Die Entführung und Ermordung des Hanns-Martin Schleyer

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Die Entführung und Ermordung des Hanns-Martin Schleyer war ein Ereignis des sogenannten Deutschen Herbstes. Zusammen mit der Entführung des Flugzeugs Landshut sollte damit die Freilassung der in der JVA Stuttgart inhaftierten Mitglieder der ersten Generation der Rote Armee Fraktion bewirkt werden. Als die Doppelentführung offensichtlich keine Erfolgsaussichten mehr hatte (man hatte zwar Schleyer noch in seiner Gewalt, aber die Flugzeugentführung war gewaltsam und ohne Entgegenkommen des Staates beendet worden), wurde der am 6.9.1977 entführte Arbeitgeberpräsident Schleyer am 18.10.1977 erschossen. Mit dem Fiasko der Entführungen steht die sogenannte Todesnacht von Stammheim (17./18.10.1977) in direktem Zusammenhang, in der Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe starben und Irmgard Möller verletzt wurde.

Hintergrund

Am 4. September 1977 trifft sich das so genannte Kommando Siegfried Hausner der RAF, dem auch Boock angehört. Dabei wird der Kassiber der Stammheimer RAF-Gefangenen vom Vortag vorgelesen, der die eindringliche Aufforderung an die RAF-Mitglieder enthält, die Befreiungsaktion in Stammheim sofort durchzuführen. Die Gefangenen drohen damit, ihr Schicksal sonst selbst in die Hand zu nehmen. Für diese Aktion sollten die Entführungen von "öffentlichen Personen" dienen. Schon vor der eigentlichen Entführung wurden, laut Boock, Informationen unter anderem über Helmut Schmidt, aber auch Schleyer gesammelt. Die Befreiung der Häftlinge war nämlich schon Monate vorher geplant, jedoch misslungen. Nach dem Misserfolg des Entführungsversuches an Ponto, konzentrierten sich nun die RAF-Mitglieder auf Hanns-Martn Schleyer. Boock behauptet in einem Interveiw mit Aust und Latsch, dass die RAF, Materialien über Schleyer auch vom Geheimdienst erhalten habe. Ziel der Informationssammlung sollte eine "gelungene Entführung" werden. Da Schmidt, laut Boock, zu sehr bewacht wurde, stimmten die RAF-Mitglieder der Entführung Schleyers zu.

Verlauf der Entführung

Überfall

Am Montag, den 5. September 1977 gegen 17:10 Uhr wurde Hanns Martin Schleyer in Köln von seinem Fahrer Heinz Marcisz in einem dunklen Mercedes 450 SEL von der Arbeitgeberzentrale am Oberländer Ufer zu seiner in der Raschdorffstraße (Köln-Braunsfeld) gelegenen Dienstwohnung chauffiert. Die Polizisten Reinhold Brändle (Fahrer), Helmut Ulmer (Beifahrer) und Roland Pieler (im Fond) folgten in einem hellen Mercedes 280 E. Die drei Personenschützer waren bewaffnet, Marcisz und Schleyer nicht. Keines der Fahrzeuge war gepanzert.

Das Kommando „Siegfried Hausner“ hatte eine Telefonkette eingerichtet, diese meldete die Annäherung der Fahrzeuge an die vier im Hinterhalt wartenden Schützen: Peter-Jürgen Boock, Sieglinde Hofmann, Willi-Peter Stoll und Stefan Wisniewski. Boock und Hofmann sollten die Polizisten "ausschalten", Stoll war auf Schleyers Fahrer angesetzt und Wisniewski sollte Schleyer überwältigen.

Als die beiden Wagen gegen 17:28 Uhr die Vincenz-Statz-Straße erreichten, fuhr Wisniewski das Sperrfahrzeug, einen gelben Mercedes 300 D, aus einer Einfahrt rückwärts in die Straße. Marcisz konnte noch rechtzeitig bremsen, doch das Begleitfahrzeug fuhr auf Schleyers Wagen auf und schob diesen auf den gelben Mercedes. Daraufhin wurde das Feuer eröffnet. Mehrfach getroffen erlag Marcisz nach kurzer Zeit seinen schweren inneren Verletzungen.

Nach den auf Marcisz abgegebenen Schüssen rannte Stoll plötzlich und entgegen jeder Absprache quer durch die Schussrichtung von Boock und Hofmann, sprang auf die Motorhaube des Begleitfahrzeugs und verfeuerte die ganze übrige Munition seiner polnischen Maschinenpistole PM-63 (Kaliber 9,2 × 18 mm Makarow) durch die Frontscheibe ins Wageninnere. Der Fahrer Reinhold Brändle wurde getroffen und starb kurz darauf. Roland Pieler gelang es noch, den Fond des Fahrzeugs zu verlassen und mit seiner Dienstpistole dreimal zurückzuschießen, er traf jedoch nicht. Helmut Ulmer schoss aus der geöffneten Beifahrertür achtmal mit seiner Maschinenpistole, traf aber ebenfalls nicht. Pieler und Ulmer wurden tödlich getroffen.

Die Beschuss-Spuren der beiden rechten Türen des Begleitfahrzeuges sowie eine am Tatort aufgefundene Pistole Colt M1911, Kaliber 45, die niemandem der vier übrigen Beteiligten zugeordnet werden konnte, und auch die Lage des toten Beamten Pieler am Tatort legen die Vermutung nahe, dass eine fünfte Person beim Überfall aus der Deckung einer damals am Anfang der Vincenz-Statz-Straße gelegenen Baustelle heraus mitgewirkt hat. Entsprechende Ermittlungsergebnisse, beziehungsweise Ermittlungsversuche des Bundeskriminalamtes zur Identifizierung dieser fünften Person sind bis heute nicht bekannt[1].

Geiselhaft

  • Am 6. September wird der entführte Schleyer in die Kommandowohnung in Erfstadt-Liblar bei Köln gebracht. Die Bundesregierung unter Helmut Schmidt beruft ein Beratungsgremium, den sogenannten "Großen Krisenstab" ein. Die RAF-Mitglieder schicken daraufhin Video-Botschaften an verschiedene Empfänger (u.a Presse, Rundfunk etc.), um den öffentlichen Druck auf die Regierung zu erhöhen.
  • Nach sechs Tagen wird Schleyer über die Grenze nach Holland gebracht.
  • Hanns-Eberhard Schleyer, Rechtsanwalt und ältester Sohn des Entführten, beantragte am 15. Oktober 1977 beim Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung gegen die Bundesregierung und die betroffenen Landesregierungen, auf die Forderungen der Entführer seines Vaters einzugehen. Am gleichen Tag fand eine mündliche Verhandlung statt. In der Nacht lehnte der Erste Senat des BVerfG den Antrag ab, veröffentlichte die Entscheidung aber erst am nächsten Morgen.
  • Die Bundesregierung unter Helmut Schmidt entschied sich in mehreren Krisensitzungen, nicht auf die Forderungen (mehrere Videobotschaften und Schreiben wurden an die Regierung geschickt)der Entführer einzugehen. Sie blieb auch nach der Entführung des Lufthansa-Passagierflugzeugs Landshut bei ihrer Haltung.
  • Das Bundesverfassungsgericht, das von Schleyers Angehörigen in einem Eilverfahren angerufen wurde, lehnte den Antrag ab, die Bundesregierung zur Freilassung der RAF-Gefangenen zu verurteilen und bestätigte die Verfassungsmäßigkeit der Entscheidung der Bundesregierung. In der Justizvollzugsanstalt Stuttgart begingen in derselben Nacht Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in ihren Zellen "Selbstmord". Die ebenfalls dort einsitzende Irmgard Möller überlebt schwer verletzt [2]. Sie bestreitet bis heute die offizielle Version eines kollektiven Suizids und spricht von staatlich angeordneten Morden [3].

Ermordung

Am 18. Oktober wird nach Bekanntgabe der Todesnacht in Stammheim von den Mitgliedern des Kommandos Siegfried Hausner einstimmig beschlossen, Hanns-Martin Schleyer zu erschießen, so Boock.

Am 19. Oktober früh morgens wird in einem Waldstück kurz hinter der belgisch-französischen Grenze Schleyer mit drei Schüssen in den Kopf getötet. Nachmittags geht der französischen Zeitung Libération das letzte Kommuniqué der RAF zu, indem sie die Ermordung bekanntgibt. Seine Leiche wird am selben Tag im Kofferraum abgestellten Audi 100 aufgefunden.

Peter-Jürgen Boock behauptete im Herbst 2007, die tödlichen Schüsse seien durch Stefan Wisniewski und Rolf Heißler abgegeben worden. Boock war jedoch kein unmittelbarer Zeuge der Tat und befand sich zum Zeitpunkt der Erschießung Schleyers in Bagdad. Die Täter sind bisher nicht ermittelt. Das Obduktionsergebnis lässt den Schluss zu, dass alle Schüsse aus einer Waffe, aber aufgrund der Schusswinkel vermutlich von zwei Tätern abgegeben wurden.

Bekennerschreiben

Im Bekennerschreiben der RAF vom 19. Oktober 1977 heißt es: „Wir haben nach 43 Tagen Hanns-Martin Schleyers klägliche und korrupte Existenz beendet. Herr Schmidt, der in seinem Machtkalkül von Anfang an mit Schleyers Tod spekulierte, kann ihn in der Rue Charles Peguy in Mulhouse in einem grünen Audi 100 mit Bad Homburger Kennzeichen abholen. Für unseren Schmerz und unsere Wut über die Massaker in Mogadischu und Stammheim ist sein Tod bedeutungslos“ (Kommando Siegfried Hausner in: Rote Armee Fraktion - Texte und Materialien zur Geschichte der RAF)

Tatbeteiligte

Nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft und den Urteilen der damit befassten Strafsenate der Oberlandesgerichte waren folgende Personen an der Entführung Hanns-Martin Schleyers beteiligt: Peter-Jürgen Boock, Willi-Peter Stoll, Sieglinde Hofmann, Stefan Wisniewski, Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar, Rolf Clemens Wagner, Adelheid Schulz, Rolf Heißler, Angelika Speitel,Knut Folkerts.

Literatur

  • Boock, Peter-Jürgen: Die Entführung und Ermordung des Hanns-Martin Schleyer. Eine dokumentarische Fiktion. Eichborn AG, Frankfurt am Main, 2002.
  • Peters, Butz (2007): Tödlicher Irrtum. Die Geschichte der RAF, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main.

Weblinks

Videos