Denis Pécic

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Denis Pécic (* 8. Oktober 1928, vermutlich in Frankreich), staatenloser Gefängniskritiker und -reformer. Er hat 35 Jahre in deutschen Gefängnissen verbracht und ist dort zu einem engagierten Streiter für einen humanen und rechtsstaatlichen Strafvollzug geworden.

Denis Pécic, 80 Jahre (rechts: Johannes Feest)


Vorgeschichte

Viel Unklarheit herrscht nach wie vor über den Namen, das genaue Geburtsdatum und den Geburtsort des Mannes, der in Deutschland als Denis Pécic bekannt geworden ist. Zeitweise von ihm verwendte Alias-Namen sind: Jean-Denis Forvin, Denis Plesis (auch: Plessis), Denis Mennard und Jonny Forvin. Noch in einem Beschluß des Schleswig-Holsteinischen OLG vom 06.12.2002 (Az. 2 Ws 388/02 (241/02)) heißt es: "geboren am 5. Oktober 1929 in Zernelavci/Jugoslawien".

Nach eigenen Angaben und Recherchen ist Pécic in Frankreich geboren. Da seine Eltern dort 1940 bei einem Bombenangriff umgekommen waren, wuchs er bei Pflegeeltern und in Heimen auf. Um sich bereits mit 17 Jahren zur Fremdenlegion melden zu können, datierte er sein Geburtsdatum (auf März 1925) zurück und behauptete, aus Slowenien zu stammen. Dies hat erheblich zu der Verwirrung über seine Identität beigetragen. Seine Nationalität gilt in Deutschland bis heute als ungeklärt. Mit der Fremdenlegion nahm er am Indochina-Krieg teil, setzte sich jedoch 1949 von der Truppe ab und wurde deshalb in Abwesenheit in Frankreich zum Tode verurteilt. In Frankreich gesucht, begab er sich nach Deutschland und wurde in ein Flüchtlingslager für Jugoslawen bei Nürnberg eingewiesen. Dort lernte er andere Flüchtlinge und die kriminelle Subkultur kennen.

Straftaten und Strafvollzug

Im Jahre 1950 kam es zu einer ersten Verurteilung wegen Einbruchsdiebstahls zu vier Monaten (verbüßt in der JVA Freiburg). Nach dem Überfall auf ein Juweliergeschäft im März 1951 wurde Pécic festgenommen und vom OLG Nürnberg zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe (ohne Anrechnung der Untersuchungshaft) verurteilt. Er verbüßte diese Strafe bis zum letzten Tage in der JVA Straubing (Bayern), wo er im April 1964 entlassen wurde. Aber noch im gleichen Jahr wurde Pécic wegen des Verdachts festgenommen, in eine weitere, schwere Straftat verwickelt zu sein. Am 30.12.1964 war es im Rahmen eines Banküberfalls in Reinbek bei Hamburg, zu einem Schusswechsel gekommen, wobei sowohl der Überfallene als auch einer der Täter erschossen wurden. Pécic, der in der Nähe des Tatortes angetroffen wurde, bestritt mit dem Verbrechen zu tun gehabt zu haben, wurde jedoch 1969 in einem Indizienprozess zu 15 Jahren Gefängnis und lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Die Strafverbüßung fand ab 1971 in der JVA Hamburg-Fuhlsbüttel [1] ("Santa Fu") statt. Als Protest gegen Zwangsarbeit ohne angemessene Entlohnung und Sozialversicherung verweigert Pécic jegliche Mitarbeit und wurde dafür nahezu permanent in der Arrestzelle isoliert. Im Jahre 1972 beteiligte er sich am Hamburger Gefangenenaufstand, der zur Ablösung des Anstaltsleiters führte und zum Ende des Zuchthausvollzuges in Hamburg beitrug. Der neue Anstaltsleiter, Dr. Heinz-Dietrich Stark gewann ihn 1973 zur Mitarbeit, indem er ihm die Leitung der Gefängnisbücherei anbot ("Das ist eine soziale Arbeit für die Gefangenen und keine Sklavenarbeit für den Staat"[2]). Daneben war Pécic zeitweise Insassenvertreter, Redakteur der Gefangenenzeitschrift ("Santa Fu Magazin") und Mitbegründer des ersten Fernsehens von Gefangenen für Gefangene ("Fadenkreuz"). Seine Entlassung aus dem Strafvollzug erfolgte 1986.

Auseinandersetzung mit dem Strafvollzug

Denis Pécic hat sich auf vielfältige Weise, praktisch und publizistisch mit dem Strafvollzug auseinandergesetzt.

Alternativentwurf

Pécic hatte die Zeit seiner Isolation gut genutzt: schon ein Jahr nach dem 1972 veröffentlichten Regierungsentwurf eines Strafvollzugsgesetzes legte er einen ausführlich begründeten Gegenentwurf vor, der zunächst als Sonderdruck der Hamburger Gefangenenzeitung (1973) und ein Jahr später als Buch erschien. Im Vorwort zu diesem Buch wird er zu seiner Motivation wie folgt zitiert: "Ausschließlich Strafrechtslehrer, Straftheoretiker und Strafpraktiker haben den Regierungsentwurf geschaffen. Uns, die Betroffenen, die Monate und Jahre hinter Gittern den unmenschlichen Haftbedingungen ausgeliefert sind, hat niemand gefragt. Deshalb habe ich einen eigenen Gesetzentwurf geschrieben". Inhaltlich ging es Pécic vor allem um die Einhaltung der Menschenrechte im Strafvollzug, um die Angleichung des Lebens im Vollzug an die "allgemeinen, menschenwürdigen Lebensverhältnisse", nicht zuletzt um Entlohnung der Gefangenenarbeit nach dem "jeweils geltenden Lohn- oder Gehaltstarif" und um Einbeziehung der Gefangenen in die Sozialversicherung, sowie um die "Plicht zur Re-Sozialisierung". Dieser Entwurf hat nichts an seiner Aktualität verloren und wird neuerdings wieder verstärkt zitiert. Besonders aktuell, angesichts des 2006 eingetretenen Föderalisierung des Strafvollzuges ist Pécics damalige Forderung nach einem Bundesbeauftragten für den Strafvollzug, zur "Verwirklichung der Rechtseinheit im Geltungsbereich des Strafgesetzbuches" (S. 74).

Alternativkommentar

Nach Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes im Jahre 1977 wurde Pécic gebeten, sich an der Kommentierung dieses Gesetzes im Rahmen des Alternativkommentars zum Strafvollzugsgesetz (AK StVollzG) zu beteiligen. Für einen juristischen Autodidakten war dies ein höchst ungewöhnlicher Auftrag, dem er sich, immer noch im geschlossenen Vollzug, neben seiner Arbeit in der Bücherei widmete. Generell sah er seine Aufgabe darin, die in Hamburg durch die Gefangenenrevolte erreichte Verbesserung der Haftbedingungen in die Erläuterung des Gesetzes einfließen zu lassen, etwa die weitgehende innere Öffnung, die Möglichkeit der Gefangenen, ihre Hafträume zu verschliessen ("Doppelschließvorrichtungen"), die Einrichtung von Tee-Küchen auf allen Etagen, die jährliche Durchführung eines Familien-Sportfestes etc. Speziell war er für die Kommentierung der Bestimmungen über Arbeit, Ausbildung (§§ 37-52 StVollzG) zuständig. Obwohl er nur an den ersten zwei Auflagen des Kommentars (1980, 1982) unmittelbar beteiligt war, ist sein Einfluss auch in der bisher letzten Auflage des Kommentars (2006) noch nachweisbar.

Strafvollzugsarchiv

Von November 1983 bis 1985 arbeitete Pécic als Freigänger an der Universität Bremen und war dort wesentlich am Aufbau des Strafvollzugsarchivs der Universität Bremen beteiligt. Das Archiv diente zunächst vor allem der Sammlung von Material für künftige Auflagen des Strafvollzugskommentars. Durch Pécics hohen Bekanntheitsgrad unter Gefangenen entwickelte sich jedoch bald eine Korrespondenz mit Gefangenen, bei der es primär um die Klärung rechtlicher Fragen ging und geht (vgl. dazu heute die Web Page des Strafvollzugsarchivs www.strafvollzugsarchiv.de). Daneben gelang es ihm, den Kontakt zu den in Deutschland zahlreichen Gefangenenzeitungen herzustellen.

Rechtspolitik

Gemeinsam mit Birgitta Wolf, die er schon im Zuchthaus Straubing kennengelernt hatte, verfasste Pécic einen Antrag an die Generalversammlung der Vereinten Nationen, in dem eine Reihe noch heute gültiger Forderungen aufgestellt werden, z.B. Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe; volles Arbeitsentgelt und Sozialversicherung für alle Inhaftierten; Abschaffung der Arreststrafe und anderer psychisch und physisch gesundheitsschädigenden Maßnahmen; Verbot der Abschiebungshaft gegen nicht vorbestrafte Ausländer etc.. Zehn Jahre danach trat Pécic erneut mit einem gesetzgeberischen Projekt an die Öffentlichkeit. In einem "Gesetzesvorschlag zur Vermeidung einer Inhaftierung von Müttern" (1985) forderte er Haftverschonung für schwangere Frauen und Mütter mit Kindern; ein entsprechender Gesetzentwurf (BT-Drs. 11/1403 vom 1.12.1987) wurde von Christa Nickels für die Fraktion der Grünen im Bundestag eingebracht (jedoch letztlich abgelehnt).

Öffentlichkeitsarbeit

Seit Mitte der 70er-Jahre gehörte Pécic zeitweise zu den bestpublizierten Inhaftierten der Bundesrepublik. Er wurde von Werner Höfer in die WDR-Sendung "Ratgeber Recht" eingeladen und veröffentlichte kritische Aufsätze zu verschiedenen Aspekten des Gefängniswesens in Sammelbänden und Zeitschriften. In den frühen 80er-Jahren, noch im geschlossenen Vollzug, entwickelte Pécic, gemeinsam mit anderen Inhaftierten und gefördert von der damaligen Justizsenatorin Eva Leithäuser, eine umfangreiche gefängniskritische Wanderausstellung zur Geschichte des Strafvollzuges am Beispiel Hamburg. Diese wurde in den folgenden Jahren landauf, landab gezeigt, u.a. in Hamburg, Bremen, München, Nürnberg, Stuttgart, Mannheim und Baden-Baden, jeweils in Verbindung mit öffentlichen Diskussionsveranstaltungen.

Nach dem Strafvollzug

Den Rest seines Arbeitslebens verbrachte Pécic auf der Grundlage einer AB-Maßnahme als Archivar, Dokumentar und Fotograf an der Musikhochschule Hamburg. Der Versuch, vor den Sozialgerichten eine Rente für seine Arbeitsjahre im Strafvollzug einzuklagen, blieb ebenso erfolglos wie ein Wiederaufnahmeverfahren zum Beweis seiner Unschuld. Erfolgreich war er jedoch als technischer Erfinder: für ein von ihm noch im Vollzug entwickeltes Strahltriebwerk für Düsenflugzeuge wurde ihm vom Deutschen Patentamt schon 1979 eine Patentschrift erteilt; für ein Tretrad mit neuartigem Wellenantrieb erhielt er das Patent im Jahre 2005. Er lebt heute von Sozialhilfe in Hamburg und schreibt an seiner Autobiografie.

Veröffentlichungen von Denis Pécic

  • Alternativentwurf Vollzugsgesetz (AVollzG),
    • Bd. 1: Alternativentwurf Vollzugsgesetz, Teil I Gesetzestexte
    • Bd. 2: Alternativentwurf Vollzugsgesetz / Teil II Kommentare und Erläuterungen zu den Gesetzes-Texten §§ 1 - 183 n. F. VollzG, 1. Auflage, Hamburg 1973 (hn-Magazin).
  • Alternativentwurf eines Vollzugsgesetzes, Teil I und II, mit einem Vorwort von Rudolf Wassermann. Köln 1974.
  • Ein Täter fordert Taten. In: Werner Höfer (Hrsg.) Knast oder Galgen? Gewaltverbrechen und Strafvollzug zwischen Urteilsfindung und Volksempfinden ; Kontroverse zwischen Betroffenen, Beteiligten, Berufenen. Percha am Starnberger See 1975.
  • Der Strafvollzug aus der Sicht eines Gefangenen. In: Schwind/Blau (Hrsg.) Strafvollzug in der Praxis, Berlin 1976.
  • Kommentars zum Strafvollzugsgesetz (AK StVollzG) (mit anderen), 1. Auflage, Neuwied 1980, 2. Auflage Neuwied 1982, 3. Auflage Neuwied 1990.
  • Die Entwicklung der Strafen und des Strafvollzugs vom Mittelalter bis zur Gegenwart in Hamburg : d. geschichtl. Aufarbeitung u. Umsetzung d. Vergangenheit in d. Gegenwart als Plädoyer für notwendige Reformen d. Strafrechts u.d. Strafvollzugs, Hamburg 1982.
  • Ist die Gefangenenarbeit immer noch ein Strafübel? Gefängnisarbeit und Ausbildung. In: Kriminalpädagogische Praxis, 1982, S.14-18.
  • Aus dem Leben eines Querulanten. In: Vorgänge - Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, 1985, S. 50-56.
  • Querulanz im Gefängnis (mit Johannes Feest). In: Vorgänge - Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, 1985, S. 46-49.
  • Strafvollzugsgesetz und Strafvollzugswirklichkeit. In: Info zum Strafvollzug in Praxis und Rechtssprechung, 1985, S. 7-10.
  • Der Strafvollzug als Spiegelbild irrationaler Sozial- und Kriminalpolitik. In: Strafverteidigertag 1984, München 1985.
  • Disziplinarreaktionen im Strafvollzug. In: Vorgänge - Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, 1986, S. 61-65.
  • Inhaftierung der Mütter - Bestrafung der Kinder. In: Widersprüche, Heft 19, August 1986.
  • Die Retrospektive des Lebens in Freundschaft mit Johannes. In: Sven-U. Burkhardt, Christine Graebsch, Helmut Pollähne (Hg.) Korrespondenzen. In Sachen Strafvollzug, Rechtskulturen, Kriminalpolitik, Menschenrechte Münster 2005, 162-174.

Weitere Quellen

  • Die Drei Leben des Denis Pécic Feature von Kurt Kreiler (50 Minuten Hörfunksendung; Erstausstrahlung am 04.06.2004), Deutschlandfunkt Köln.
  • Unveröffentlichte Autobiografie
    • Bd. I Nur eine Erinnerung (1928-1946)
    • Bd. II Die Verdammten der ganzen Erde (1946-1949)
    • Bd. III Die Flucht unter falschen Flaggen (ab 1949)

Die Manuskripte sind im Strafvollzugsarchiv der Universität Bremen vorhanden; ein weiterer Band ist noch nicht abgeschlossen.

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Glückwünsche zum 80. Geburtstag