Rethinking Narratives of Penal Change in Global Context

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Rethinking Narratives of Penal Change in Global Context ist der Titel einer Publikation von Wayne Morrison, die auf die Vernachlässigung der gemeinsamen Konstitution des Lokalen und des Globalen in der Kriminologie und auf die verzerrte Realitäts-Wahrnehmung hinweist, die sich daraus für die Analysen kriminalpolitischer Entwicklungen ergibt. Während David Garland einerseits betont, in seinem Buch "Kultur der Kontrolle. Verbrechensbekämpfung in der Gegenwart" (dt. 2008) nur die USA und Großbritannien zu behandeln, spricht er andererseits generell vom "Zusammenbruch modernder Kriminalitätskontrolle", von der spätmodernen Gesellschaft und von der Gegenwartsgesellschaft schlechthin. Aber, so Morrison, sind nicht die Demokratische Republik Kongo, Tschetschenien oder Bangladesch auch Gegenwartsgesellschaften? Der in der Kriminologie völlig üblichen und unreflektierten Ausblendung großer Teile der Welt entspricht eine positivistische Genügsamkeit bezüglich der für die Analyse benutzten Datenquellen. Benutzt werden staatliche Kriminalitätsstatistiken; ein ungeschriebenes Gesetz lautet: "zähle keine staatsverstärkte Kriminalität".

Denselben Fehler sieht Morrison auch in der Theorieproduktion (Hirschi/Gottfredson: A General Theory of Crime). Nie wurde die auf geringe Selbstkontrolle abstellende Theorie einmal auf Genozid und andere staatsverstärkte oder staats-initiierte Kriminalität angewandt. Die Theorie will allgemein sein, aber letztlich dann doch nur allgemein im Hinblick auf die individuelle Abweichung, die durch geringe Selbstkontrollfähigkeiten der meist jugendlichen Täter zurückgeführt werden kann. "The point is that such events are simply not regarded as providing any facts that a 'general theory of crime' should consider. Yet the figures for state-sponsored massacres or other forms of deliberate death in the twentieth century - excluding military personnel and civilian casualties of war - are usually regarded as between 167 to 175 million people" (S. 294).

Um "cross-cultural crime rates" zu erhalten, stützten sich Hirschi und Gottfredson denn auch nicht auf eigene Methoden der Datenfindung, sondern sie nahmen schlicht die staatsgenerierten Kriminalstatistiken zur Hand, die ihrerseits durch die Konzentration auf antisoziales strafbares Verhalten einerseits und damit die Auslassung staatlicher und staatlich verstärkter Kriminalität andererseits gekennzeichnet sind: "Given that the vast majority of the people who caused the deaths of the 167-175 million persons mentioned above were not subjected to criminal justice processes or penality, a data-collection procedure tied to the state institutions must result in a specific picture of crime and criminality oblivious to their existence" (S. 294).

"In global terms we have lived through and continue to inhabit a remarkably non-punitive world. In the twentieth century mass rape, torture, killing on a scale unimaginable in earlier centuries were tolerated and went unpunished" (S. 305).


The founding of modernity: the case of Thomas Hobbes and the beginnings of the great divide

Hobbes sieht im Gewaltmonopol die Chance auf innerstaatliche Befriedung. Das Staatsgebiet wird ein Reich innerer Sicherheit und in dem Maße ein "zivilisierter Raum", in dem anti-soziale Gewaltakte unterbunden oder zumindest konsequent und abschreckend geahndet werden. Außerhalb des sicheren Staatsgebiets liegt womöglich eine Welt der Dunkelheit, das Land des oder der "Anderen" (299). Erfolgreich zu herrschen heißt deswegen: den Untertanen zu ermöglichen, sich im zivilisierten Raum sicher zu fühlen, bzw. sich im Prozess zunehmender Perfektion der Sicherheit zu wähnen - und womöglich die Angst vor dem Anderen in diesem Kontext zu nutzen.

Morrison setzt sich kritisch mit der Aussage Garlands auseinander, dass sich die punitive Wende gegen Ende des 20. Jahrhunderts durch keine Lektüre von Marx, Durkheim, Elias oder Foucault hätte vorhersehen lassen. Er setzt dagegen, dass jede Lektüre dieser Autoren, die mit dem Ziel unternommen wird, die Punitivitätsentwicklung in einer küsntlich aus ihrme Kontext gelösten "Gegenwartsgesellschaft" im Sinne der Inseln westlicher Zivilisationsräume vorherzusagen, einen verzerrten Fokus auf die Entwicklung im zivilisierten Raum haben muss und deswegen auch nur zu falschen Ergebnissen führen kann. Tatsächlich lassen sich diese Autoren auch auf eine Weise lesen, die es erlauben, die oftmals unsichtbaren Verbindungen wahrzunehmen, die zwischen den westlich-internen Entwicklungen einerseits und den Entwicklungen jenseits der großen Trennlinie bestehen. Es gibt also "other ways of reading them more open to global factors" (299):

  • Marx entlarvte z.B. die Verschleierung der sozialen Zusammenhänge als Schlüsselelement des kapitalistischen Weltsystems. Der helle Morgen der kapitalistischen Entwicklung in Europa beruhte auf der Brutalität der Ausbeutung außerhalb Europas, der sog. ursprünglichen Akkumulation.

Literatur

  • Morrison, Wayne (2005) Rethinking narratives of penal change in global context. In: Pratt et al., The new punitiveness. Trends, theories, perspectives. Collompton: Willan 290-307.