Graffiti

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Als Graffiti bezeichnet man Schriftzüge oder Bilder, die im öffentlichen Raum – meist durch Sprühen, selten auch durch Kratzen – angebracht sind. Es handelt sich um Mitteilungen, Symbole, Namenszüge oder bildhafte Darstellungen. Die Geschichte des Graffiti reicht zurück bis in die Altsteinzeit. Es besteht Uneinigkeit darüber, welche Formen der Darstellungen unter den Begriff subsumiert werden können. Diejenigen, die Graffitis anbringen, werden Sprayer oder Writer genannt.

Masterpiece an einer Karlsruher Brücke

Etymologie

Der Begriff stammt aus dem Italienischen (sgraffiare = kratzen) und bedeutet soviel wie „Eingeritztes“. Graffito war die ursprüngliche Bezeichnung für altsteinzeitliche Wandmalereien.

Die Pluralform Graffiti wurde in Deutschland als Überbegriff für graphische oder bildhafte Darstellungen im öffentlichen Raum aus dem Amerikanischen übernommen.

Historie

Entwicklung bis zum 2. Weltkrieg

In den altsteinzeitlichen Höhlen von Lascaux und Altamira gibt es Darstellungen, die vor 20000 Jahren mit Knochen oder Steinen in die Wände geritzt und teilweise auch mit Erdfarben aufgetragen wurden. Nach Skrotzki (S. 13f.) hatten die Höhlenmalereien drei verschiedene Funktionen. Die Höhlenbewohner erhofften sich Jagdglück durch die Verbildlichung der Beutetiere und ganzer Jagdszenen. Die Zeichnungen dienten jedoch auch der Kommunikation und waren durch das Markieren eines Territoriums und dem Hinterlassen einer Spur eine Form der Existenzbehauptung.

Den gleichen Zweck verfolgten wohl auch die Wikinger mit ihren bronzezeitlichen Felszeichnungen, wie sie vor etwa 3000 Jahren im schwedischen Dorf Tanum entstanden sind.

Auch im alten Ägypten und in Athen finden sich eine Vielzahl von Inschriften. Seit der Ausgrabung des antiken Pompeji ist bekannt, dass dem Graffiti in der römischen Welt eine große Bedeutung zukam. Dort spielte das Einritzen von Mitteilungen für die Kommunikation der Bevölkerung eine wichtige Rolle. Neben Wahlkampfparolen fand man bei den Ausgrabungsarbeiten in Pompeji auch auf Mauern gekratzte Ankündigungen von Gladiatorenkämpfen, Wohnungsangebote, Zeichnungen, heitere und ernste Sprüche und Obszönitäten (vgl. Skrotzki S. 15).

Im Mittelalter dienten vor allem Mauern von Kirchen, Schlössern und Gefängnissen als Leinwand für Graffiti ernsteren Inhalts. Da diese Inschriften meist in Latein verfasst wurden, kann man auf ein höheres Bildungsniveau der Verfasser schließen.

Im 17. und 18. Jahrhundert wurden die Sprüche wieder humorvoller und brachen oft Tabuthemen. Anfang des 20. Jahrhunderts erschien zum ersten Mal eine Zeitschrift, die sich mit Toilettengraffiti beschäftigte. Diese Graffiti hatten oft sexuelle Inhalte, in der Zwischenkriegszeit wurden die Inhalte politischer.

Im zweiten Weltkrieg wurde Graffiti auf beiden Seiten als Propagandamedium genutzt. Der Machtapparat schürte mit Aufschriften wie „Kauf nicht bei Juden“ gezielt den Antisemitismus. Widerstandskämpfer wie die Weiße Rose riefen mit schablonierten Wandsprüchen zum Widerstand gegen das Regime auf. (vgl. Skrotzki S. 17)

Entwicklung zum heutigen American Graffiti

Diente das Graffiti in den 60er Jahren zuerst der Studentenbewegung als Darstellung ihres Protests, kam es 1969 zur Geburtsstunde des uns heute bekannten „American Graffiti“ in New York. Ein jugendlicher Botenjunge begann damit, seinen Spitznamen Taki183 überall an die Wände der verschiedenen New Yorker Bezirke zu schreiben. Die Reporter der New York Times begaben sich auf die Suche nach dem Jungen und die Zeitung veröffentlichte 1971 ein Interview. Dieses Interview brachte das Phänomen Graffiti ins Rollen. Die Jugendlichen, die Taki183 nacheiferten, machten sich zunächst keine Gedanken darüber, wie ihre Schriftzüge aussahen, wichtig war, dass sie sich schnell verbreiten ließen. In der Graffiti-Szene spricht man von „Getting-up“: das verwendete Pseudonym in der ganzen Stadt und darüber hinaus bekannt zu machen (vgl. Reinecke S.27).

Nach der zunächst interessierten und positiven Berichterstattung erschien 1972 in der Times ein anderer Artikel, in den New Yorker Politiker dem neuen Phänomen kompromisslos den Krieg erklärten. Der Stadtrat wurde im Artikel zitiert: „Graffiti pollutes the eye and mind and may be one of the worst forms of pollution we have to combat.“ (Castle S. 136). In Folge kam es zu einem Anti-Graffiti-Programm, das 1972 als Gesetz eingeführt wurde: Sprühdosen durften nicht mehr an Jugendliche verkauft werden, außerdem wurde eine Graffiti-Squad als Abteilung des New York Police Departement gegründet, welches Sprüher ausfindig machen sollten. Skrotzki beschreibt, wie hierdurch das Gegenteil eintraf: „...Writer und Tagger machten sich einen Spott aus der Verfolgung durch die Cops. Sie widmen ihnen Bilder, und manche betrachten es sogar als Ehre, von bestimmten Ordnungshütern (…) gefasst zu werden.“ (Skrotzki S. 20f.)

1982 erreichte die Graffiti-Welle Europa. Diese wurde durch den Kinofilm Wild Style und den Dokumentarfilm Style Wars verstärkt.

Stilmerkmale

In der Szene sind verschiedene Arten und Stile des Graffiti bekannt. Einfache Schriftzüge wurden im Laufe der Zeit weiterentwickelt und Techniken verfeinert, um sich von der Masse abzuheben.

Schmitt (S.177ff.) und Skrotzki (S. 31ff.) unterscheiden zunächst die wichtigsten Arten:

Tag des Writers Bate

Tag: Ein Pseudonym oder Name, den sich ein Sprayer zulegt und verbreitet; gilt als Urform und Basis des Graffiti

throw-up am Güterbahnhof
piece am Güterbahnhof

throw-up: schnell hingeworfene, teilweise großformatige Schriftzüge; bestehen aus einer Umrisslinie und der ausgefüllten Fläche und sind meist ein- oder zweifarbig

piece: großformatiges Wandbild, dessen Kern der künstlerisch gestaltete Namenszug des writers bildet; dieser wird ergänzt durch figürliche Elemente

Hierbei kommen verschiedene Stilmittel zum Einsatz: (Schmitt S.31ff.):

Blockbuster: gut lesbare Blockbuchstaben

Bubbles: aufgeblähte Buchstaben, mehr oder weniger schwer lesbar

simple style: Buchstabenfolge gut lesbar, einzelne Buchstaben sind nicht mehr blockig, sondern filigran

semiwildstyle: Einzelne Buchstaben werden stark verfremdet und mit Balken, Pfeilen oder Farbeffekten versehen; aber noch lesbar

wildstyle: Buchstaben sind bis zur Unkenntlichkeit verfremdet

characters: Figuren auf großflächigen Graffitis, die meist aus Comics stammen, oft auch Stars aus Film, Musik…

messages: zusätzliche Botschaften in großformatigen Wand- oder Zugbildern

Kommen alle Elemente zusammen (Buchstaben, characters und messages) spricht man von einem masterpiece.

Strafrechtliche Einordnung

Bis 2005 herrschte große Uneinigkeit unter den Juristen darüber, ob Graffiti rechtlich tatsächlich als Sachbeschädigung zu würdigen ist. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde der Straftatbestand der Sachbeschädigung nur dann verwirklicht, wenn die Substanz oder Funktion einer Sache zerstört war. (Beispiel: Eine Brücke kann immer noch als solche verwendet werden, auch wenn sie besprüht wurde; sie ist in ihrer Funktion nicht beeinträchtigt.)

Fassung des § 303 StGB Sachbeschädigung bis September 2005:

(1) Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Oft wurde der Sachbeschädigungsparagraf angewandt, obwohl erst durch das Entfernen des Graffiti bzw. die Reinigung die Substanz beschädigt wurde. Diese Art der Rechtsprechung war unter Experten sehr umstritten. Die Eigentümer der Sache, die besprüht wurde, konnten auf die Begleichung ihres Schadens zwar zivilrechtlich bestehen und Schadensersatz für z. B. Reinigungskosten geltend machen, allerdings lag im juristischen Sinn kein strafbares Handeln vor. Nachdem in der Berufung immer wieder Urteile im Hinblick darauf aufgehoben wurden, dass keine Substanzbeschädigung festgestellt werden konnte, startete das Land Berlin eine Gesetzesinitiative, um den Sachbeschädigungsparagrafen im Wortlaut zu ändern und die Substanzverletzung durch die Verunstaltung zu erweitern. Durch den Bundesrat wurde eine eigene Gesetzesinitiative eingebracht mit dem Titel „Graffiti-Bekämpfungsgesetz“. Auch CDU/CSU brachten einen Vorschlag ein und die FDP einen Entwurf „zum verbesserten Schutz des Eigentums“. Alle drei Entwürfe waren sich ähnlich und wurden im März 2000 von der Regierungskoalition und der PDS abgelehnt.

2005 wurden erneut die Gesetzesentwürfe in den Bundestag eingebracht. Ein Gesetzesentwurf der SPD und Grünen trat 2005 im Rahmen des 39. Strafrechtsänderungsgesetzes in Kraft. Dieses ist auch als Anti-Graffiti-Gesetz bekannt. Die §§ 303 (Sachbeschädigung) und 304 (gemeinschaftliche Sachbeschädigung) wurden um folgenden Artikel ergänzt:

(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert.

Die Sachbeschädigungsparagraf wurden um das Merkmal der Verunstaltung ergänzt und das Anbringen von Graffitis dadurch zum Straftatbestand.

Kriminologische Relevanz

Das Phänomen „Graffiti“ kann aus verschiedenen kriminologischen Perspektiven mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung betrachtet werden:

Graffiti als Ausdruck einer Subkultur

Gerade in New York schlossen sich die Sprayer zu Gruppen zusammen. Durch das Entstehen der sogenannten „Wrting-Gangs“ kam es größtenteils zu einer Auflösung der bewaffneten „Fighting Gangs“. Auffällige Gemeinsamkeiten dieser beiden Gruppen benennt Skrotzki (S. 25ff.): der Kampf um Anerkennung, das Benutzen von Decknamen, das Praktizieren von Illegalem, die Zugehörigkeit zur Unterschicht.

Geht man davon aus, dass bei den Sprayern hinsichtlich der Werte und Ziele der hegemonialen Gesellschaftsgruppierung eine Ambivalenz besteht, da diese zwar erstrebenswert, aber nicht erreichbar scheinen, kann man gerade im Hinblick darauf, dass sich vor allem Jugendliche aus ähnlicher Situation zu sogenannten Writing Gangs zusammenschließen, durchaus von einer Subkultur sprechen. In dieser bestehen eigene Regeln, zum Teil auch eine eigene Sprache. Gerade die eigene Sprache dient offensichtlich unter den Sprayern als Abgrenzung zur Gesellschaft.

Aus Sicht der subkulturellen Gruppe ist das Handeln respektive Sprühen nicht kriminell, sondern innerhalb der Gang anerkannt und konform.

Graffiti als Ausdruck von Männlichkeit

Motiv der Graffiti-Sprayer ist oft das Erreichen von Respekt und Anerkennung. Das Erlangen von „fame“ gelingt auf zwei Arten: Entweder die Verbreitung des Namens in der ganzen Stadt oder ein besonders guter Stil bzw. großes Talent.

Geht man davon aus, dass es zu den hegemonialen Männlichkeitsidealen gehört, eine unabhängige, erfolgreiche Persönlichkeit darzustellen, kann es Sprayern mit ihrem Tun gelingen, diesen Idealen zu entsprechen. Macdonald nennt dies „superman syndrome“ (S. 188ff.) und nimmt an, dass Sprayer durch das Auswählen eines Pseudonyms eine neue Persönlichkeit etablieren und durch das Besprühen von Zügen Macht, Mut und Können ausdrücken.

Graffiti als Straftatbestand

Mit der Erweiterung der Paragraphen 303 und 304 StGB kommt es aus der etikettierungstheoretischen Perspektive zu einer Kriminalisierung der Graffiti-Sprayer. Erst die Einführung des Straftatbestandes etikettiert die Handlung als kriminell. Durch die Verurteilung wird der Sprayer zum Kriminellen.

Aus der Perspektive der Strafrechtssoziologie kann das Anti-Graffiti-Gesetz als eine Form des symbolischen Strafrechts bewertet werden. Dies ergibt sich nicht nur aus der Begründung der Gesetzesinitiative (Schutz des Eigentums, abschreckende Wirkung). Das Gesetz wird mit dem Verweis auf die abschreckende Wirkung auf seine mutmaßlich präventive Wirkung reduziert und zur Normverdeutlichung eingesetzt. Der Rechtsgüterschutz erfährt keine nennenswerte Aufwertung, da der Schaden bereits zuvor zivilrechtlich ersetzt werden konnte. Außerdem ist die abschreckende Wirkung fraglich: Die Politik demonstriert mit der Erweiterung des Paragraphen 303 StGB nicht nur Handlungskompetenz, sondern sie verdeutlicht ihren Standpunkt hinsichtlich der herrschenden Werte. Dies wirkt in letzter Konsequenz nicht abschreckend, sondern moralisierend.

Literatur

  • Castleman, Craig (1982): Getting up. Subway Graffiti in New York. Cambridge: MIT Press
  • Langner, Martin (2001): Antike Graffitizeichnungen. Motive, Gestaltung und Bedeutung. Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag
  • Macdonald, Nancy (2003): The Graffiti Subculture: Youth, Masculinity and Identity in London and New York. New York: Palgrave Macmillan
  • Reinecke, Julia (2012): Street-Art. Eine Subkultur zwischen Kunst und Kommerz. Bielefeld: transcript Verlag
  • Schmitt, Angelika; Irion, Michael (2001): Graffiti. Problem oder Kultur? München: Beust Verlag
  • Skrotzki, Aurelio (1999): Graffiti. Öffentliche Kommunikation und Jugendprotest. Stuttgart: Fachverlag Döbler & Rössler

Weblinks

http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/15/053/1505313.pdf → Gesetzesentwurf der SPD/Grünen

http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/14/005/1400546.pdf → Gesetzesentwurf der CDU/CSU

http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/15/15182.pdf → Plenarprotokoll

http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/14/14095.pdf → Ablehnung der Initiative 2000