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Allgemeines

Predictive Policing bezeichnet die Nutzung / Anwendung der quantitativen Datenanalyse, um zukünftige kriminelle Aktivitäten aufzudecken. Anhand von Prognosen soll der Polizei eine gezielte Reaktion in Form von präventivpolizeilichen Maßnahmen ermöglicht werden. Predictive Policing lässt sich in vier Hauptkategorien unterteilen, die Prognose / Vorhersage

  • von Kriminalität, insbesondere von Orten, die mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu prognostizierten Zeiten von Straftaten betroffen sein werden
  • von Tätern, die mit erhöhter Wahrscheinlichkeit in der Zukunft Straftaten begehen werden (personenbezogene Vorhersage von kriminellen Karrieren)
  • der Identität von Tätern, durch die Erstellung von Täterprofilen
  • von Opfern, hier von Gruppen oder ggf. Einzelpersonen, die mit erhöhter Wahrscheinlichkeit als Opfer von Straftaten betroffen sein werden (Perry et al. 2013:xiv).

Etymologie

Der Begriff Predictive Policing ist ein aus dem Anglo-Amerikanischen Raum stammender und aus der englischen Sprache übernommener Begriff, bestehend aus den Wörtern predictive [prɪˈdɪktɪv] und policing [pəˈliːsɪŋ]. Predictive leitet sich von dem lateinischen Wort praedictīvus ab, um 1650: vorher anzeigend, prognostisch. Praedictīvus entstammt dem Wort praedico: vorhersagen, voraussagen, vorherverkündigen, prophezeien. Der Begriff policing bezieht sich etymologisch auf den Begriff politics, welcher sich von politicus: zum Staate, zur Staatswissenschaft gehörig, politisch, politisierend, ableitet.

Der Begriff Policing wurde ursprünglich dazu verwendet, soziale Regulierung im weitesten Sinne zu beschreiben. Dabei wurde er in vielen Gesellschaften bis in die jüngste Vergangenheit nicht nur mit einer bestimmten Institution (die Polizei) in Verbindung gebracht; Policing beschrieb vielmehr Sozialisierungsprozesse unter der Beteiligung von verschiedenen Einrichtungen wie z.B. der Schule, Religionsgemeinschaften, der Wirtschaft und den Medien (Rowe 2008:3). Im üblichen Sprachgebrauch beinhaltet Policing die Durchsetzung von Recht und Ordnung, Festnahme von Verbrechern, Gewährleistung persönlicher Sicherheit, Schutz der Bürger und Gemeinschaften, sowie Schutz von Personen oder sozialen Gruppen vor Belästigung (Frerichs 2014:2). Vereinfacht dargestellt könnte man Policing mit „Polizieren“ übersetzen, was in Verbindung mit Predictive Policing im Kern auf polizeiliche Strategien und polizeiliche (Präventiv-)Maßnahmen abzielt.

Definitionen / Begriffsbestimmungen

IT-gestütztes Predictive Policing wurde durch die deutschen Bundesbehörden bislang nicht allgemeinverbindlich definiert (Deutscher Bundestag 2015:3). In der Wissenschaft ist ebenso wenig eine abschließende Begriffsbestimmung erfolgt. Predictive Policing wurde durch Angehörige verschiedener Behörden in der Vergangenheit unterschiedlich erklärt, bspw.:

National Institute of Justice / USA

Predictive Policing beschreibt alle polizeilichen Strategien oder Taktiken, die Informationen und erweiterte Analysen entwickeln oder nutzen, um diese für eine zukunftsorientierte Kriminalprävention zu nutzen. Dazu sind folgende Kernelemente notwendig: Verbindung von Daten und polizeilicher Maßnahmen, das Ganze sehen, Gebrauch von modernster Analysetechnologie, Koppelung an Unternehmen, Anpassungsfähigkeit an wechselnde Begebenheiten (Uchida 2009:1).

LKA Niedersachsen

Predictive Policing wird allgemein definiert als das Heranziehen verschiedener Datenquellen, anhand deren Analyse dann zukünftige Straftaten antizipiert und verhindert bzw. angemessene Reaktionen ermöglicht werden sollen.“ (Gluba 2014: 349; Pearsall 2010:16)

Bundesministerium des Innern

Die deutschen Bundesbehörden beschreiben Predictive Policing allgemein als einen mathematisch-statistischen Ansatz, der unter Nutzung von anonymen Falldaten und unter Annahme kriminologischer Theorien, wie beispielsweise dem near-repeat-Ansatz, Wahrscheinlichkeiten für eine weitere (gleichgelagerte) Straftat in einem abgegrenzten geografischen Raum in unmittelbarer zeitlicher Nähe (max. sieben Tage) berechnet (Deutscher Bundestag 2015:3).

LKA NRW

Predictive Policing will mit komplexen Techniken der Datenanalyse prognostizieren, an welchen Orten, zu welchen Zeiten bestimmte Straftaten mit hoher Wahrscheinlichkeit begangen werden können (Jacob 2014:6).

RAND Corporation

Predictive Policing ist die Anwendung analytischer Techniken, insbesondere quantitativer Techniken, um mögliche Ziele für polizeiliche (Präventiv-)maßnahmen zu identifizieren und Verbrechen zu verhindern oder vergangene Taten aufgrund von statistischen Vorhersagen aufzuklären (Perry et al 2013:xiii).

Geschichtliche Entwicklungen

Erste Überlegungen, Kriminalität in Karten geographisch darzustellen ist historisch auf die Anfänge des 19. Jahrhunderts in Frankreich zurückzuführen. 1829 wurden Kriminalstatistiken und demographische Daten aus dem letzten Zensus in Frankreich in einer ersten Karte dargestellt (Weisburd/McEwen 1997:4). Anfang der 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts wurden in den USA erste Kriminalitätskarten an der Universität von Chicago erstellt. Im Rahmen einer Untersuchung war die städtische Umgebung gegenständlich, die als Erklärungsansatz für ein Kriminalitätsproblem in amerikanischen Städten diente. Kriminalitätszahlen und Sozialkomponenten wurden analysiert und auf Karten visualisiert (Weisburd/McEwen 1997:7). Ende der 60er Jahre entstand die Idee eines automatisierten Crime Mappings, jedoch konnte diese rechnergestützte Anwendung im polizeilichen praktischen Alltag nicht überzeugen. Dies war zum einen auf technische Gründe, zum anderen auf fehlerhafte und unvollständige Daten zurückzuführen. Wissenschaftler und Polizeipraktiker arbeiteten nicht zusammen. Der Nutzen der Karten wurde häufig verkannt, sie dienten vielmehr als Visualisierung (Weisburd/McEwen 1997:12). 1967 wurden durch das St. Louis Police Department Mainframe-Computer und Lochkarten eingesetzt, um hiermit Kriminalitätskarten zu erstellen, die zur Steigerung der Effizienz von Streifenfahrten dienen sollten (Harries 1999:92). Mit der Einführung leistungsfähiger Computer und deren Preisrückgang auf dem Markt, setzte auch die Polizei Mitte der 90er Jahre in zunehmendem Umfang Softwarelösungen von Geoinformationssystemen (GIS) ein, die sich zu anwenderfreundlichen Arbeitsinstrumenten weiterentwickelt hatten. Polizeidienststellen begannen nach und nach mit der systematischen Sammlung polizeilich relevanter Daten. Rechnergestützt bildeten sie die kriminalgeographische Grundlage für Crime Mapping (Weisburd/McEwen 1997:13). Mehr und Mehr verschwanden Karten, auf denen von Hand Stecknadeln zur Abbildung von Kriminalität aufgebracht wurden. Berühmt wurde 1994 die Einführung von CompStat in New York unter Polizeichef William Bratton im Zusammenhang mit seiner „Zero Tolerance“-Strategie. Die Lagebilder und zeitnahen Analysen eines Geoinformationssystems unter CompStat wurden zu Leistungsindikatoren für ein strategisches Qualitätsmanagement und dienten der Leistungskontrolle (Weisburd 2004:1). In Deutschland wird Crime Mapping unter der Führung von Bayern seit 1999 mit Hilfe von GLADIS (Geographisches Lage-, Analyse-, Darstellungs- und Informationssystem) des GIS-Herstellers ESRI zu Visualisierungen eingesetzt, seit 2006 bayernweit (Okon/Weinreich 2000:122). Hamburg setzt für Crime Mapping seit 2001 GISPOL (Grafisches Informationssystem der Polizei) ein. Mit der Software von der Fa. T-Systems ließen sich frühzeitig polizeiliche Vorgänge auf Straßenkarten oder Luftbilder projizieren oder auch Brennpunkte aggregiert darstellen (Pendler 2002:22). Durch das Memphis Police Department wurde in 2005 mit Unterstützung der Universität Memphis eine Sondereinheit aufgestellt, die mit Hilfe des computerbasierten Systems BLUE CRUSH (Criminal Reduction Utilising Statistical History) der Firma IBM die Kriminalitätsschwerpunkte identifizieren sollte. In das System flossen verschiedene Informationen, wie Meldungen und Berichte aus der polizeilichen Streifentätigkeit, Berichte des Bezirksstaatsanwalts, Mitteilungen des US-Generalstaatsanwalts sowie aus anderen Quellen ein. Dabei wurde beispielsweise nach Tatort, Straftat, Tatzeit, Tag der Woche und Angaben zu Opfern unterschieden. Das System erlaubte dem Memphis Police Department erstmalig zeitliche und örtliche Prognosen zu erwarteten Kriminalitätsschwerpunkten. Nach Angaben des zuständigen Directors Larry Godwin (Memphis Police Department) konnte zwischen 2006 und 2008 ein Rückgang der Kriminalität um 16 Prozent verzeichnet werden (Perry et al 2013:67). Wenig später wurde in Los Angeles die Software PredPol eingesetzt, welche einen Algorithmus verwendet, der ursprünglich für die Vorhersage von Nachbeben nach vorangegangenen Erdbeben konzipiert wurde. Bei Nachbeben wurde festgestellt, dass diese bestimmten Mustern folgen und beim Vorhandensein großer Datenmengen, mit hoher Wahrscheinlichkeit prognostizierbar sind. In Zusammenarbeit der University of California und der Fa. PredPol wurde das Verfahren auf Straftaten übertragen. Die Software wurde mehrere Male überarbeitet und funktioniert mittlerweile in Echtzeit. Das bedeutet, dass mit der Eingabe einer Straftat, die eingegebenen Daten direkt weiterverarbeitet werden um neue Vorhersagen für künftige Straftaten zu suggerieren (Steinebach 2014:1). Seitdem das National Institute of Justice Symposien in 2009 und 2010 ausgerichtet hat, steigt das öffentliche Interesse an Predictive Policing. Weitere Hersteller bieten inzwischen Softwarelösungen mit unterschiedlichen Ansätzen an (Perry et al 2013:3).

Prognoseerstellung

Predictive Policing sagt nicht vorher, wann und wo die nächste Straftat geschehen wird. Es kann jedoch eine relative Wahrscheinlichkeit bestimmt werden, dass sich Kriminalität an einem bestimmten Ort innerhalb einer bestimmten Zeit ereignen könnte (Perry et al 2013:55). Die Prognoseerstellung ist von der jeweiligen verwendeten Softwarelösung abhängig. Sie reicht von einfachen Basis-Anwendungen, die von Kriminologen und Analysten erstellt wurde, bis hin zu anspruchsvollen und komplexen Modellierungen, die von Forschern entwickelt wurden (Groff/La Vigne 2002:48). Die Software unterscheidet sich je nach Hersteller u.a. in der Höhe der Kosten, der Einbeziehung verschiedener theoretischer Ansätze, den verwendeten Datenquellen und deren Umfang (z.B. mit und ohne Aktualisierung in Echtzeit, Wetterdaten, Veranstaltungskalender), der Wahrscheinlichkeit einer Prognose, der tatsächlichen Wirksamkeit und der Wirkungsweise des verwendeten Algorithmus. Die Bandbreite der verwendeten Methoden differiert, einzelne sind bereits in Gebrauch, andere befinden sich noch in der Entwicklung. Exemplarisch wichtige Methoden stellen sich wie folgt dar:

Crime Mapping & Hot Spot Analyse

Beim Crime Mapping und der Hot Spot Analyse werden mithilfe retrograder Kriminalitätsdaten zukünftige Tatorte prognostiziert. Diese Methode geht von der Annahme aus, dass sich die Kriminalitätsbelastung im Raum unterschiedlich stark verteilt. Durch die Identifizierung der sogenannten Hot Spots lässt sich somit aufgrund von ehemaligen Tatorten auf zukünftige Tatorte (=derselbe Ort) schließen. Daten werden z.B. mithilfe von Geoinformationssystem-Softwarelösungen (GIS/ Link) auf Karten dargestellt (Perry et al 2013:19).

Regressionsmodelle & Data Mining (Predictive Analytics)

Die Regressionsmodelle versuchen Prognosen zu künftigen Tatorten aufgrund von Statistiken und mathematischen Beziehungen zwischen den Variablen zu erklären. Dabei können mehrere Variablen und Datenquellen mit einbezogen werden. Regressionsmodelle unterscheiden sich von der Hot Spot Analyse dadurch, dass sie nicht nur die Daten von vorangegangenen Taten beleuchten, sondern darüber hinaus auf zusätzliche Datenquellen zugreifen. Es existieren verschiedene Regressionsmodelle, die sich im Zusammenhang mit Predictive Policing durch zahlreiche unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten, durch Variationen der mathematischen Beziehungen, der Auswahl von Variablen und der zu verwendeten Datenbanken unterscheiden. Prognosen werden mit einer gewissen Wahrscheinlichkeitsaussage getroffen. Eine besondere Form der Regressionsmodelle stellt das Data Mining dar. Data Mining ist vereinfacht dargestellt die Suche von nützlichen Mustern und Trends innerhalb komplexer elektronischer Datenmengen mit Hilfe von statistischen Methoden (Perry et al 2013:29).

Repeat Victimisation- und Near Repeat-Ansatz

Der Near Repeat-Ansatz geht davon aus, dass zukünftige Straftaten bei ausgewählten Delikten an ehemaligen Tatorten oder in ihrem Umfeld begangen werden. Wichtig ist auch die Zeitkomponente: es gibt zeitliche Sektoren innerhalb derer die Folgetaten mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten auftreten können. Der Repeat Victimisation-Ansatz geht von der gleichen Annahme in Bezug auf konkrete Opfer bzw. Opferhaushalte anstatt von Tatorten aus (Perry et al 2013:41).

Risk Terrain Modeling

Risk Terrain Modeling beschreibt eine Technik, um geografische Merkmale zu identifizieren, an denen mit einem erhöhten Kriminalitätsrisiko gerechnet werden muss (z.B. Bars, bestimmte Hauptverkehrsstraßen, etc.). Es wird ein Kriminalitätsrisiko auf der Grundlage errechnet, wie nah ein bestimmter Ort sich in der Nähe eines Ortes mit erhöhtem Kriminalitätsrisiko befindet. Die Umsetzung erfolgt mit Hilfe von Geoinformationssystemen (GIS) (Perry et al 2013:50).


  • Umsetzung in polizeiliche Maßnahmen

Zu Predictive Policing gehört neben der Prognoseerstellung auch die daran anschließende taktisch-operative Umsetzung polizeilicher Maßnahmen zur Bekämpfung der erwarteten Kriminalität. Sie ist abhängig von zu Verfügung stehenden finanziellen und personellen Mitteln.


Theoretische Hintergründe

Das Predictive Policing macht sich die Erkenntnisse aus der Wissenschaft mit Bezug auf Kriminologische Theorien von nutzen. Zahlreiche Theorien fließen mit in die Auswertungen ein und bilden grundlegende Faktoren für die komplexen Algorithmen der Softwarelösungen, so z.B:

• Repeat-Victimisation-Theorie • Near-Repeat-Hypothese • Routine Activity Theory • Lifestyle Approach • Broken Windows • Theorie der rationalen Entscheidung • Crime Pattern-Theorie

Da eine Vielzahl von Statistiken und Datenbanken im Rahmen von Predictive Policing genutzt werden, ist es wichtig, die Datenbestände auf die richtigen und sinnvollen Daten auf der Grundlage theoretischer Erkenntnisse auszuwählen. Die Unterscheidung vieler Tat- und Personenmerkmale in polizeilichen Datenverarbeitungssystemen bei der Bearbeitung von Straftaten ist hilfreich und ermöglicht den Einfluss zahlreicher Variablen. Das niedersächsische Vorgangsbearbeitungssystem NIVADIS unterscheidet beispielweise 750 recherchefähige Variablen (Gluba 2014:349).

Beispiele bekannter Predictive Analytics Software:

1. [SAS Analytics] 2. [IBM Predictive Analytics] 3. [SAP Predictive Analytics] 4. [RapidMiner] 5. [Angoss Predictive Analytics] 6. [Oracle Data Mining (ODM)] 7. [STATISTICA] 8. [TIBCO Analytics] 9. [Revolution Analytics] 10. [FICO Predictive Analytics] 11. [Salford Systems Analytics] 12. [Pervasive] 13. [Portrait Predictive Analytics] 14. [Mathematica] 15. [MATLAB] 16. [Minitab] 17. [PredPol] 18. [Precobs]

Kriminologische Relevanz

Derzeit liegen keine empirischen Evaluationen zu Predictive Policing vor, die die Wirksamkeit belegen können. Erfolgsmeldungen finden sich zumeist in Presseveröffentlichungen oder Artikeln, deren Angaben mangels Quellenangaben wissenschaftlich objektiv nicht nachvollzogen werden können. In den wenigen wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema „werden eher die dem Predictive Policing zugrunde liegenden Theorien und Ansätze untersucht, als dass die Vorhersagen von eingesetzten Softwarelösungen evaluiert werden“ (Gluba 2014:350). In Deutschland befinden sich wissenschaftliche Untersuchungen wie z.B. im LKA NRW im Aufbau. Die Rechenalgorithmen, die für Predictive Policing genutzt werden, lassen bei ihrer Anwendung Kriminologische Theorien einfließen. Sofern sich aufgrund wissenschaftlicher Begleitung eine Wirksamkeit von Predictive Policing nachweisen lässt, erschließen sich hieraus neue kriminologische Forschungsanreize und neue Impulse für Sozialpolitik und Städtebau.

Die Prognostizierung von wiederkehrenden Brennpunkten kann zu Stigmatisierungsprozessen (vgl. Labeling Approach) von Vierteln, Straßenzügen oder Straßen führen. Bei dem Einsatz von Predictive Policing sollte daher berücksichtigt werden, dass die Stigmatisierung von Vierteln nicht ohne Folgen bleibt. Das Selbstwertgefühl von Bewohnern, die beispielsweise nicht freiwillig dort wohnen, wird beeinflusst. Aufgrund der stigmatisierenden Außenwahrnehmung verschlechtern sich gesellschaftliche / soziale Teilhabechancen, insbesondere bei der Lehrstellen- und Arbeitsplatzsuche (Häussermann/Kronauer 2009:168). Aufgrund sich anschließender taktisch-operativer Maßnahmen der Polizei besteht auch die Gefahr der Stigmatisierung von dort aufhältigen Personen. Durch den Einsatz von Predictive Policing werden aufgrund des Ortsbezugs nicht mehr nur Verdächtige oder risikoträchtige Personen erfasst, sondern alle dort befindlichen Personen, wodurch die gesamte Gesellschaft zum Gegenstand gemacht wird (Singelnstein/Stolle 2012:85).

Weitere kriminologische Bezüge ergeben sich aus den Datenquellen, die für Predictive Policing genutzt werden sollen und der damit immanenten Frage des Datenschutzes. Die Diskussionen um die Globale Überwachungs- und Spionageaffäre oder um die Vorratsdatenspeicherungzeigen Problematiken auf, die aus einer übersteigerten Sammlung von Massendaten resultieren. Wissenschaftlich nachgewiesener Erfolg von Predictive Policing kann zukünftig zu Absichten führen, weitere zusätzliche Datenbanken einzusetzen, um Kriminalitätsraten zu senken.

Predictive Policing bietet der Polizei in Anbetracht knapper finanzieller Ressourcen mit Blick auf eine ökonomisch zu gestaltende Personalpolitik die Chance, Personal zielgerichteter und effektiver einzusetzen. Daraus resultierende, frei werdende Personalkapazitäten können an benötigter Stelle eingesetzt werden. Mit dem Rückgang der Kriminalität ist auch eine verringerte Viktimisierung (von Orten und Personen) zu erwarten. Jedoch muss hierfür im Rahmen von systematischen Evaluationsstudien nachgewiesen werden, dass Predictive Policing erfolgreich und wirksam ist. Die Herausforderung wird darin bestehen, die Möglichkeiten und Grenzen der Prognose aufzuzeigen und zu überprüfen, wie effizient und effektiv darauf aufbauend polizeiliche (Präventiv-)Maßnahmen angewandt werden können.

Literatur

  • Deutscher Bundestag (2015): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan Korte, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE-Drucksache 18/3525-. In: Bundestagsdrucksache 18/3703, S. 3
  • Frerichs, Jonathan (2014): “Just Policing” und unbewaffnete Interventionen: Auf dem Weg zu einem erweiterten Engagement der Kirchen bei der Schutzpflicht?, Baarlo/NL
  • Gluba, Alexander (2014): Predictive Policing – eine Bestandsaufnahme, Historie, theoretische Grundlagen, Anwendungsgebiete und Wirkung. In: Kriminalistik 6/2014, S. 347-352
  • Groff, Elizabeth R.; La Vigne, Nancy G. (2002): Forecasting the Future of Predictive Crime Mapping. In: Crime Prevention Studies, Vol. 13, S. 29-57
  • Harries, Keith (1999): Mapping Crime: Principle and Practice, Washington
  • Häußermann, Hartmut; Konrauer, Martin (2009): Räumliche Segregation und innerstädtisches Ghetto. In: Stichweh / Windolf (Hrsg.): Inklusion und Exklusion: Analysen zur Sozialstruktur und sozialen Ungleichheit, S. 157-173
  • Jacob, Uwe (2014): Rede von Uwe Jacob, Direktor Landeskriminalamt NRW, anlässlich des GdP-Kriminalforums zu den Themen Vorratsdatenspeicherung, Predictive Policing, Datenschutz – Perspektiven für die polizeiliche Strafverfolgung, Düsseldorf
  • Okon, Günter; Weinreich Ralf (2000): Das geographische Informationssystem GLADIS. In: Kriminalistik 2000, Heft 2, S. 122-127
  • Pearsall, Beth (2010): Predictive Policing – The Future of Law Enforcement? In: NIJ Journal, Heft 266, S. 16-19
  • Pendler, Thomas (2002): Das Intranet-GIS der Hamburger Polizei. In: ESRI arcaktuell 2002, Nr. 4, S. 22-23
  • Perry, Walter L. et al. (2013): Predictive Policing – The Role of Crime Forecasting in Law Enforcement Operations, Washington
  • Rowe, Michael (2008): What is Policing, London
  • Singelnstein, Tobias; Stolle, Peer (2012): Die Sicherheitsgesellschaft. Soziale Kontrolle im 21. Jahrhundert, Wiesbaden
  • Steinebach, Martin et al. (2014): Big Data und Privatheit. In: Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie, Chancen durch Big Data und die Frage des Privatsphärenschutzes, S. 1-20
  • Uchida, Craig D. (2009): A National Discussion on Predictive Policing: Defining Our Terms and Mapping Successful Implementation Strategies, Los Angeles
  • Weisburd, David; McEwen, Tom (1997): Crime Mapping and Crime Prevention. In: Crime Prevention Studies, Vol. 8, S. 4
  • Weisburd, David et al. (2004): The Growth of Compstat in American Policing, Police Foundation Report, Washington