Resozialisierung: Unterschied zwischen den Versionen

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===Entwicklung der Resozialisierungsidee===
===Entwicklung der Resozialisierungsidee===
Die Resozialisierungsidee ist historisch eng verknüpft mit den philosophischen [[Straftheorien]]: zum Beispiel mit dem Besserungsgedanken bei Platon oder den Konzepten von "ausgleichender" und "austeilender Gerechtigkeit" bei Aristoteles und "legaler Gerechtigkeit" bei Thomas von Aquin. Die [[Straftheorien]] bilden Grundlagen für die Funktionsbestimmung von Strafe, der Gewährung von Rechten und Pflichten.
Die Resozialisierungsidee ist historisch eng verknüpft mit den philosophischen [[Straftheorien]]: zum Beispiel mit dem Besserungsgedanken bei Platon oder den Konzepten von "ausgleichender" und "austeilender Gerechtigkeit" bei Aristoteles und "legaler Gerechtigkeit" bei Thomas von Aquin. Die [[Straftheorien]] bilden Grundlagen für die Rechtfertigung von Strafe, der Gewährung von Rechten und die Auferlegung von Pflichten
 
Ansätze "ausgleichender" und "legaler Gerechtigkeit" könnten in deutschen Städten erstmals in Zuchthäusern des 17. Jh. gefunden werden, die als Funktionsbestimmung arbeitsfähige oder sozial und ökonomisch störende Menschen (keine Straftäter) "bessern" und zu einem "geregelten Leben" anleiten wollten (vgl. Leyendecker 2002).  
Bezogen auf Besserung durch Einsperrung lassen sich die Zuchthäuser des 17. Jh. in deutschen Städten beschreiben, die arbeitsfähige oder sozial und ökonomisch störende Menschen (keine Straftäter) „bessern“ wollten. Anfang des 18. Jh. wurde der Besserungsgedanke zurückgedrängt und die Arbeit von Gefangenen unter Prügelstrafe und Misshandlungen in Armen-, Irren- und Waisenhäusern in den Vordergrund gerückt. Mitte des 18. Jh. führte der aufgeklärte Absolutismus und naturrechtliches Gedankengut zu einer Rationalisierung des Strafrechts. Der Rechtsphilosoph [[Cesare Beccaria]] (1738-1794) machte als einer der Ersten die Differenzierung zwischen mutmaßlich Besserungsfähigen und Gefährlichkeit (Beccaria 1764). Damit wurde der Besserungsgedanke hervorgehoben. Durch die Verbreitung der Menschenrechtsidee (Aufklärung) entwickelte sich ein humaneres Verständnis vom Strafvollzug und damit Rechte für Straftäter. Im 19. Jh. betonten Kant und Hegel, dass kein „Staat das Recht habe, in irgendeiner Weise bevormundend, erzieherisch oder moralisierend auf die Bürger einzuwirken“ (Leyendecker 2003, S. 47) und lehnten den Besserungsgedanken als nicht vereinbar mit der menschlichen Würde ab. Der Strafanspruch wurde damit begrenzt.  
Anfang des 18. Jh. wurde der Besserungsgedanke zurückgedrängt und die strafrechtlich legitimierte und mit körperlicher Misshandlung einhergehende Zwangsarbeit von Gefangenen in Armen-, Irren- und Waisenhäusern nahm zu. Mitte des 18. Jh. führten der aufgeklärte Absolutismus und die Verbreitung naturrechtlicher Theorien zu einer Rationalisierung des Strafrechts. Der Rechtsphilosoph [[Cesare Beccaria]] (1738-1794) differenzierte als einer der Ersten zwischen mutmaßlicher Besserungsfähigkeit von Straffälligen und ihrer Gefährlichkeit (Beccaria 1764). Durch die Verbreitung der Menschenrechtsidee (Aufklärung) entwickelte sich ein humaneres Verständnis vom Strafvollzug und damit erhielten auch Straftäter gewisse Rechte.  
Erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jh. traten die relativen [[Straftheorien]] und damit auch der spezialpräventive Gedanke wieder in den Vordergrund. Mit der Differenzierung der zweckgerichteten [[Spezialprävention]] durch [[Franz von Liszts]] (1851-1919) bekam der Gedanke der Resozialisierung im [[Strafvollzug]] Ende des 19. Jh. seine Grundlegung.  
Im 19. Jh. betonten Kant und Hegel, dass kein „Staat das Recht habe, in irgendeiner Weise bevormundend, erzieherisch oder moralisierend auf die Bürger einzuwirken“ (Leyendecker 2003, S. 47) und lehnten den Besserungsgedanken als nicht vereinbar mit der menschlichen Würde ab. Der Strafanspruch wurde damit begrenzt.  
Maßnahmen der Besserung und Erziehung erhielten durch die Klassifizierung von Gefangenen (unverbesserliche vs. verbesserliche Hangtäter) von Liszts eine Konkretisierung.
Erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jh. traten die "relativen" [[Straftheorien]] und damit auch der spezialpräventive Gedanke wieder in den Vordergrund. Mit der Differenzierung der zweckgerichteten [[Spezialprävention]] durch [[Franz von Liszts]] (1851-1919) fand der Gedanke der Resozialisierung im [[Strafvollzug]] Ende des 19. Jh. seine Grundlegung. Maßnahmen der Besserung und Erziehung erhielten durch die v. Liszts Klassifizierung von Gefangenen (in "unverbesserliche" vs. "verbesserliche Hangtäter") eine Konkretisierung.


====Begriffsgeschichte====
====Begriffsgeschichte====
Der Begriff selbst wird zum ersten mal von [[Karl Liebknecht]] (1871-1919) in seinem Entwurf „Gegen die Freiheitsstrafe“ (1918) und in einer Veröffentlichung von [[Hans Ellger]]: „Der Erziehungszweck im Strafvollzug“ (1922) verwendet. Seinen Aufschwung erfuhr er durch die Entwicklung der empirischen Sozialwissenschaften und der kriminalpolitischen Fokussierung auf soziale Benachteiligung und [[Stigmatisierung]] zur Zeit der Weimarer Republik (1918-1933), die ein in Ansätzen auf gesellschaftliche Integration ausgerichtetes [[Strafrecht]] hervorbrachte (z. B. das von [[Gustav Radbruch]] (1878-1949) entworfene [[Jugendgerichtsgesetz]] (RJGG). [[Spezialprävention]] als Erziehungsgedanke wurde im nationalsozialistischen Deutschland (1933-1945) eng begrenzt und spielte eine untergeordnete Rolle. Mit dem Kriegsende fand der Resozialisierungsgedanke Eingang in das Besatzungsrecht. In der 3. Kontrollratsdirektiven von 1945 wurden Umerziehung und Rehabilitation ausdrücklich als Ziele des Strafvollzuges formuliert. Erste Vorschläge zum Prinzip eines „Erziehungsstrafvollzuges“ wurden von der „Arbeitsgemeinschaft für Reform des Strafvollzugs“ in den 1950er Jahren gemacht (Leyendecker 2002, S. 50). In den 60er Jahren erhielt der Resozialisierungsgedanke in der BRD seinen Aufschwung. In der DDR trat das Strafvollzugs- und Wiedereingliederungsgesetz (SVWG) am 12.01.1968 in Kraft, welches explizit den Erziehungsgedanken im Vollzug enthält. Ab 1977 wurde mit dem in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetz (StVollzG) in der BRD Resozialisierung als vorrangiges Ziel der sozialen Integration vor den sonstigen Aufgaben des Vollzugs betont.
Der Begriff selbst wird zum ersten mal von [[Karl Liebknecht]] (1871-1919) in seinem Entwurf „Gegen die Freiheitsstrafe“ (1918) und in einer Veröffentlichung von [[Hans Ellger]]: „Der Erziehungszweck im Strafvollzug“ (1922) verwendet. Seinen Aufschwung erfuhr er durch die Entwicklung der empirischen Sozialwissenschaften und der kriminalpolitischen Fokussierung auf soziale Benachteiligung und [[Stigmatisierung]] zur Zeit der Weimarer Republik (1918-1933), die ein in Ansätzen auf gesellschaftliche Integration ausgerichtetes [[Strafrecht]] hervorbrachte (z. B. das von [[Gustav Radbruch]] (1878-1949) entworfene [[Jugendgerichtsgesetz]] (RJGG). [[Spezialprävention]] als Erziehungsgedanke wurde im nationalsozialistischen Deutschland (1933-1945) eng begrenzt und spielte eine untergeordnete Rolle. Mit dem Kriegsende fand der Resozialisierungsgedanke Eingang in das Besatzungsrecht. In der 3. Kontrollratsdirektive von 1945 wurden Umerziehung und Rehabilitation ausdrücklich als Ziele des Strafvollzuges formuliert. Erste Vorschläge zum Prinzip eines „Erziehungsstrafvollzuges“ wurden von der „Arbeitsgemeinschaft für Reform des Strafvollzugs“ in den 1950er Jahren gemacht (Leyendecker 2002, S. 50). In den 60er Jahren erfuhr der Resozialisierungsgedanke in der BRD seinen Aufschwung. In der DDR trat das Strafvollzugs- und Wiedereingliederungsgesetz (SVWG) am 12.01.1968 in Kraft, welches explizit den Erziehungsgedanken im Vollzug enthält. Ab 1977 wurde mit dem in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetz (StVollzG) in der BRD Resozialisierung als vorrangiges Ziel der sozialen Integration vor den sonstigen Aufgaben des Vollzugs betont.


====Krise des Begriffs====
====Krise des Begriffs====
Eine Abkehr von der „Behandlungsideologie“ in der BRD war bereits Ende der 70er bis Anfang der 80er  Jahre festzustellen (Leyendecker 2002, S. 51ff.). Kritikpunkte waren:  
Eine Abkehr von der „Behandlungsideologie“ in der BRD war bereits Ende der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre festzustellen (Leyendecker 2002, S. 51ff.). Kritikpunkte waren:  
*die Gefahren für die Einschränkung der Grundrechte (Umgang mit Gefangenen, Beeinflussungstechniken)
*die Gefahren für die Einschränkung der Grundrechte (Umgang mit Gefangenen, Beeinflussungstechniken)
*die Frage nach der Wirkungslosigkeit von Behandlung im Strafvollzug (Ineffektivität, Rückfallquote).  
*die Frage nach der Wirkungslosigkeit von Behandlung im Strafvollzug (Ineffektivität, Rückfallquote).  
Das Resozialisierungsideal wurde nicht nur wegen der empirisch umstrittenen und relativierten [["Nothing Works"]] These (Martinson 1974) geschwächt, sondern, so David [[Garland]] (2001) und Susanne [[Krasmann]] (2003), habe sich die gesellschaftliche Wahrnehmung und der Umgang mit Problemen der Kriminalität gewandelt. Dieser Wandel lässt sich auch als die Rückkehr des Strafrechts zu seinen repressiven Formen beschreiben.
Das Resozialisierungsideal wurde nicht nur durch die empirisch umstrittene und relativierte [["Nothing Works"]] These (Martinson 1974) geschwächt, sondern, so David [[Garland]] (2001) und Susanne [[Krasmann]] (2003), die gesellschaftliche Wahrnehmung und der Umgang mit Problemen der Kriminalität änderten sich. Dieser Wandel lässt sich auch als die Rückkehr des Strafrechts zu seinen repressiven Formen beschreiben.


===Gesetzliche Grundlagen===
===Gesetzliche Grundlagen===

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