Neue Ambulante Maßnahmen

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Neue Ambulante Maßnahmen stellen durch die Reform des Jugendgerichtsgesetzes im Jahre 1990 eine Erweiterung des Weisungskatalogs im Rahmen des §10 Abs. 1, Ziffer 5-7 JGG in Form von sozialpädagogischen Angeboten der Jugendhilfe dar. Durch deren Anwendung soll der Erziehungsgedanke des Jugendgerichtsgesetzes stärker betont werden (vgl. BT-Drs. 11/5829, Seite 11). Der Gesetzgeber definiert Weisungen nach § 10 JGG als „[...] Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen.“ Die Aussprechung einer jugendgerichtlichen Weisung beinhaltet somit auch die verpflichtende Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung (§§ 27 bzw. 41 SGB VIII).

Entstehung und Hintergrund

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 27.11.1989 veranlasste das 1. JGG-Änderungsgesetz, welches 1990 in Kraft trat. Anlass war eine stärkere Orientierung am Erziehungsgedanken. Die Novelierung begründet sich auf bisherige kriminologische Forschung, welche insbesondere freiheitsentziehende Sanktionen von Jugendlichen und Heranwachsenden kritisch betrachtet und ihnen schädliche Folgen attestiert. Zudem sollen informelle Erledigungen eine „ […] kostengünstigere, schnellere und humanere Möglichkeiten der Bewältigung von Jugenddelinquenz auch kriminalpolitisch im Hinblick auf Prävention und Rückfallvermeidung [...]“ darstellen (BT-Drs. 11/5829, S. 11). Durch die Aufnahme von sogenannten Neuen Ambulanten Maßnahmen in Form von Betreuungsweisung, sozialer Trainingskurs und Täter-Opfer-Ausgleich in den bestehenden Weisungskatalog (§ 10 JGG Abs 1 JGG), sollen die adäquaten Reaktionsmöglichkeiten auf Jugendkriminalität bei unterer bis mittlerer Schwere des Delikts erweitert werden (BT-Drs. 11/5829, S. 11). Diese sollen gleichzeitig traditionelle und tendenziell schädigende freiheitsentziehende Sanktionen ersetzen.

Anwendungsbereich und Voraussetzungen

Da Jugendkriminalität als normale, ubiquitäre und episodenhafte Nebenerscheinung der jugendlichen Entwicklung angesehen wird, ergibt sich daraus prinzipiell keine Erziehungsbedürftigkeit bzw. Legitimation einer strafrechtlichen Intervention. Die Adressaten von neuen ambulanten Maßnahmen sollen vielmehr Jugendliche und Heranwachsende darstellen, die aufgrund von vielfältigen sozialen Problemstellungen den Normalbereich von Jugenddelinquenz, hinsichtlich der Intensität und Frequenz verlassen haben (vgl. Drewniak 2012, S. 16ff). Für alle ambulanten Maßnahmen gilt, dass sie als Alternative zum Dauerarrest als Zuchtmittel (§ 13 Abs. 2 Ziff. 3 JGG) oder Jugendstrafe (§ 17 JGG) verstanden werden (vgl. BAG 2000, S. 423). Die Angebote richten sich demnach im Allgemeinen an Jugendliche und Heranwachsende

- von 14-21 Jahren (§ 1 Abs. 2 Halbs. 1 JGG bzw. § 105 JGG)

- die wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten sind

- die mehrfach benachteiligt sind (vgl. Goerdeler 2009, S. 33)

- „deren familiäre und gesellschaftliche Integration gefährdet ist“ (BAG 2000, S. 412).

Im Anwendungsprozess kommt der Jugendgerichtshilfe nach § 38, Abs. 3 JGG besondere Bedeutung hinzu, welche im Rahmen der Hauptverhandlung bereits ambulante Maßnahmen als Rechtsfolge vorschlagen kann und für deren Überwachung nach § 38 Abs. 2 JGG zuständig ist (vgl. Goerdeler 2009, S. 16). Die Leistungsträger von Neuen Ambulanten Maßnahmen stellen öffentliche und frei Träger der Jugendhilfe dar. Generell gelten weitere folgende Voraussetzungen zur Verhängung von Erziehungsmaßregeln und somit insbesondere auch für Weisungen. Die Erziehungsmaßregel wird als Anlass gesehen, um vorhandene, durch die Straftat sichtbar gewordene Erziehungsmängel zu beheben (§ 5 Abs. 1 JGG). Beim Jugendlichen müssen Erziehungsbedürftigkeit, -fähigkeit und -willigkeit vorliegen (vgl. Eisenberg 2013, S. 89 ff). Ferner dürfen die Weisungen „an die Lebensführung des Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden„ (§ 10 Abs 1. JGG), sondern sollen für den jungen Menschen sinnvoll und einleuchtend sein. Die Ausgestaltung der Weisung soll frei von repressiven und vergeltenden Mitteln sein und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren (vgl. Eisenberg 2013, S. 175).

Formen

Der jugendrichterliche Weisungskatalog in Rahmen des §10 JGG Abs. 1 ist vom Gesetzgeber bewusst offen gestaltet, sodass weitere, nicht ausdrücklich genannte Weisungen ebenso verhängt werden können (vgl. Goerdeler 2009, S. 33). Die Folgenden Ausführungen beziehen sich somit nur auf die neu hinzugekommenen explizit genannten Weisungen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft für ambulante Maßnahmen nach dem Jugendrecht in der DVJJ stellen seit Beginn Mindeststandards für die Anordnung und Durchführung von neuen ambulanten Maßnahmen zur Verfügung (vgl. BAG 2000) und soll hier im Speziellen Orientierung bieten.

Sozialer Trainingskurs

Soziale Trainingskurse sind ein gruppenpädagogisches Angebot welche nach § 10 Abs. 1 Ziff. 6 JGG angewiesen werden können. Mit dem Begriff „Soziale Trainingskurse“ ist kein Angebot gemeint, dass in sich methodisch und inhaltlich geschlossen ist, sondern viel mehr einen Überbegriff für soziale Gruppenarbeit darstellt. Eine Verengung des Begriffs ist durch den Gesetzgeber nicht gewollt (vgl. BT-Drs. 11/5829, Seite 11). Demnach existiert eine Vielzahl an gruppenpädagogischen Angeboten, welche sich zum Teil inhaltlich, methodisch und hinsichtlich der Dauer stark unterscheiden. Als bekannter Vertreter ist hier beispielsweise das Anti-Aggressivitäts-Training zu nennen.

Gemeinsames Merkmal von Sozialen Trainingskursen ist das Erlernen von Handlungsalternativen im gruppendynamischen Prozess und im Austausch mit der Gruppe. Ursächlich für das straffällige Inerscheinungtreten werden unzureichende Handlungskomptenzen, mangelnde Problemlösungsfähigkeiten sowie soziale Defizite und nicht das etwaige Vorhandensein von „schädlichen Neigungen“ gesehen (vgl. Radtke u.a. 2000, S. 326 f). Diesem soll durch die Teilnahme an einem Soziale Trainingskurs entgegengewirkt werden. Dabei soll die Maßnahme eine Teilnehmerzahl von zehn nicht übersteigen, eine Dauer von drei Monaten nicht unterschreiten und sechs Monate nicht überschreiten. Die inhaltliche Ausgestaltung sollte bei ein- bis maximal zwei wöchentlichen Gruppentreffen problemanalysierende, problemlösende, informierende, handlungsorientierte, erlebnisorientierte, elternbezogene und integrative Programmteile enthalten. Die Ergänzung der sozialen Gruppenarbeit durch Einzelfallhilfe und die Einbeziehung des sozialen Umfelds wird empfohlen (vgl. BAG 2000, 424 f).

Betreuungsweisung

Die Betreuungsweisung stellt eine auf Einzelfallhilfe ausgerichtete Maßnahme nach § 10 Abs. 1 S. 3 Ziff. 5 JGG sowie die §§ 30, 35, 41, SGB VIII dar. Die intensive Einzelbetreuung soll dem jungen Menschen bei der Bewältigung von schwierigen Lebenslagen und Entwicklungsaufgaben unterstützen und ihn zur selbstständigen Lebensgestaltung befähigen. „Mit der Anordnung einer Betreuungsweisung soll [ebenso] auf die Lebensführung des Jugendlichen eingewirkt werden mit dem Ziel, seine Erziehung zu fördern und zu sichern“ (BT-Drs. 11/5829, S. 16). Demnach kann vom Jugendgericht ein Betreuungshelfer für i.d.R. sechs bis maximal 12 Monate namentlich angeordnet werden und stellt somit eine eingriffsintensive Maßnahme dar. In Betracht können Ehrenamtliche, Bewährungshelfer, Mitarbeiter der Jugendhilfe im Strafverfahren oder Mitarbeiter von freien Trägern der Jugendhilfe kommen. In der Praxis haben sich jedoch Modelle bewiesen, in denen die Betreuung durch Sozialpädagogen von freien Trägern der Jugendhilfe übernommen wird (vgl. Eisenberg 2013, S. 181).

In Betracht für die Betreuungsweisung kommen laut Bundesarbeitsgemeinschaft für ambulante Maßnahmen Jugendliche und Heranwachsende in Betracht, die besondere und schwierige Lebenslagen aufweisen, sowie eine Eingliederung in eine Gruppenmaßnahme nicht möglich ist. Aufgrund der Eingriffsintensität sollte die Betreuungsweisung nur bei mehrfachen, im mittleren Bereich der Delinquenz zuordenbaren Delikten eingesetzt werden. Gleichzeitig darf die Voraussetzung der „Schwere der Schuld“ für die Anordnung von Jugendstrafe nicht gegeben sein. Die Aufgabe des Betreuungshelfers ist die Unterstützung und Beratung des jungen Menschen hinsichtlich der individuellen und häufig komplexen Problemstellungen (vgl. BAG 2000, 425 f).

Täter-Opfer-Ausgleich

Neben den oben genannten ambulanten Maßnahmen kann auch ein Täter-Opfer-Ausgleich nach § 10 Abs. 1, Nr. 7 JGG angewiesen werden. Daneben bestehen weitere rechtliche Möglichkeiten im Jugendstrafverfahren einen Täter-Opfer-Ausgleich anzuwenden. Nach § 46a StGB stellt dieser das Bemühen des Täters dar, „einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, der dadurch seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutmacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt“. Grundgedanke dieser Weisung ist, dass der entstandene materielle und immaterielle Schaden des Geschädigten durch den jugendlichen Täter ausgeglichen und der soziale Frieden wiederhergestellt wird. Ebenso sollen dem Verurteilten die Folgen der Tat verdeutlicht und häufig vernachlässigte Interessen des Geschädigten berücksichtigt werden.

Grundvoraussetzung für dessen Anweisung ist hier die Einwilligung des Geschädigten, sowie, dass Tathergang und Schuld durch das Strafverfahren im Vorfeld festgestellt wurden (Eisenberg 2013, S. 184). Die Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs im Rahmen des Weisungskatalog stößt jedoch auch auf Kritik, da dadurch das Prinzip der Freiwilligkeit als Grundvoraussetzung für einen Ausgleich verletzt werde (vgl. Götting 2004 S. 31 und Servicebüro für Täter-Opfer-Ausgleich und Konfliktschlichtung u.a. 2009, S. 7).

Laut den Mindeststandards der Bundesarbeitsgemeinschaft für ambulante Maßnahmen kommen Straftaten unabhängig der Schwere des Delikts für die Anordnung eines Täter-Opfer-Ausgleichs in Betracht. Kriterium dafür ist, dass eine natürliche Person beschädigt worden ist, um die Konfliktregelung zwischen Täter und Geschädigten zu gewährleisten. Aufgrund der Verhältnismäßigkeit sollte der TOA nicht bei Bagatelldelikten eingesetzt werden. Nach Manthai (2000, S. 74) lassen bestimmte Delikte aufgrund ihrer Schwere jedoch kaum Konfliktschlichtung zu. Die Durchführung wird i.d.R. durch neutrale Fachstellen gewährleistet, da die erforderlichen Neutralität bei beteiligten Institutionen im Strafverfahren, wie Jugendgerichtshilfe oder Bewährungshilfe, nicht gegeben ist (vgl. BAG 2000, S. 421).

Kritik

Die Anerkennung und Nutzung Neuer Ambulanter Maßnahmen steht insbesondere in der Kritik, da sie sich trotz der wissenschaftlichen Fundierung der spezialpräventiven Überlegenheit gegenüber freiheitsentziehenden Maßnahmen, kaum in der Sanktionspraxis der Jugendgerichte wiederspiegeln (vgl. Drewniak 2009, S. 26). Die Anwendung ambulanter Maßnahmen als alleinige Reaktion auf Jugendkriminalität konzentriere sich nicht auf die oben beschriebene Zielgruppe, sonder vielmehr auf junge Menschen, die keine Indikation für sozialpädagogische Angebote aufweist. Auch die Ausweitung von eingriffsintensiven Maßnahmen in den Bagatellbereich sieht Drewniak als Zielverfehlung an. Dem Grundsatz, dass ambulante Maßnahmen nicht in Kombination mit freiheitsentziehenden Maßnahmen verhängt werden sollen, sondern eine Alternative dazu darstellen, komme die Justiz nicht nach. So sei bei delinquenzbelasteten und bedürftigen Jugendlichen und Heranwachsenden die Weisung häufig nur eine „erzieherische Draufgabe“ (Drewniak, 2000, S. 242).


Literaturverzeichnis

Bundesarbeitsgemeinschaft für ambulante Maßnahmen (2000): Leitfaden für die Anordnung und Durchführung der „Neuen Ambulanten Maßnahmen“ („Mindeststandards“). In: BAG für ambulante Maßnahmen nach dem Jugendrecht in der DVJJ (Hrsg.): Neue ambulante Maßnahmen. Grundlagen – Hintergründe – Praxis. Schriftenreihe der DVJJ, Bd. 31, Mönchengladbach.

Drewniak, R. (2012): Erziehung statt Strafe? - Die Neuen ambulanten Maßnahmen zwischen Jugendhilfe und Jugendstrafjustiz. In: Drewniak, R./ Bals, N. / BAG Jugendhilfe im Strafverfahren in der DVJJ (Hrsg.): Zukunft schaffen! - Perspektiven für straffällig gewordene junge Menschen durch ambulante Maßnahmen, Hannover.

Eisenberg, U. (2013): Jugendgerichtsgesetz. 16. Auflage, München.

Goerdeler, J. (2009): Jugendhilfe im Strafverfahren (JuHiS) - Eine fachliche Empfehlung für die Handhabung der Mitwirkungsaufgabe nach § 52 SGB VIII der BAG JuHiS in der DVJJ. In: Goerdeler, J./ BAG Jugendhilfe im Strafverfahren in der DVJJ (Hrsg.): Jugendhilfe im Strafverfahren. Hannover.

Götting, B. (2004):Schadenswiedergutmachung im Strafverfahren - Ergebnisse eines Modellprojektes zur anwaltlichen Schlichtung, Münster.

Manthai, A. (1999): Der Erziehungsgedanke im Jugendstrafrecht: Idee - historische Entwicklung - gegenwärtige Diskussion – Bilanz, Norderstedt.

Radtke, E., Schröter, I. (2000): Soziale Trainingskurse – Soziale Gruppenarbeit. In: BAG für ambulante Maßnahmen nach dem Jugendrecht in der DVJJ (Hrsg.): Neue ambulante Maßnahmen. Grundlagen – Hintergründe – Praxis. Schriftenreihe der DVJJ, Bd. 31, Mönchengladbach.

Servicebüro für Täter-Opfer-Ausgleich und Konfliktschlichtung, Bundesarbeitsgemeinschaft Täter-Opfer-Ausgleich e.V. (2009): STANDARDS Täter-Opfer-Ausgleich, Frankfurt/Main.


Weblinks

Drewniak, R. (2009): Ambulante Maßnahmen im Jugendstrafrecht – Bestandsaufnahme und Perspektiven, [1] (01.02.2017)