen [[abweichendes Verhalten]] nicht als Merkmal individueller Anlagen oder Qualität einer bestimmten Handlung, sondern als das Produkt gesellschaftlicher Definitions- und Zuschreibungsprozesse qualifizieren. <br>
In den Labeling-Ansätzen wird also nicht mehr nach täter- oder situationsspezifischen Ursachen für abweichendes bzw. kriminelles Verhalten sondern danach gefragt, wie und durch wen das Merkmal „kriminell“ an bestimmte Personen(-gruppen) herangetragen wird, kurz: wie diese kriminalisiert werden (vgl. >[[Kriminalisierung]]). Sehr unterschiedlich wird dabei auf makrosoziologischer Ebene mit der Definitions- und Selektionsmacht der Kontrollinstanzen und /oder mikrosoziologisch mit den Erfahrungen von Etikettierung und Stigmatisierung als Ursache für die Verfestigung devianter Verhaltensmuster (vgl. >[[Devianz]]) argumentiert. Allen gemein ist insofern nur, dass es die Reaktionen des sozialen Umfeldes auf bestimmte Verhaltensweisen sind, die zur Erklärung abweichenden Verhaltens Einzelner bzw. der Konstitution von Kriminalität in der Gesellschaft insgesamt herangezogen werden und es damit die Bedeutung bzw. der Einfluss der sozialen Kontrolle (vgl. >[[soziale Kontrolle]]) in allen ihren Erscheinungsformen und Ausprägungen ist, die zum Gegenstand der Überprüfung gemacht wird. <br>
Die Ansicht, dass „Abweichung“ und „Kriminalität“ nicht länger als deskriptive Kategorien gelten können, deren Erscheinung sich an objektiven Kriterien festmachen lässt, sondern vielmehr die bei der Beurteilung eines Verhaltens als "abweichend" bzw. "kriminell" maßgebenden Definitions- Interpretations- und Aushandlungsprozesse zum Gegenstand der Analyse gemacht werden müssen, markiert einen klaren Bruch zum Selbstverständnis der traditionellen Kriminologie mit ihrer Anbindung an v.a. juristische Institutionen, da es gerade die Objektivität von Normen bzw. des Rechts allgemein ist, welche hier in Frage gestellt und dabei insbesonders das Handeln der Akteure der sozialen Kontrolle in den Mittelpunkt der Analyse gerückt wird. Aus diesem Grund hat sich für diese Perspektive auch die Bezeichnung „neu“, „kritisch“ (vgl. [[kritische Kriminologie]]) bzw. in Bezug auf spätere Ausführungen auch „radikal“ durchgesetzt.<br>
Die Vielzahl an Variationen bzw. unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in den Labeling-Ansätzen macht es nahezu unmöglich, eine Argumentationslinie aufzuzeigen, die alle der im Rahmen dieser Perspektive aufgezeigten Aspekte berücksichtigen würde. Insofern hier nur in den Grundzügen dargestellt, wird zum einen die Auffassung vertreten, dass „Abweichung“ in einer Gesellschaft erst dadurch entsteht, als dass bestimmte Verhaltensweisen von den formellen wie auch den informellen  Kontrollinstanzen zunächst als „abweichend“ definiert werden (Fokussierung der Normsetzungsebene) und diese Definition dann personen- bzw. gruppenspezifisch unterschiedlich angewendet, das Merkmal insofern nur bestimmten Personen(-kreisen) zugeschrieben wird (Fokussierung der Normanwendungsebene). Relevant werden in diesem Zusammenhang schichtspezifische Unterschiede und Aspekte politischer bzw. allgemein gesellschaftlicher Macht, die es bestimmten Personen(-gruppen) überhaupt erst ermöglicht, andere „erfolgreich“ als abweichend definieren bzw. behandeln zu können. <br>
An diese durch bestimmte Instanzen bzw. Personen vorgenommene Etikettierung anderer als "kriminell" knüpfen wiederum weitere Vertreter an, die in ihren Ansätzen die ''Wirkung'' eben dieser Zuschreibung ''auf individueller Ebene'' problematisieren. Hervorgehoben werden hier die Schwierigkeiten und Probleme, die sich für die Betroffenen daraus ergeben, öffentlich als abweichend oder kriminell abgestempelt worden zu sein, argumentiert insofern mit der stigmatisierenden Wirkung von Sanktionen, welche die Etikettierten zu Außenseitern der Gesellschaft machen und damit potentiell immer weiter in kriminelle Rollen hineindrängen. <br>
Je nachdem, wo die Schwerpunkte der Argumentationen liegen, wird der L.A. entweder als Definitions-, Etikettierungs- oder Reaktionsansatz und aufgrund seiner Unvereinbarkeit mit dem früher vorherrschenden ätiologischen (vgl. >[[Ätiologie]]) Bezugsrahmen in der Kriminologie z.T. auch als Kontrollparadigma bezeichnet (zum Paradigmenstreit vgl. u.a. Keckeisen 1976, 23ff. ; Lamnek 1997, 25ff.).
 
3. Die Entwicklung des L.A. kann hier nur überblicksartig anhand der Annahmen derer erfolgen, die in ihren Ansätzen richtungsweisende Ausführungen gemacht haben und in der Literatur daher auch ganz überwiegend als Hauptvertreter dieser Strömung angeführt werden:
3. Die Entwicklung des L.A. kann hier nur überblicksartig anhand der Annahmen derer erfolgen, die in ihren Ansätzen richtungsweisende Ausführungen gemacht haben und in der Literatur daher auch ganz überwiegend als Hauptvertreter dieser Strömung angeführt werden:
''Frank Tannenbaum'' war 1938 der erste, der mit der Formulierung „''the young delinquent becomes bad, because he is defined as bad''“ (vgl. 1951, 17) auf die Bedeutung sozialer Reaktionen für abweichendes Verhalten hingewiesen hat, jedoch damit kaum Beachtung fand. Populär geworden ist der L.A. erst durch das Wiederaufgreifen diesen Gedankens durch ''Edwin M. Lemert'' und ''Howard S. Becker'' (1951). Welcher von beiden als der eigentliche Wiederentdecker des L.A. gilt, ob ''Lemert'' mit der erstmaligen Formulierung der für den (gemäßigten) L.A. zentralen ''Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Devianz'' oder ''Becker'', dessen  Formulierung “''the deviant is one to whom that label has been successfully applied: deviant behavior is behavior that people so label''“ (vgl. 1963, 9) dem L.A. möglicherweise erst seine Bezeichnung verliehen hat, ist strittig. Jedenfalls haben beide etwa zeitgleich ihre Arbeiten publiziert.<br>
''Frank Tannenbaum'' war 1938 der erste, der mit der Formulierung „''the young delinquent becomes bad, because he is defined as bad''“ (vgl. 1951, 17) auf die Bedeutung sozialer Reaktionen für abweichendes Verhalten hingewiesen hat, jedoch damit kaum Beachtung fand. Populär geworden ist der L.A. erst durch das Wiederaufgreifen diesen Gedankens durch ''Edwin M. Lemert'' und ''Howard S. Becker'' (1951). Welcher von beiden als der eigentliche Wiederentdecker des L.A. gilt, ob ''Lemert'' mit der erstmaligen Formulierung der für den (gemäßigten) L.A. zentralen ''Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Devianz'' oder ''Becker'', dessen  Formulierung “''the deviant is one to whom that label has been successfully applied: deviant behavior is behavior that people so label''“ (vgl. 1963, 9) dem L.A. möglicherweise erst seine Bezeichnung verliehen hat, ist strittig. Jedenfalls haben beide etwa zeitgleich ihre Arbeiten publiziert.<br>
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Die Ende der 60er- Anfang der 70er - Jahre beginnende Rezeption des L.A. in Deutschland ist der Verdienst von ''Fritz Sack'' mit der Formulierung seines radikalen Ansatzes (1968).
Die Ende der 60er- Anfang der 70er - Jahre beginnende Rezeption des L.A. in Deutschland ist der Verdienst von ''Fritz Sack'' mit der Formulierung seines radikalen Ansatzes (1968).
Als „radikal“ deswegen bezeichnet, weil er im Gegensatz zu anderen Vertretern jede Ursachenforschung ablehnt und ausschließlich auf Definitions- und Zuschreibungsprozesse der Gesellschaft als Grund für das Auftreten von Kriminalität in der Gesellschaft abstellt. Seinen Annahmen, die er 1968 als „''Neue Perspektiven in der Kriminologie''“ vorgestellte, liegen die v.a. durch ''Harold Garfinkel'', ''Aaron V. Cicourel'' und ''Harvey Sacks'' geprägten Grundzüge der ''Ethnomethodologie'' zugrunde, welche ihrerseits die der ''Phänomenologie'' von ''Alfred Schütz'' mit denen des ''symbolischen Interaktionismus'' verbindet.
Als „radikal“ deswegen bezeichnet, weil er im Gegensatz zu anderen Vertretern jede Ursachenforschung ablehnt und ausschließlich auf Definitions- und Zuschreibungsprozesse der Gesellschaft als Grund für das Auftreten von Kriminalität in der Gesellschaft abstellt. Seinen Annahmen, die er 1968 als „''Neue Perspektiven in der Kriminologie''“ vorgestellte, liegen die v.a. durch ''Harold Garfinkel'', ''Aaron V. Cicourel'' und ''Harvey Sacks'' geprägten Grundzüge der ''Ethnomethodologie'' zugrunde, welche ihrerseits die der ''Phänomenologie'' von ''Alfred Schütz'' mit denen des ''symbolischen Interaktionismus'' verbindet.
Vorangestellt wird die Behauptung, dass abweichendes Verhalten [[''ubiquitär'']], d.h. gleichmäßig über alle Bevölkerungsschichten verteilt, also eine normale Erscheinung ist und erst durch die Instanzen der sozialen Kontrolle die Entscheidung getroffen wird, wem das Attribut „abweichend“ tatsächlich zugeschrieben wird.<br>
Vorangestellt wird die Behauptung, dass abweichendes Verhalten [[ubiquitär]], d.h. gleichmäßig über alle Bevölkerungsschichten verteilt, also eine normale Erscheinung ist und erst durch die Instanzen der sozialen Kontrolle die Entscheidung getroffen wird, wem das Attribut „abweichend“ tatsächlich zugeschrieben wird.<br>
Strafrechtlichen Normen erkennt er insofern ein eigenständiges Definitionspotential ab, als dass die Qualifizierung eines Verhaltens als „abweichend“ seiner Meinung nach entscheidend von der Interpretation des darunter subsumierten Sachverhaltes durch die Parteien eines Rechtsstreites (mit-) beeinflusst wird (vgl. 1968,465). Es ist für ihn somit nicht das Geschehen als solches, sondern die Interpretation und Rekonstruktion desselben, wodurch Kriminalität in der Gesellschaft erzeugt wird.<br>
Strafrechtlichen Normen erkennt er insofern ein eigenständiges Definitionspotential ab, als dass die Qualifizierung eines Verhaltens als „abweichend“ seiner Meinung nach entscheidend von der Interpretation des darunter subsumierten Sachverhaltes durch die Parteien eines Rechtsstreites (mit-) beeinflusst wird (vgl. 1968,465). Es ist für ihn somit nicht das Geschehen als solches, sondern die Interpretation und Rekonstruktion desselben, wodurch Kriminalität in der Gesellschaft erzeugt wird.<br>
Da die Definitions- und Selektionsmacht der – vor allem, aber nicht ausschließlich – formellen  Kontrollinstanzen geeignet ist, die soziale Struktur ständig neu zu produzieren, plädiert Sack dafür, Kriminalität nicht als ein Verhalten, sondern als ein „negatives Gut“ analog zu den positiven Gütern wie Vermögen oder Einkommen zu verstehen, dessen Verteilung ebenso ein Produkt gesellschaftlicher Auseinandersetzung ist wie solche, die die Verteilung positiver Güter in einer Gesellschaft regeln (1968,469f.). Die Zuweisung in kriminelle Rollen hinein hängt dabei seiner Meinung nach maßgeblich von der sozialen Schicht und der Familiensituation des Betroffenen ab, da Personen aus schlechten sozialen Verhältnissen  eher von anderen als abweichend bzw. als kriminell definiert werden, als Personen höherer Schichten.(vgl.1968,472f.). Diese Selektionsmechanismen konstruieren Sacks Meinung nach so die „soziale Realität“ dessen, was in einer Gesellschaft auf der einen Seite als normgerechtes und auf der anderen als abweichendes Verhalten gilt (1968,475).<br>  
Da die Definitions- und Selektionsmacht der – vor allem, aber nicht ausschließlich – formellen  Kontrollinstanzen geeignet ist, die soziale Struktur ständig neu zu produzieren, plädiert Sack dafür, Kriminalität nicht als ein Verhalten, sondern als ein „negatives Gut“ analog zu den positiven Gütern wie Vermögen oder Einkommen zu verstehen, dessen Verteilung ebenso ein Produkt gesellschaftlicher Auseinandersetzung ist wie solche, die die Verteilung positiver Güter in einer Gesellschaft regeln (1968,469f.). Die Zuweisung in kriminelle Rollen hinein hängt dabei seiner Meinung nach maßgeblich von der sozialen Schicht und der Familiensituation des Betroffenen ab, da Personen aus schlechten sozialen Verhältnissen  eher von anderen als abweichend bzw. als kriminell definiert werden, als Personen höherer Schichten.(vgl.1968,472f.). Diese Selektionsmechanismen konstruieren Sacks Meinung nach so die „soziale Realität“ dessen, was in einer Gesellschaft auf der einen Seite als normgerechtes und auf der anderen als abweichendes Verhalten gilt (1968,475).<br>  
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Seinen ''Grundannahmen'' nach verweist er u.a. auf die Begriffe der [[Zuschreibung]] und Etikettierung sowie auf die Konzepte der [[Selektion]], der [[Stigmatisierung]] und hier der Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Devianz ( vgl. >[[Devianz]]) sowie auf den der kriminellen Karriere.
Seinen ''Grundannahmen'' nach verweist er u.a. auf die Begriffe der [[Zuschreibung]] und Etikettierung sowie auf die Konzepte der [[Selektion]], der [[Stigmatisierung]] und hier der Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Devianz ( vgl. >[[Devianz]]) sowie auf den der kriminellen Karriere.
''In gestaltungstheoretischer Hinsicht'' gewinnen seine Annahmen heute v.a. in Verbindung mit der ''marxistischen'' und der ''konfliktorientierten Kriminologie'' an Bedeutung. <br>  
''In gestaltungstheoretischer Hinsicht'' gewinnen seine Annahmen heute v.a. in Verbindung mit der ''marxistischen'' und der ''konfliktorientierten Kriminologie'' an Bedeutung. <br>  
''In kriminalpolitischer Hinsicht ''lässt sich eine Linie zum [[''Abolitionimus'']] ziehen. Dies insofern, als dass die Abschaffung bestimmter staatlicher Kontrollstrategien als dessen Zielsetzung wohl die stringenteste Umsetzung der rechts- bzw. kriminalpolitischen Forderung des L.A. nach Begrenzung staatlicher Machtausübung darstellt (vgl. zu den Zusammenhängen der beiden Strömungen Schumann 1985, 19ff.).<br>
''In kriminalpolitischer Hinsicht ''lässt sich neben der Forderung nach Entkriminalisierung eine Linie zum [[Abolitionismus]] insofern ziehen, als dass dessen Zielsetzung -die Abschaffung bestimmter staatlicher Kontrollstrategien- wohl die stringenteste Umsetzung der rechts- bzw. kriminalpolitischen Forderung des L.A. nach Begrenzung staatlicher Machtausübung darstellt (vgl. zu den Zusammenhängen der beiden Strömungen Schumann 1985, 19ff.).<br>
''In forschungsmethodischer Hinsicht '' waren es v.a. die ''qualitativen Verfahren'' (vgl. [[qualitative Methoden]]), die von der Rezeption des L.A. stark profitiert haben, da die Frage danach, wie die Wirklichkeit von Abweichung und Kriminalität durch Interaktionen mit den Instanzen sozialer Kontrolle hervorgebracht wird oder danach, wie abweichende Laufbahnen durch Etikettierungsprozesse erst in Gang gesetzt oder auch verfestigt werden, qualitative Forschungsdesigns zumindest nahe legen, wenn nicht sogar zwingend erforderlich machen (vgl. Meuser / Löschper 2002, Abs 4 und 5).
''In forschungsmethodischer Hinsicht '' waren es v.a. die ''qualitativen Verfahren'' (vgl. [[qualitative Methoden]]), die seit der Rezeption des L.A. stark an Bedeutung gewonnen und insofern stark von ihm profitiert haben, da Fragen danach, wie die Wirklichkeit von Abweichung und Kriminalität durch Interaktionen mit den Instanzen sozialer Kontrolle hervorgebracht wird oder wie abweichende Laufbahnen durch Etikettierungsprozesse erst in Gang gesetzt oder auch verfestigt werden, qualitative Forschungsdesigns zumindest nahe legen, wenn nicht sogar zwingend erforderlich machen (vgl. Meuser / Löschper 2002, Abs 4 und 5).


8. Die kriminologische Relevanz des L.A. lässt sich nicht messen. Trotz aller Kritiken bleibt festzuhalten, dass die Kriminologie mit seiner Rezeption um eine Perspektive erweitert worden ist, deren Grundzüge in keiner Analyse mehr unberücksichtigt bleiben können. Um es mit ''Fritz Sack'' auf den Punkt zu bringen, besteht sein Verdienst darin „mit dem Insistieren auf die Bedeutung der sozialen Reaktion für die Kriminologie die soziologische und politische Dimension der Kriminalität auch in ihren Alltagserscheinungen und Mikrostrukturen“ zur Geltung gebracht zu haben (so 1993, 504).<br>
8. Die kriminologische Relevanz des L.A. lässt sich nicht messen. Trotz aller Kritiken bleibt festzuhalten, dass die Kriminologie mit seiner Rezeption um eine Perspektive erweitert worden ist, deren Grundzüge in keiner Analyse mehr unberücksichtigt bleiben können. Um es mit ''Fritz Sack'' auf den Punkt zu bringen, besteht sein Verdienst darin „mit dem Insistieren auf die Bedeutung der sozialen Reaktion für die Kriminologie die soziologische und politische Dimension der Kriminalität auch in ihren Alltagserscheinungen und Mikrostrukturen“ zur Geltung gebracht zu haben (so 1993, 504).<br>
Anonymer Benutzer

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