Dopamin und Sucht

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Der im Volksmund auch heute noch häufig verwendete Begriff Sucht findet sich nur im deutschsprachigem Raum wieder. Die begriffliche Einordnung einer Abhängigkeit oder eines Abhängigkeitssyndroms wird dagegen eher der komplexen Hirninteraktion eines Lernprozesses gerecht, der auch immer ein Spiegelbild der Gesellschaft ist. Sozialer Status, Gene, Lebenserfahrungen oder auch äußere Umstände tragen bei jedem Menschen zu einem ganz individuellen Abhängigkeitsverlauf bei. Eine abhängigkeitsauslösende Wirkung aller stoffgebundenen sowie stoffungebundenen Drogen wird durch Nervenzellen beeinflusst, die den Botenstoff Dopamin enthalten. Dieses Molekül spielt eine zentrale Rolle in der Kommunikation derjenigen Zellverbände im Gehirn, die zusammen das Belohnungssystem bilden. In diesen Zellverbänden erwägen Forscher auch den Ausgangspunkt der Abhängigkeiten, da sich bei praktisch allen psychischen Abhängigkeitsformen Hinweise auf eine Dopaminbeteiligung fanden. Die Transporterfunktion zwischen den Rezeptoren rückt dabei zunehmend in den Mittelpunkt und nicht nur mehr die Bindung an den Rezeptoren. Die Zunahme einer Abhängigkeit wird äußerlich durch ein wesentliches Merkmal geprägt: der Abhängige nimmt willentlich schädigende körperliche und soziale Konsequenzen in Kauf. Ein erfolgreicher Ausstieg aus einer Abhängigkeit hängt ebenfalls wie der Einstieg von zahlreichen individuellen Faktoren ab. Die Fähigkeit der Kontrolle über das eigene Suchtgedächtnis ist hierbei nicht unentscheidend.

Historische Aspekte und Ursachen zur Abhängigkeit

Bereits 1837 wurde in der 5. Auflage der "Anatomy of Drunkeness" von Dr. Robert Macnisch eine Wechselwirkung abhängigen Verhaltens durch psychologische Bedingungen mit psychosozialen und biologisch-konstitutionellen Verknüpfungen vermutet. In Grimms Wörterbuch aus den Jahren 1875 - 1878 heisst es zum Thema Sucht, dass diese den Menschen praktisch komplett vereinnahmt. Es finden sich darin Wörter wie angreifen, überfallen, überwältigen oder überlaufen. Freud spricht 1920 in seiner Schrift "Jenseits des Lustprinzips" von der "Destrudo", die übergeordnet in der Psychoanalyse zum "krankhaften Trieb" zählt und beim Suizid von Suchtkranken eine bestimmte Rolle spielt. Im 8. bis 15. Jahrhundert war der allgemeine Suchtbegriff identisch mit dem Begriff von Krankheit. In den folgenden Jahrhunderten ergaben sich erweiterte Begrifflichkeiten:

  • Die Ruhm-, Regier- und Ehrsucht im 16. und 17. Jahrhundert.
  • Von einer Prunk-, Prahl-, Gefall- und Großmannssucht sprach man im späten 18. Jahrhundert.
  • Das 19. Jahrhundert war geprägt von Schreib-, Neuerungs- und Herrschsucht.
  • Im 20. Jahrhundert sprach man schließlich unter anderem von Arbeits-, Rekord-, Effekt- und Geltungssucht.

Im "Lexikon der Süchte" von Harten aus dem Jahr 1991 finden sich heute viele weitere Suchtbegriffe mit ihren Beschreibungen.

Es ist die Meinung vieler Autoren, dass ein Mensch bereits vor dem Auftreten seiner Abhängigkeit psychisch erkrankt sei. Somit würde eine Abhängigkeit in der menschlichen, individuellen Persönlichkeitsstruktur liegen und sich nicht aus der pharmakologischen Wirkung einer Droge ableiten. In solcher Sichtweise liegt begründet, dass dadurch nicht die Droge das eigentliche Problem darstellt, sondern die Droge für den abhängig werdenden Menschen der Versuch einer Selbsthilfe ist, die aber oftmals bei stärker werdender Abhängigkeit fehlschlägt und in einem Teufelskreis endet. Es geht bei der Sucht also einerseits um die fortwährende Weiterentwicklung einer möglicherweise seit längerem bestehenden Persönlichkeitsstörung und Fehlanpassung. Andererseits ist eine Sucht wandlungs- und lernfähig. Das heisst, die Tendenz einer Suchtentstehung steigt, wenn der betreffende Mensch solche Veränderungen durch die Droge wahrnimmt, dass die Droge positiv erlebt und als lohnend empfunden wird. Da es nicht von vornherein die eine spezifische "Suchtpersönlichkeit" gibt, spielen unter anderem folgende Risikofaktoren eine Rolle für eine Abhängigkeitsentstehung:

  • Psychiatrische Aspekte wie Angststörungen, Zwänge und Phobien.
  • Direktes stimmulieren des Dopaminergen Belohnungssystems von stoffgebundenen Drogen.
  • Genetische Veranlagungen. Dieses ist für Alkoholabhängigkeit belegt.
  • Soziokulturelle Bedingungen, da der Missbrauch von stimulierenden Stoffen schon immer zur Menschheitsgeschichte dazugehörte.

Bei einer Abhängigkeit wird entweder von einer psychischen oder einer psychischen und körperlichen Abhängigkeit gesprochen. Die psychische Abhängigkeit manifestiert sich im Erleben nach dem immensen Verlangen zum Konsumieren der Droge. Die körperliche Abhängigkeit tritt erst durch das kontinuierliche Einbauen der Droge in den Zellstoffwechsel und einem anschließenden Entziehen bzw. stoffwechselbedingten Abbau der Droge im Körper zu Tage.

Botenstoff Dopamin

Dopamin gehört in die Klasse der Neurotransmitter und Hormone. Als neuronaler Informationsüberträger kann er Nervenzellen erregen oder hemmen. Botenstoffe werden an der Kontaktstelle freigesetzt und docken an den Rezeptor der jeweiligen Partnerzelle an. Die Partnerzelle leitet die Information weiter. Ein Transporter ist für den Kommunikationsstopp zuständig. Dieses geschieht in der Regel innerhalb einer Sekunde. Anschließend wird im Normalfall der Botenstoff wieder zurück in die Nervenzelle gepumpt. Für Dopamin sind verschiedene Rezeptoren vorhanden. Die Bindung an den D2-Rezeptor ist besonders für das Belohnungssystem entscheidend.

Funktion

Dopamin ist als Botenstoff bis heute noch nicht erschöpfend erforscht. Das größte Vorhandensein von Dopamin liegt im Hirnstamm, der "Substantia nigra". Bei Menschen, die unter Parkinson leiden, ist diese Hirnregion deutlich blasser. Parkinson-Patienten haben eine um 90 Prozent verringerte Dopamin-Konzentration. Folgende Funktionssteuerungen durch Dopamin sind bis heute bekannt:

  • Dopamin gibt die Befehle des Nervensystems an die Muskulatur weiter und spielt eine entscheidende Rolle bei der Auslösung und Kontrolle von motorischem Verhalten.
  • Die Wahrnehmungsfähigkeit kann durch Dopamin erheblich gesteigert werden. Ein "gesunder" Mensch nimmt ununterbrochen etwa 10 Prozent von seiner Umgebung, seinen Empfindungen, seinen Eindrücken und seinen Gefühlen wahr. Steigert sich dieser Anteil auf 20 Prozent, stehen die meisten Menschen kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Bei noch höherem Anteil wird der Mensch körperlich und seelisch krank, da keine Bewertung mehr in wichtige und unwichtige Wahrnehmung erfolgen kann. Das beteiligte mesolimbische und mesokortikale DA-System scheint somit eine zentrale Rolle in der Entwicklung von Abhängigkeitsverhalten und Psychosen zu spielen.
  • Dopamin hemmt die Prolaktinausschüttung und reguliert vor allem die Bauchorgane, insbesondere der Niere.
  • Ein Hochgefühl beim Drogenkonsum ist auf verstärkte Dopaminausschüttung zurückzuführen. Zentraler Ort dieses Belohnungssystems ist der "Nucleus accumbens", der im wesentlichen der emotionalen Informationsverarbeitung dient.

Beeinflussbarkeit der Dopamin-Konzentration im Gehirn

Stoffgebundene Drogen wirken direkt auf die Dopamin-Konzentration im Gehirn. Gespritzte Drogen lösen schneller stärkere Glücksgefühle aus, als oral oder über die Nase aufgenommene Drogen. Ferner ist es entscheidend, wie schnell die Substanz die "Blut-Hirn-Schranke" überwindet. Auch stoffungebundene Drogen, sprich die verhaltensabhängigen Muster, wirken über ihre Rückkopplung auf den Dopamin-Spiegel. Jede Drogenkategorie beeinflusst den Dopamin-Spiegel auf seine Weise:

  • Nikotin beeinträchtigt beim Rauchen das Enzym "Monoamin-Oxidase", welches Dopamin abbauen würde.
  • Drogen wie Opiate, Amphetamine und Kokain beeinflussen den Dopamin-Transporter und blockieren so die Rücknahme des Botenstoffes in die Zelle. Heroin z.B. ist lipophiler als Morphin, d.h. es gelangt schneller ins Gehirn und wirkt stärker.
  • Alkohol bzw. Ethanol wirkt ebenfalls anregend auf erhöhte Botenstoffausschüttung. Ein zuviel an Alkohol bewirkt aber das Gegenteil. Es wirkt dämpfend und kann zu Depression führen.
  • Koffein hat wohl ebenfalls eine anregende Wirkung auf die Dopamin-Ausschüttung.

Dopamin-Krankheiten

  • Parkinson-Syndrom: Dopamin enthaltene Neuronen sterben ab. In Deutschland sind ca. 200.000 Menschen davon betroffen.
  • Schizophrenie: ein Dopamin-Überschuß im Gehirn ist die mögliche Ursache. Dieses betrifft in Deutschland ca. 800.000 Menschen.

Dopaminerges Belohnungssystem und seine Wirkungsweise

Bei der Suche nach glücklichen Gefühlen oder positiv besetzten Emotionen verhält sich das Gehirn paradox: es ist strukturell nicht so aufgebaut, sich dauerhaft in einem Glückszustand halten zu können. Aber es ist "süchtig" nach einem längerfristigen Glückszustand zu streben. Damit ein sogenannter "Glücksmechanismus" angestossen wird, der sich zu einer Abhängigkeitssituation entwickeln kann, muss aber als Voraussetzung eine individuell drogenabhängig gewünschte Wahrnehmungsveränderung mit der Bestrebung einer einhergehenden, neuen Selbstverwirklichung eintreten. Ein Glücksmechanismus wird somit aktiv, wenn sich Vorfreude auf ein nahendes Glücksmoment einstellt. Über die Nervenfasern des "ventralen Tegmentums" im Hirnstamm wird Dopamin ins Vorderhirn geschickt. Dort wird der Nucleus accumbens, also das Belohnungssystem aktiviert. Diese Aktivierung schüttet wiederrum nicht nur weiter vermehrt Dopamin aus, auch die wahrscheinlich zusätzlich austretenden Endorphine und das Serotonin verstärken die Wirkung. Eine solche Antriebsregulation führt durch das Belohnungssystem dazu, dass die Vorfreude jegliches Handeln und Denken möglichst nur noch der Zielmotivation unterstellt, die Droge konsumieren zu wollen. Wenn im weiteren Verlauf der Drogenkonsum schließlich einsetzt, wird dem betroffenen Menschen "das Glück" durch den "orbitalen Frontallappen" aktiv bewußt gemacht. Jetzt entsteht die entscheidende informative "Rückkopplung" an das Belohnungssystem, dass diese Vorfreude berechtigt war. Dieser reziproke Schleifenmechanismus charakterisiert die enorme Anpassungs- und Lernfähigkeit. Die Dopaminausschüttung führt zu einem leistungsfähigeren Arbeitsgedächtnis, höherer Dichte der Informationsverarbeitung und verbesserter Übertragung ins Langzeitgedächtnis. Die Evolution hat dem Nucleus accumbens grundsätzlich eine zentrale Rolle zugeteilt. Hier werden ebenfalls die existentiellen Vorgänge Essen, Trinken und Sex verbunden. Ohne Belohnungszentrum wäre die Lebensfähigkeit fragwürdig. Zwei weitere wichtige Voraussetzungen müssen allerdings vorliegen, damit eine Droge zur Abhängigkeit führt: alle stoffgebundenen Drogen stören den Mechanismus der Botenstoffübertragung in den Nervenzellen. Eine "exzessive Mineralwassertrinksucht" ist beispielsweise bis heute nicht bekannt. Bei verhaltensabhängigen Süchten kommt es dagegen auf die "audio-visuellen und interaktiven" Reize an. Reizarme Situationen wie z.B. das Ausfüllen eines Lottoscheins führen ebenfalls eher nicht zu einem süchtigen Verhalten. Ohne Dopmain könnte der Mensch niemals individuelles Glück erleben. Ableitend läßt sich aber feststellen, dass Dopamin im Gehirn nicht der "Glücksbotenstoff" schlechthin ist, sondern an der "Programmierung" von motorischen Verhaltensprogrammen beteiligt ist. Schließlich bedingt ein weiterer Umstand einen Abhängigkeitsprozess: die positive Rückkopplung im Gehirn wird nur erfolgen, wenn das Konsumieren einer Droge auf freiwilliger Entscheidung beruht.

Das Suchtgedächtnis und die Aufrechterhaltung der Abhängigkeit

Ein Suchtgedächtnis entsteht langfristig als molekularer Bestandteil der spezifischen "neuronalen Suchtpersönlichkeit". Abhängige erleiden bei Abstinenz teilweise bis hin zu lebensbedrohlichen Entzugserscheinungen, so dass sich der körperliche Organismus permanent der Substanz anpasst. Daher wird eine Entwöhnung auch so schwierig. Das tief verankerte Suchtverhalten bleibt jederzeit für das Gehirn abrufbar. Je weiter also eine Abhängigkeit und die Anpassungsvorgänge dazu voranschreiten, desto höhere und häufigere Dosen von Dopamin sind nötig, um weiterhin positive Effekte erzielen und die unangenehmen Effekte vermeiden zu können. Gleichbleibende Dosen von Dopamin erwirken somit dauerhaft nur noch schwache Effekte. Man spricht hierbei von Toleranz. Diese Toleranz kann eine Verringerung der Rezeptorenanzahl bewirken oder die Rezeptoren werden aber insgesamt unempfindlicher, so dass die Übertragungsfähigkeit der einzelnen Nervenzellen real abnimmt. Oder es entstehen beide Toleranzeffekte. Aufgrund der drogenabhängigen Dopaminflutung des Belohnungssystems kommt es zusätzlich zu einem gegenteiligen Effekt. Die körpereigene Dopamin-Produktion wird weniger. Auf Alltagsreize (Essen, soziale Kontakte, Sex, usw.) reagiert das Gehirn immer weniger, wonach der Betroffene immer mehr nach dem "Drogenkick" verlangt. Dieser Vorgang wird als Craving bezeichnet. Das im limbischen System verankerte Triebverhalten übernimmt nun immer mehr die Kontrolle über die Großhirnregionen, die normalerweise für die Handlungsplanungen und Handlungskontrollen zuständig sind. Der gesamte Alltag wird ausschließlich auf den Drogenkonsum ausgerichtet. Die Betroffenen verwahrlosen zunehmend, andere Bedürfnisse werden unbedeutend und selbst kriminelles Verhalten wird gegebenenfalls in Kauf genommen. Hieraus entsteht der Teufelskreis, der für Abhängige so schwer zu durchbrechen ist. Die Sucht hat sich mittlerweile von ihren Anfangsbedingungen gelöst und ist ein eigenständiger, sich selbst aufrechterhaltener Prozess geworden.

Komplikationen beim Ausstieg aus der Abhängigkeit

Drogenabhängigkeit ist eine "chronische Erkrankung", die durch erlerntes Verhalten präsent und abrufbar bleibt. Dieses kann einen erfolgreichen Therapieverlauf unheimlich erschweren. Rückfälle bedeuten nach heutiger Auffassung daher kein Versagen, sondern sind "Stolpersteine" auf dem Weg einer neuen Verhaltenskonditionierung zur Vermeidung der Abhängigkeitssituation. Ein verändertes Gehirn kann oftmals nur durch massive Therapie erfolgreich behandelt werden. Bei Entgiftungsverläufen können aufgrund verringerter Dopamin-Spiegel nicht nur Depressionen auftreten, sondern auch z.B. massive Schmerzen, Übelkeit, Schlafstörungen, Halluzinationen, Angst, Reizbarkeit, Unruhe und Schweißausbrüche.

Literatur

  • Bühringer, G., Wanke, K. (Hrsg.)(1991), Grundstörungen der Sucht. Springer-Verlag: Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo, Hong Kong, Barcelona, Budapest.
  • Nissen, Gerhardt (Hrsg.)(1994), Abhängigkeit und Sucht. Prävention und Therapie. Verlag Hans Huber: Bern, Göttingen, Toronto, Seattle.
  • Wynne, Brigitte (1992), Der Neurotransmitter Dopamin bei der Taube: Untersuchungen zur Neuropharmakologie des Verhaltens. Dissertation, Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Konstanz.
  • Spitzer, M., Dopamin und Käsekuchen. Essen als Suchtverhalten. In: Geist & Gehirn, 2010, S. 482-486.

Weblinks

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