Internal investigation

Internal investigation ist eine insbesondere im US-Rechtssystem verankerte unternehmensinterne Untersuchung, die der Aufdeckung von Wirtschaftsstraftaten in Unternehmen dient. Ausgehend von Untersuchungen von Korruptionsvorfällen im Siemens-Konzern im Jahr 2007 haben sich internal investigations auch in Deutschland als ein Bestandteil von Corporate Compliance bzw. Compliance-Management-Systemen etabliert.


Etymologie

Der englische Begriff internal investigation (oder auch corporate internal investigation) wird im Deutschen übersetzt mit internen Ermittlungen, internen (Sonder-)Untersuchungen, internen Compliance Untersuchungen oder unternehmensinternen Untersuchungen. Ihren Ursprung haben die Begriffsteile im Lateinischen: Internal ist zurückzuführen auf internus, d.h. inwendig, während investigation wiederum vom lateinischen investigare, d.h. aufspüren, ausfindig machen, untersuchen abstammt. Vergleichbar mit den Begriffen Corporate Governance, Corporate Compliance und Whistleblowing ist jedoch in der deutschen Fachliteratur – und mittlerweile auch in gerichtlichen Entscheidungen (vgl. LG Hamburg, Beschl. v. 15. 10. 2010 − 608 Qs 18/10) – gehäuft die Verwendung des englischen Begriffs der internal investigation festzustellen.


Definition

Der Begriff der internal investigation ist in Deutschland nicht gesetzlich definiert. Bei den regelmäßig als internal investigations nach US-Vorbild bezeichneten internen Ermittlungen in deutschen Unternehmen handelt es sich in erster Linie um die Aufklärung von Sachverhalten, die eine Haftung des Unternehmens selbst oder seiner Organe (beispielsweise Vorstand oder Geschäftsführung) auslösen können. Zumeist handelt es sich dabeium die Aufklärung von für das Unternehmen vermeintlich nützlichen, aber strafbaren Handlungen. Den häufigsten Fall stellt die Aufklärung von systematischen Korruptionssystem innerhalb eines Unternehmens dar. Davon sind im Hinblick auf die Risiken für das Unternehmen solche Sachverhalte zu unterscheiden, bei denen ein Mitarbeiter ausschließlich Straftaten zulasten eines Unternehmens begeht, beispielsweise in Form von Betrugs- oder Untreuehandlungen. Auch solche internen Ermittlungen werden oftmals als internal investigation bezeichnet.

Verhältnis zu Compliance

Während Compliance-Management-Systeme in erster Linie präventiv auf die Vermeidung von strafbaren oder unethischen Handlungen gerichtet sind, geht der Blick bei internal investigations in die Vergangenheit, um bereits eingetretene Verstöße aufzuklären. Ihre Einordnung im Verhältnis zu Compliance-Management-Systemen erfolgt daher nicht einheitlich. Einerseits wird vertreten, internal investigations seien nicht unmittelbarer Bestandteil von Compliance-Management-Systemen, sondern ergänzten diese im Rahmen der Corporate Compliance anlassbezogen. Andere wiederum betrachten die Maßnahmen zur Aufdeckung und Ermittlung bzw. Aufarbeitung von Compliance Verstößen als direkten Bestandteil des Compliance Managementsystems (vgl. Brückner 2009, 21). Unabhängig von der Einordnung dienen die Erkenntnisse aus einer internal investigation jedenfalls der anschließenden Optimierung des Compliance-Management-Systems.

Der US-amerikanische Hintergrund

In den USA sind internal investigations ein regelmäßig angewandtes Vorgehen, um die Folgen einer (möglichen) Strafverfolgung oder Sanktion von Unternehmen durch US-Behörden zu vermeiden oder zu minimieren. Bei Ermittlungen unter dem Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) durch die US-amerikanische Börsen- bzw. Wertpapieraufsicht SEC (Security Exchange Commission) sowie dem Department of Justice (DOJ) drohen den betroffenen Unternehmen regelmäßig (Geld-) Strafen in Millionenhöhe (vgl. Homepage SEC). Das DOJ kann von einer Anklage absehen, wenn das betroffene Unternehmen mit den Behörden kooperiert, das heißt insbesondere das Unternehmen selbst eine interne Aufklärung betreibt und die Tat anzeigt. Hier besteht die Möglichkeit einer entsprechenden Vereinbarung zwischen derStrafverfolgungsbehörde und dem betroffenem Unternehmen (Non-Prosecution Agreement) (Wagner 2009, 9). Gleiches gilt im Hinblick auf die Ermittlungen der SEC. Diese hat in ihrem Exchange Act Release No. 44969 aus 2001 die wesentlichen Kriterien zusammengefasst, die sie bei der Entscheidung über das Ob und das Wie von Sanktionen gegen Unternehmen berücksichtigt. Hierzu gehört insbesondere die Bereitschaft, dass das betroffene Unternehmen mit der SEC kooperiert und eigene Aufklärungsmaßnahmen durchführt. Diese Kriterien wenden die US-Behörden im Rahmen von Ermittlungen unter dem FCPA auch dann an, wenn sich der eigentliche Unternehmenssitz nicht in den USA sondern beispielsweise in Deutschland befindet. Auch im Rahmen solcher grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren stellen die US-Behörden entsprechende Erwartungen an die Kooperationsbereitschaft des betroffenen Unternehmens und verlangen, eine internal investigation in Form einer cross border investigation durchzuführen (vgl. hierzu Wytibul 2009, 606).

Internal investigations in Deutschland

Vorkommen

Solche vorgenannten grenzüberschreitenden Untersuchungen sind insbesondere dafür ursächlich gewesen, dass internal investigations auch in Deutschland bekannt geworden sind und hier entsprechend durchgeführt werden (müssen). Betroffen waren bislang neben Siemens auch eine Reihe weiterer deutscher Großunternehmen wie Daimler und Ferrostaal. Darüber hinaus werden internal investigations mittlerweile von deutschen Unternehmen unterschiedlicher Größe und in verschiedensten Fallkonstellationen auch ohne SEC-Bezug regelmäßig zur Aufklärung verschiedener Wirtschaftsstraftaten durchgeführt.

Rechtliche Grundlage

Im Hinblick auf die rechtliche Grundlage zur Durchführung einer internal investigation in Deutschland wird vielfach darauf hingewiesen, dass die Geschäftsleitung eines Unternehmens (beispielsweise Vorstand oder Geschäftsführung) eine Untersuchungspflicht im Hinblick auf substantiierte Hinweise von Fehlverhalten als Teil der Erfüllung ihrer Aufsichtspflicht trifft. Beim Vorliegen konkreter Verdachtsmomente besteht für die Unternehmungsleitung daher kein Ermessensspielraum im Hinblick auf das „Ob“ der Durchführung einer Sachverhaltsaufklärung, hinsichtlich des „Wie’s“ - das heißt der konkreten Ausgestaltung einer internal investigation – hingegen schon (vgl. Hartwig in Moosmayer 2012, 8).

Durchführung

Internal investigations werden in der Regel von der internen Revision oder der Rechtsabteilung bzw. – sofern vorhanden – der Compliance Abteilung bzw. dem Compliance Officer geleitet. Jedenfalls bietet sich eine gemeinsame Einbeziehung dieser Unternehmensbereiche an, da internal investigations regelmäßig neben juristischem Sachverstand auch betriebswirtschaftliche und informationstechnologische Fachkenntnisse verlangen. Je nach Umfang des aufzuklärenden Sachverhaltes werden zudem häufig externe Anwälte – insbesondere, sofern bereits Ermittlungsbehörden informiert sind und zwingend in SEC-Verfahren – oder Ermittler (Mitarbeiter von sog. Forensic Services Abteilungen) hinzugezogen. Einige größere Unternehmen haben bereits eigene in der Durchführung von internal investigations erfahrene und hierfür zuständige Abteilungen eingerichtet.

Eine internal investigation kann offen oder im Einzelfall verdeckt durchgeführt werden.Zu den regelmäßigen Untersuchungshandlungen in der Praxis zählen: - Mitarbeiterbefragungen - Sicherung und Analyse digitaler Daten, beispielsweise E-Mail-Kommunikation - Analyse des Rechnungswesens, insbesondere der Finanzbuchhaltung - Dokumentensichtung, insbesondere von Korrespondenz, Verträgen und sonstigen Unterlagen - Hintergrundrecherche zu personellen und gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen, (vgl. Süße, HAV-Info IV/2011, 9).

Hinzu kommt die Kommunikation mit den Ermittlungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Steuerfahndung, Zollbehörden etc.) sowie die Abstimmung mit weiteren Beratern unterschiedlicher juristischer Fachrichtungen, die begleitende, insbesondere arbeits- und zivilrechtliche Fragestellungen, bearbeiten.

Die Sachverhaltsaufklärung im Rahmen einer internal investigation endet regelmäßig mit der Erstellung eines sog. Abschlussberichts. Dieser Abschlussbericht fasst die wesentlichen Erkenntnisse der internal investigation zusammen und soll es der Unternehmungsleitung ermöglichen, über weitere zivil-, arbeits-, versicherungs-, steuer- und strafrechtliche Maßnahmen zu entscheiden.

Juristische Fragestellungen

Im Rahmen von internal investigations stellen sich neben den Besonderheiten bei cross border investigations eine Reihe von rechtlichen Fragestellungen nach deutschem Recht. Hierzu zählen u.a. das Spannungsverhältnis zwischen dem Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen (sog. nemo tenetur Grundsatz) und arbeitsrechtlichen Auskunftspflichten, der Formulierung möglicher Belehrungspflichten, die Frage der Beschlagnahmefreiheit von Interviewprotokollen sowie die Notwendigkeit einer vorhergehenden datenschutzrechtlichen Prüfung bei der Sichtung von Mitarbeiterdaten. Im Hinblick auf die Vielzahl der zu beachtenden Aspekte hat die Bundesrechtsanwaltskammer Thesenzum Unternehmensanwalt im Strafrecht veröffentlicht.

Kriminologische Relevanz

Mit der Notwendigkeit für mehrere von Korruptionsstraftaten betroffenen deutschen Unternehmen, internal investigations nach US-Muster durchzuführen, ist ein Konzept des angloamerikanischen Rechtsraums zur umfassenden Kooperation und eigenen Aufklärungstätigkeit von Unternehmen nach Deutschland gekommen, das es in dieser Form zuvor nicht gab. Insofern wird kritisch darauf hingewiesen, dass sich speziell im Rahmen von grenzüberschreitenden Ermittlungen verschiedentliche „clashes of cultures“ ergeben können (vgl. Dann/Schmidt 2009,1855). Die erheblichen Anreize zur Kooperation insbesondere in SEC-Verfahren und die damit in Zusammenhang stehende Möglichkeit, erhebliche oder sogar existenzgefährdende Strafen für das Unternehmen zu vermeiden, könne in den USA „Züge einer bedingungslosen Unterwerfung" annehmen (Dann/Schmidt, 2009, 1851).

Der faktische Zwang bzw. die freiwillige Bereitschaft von Unternehmen auch in Verfahren ohne SEC Bezug zur Durchführung eigener interner Aufklärungsmaßnahmen wird daher auch für Deutschland als Delegation staatlicher Ermittlungstätigkeit bzw. als Outsourcing staatlicher Befugnisse kritisiert (Wastl 2011, 58).

Demgegenüber wird vorgebracht, dass eine an staatsanwaltliche Ermittlungen angelehnte und der kompromisslosen Wahrheitsfindung verschriebene Sachverhaltsaufklärung in Fällen, in denen nur diese die Wahrheitsfindung ausreichend gewährleistet, rechtlich durch das Unternehmen erfolgen muss (Wagner, 2009, 17). Ferner haben die Staatsanwaltschaften den Ermittlungsdruck im Bereich der Wirtschaftskriminalität – insbesondere im Korruptionsbereich – in den vergangenen Jahren deutlich erhöht, so dass die diesbezügliche Entdeckungswahrscheinlichkeit größer geworden ist. Auch sind vermehrt hohe Geldbußen gegen betroffene Unternehmen verhängt worden. Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass die freiwillige Aufklärung von Korruptionsstraftaten im Wege von internal investigations zu einer verstärkten Bereitschaft von Zugeständnissen auf Seiten der deutschen Ermittlungsbehörden und zu moderateren Sanktionen führt (vgl. Sahan/Berndt 2010, 651).

Die aus internal investigations folgenden zukunftsgerichteten Anpassungen des Compliance-Management-Systems dienen schließlich insgesamt der Stärkung von Unternehmenswerten.

Literatur

  • Brückner, Andreas, Die Aufarbeitung von Compliance-Verstößen – Praktische Erfahrungen und Fallstricke, in: Betriebs Berater (BB), Special 4 (zu BB 2010, Heft 50), 21
  • Dann, Matthias/Schmidt, Kerstin, Im Würgegriff der SEC? – Mitarbeiterbefragungen und die Selbstbelastungsfreiheit in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2009, 1851
  • Moosmayer, Klaus/Hartwig, Niels: Interne Untersuchungen, Praxisleitfaden für Unternehmen, München 2012.
  • Sahan, Oliver/Berndt, Thomas, Neue Kronzeugenregelung – Aktive Beendigung von Korruptionssystemen durch effiziente Compliance Strukturen alternativlos in: Betriebs Berater (BB) 2010, 647.
  • Wagner, Jens, „Internal Investigations“ und ihre Verankerung im Recht der AG, in: Corporate Compliance Zeitschrift (CCZ) 2009, 8.
  • Wytibul, Tim, Interne Ermittlungen auf Aufforderung von US-Behörden – ein Erfahrungsbericht in: Betriebs Berater (BB) 2009, 606.
  • Wastl, Ulrich, Zwischenruf: Privatisierung staatsanwaltschaftlicher Ermittlung in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 2011, 57

Weblinks

Sueddeutsche.de vom 11. Dezember 2006

Daimler Annual Report 2009

Handelsblatt.com vom 12. April 2011

ACFE - conducting internal investigations