Menschenversuch

Aus Krimpedia – das Kriminologie-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Ein illegaler Menschenversuch ist ein meist zu medizinischen Zwecken durchgefuehrtes Experiment ohne Beachtung rechtlicher Vorschriften. Haeufig ist der Versuchscharakter den Betroffenen nicht bekannt und nicht selten werden sie auch ohne Kenntnis der Kausalverlaeufe und Verantwortlichen gesundheitlich geschaedigt. In den gravierendsten Faellen werden Leiden und Tod der Probanden zwecks Erkenntnisgewinnung über Belastungsgrenzen und/oder Krankheitsverläufe eingeplant.

Drittes Reich

Die im Dritten Reich verbreiteten Menschenversuche wurden zum Teil im Rahmen der Nürnberger Prozesse aufgearbeitet (vgl. Mitscherlich/Mielke 1960). Dabei handelte es sich neben der Aktion T4 und der Tötung von KZ-Häftlingen zwecks Aufbaus einer Skelettsammlung (die zwar von Medizinern durchgeführt wurden, aber keinen experimentellen Charakter trugen, vgl.([[1]]) vor allem um:

  • Unterdruck-, Unterkühlungs- und Meerwasserversuche

Nachstellung von extremen Bedingungen, denen Militärpiloten ausgesetzt sind, wenn sie in großer Höhe die Maschine verlassen, in kaltem Wasser notlanden, bzw. sich in Rettungsbooten mit ausreichend Trinkwasser versorgen müssen. Die Versuche wurden von Februar bis Mai 1942 in drei Versuchsserien im KZ Dachau an etwa 200 Häftlingen durchgeführt, wobei es zu 70-80 eingeplanten Todesfällen kam (in Nürnberg angeklagt, aber mangels Beweisen freigesprochen: Romberg, Ruff und Weltz). Die Unterdruckversuche knüpften dort an, wo Ruff und Romberg ihre Selbstversuche abgebrochen hatten. Es wurde ein Fall aus 21000 Metern Höhe simuliert. Die körperlichen Reaktionen bis zum Tod der Versuchspersonen wurden aufgezeichnet. Bei den Unterkühlungsversuchen von August bis Dezember 1942 wurden die körperlichen Reaktionen von Häftlingen aufgezeichnet, die in Eiswasser getaucht wurden. Bei diesen Versuchen verstarben bis zu 90 Häftlinge. Die Ergebnisse der Unterkühlungsversuche sind bis heute Referenz für das Überlebensverhalten von Menschen bei unterschiedlichen Wassertemperaturen. - Bei den Meerwasserversuchen ging es um die Problemstellung, abgestürzte Piloten in Rettungsbooten mit ausreichend Trinkwasser zu versorgen. Um die umstrittene Frage zu klären, ob dafür entsalztes Wasser oder aber sog. Berka-Wasser Verwendung finden sollte, bei welchem der Salzgeschmack überdeckt und durch die Zuführung von Vitamin C angeblich die Salzausscheidung verbessert wurde, wurden von Juli bis September 1944 Versuche an 44 Sinti und Roma aus dem KZ Buchenwald durchgeführt, die dafür nach Dachau überstellt worden waren. Bei diesen Versuchen sollen keine Versuchspersonen zu Schaden gekommen sein.

  • Fleckfieber-Impfstoffversuche

Die Experimente wurden im KZ Buchenwald und KZ Natzweiler-Struthof durchgeführt. Quellengrundlage für die ab Januar 1942 durchgeführten Experimente in Buchenwald sind das Stationstagebuch von Dr. med. Erwin Ding-Schuler, Aussagen von europäischen Medizinern, die im KZ inhaftiert waren sowie Häftlingen wie des Häftlingsschreibers Eugen Kogon und des Oberpflegers der Fleckfieberstation Arthur Dietzsch. Vorgeblich entwickelte die SS hier einen eigenen Impfstoff gegen Fleckfieber, real testete sie nur bekannte Impfstoffe. Unterschiedliche Impfstoffe wurden an 392 Versuchspersonen getestet, eine Kontrollgruppe von 89 Personen blieb ohne Impfschutz. 383 Personen erkrankten, 97 verstarben, davon 40 aus der Kontrollgruppe. Die Experimente wurden auch im KZ Sachsenhausen durchgeführt. Im KZ Natzweiler wurden von 1943 bis zur Befreiung 1944 ebenfalls Fleckfieber- aber auch Gelbsuchtexperimente durchgeführt.

  • Sulfonamid, Knochentransplantation- und Phlegmonversuche

Die Sulfonamid-Experimente im KZ Ravensbrück fanden von Juli 1942 bis August 1943 statt, um Mittel gegen Verluste an der Ostfront durch Wundinfektionen zu finden. Die Frage war vor allem, ob Sulfonamide für die Behandlung von Infektionen ausreichend sein könnten oder ob Amputationen vorzuziehen seien. Als Versuchspersonen für diese Experimente dienten gesunde polnische Frauen aus dem KZ Ravensbrück. Ziele der Versuchsreihen waren die Analyse von Gasbrand, Prüfung der bisher bekannten therapeutischen Mittel und die Analyse von „banalen“ Wundinfektionen unter Behandlung der herkömmlichen Chirurgie und den neuen Sulfonamiden. Die Versuchsreihen, bei denen es zu mehreren Todesfällen kam, wurden jeweils in zwei Gruppen geteilt: Infizierungsoperationen: Den Versuchspersonen wurden die Waden aufgeschnitten und die Wunde mit Holz- und Glassplittern infiziert. Aseptische Operationen: Sie unterteilten sich in Knochen-, Muskel-, und Nervenexperimente.

  • Lost- und Phosgenversuche

Lost (Senfgas) und Phosgen sind Chemiewaffen. Menschenversuche mit diesen Substanzen wurden 1942/43 im KZ Natzweiler-Struthof durch den Anatomie-Professor August Hirt und den Biologie-Professor Otto Bickenbach durchgeführt.

USA

Zwischen 1932 und 1972 wurde in den USA an Syphilis erkrankten Schwarzen eine medizinische Behandlung vorenthalten, um die Spätfolgen der Krankheit zu erforschen (sog. Tuskegee-Syphilis-Studie). Der an dieser Studie beteiligte Arzt John Cutler war dann zwischen 1946 und 1948 als leitender Arzt zusammen mit anderen amerikanischen Regierungsmedizinern an einer erst 2010 bekannt gewordenen Studie in Guatemala tätig. Mit Genehmigung der Regierung und mit Finanzierung des Nationalen Gesundheitsinstituts NIH wurden fast 700 Gefaengnisinsassen und Psychiatriepatienten ohne deren Wissen mit Erregern fuer Syphilis und Gonorrhoee infiziert. Den Betroffenen sagten die Mediziner, es handle sich um Impfungen gegen Geschlechtskrankheiten. Tatsaechlich sollte herausgefunden werden, ob Penizillin auch in der Lage sei, den Ausbruch der Syphilis bei bereits Infizierten zu verhindern. In einigen Faellen wurden bereits erkrankte Prostituierte dazu missbraucht, die Krankheitserreger auf die Haeftinge zu uebertragen. In anderen Faellen wurden zunaechst Penizillin und anschliessend die Erreger injiziert. Die Experimente wurden offenbar mangels verwertbarer Erkenntnisse eingestellt und die Ergebnisse wurden jahrzehntelang unter Verschluss gehalten, bis sie von Professorin [Susan Mokotoff Reverby] vom Wellesley College in Massachussetts (USA) aufgedeckt wurden.

Im Oktober 2010 bat US-Praesident Barack Obama in einem Telefongespraech mit dem guatemaltekischen Praesidenten Alvaro Colom um Entschuldigung. In einer Erklärung von Außenministerin Clinton und Gesundheitsministerin Sebelius hieß es, man sei "entsetzt, dass solche verwerfliches Tun unter dem Deckmantel der Forschung für die öffentliche Gesundheit geschehen konnte."

Quellen

  • Mitscherlich, Alexander & Fred Mielke (1960) Medizin ohne Menschlichkeit. Frankfurt: Fischer TB ISBN 3-596-22003-3 (kommentierte Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses; Neuauflage von "Wissenschaft ohne Menschlichkeit" von 1949).
  • Nürnberger Ärzteprozess, Die Medizinverbrechen im Einzelnen. In: Wikipedia dt. [[2]]
  • Obama bedauert Menschenversuche. FAZ 4.10.2010: 7.


Der Teil über das Dritte Reich wurde gekürzt aus der dt. Wikipedia übernommen:

  • Nürnberger Ärzteprozess, Die Medizinverbrechen im Einzelnen. In: Wikipedia dt. [[3]]