Funktion

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Als Funktion lässt sich ein dauerhafter Beitrag zu einem größeren Ganzen bezeichnen. So kann man etwa nach der Funktion des Verbrechens oder der Funktion der Strafe oder der Funktion des Gefängnisses für die Gesellschaft fragen. Dabei kann sich herausstellen, dass einzelne Institutionen mehrere (oder gar keine) Funktionen erfüllen.

Beispiel: Die Institution der Ehe hat die Funktion, günstige Entwicklungsbedingungen für die Institution der Familie zu schaffen; letztlich haben beide Institutionen, die Ehe und die Familie, die Funktion, günstige (vor allem: stabilie) Bedingungen für die Zeugung und Aufzucht von neuen Gesellschaftsmitgliedern und damit für das Überleben der Gesellschaft insgesamt zu schaffen. Ehe und Familie schaffen zwar zudem auch eine gewisse ökonomische Sicherheit, kanalisieren in gewissem Maße auch sexuellen Aktivitäten und leisten auf irgendeine Art häufig auch einen Beitrag zur Friedlichkeit des menschlichen Zusammenlebens, doch lassen sich diese weiteren Funktionen auch als Teilfunktionen der genannten Hauptfunktion ansehen. Ehe und der Familie erfüllen jedenfalls eine wichtige Funktion für die Gesellschaft und machen damit also zwar vielleicht nicht jedes einzelne Individuum in jeder Ehe und Familie zu jedem Zeitpunkt absolut glücklich, machen dafür aber beruhigenderweise zumindest soziologisch einen sehr schönen Sinn.

Funktion als Ideologie

Fehlschluss von der Existenz auf die Funktion

Von der Existenz einer Institution wird meist darauf geschlossen, dass sie für irgend etwas gut sei, dass sie also eine Funktion erfülle. Das ist aber nicht gesagt. Die Frage nach den Funktionen des Strafrechts beantwortete Louk Hulsman einmal mit der Gegenfrage, warum der Frager denn überhaupt davon ausgehe, dass das Strafrecht Funktionen habe. Seine Grundthese war offenbar: nicht alles, was existiert, erfüllt auch notwendigerweise eine Funktion. Institutionen können zum Beispiel einmal historisch eine Funktion erfüllt haben, dann aber ihre Funktion verloren haben - und immer noch existieren. So wie Lebewesen über Körperteile verfügen können, die phylogenetisch einmal sinnvoll waren, inzwischen aber funktionslos geworden sind und trotzdem noch existieren. Es gibt in jeder Gesellschaft auch dysfunktionale Phänomene, die eher verhindern, dass die Gesellschaft sich in dem richtigen Maße Ziele setzen und diese verfolgen, sich an wechselnde Umstände anpassen und sozialen Zusammenhalt oder sonstige grundlegende Strukturen und Wertmuster aufrechterhalten kann. Und der Fehlschluss von der Existenz auf die Funktion verhindert dann die Wahrnehmung der Dysfunktionalität und macht sie um so gefährlicher für die Gesellschaft. (Max Seber: die Sklavenwirtschaft als Determinante für den Untergang Roms)


Fehlschluss von der Funktion auf die Unverzichtbarkeit

"Früher schloss man aus diesen Überlegungen und Beobachtungen, dass Ehe und Familie, in welcher Form auch immer, natürliche und unverzichtbare Institutionen seien, die dafür Sorge tragen, dass Kinder angemessen erzogen werden und so das Überleben der Menschen - und der jeweiligen Gesellschaft - gewährleistet wird. (...) Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass all diese hohen Ziele durchaus auch ohne Ehe und Familie erreicht werden können. Kinder sind nicht unbedingt von ihren Eltern abhängig, sie können ebenso von anderen Erwachsenen in Krippen, Horten, Schulen und ähnlichen Einrichtungen erzogen werden. Partnerschaft und sexuelle Befriedigung kann man auch außerhalb der Ehe finden, eine ökonomische Sicherung kann in vielerlei Weise erreicht werden. Das Sexualverhalten lässt sich durch religiöse und weltliche Vorschriften regulieren. Der soziale Frieden schließlich kann auch in einer Gesellschaft gewährleistet werden, die die Familie als Institution nicht anerkennt und jeden einer direkten autoritären Kontrolle unterstellt" (Haeberle 1985).

Mit anderen Worten: wenn eine Institution eine Funktion erfüllt, dann kann das leicht den Eindruck erwecken, dass ihre Existenz "natürlich" und "unverzichtbar" ist, weil sonst die Gesellschaft nicht mehr funktionieren würde. Dieser Eindruck der Natürlichkeit und Unverzichtbarkeit lässt die Denkmöglichkeit übersehen, dass dieselben Funktionen vielleicht auch auf andere Weise (und möglicherweise besser) erfüllt werden könnten - nämlich durch funktionale Äquivalente. So behauptete Niklas Luhmann zum Beispiel, dass Organisation ein funktionales Äquivalent für Geschichte sei. Rechtssoziologen diskutieren, inwiefern Selbststeuerung ein funktionales Äquivalent für rechtliche Steuerung sein könne.

Funktion von Werten und Normen

Werte ziehen an, Normen schränken ein. Die Einschränkungen lässt man sich gefallen, solange sie durch die Attraktion der Werte, denen sie dienen und die sie gewissermaßen ausbuchstabieren, gedeckt sind. Der Wert lockt mit der Schönheit des Ideals, während die Norm kommuniziert, was in einer Situation zu tun ist: wenn Du in der Situation S bist, dann tue dies, wenn Du aber in der Situation T bist, dann tue das.

Normen erfüllen die Funktion, das Handeln von Einzelpersonen vorhersehbar zu machen. Sie geben Orientierung. Sie sind Ersatz für die mangelnde Instinktgebundenheit des Menschen. Sie tragen auch zur Entlastung des Individuums bei: der Mensch wird vom dauernden Reflektieren über "gut oder böse" entlastet, er muß nur noch in Konfliktsituationen entscheiden. Sie verleihen persönliche Stabilität, indem sie das Individuum in das Kollektiv integrieren und ihm dadurch zusätzliche Verhaltenssicherheit geben - und sie können das Individuum auch schützen, indem sie vorhersehbar machen, was man ihm zubilligt und was nicht. Normen schaffen die Möglichkeit erfolgreicher Kommunikation und Organisation. Sie machen daher das einigermaßen erträgliche Zusammenleben von Menschen überhaupt erst möglich. Wer es schafft, die Einhaltung bestimmter Normen verbindlich zu machen, hat gewonnen. Zur Verbindlichkeit gehört in der Regel die Bereitschaft und Fähigkeit zur negativen Sanktionierung ("Bestrafung") von Normverletzungen.

Aber auch hier gilt: Vorsicht! Normen schränken auch die persönliche Wahlfreiheit ein, sie zwingen zur Einhaltung auch gegen eigene Ansichten, sie führen womöglich vor lauter Entlastung von Dauerreflexion auch zum Nachlassen der kritischen Reflexionsbereitschaft insgesamt, fördern behavioristisches Belohnungsdenken und schaffen womöglich zusätzliche Konflikte zwischen Gewissen und Gesetz, die es ohne staatliche Normen nicht gäbe. Vor einer Idealisierung von Normen ist auch deswegen zu warnen, weil es nicht gesagt ist, dass die Realisierung von Werten nicht auch auf anderem Wege als durch die (angeblich) dazu geeigneten Normen möglich ist (multiple Realisierung). Auch hier ist also an funktionale Äquivalente zu denken.