Geschichte der Kriminalistik

Aus Krimpedia – das Kriminologie-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Als systematisiertes Wissensgebiet über Methoden der Aufklärung von Straftaten und Überführung von Tätern entstand die Kriminalistik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Als einer der Pioniere der Kriminalistik gilt Hans Gross (1847-1915).

Anfänge

Zur Überführung von Straftätern wurden seit unvordenklichen Zeiten vielerlei Methoden angewandt, die vom sog. Gottesurteil bis zur juristisch normierten peinlichen Befragung (= Folter) reichten. Erst die fachliche Ausdifferenzierung der Polizei - insbesondere die Entstehung der Kriminalpolizei - und die zunehmende Verwissenschaftlichung der Ermittlungsmethoden führte im Verlaufe des 19. Jahrhunderts zur Herausbildung der heute als "Kriminalistik" bekannten Disziplin, die vor allem an Institutionen der (höheren) Polizeiausbildung unterrichtet wird.

Wichtige Stationen:

  • 1724 "Betrugslexikon" aus Coburg informiert über die Begehungsweisen von Warenverfälschungen und Betrügereien. Soll präventiv wirken.
  • Entwicklung der Gaunersprache (Jargon) und der sog. Gaunerzinken.
  • 1769 Einschränkung der Folter unter Maria Theresia; Einführung neuer Beweismethoden zur Verbrechensaufklärung, darunter die Inaugenscheinnahme des Tatorts, die Aufnahme der Fuß-, Schuh- und Hufspuren, die Besichtigung von Hieb- und Stichwaffen, Besichtigung und Öffnung von Leichen, usw.
  • Johann Christian von Quistorp lehrt an der Universität in Mecklenburg die Methoden der Vernehmung, Untersuchung von Spuren und Wunden als Mittel zur Wahrheitsfindung (Indizienbeweis).
  • Bedeutungsgewinn der Aussagen von sachkundigen Ärzten, Apothekern, Chemikern, aber auch Handwerkern und Gerichtsschreibern.
  • Jacob Georg Schäfer (1745-1814), Oberamtmann aus Württemberg ("erster moderner deutscher Kriminalist")
  • 1811 Polizeibeamte werden zur Ermittlung von Kriminalfällen am Berliner Criminalgericht eingesetzt
  • 1818 Gründung der Sûreté in Frankreich unter dem Direktor Eugéne Francois Vidocq (1757-1857) - einem ehemlaigen Strafäter
  • 1829 Gründung von Scotland Yard in England.
  • Gründung der ersten Mordkommission in Deutschland (Berlin) durch Ernst Gennat (1880-1939); Entwicklung eines Schemas zur Abarbeitung wichtiger Schritte im Zuge der Aufklärung von Tötungsdelikten.


19. Jahrhundert

Mit Beginn des 19. Jahrhunderts beschleunigten sich die qualitativen Fortschritte bei der Tataufklärung. Noch im 19. Jahrhundert gab es kaum Möglichkeiten, Spuren am Tatort zu überprüfen. Die Fotografie wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt, Fingerabdrücke als Beweismaterial gab es auch erst seit Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Auch nach Einführung dieser Techniken waren die Ermittlungen äußerst schwierig, da die Karteikästen mit den archivierten Fingerabdrücken von Hand durchsucht werden mussten. Heutzutage suchen Computer automatisch nach vergleichbaren Beweisen. Sie haben die Ermittlungen der Kriminologen seit Anfang der siebziger Jahre revolutioniert, weil nun auch verschiedene Daten kombiniert werden konnten. Der genetische Fingerabdruck hat die Kriminalistik revolutioniert wie zuvor nur der klassische Fingerabdruck. Und die Rolle der Öffentlichkeit hat sich im Laufe der Jahrhunderte auch sehr geändert: Im 18. Jahrhundert waren Zeugenaussagen noch fast das einzige Beweismittel für eine Tat, im 19. und 20. Jahrhundert drangen Sachbeweise in den Vordergrund.


Im 19. Jahrhundert wurde darauf verzichtet, das Geständnis des Täters als alleinige Grundlage für eine Verurteilung anzusehen. In den Vordergrund drängten der Freibeweis, Zeugenbeweis und der Indizienbeweis. Aus dieser Veränderung in der gerichtlichen Untersuchungskunde entstand die moderne Kriminalistik, die auch andere Wissenschaften in ihre Überlegungen mit einbezogen (Medizin, Biologie, Chemie, Psychologie, etc.). Auch hielten die rechtlich und methodisch fundierten Methoden zur Erhebung des Tatbefundes und zum wahren Nachweis des Verbrechens Einzug in die neue Strafuntersuchungskunde. Eine wichtige Neuerung im "Strafverfahren" war die Übertragung des Justizmonopols auf den Staat. Somit fielen andere Instanzen, wie etwa die Kirche oder bestimmte Gilden, als rechtsprechende Organe weg. Im Jahre 1811 wurde die Kriminalpolizei, wie sie heute weitestgehend verbreitet ist, ins Leben gerufen (Cabinettsordre). In Frankreich, z. B., wurde diese neue Strafverfolgungsbehörde (Sureté, 1812-1827) unter der Leitung des Ex-Sträflings F. E. VIDOCQ zur Verbrechensaufklärung gebildet. In Deutschland wurden um 1800 6 Polizeibeamte dem Criminalgericht in Berlin zugewiesen, die mit der Verbrechensaufklärung betraut waren. Unter der Federführung des Rechtsgelehrten und Philosophen VON FEUERBACH wurde das neue Strafrecht in Deutschland eingeführt, welches sein Werk "Kaspar Hauser - Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben des Menschen" zur Grundlage hatte. Es folgten in diesem Zeitabschnitt viele Veröffentlichungen anerkannter Rechtsgelehrter, die die kriminalpolizeiliche Vorgehensweise bei der Verbrechensaufklärung beeinflussten und auch das Strafprozessrecht (heutige StPO) entscheidend prägten, wie beispielsweise Regelungen der Durchsuchung, Verhaftung, Vernehmungsmethoden usw. Im Jahr 1830 wurden in einigen deutschen Ländern Kriminalabteilungen eingeführt. In Hamburg geschah diese 1853 - zeitgleich in Bremen. Im Mittelpunkt der kriminalpolizeilichen Verbrechensbekämpfung stand zunächst die lokale Nachrichtensammlung und -auswertung über Straftaten und Straftäter (z.B. Verbrecheralben), mit der Zunahme überörtlicher bzw. „reisender“ Täter Veröffentlichungen und Lehrbücher für die praktische Arbeit von Polizeibeamten (Charakteristiken von Straftätern, typische Begehungsweisen, Anleitungen zur Untersuchung von Spuren). Als eigenständige Disziplin entstand die Kriminalistik erst Mitte des 19. Jahrhunderts. Es war eine Folge der Französischen Revolution 1789, die auch zu einem veränderten Verständnis im Umgang mit Straftätern führte. Davor stützten sich die strafprozessualen Grundlagen auf das inquisitorische System, das zwar formalgesetzlich geregelt war, aber keine freie Beweisführung nach aktuellem Verständnis zuließ. Indizienbeweise wie Spuren am Tatort hatten nur eine sekundäre Bedeutung.


20. Jahrhundert

Am Anfang des 20. Jahrhunderts hatten wurden komplexe kriminalwissenschaftliche Untersuchungsverfahren entwickelt, wie die der forensischen Wissenschaften und die dazugehörige wissenschaftliche Kriminalistik, welche sich auch an zahlreichen europäischen Universitäten als Lehrangebote etablierten. Der Landgerichtsdirektor von Dresden, Dr. Albert WEINGART, war maßgeblich an der Entwicklung der Kriminaltaktik beteiligt, welche sich auch in diesem Zeitabschnitt immer mehr in den Vordergrund drängte. Durch diese Errungenschaften gründeten sich immer mehr kriminalwissenschaftliche Institute und Laboratorien, wobei daraus auch der Erkennungsdienst, wie er heute noch praktiziert wird, entstand. Eine Spezialisierung fand auch in der Untersuchungsmethodik bei speziellen Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit, wie den Tötungs- und Sexualdelikten, aber auch bei schweren Brandstiftungen, statt. In diesem Kontext kam es auch zu Neuerungen in der Kriminalpsychologie. Im Jahre 1912 wurden in Sachsen flächendeckend Kriminaldienststellen eingerichtet. Auf internationaler Ebene wuchs die Zusammenarbeit zwischen den Ländern bei der Verbrechensbekämpfung, was Ausfluss aus dem 1914 in Monaco stattfindenden internationalen Polizeikongress war. Hier wurden Richtlinien beschlossen, die zur Vereinfachung der internationalen Fahndung beitragen sollten und auch die weltweite Einführung der Daktyloskopie zur Folge hatte. Diese hoffnungsvollen Entwicklungen wurden jedoch mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges auf Eis gelegt.


Deutschland

Drittes Reich

Zu Beginn der Machtübernahme wurde die Polizei durch nationalsozialistische Anhänger ausgetauscht. Einhergehend damit wurde die Verbrechensbekämpfung ab 1935 in Form des Reichskriminalpolizeiamtes unter Führung von Arthur Nebe zentralisiert. Es folgt die zunehmende Überwachung von „Berufs- und Gewohnheitsverbrechern“, aber auch der politischen Gegner Hitlers. Im gleichen Jahr entstanden die ersten Konzentrationslager („Schutzhaftlager“). Im Juni 1936 wurde Heinrich HIMMLER, durch die Zusammenführung von Partei- und Staatsämtern, „Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei“. Artur NEBE wurde zum Reichskriminaldirektor ernannt und damit Leiter der Kriminalpolizei. Unter seiner Führung wurden 1937 auch Frauen bei der Kriminalpolizei zugelassen. Im Jahre 1939 wurde das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) unter Reinhard HEYDRICH gegründet. Hierunter fielen die Bereiche des Sicherheitsdienstes (SD), der geheimen Staatspolizei /(GeStaPo) und der Kriminalpolizei. Das RSHA unterstand der direkten Order der SS. Nicht nur die innere Sicherheit wurde zum politischen Machtinstrument, auch das Verbrechen selbst. Diese unvorstellbaren Taten wurden alle im Namen der „Vollstreckung einer neuen Ordnung“ begangen. Dieser politische Fanatismus wurde zur offenen terroristischen Diktatur, für die keine Gesetze mehr galten.

BRD

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurde die kriminalistische Forschung zunehmend institutionalisiert. In dieser Zeit gab es dimmense Verluste an Praktikern, Wissenschaftlern und technischen Einrichtungen zu verzeichnen. Die Polizei musste in den geteilten deutschen Staaten völlig neu aufgebaut und organisiert werden. Aus den Konferenzen der vier Siegermächte in Jalta und Potsdam ergab sich der Beschluss, die Polizei zu entnazifizieren und zu entmilitarisieren, um eine Demokratie aufbauen zu können. Zunächst jedoch übte ein alliierter Kontrollrat die Polizeibefugnisse aus, wobei sich sehr bald Polizeistrukturen in den vier Besatzungszonen durch „unbelastete“ Beamte bildeten. Im Jahr 1949 wurden die BRD (mit dem Grundgesetz) und die DDR (mit ihrer Verfassung) gegründet.

Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurden im Zuge des föderalen Aufbaus Landeskriminalämter (LKA) aufgebaut, die mit der Spurenuntersuchung, der Gutachtenerstattung und der kriminologischen Forschung beauftragt wurden. Die Ausbildung der Beamten erfolgte in landeseigenen Ausbildungseinrichtungen. Das heutige Bundeskriminalamt (BKA) wurde 1951 im Zuge der Errichtung von Länderkriminalämtern der Zonen ins Leben gerufen.

Im Lauf der Zeit wurde in Münster-Hiltrup die Polizeiführungsakademie (PFA) gegründet, welche am 01.03.2006 im Rahmen einer Umstrukturierung in die Deutsche Hochschule der Polizei umbenannt wurde. Auch entstanden Lehrstühle für Kriminalistik an den juristischen Fakultäten der Universitäten Frankfurt am Main, Freiburg im Breisgau und Mainz.


Einzelnachweise

1. Milos Vec: "Die Spur des Täters", Methoden der Identifikation in der Kriminalistik, , 1. Auflage, Baden-Baden, 2002

2. Peter Becker: "Dem Täter auf dem Spur", Darmstadt, 2005.

3. Lehrmaterialien zur Kriminalistik 1; Geschichte der Kriminalistik, in: http://www.gletschertraum.de/Kriminalistik1/DefinitionKriminalistik.html, 19.08.2008

4. http://www.kriminalistik.info/, 20.08.2008

5. http://www.nikola-hahn.com/geschichteKriminalistik.htm, 22.08.2008

6. http://www.planet-wissen.de/pw/Artikel,,,,,,,4CB55B91FEAA42B6E0440003BA5E08BC,,,,,,,,,,,,,,,.html, 15.08.2008

7. http://de.wikipedia.org/wiki/Polizei-F%C3%BChrungsakademie, 12.09.2008

8.

9. Ackermann, u.a..In: KRIMINALISTIK Heft 9/00 S. 596

10. Kriminalistik Heft 12/00 S. 801

11. Rolf Ackermann / Horst Clages / Holger Roll, Handbuch der Kriminalistik, 2. Auflage, Boorberg, 2003.