Begutachtung von Sexualstraftätern

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Der vorliegende Artikel lässt sich im Zusammenhang mit dem Artikel Forensisch-psychiatrische Begutachtung verstehen.


Besonderheiten bei der Begutachtung von Sexualstraftätern

Sexualdelinquenz setzt sich aus einem sehr heterogenen Spektrum von Verhaltensweisen und Tätern zusammen. Bei der Begutachtung von Sexualstraftätern ist festzustellen, ob der Täter bei der Tat in der Lage war, die geltenden Normen einzusehen und sich normentsprechend zu verhalten, oder er aufgrund einer psychischen Störung über diese Fähigkeit nicht verfügte. Bei der Begutachtung spielen folgende Störungen eine wichtige Rolle:


Störung der Sexualpräferenz
ICD-10 DSM-IV
Fetischismus (F65.0) Fetischismus (302.81)
fetischistische Transvestismus (F65.1) transvestitischer Fetischismus (302.3)
Exhibitionismus (F65.2) Exhibitionismus (302.4)
Voyeurismus (F65.3) Voyeurismus (302.82)
Pädophilie (F65.4) Pädophilie (302.2)
Sadismus (F65.5) sexueller Masochismus (302.83)/ sexueller Sadismus (302.84)


Andere relevante Störungen
ICD-10 DSM-IV
Organische, einschließlich symptomatische psychische Störung (F0) Delir, Demenz, agnostische und andere kognitive Störung
Störungen durch psychotrope Substanzen (F1)
Paranoide Schizophrenie (F20.0) Schizophrenie - Paranoider Typ (295.30)
Affektive Störungen (F3) Affektive Störungen
Neurotische, Belastungs-, und somatoforme Störungen (F4) Angststörung / Belastungsstörung / Somatoforme Störung
Persönlichkeitsstörungen (F60)
  • Schizoide Persönlichkeitsstörung (F60.1)
  • Dissoziale Persönlichkeitsstörung (F60.2)
  • Emotional instabile Persönlichkeitsstörung - Borderline Typus (F60.31)
  • andere spezifische Persönlichkeitsstörung – narzisstisch
Persönlichkeitsstörungen
  • Schizoide Persönlichkeitsstörung (301.20)
  • Antisoziale Persönlichkeitsstörung (301.7)
  • Borderline-Persönlichkeitsstörung (301.83)
  • Narzisstische Persönlichkeitsstörung (301.81)
Störungen der Impulskontrolle (F63)
Hyperkinetische Syndrome (F90.1-F90.8) Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung (314.00/314.01)


Sexualdelinquenten ohne Diagnosen
Gelegenheitsdelikte bei Tendenz zu kognitiven Verzerrungen
Selbsttäuschungen und oft auf dem Hintergrund unsicherer früher Bindung


Bei der diagnostischen Einordnung einer Paraphilie bzw. paraphiler Neigungen muss eine ausführlich erhobene Sexualanamnese vorliegen. Zur sachverständigen Einordnung einer Paraphilie als ein Eingangsmerkmal für die Aufhebung oder Verminderung der Schuldfähigkeit bedarf es der Prüfung: des Anteils und der Intensität der Paraphilie an der Sexualstruktur, der Integration der Paraphilie in das Persönlichkeitsgefüge und der bisherigen Fähigkeit des Probanden zur Kontrolle paraphiler Impulse. Die Schwere und Intensität der Störung entscheidet sich nach den Kriterien einer vorhandenen Progredienz der Störung, einer gleichzeitig vorhandenen Paraphilie-verwandten Störung bzw. Symptome des Sadismus. Für die Feststellung einer „schweren“ Paraphilie muss eine Progredienz oder eine manifeste Paraphilie gemeinsam mit der Paraphilie verwandter Störung vorliegen.

Besondere Problematik bei der Begutachtung von Sexualstraftätern

1. Explorationsschwierigkeiten

Eine Exploration einer Sexualdelinquenten im Rahmen einer psychologischen / psychiatrischen Begutachtung hängt mit vielen Problematik zusammen. Die Exploration sexueller Straftätern ist wegen der speziellen Eigenschaften der Straftaten schwierig, weil die Probanden oft ihre Verhaltensabweichungen schämen und daher versuchen, ihr eigenes Verhalten rationalisierend zu erklären, oder ihre Delikte gar nicht zu offenbaren. Die Rationalisierungs-, Verdrängungs-, und Verschleierungstendenzen sind häufiger insbesondere bei der Probanden mit Störungen der Sexualpräferenz sowie Fetischismus, fetischistischer Transvestismus, Exhibitionismus, Voyeurismus, Frotteurismus und Pädophilie. Bei der Begutachtung von Menschen mit sexueller Devianz werden im Prinzip die gleichen Methoden wie bei anderen psychischen Störungen angewandt, jedoch wegen dieser Tendenzen sind manchmal mehr konfrontative Explorationstechniken notwendig. Bei solchen Konfrontationen ist die Belastbarkeit des Probanden sehr hoch, und daher ist die Verzögerung der Aussage als Ausdruck des Widerstands im Sinne einer Maßnahme zur Aufrechterhaltung des eigenen psychischen Gleichgewichts zu verstehen. Zunächst die Belastung des Probanden bei der Konfrontation ist sorgfältig zu beachten, da die Aufdeckung verdrängter Gefühle und Konflikte die Gefahr der psychischen Dekompensation bis hin Suizidalität birgt.


2. Schuldfähigkeitsgutachten

Für die Schuldfähigkeitsbeurteilung eines Probanden reicht vor allem die Diagnose einer psychosexuellen Störung als eine schwere seelische Abartigkeit allein nicht aus, da die meisten sexuellen Verhaltensabweichungen ohne Gesetzverstoß befriedigt werden können. Vor allem ein Mensch ohne eine Störung sexueller Präferenz kann auch vorsätzliche sexuelle Handlungen ausüben, in den sie die Selbstbestimmung und die Willen von anderen nicht berücksichtigen. Eine verminderte Steuerungsfähigkeit oder Steuerungsunfähigkeit ist unter folgenden Umständen anzunehmen:

  • Wenn abweichendes Sexualverhalten als Symptom einer andere Störung auftritt, z.B. einer organischen Erkrankung, einer Schizophrenie oder einer Manie.
  • Wenn Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone werden, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz, durch Ausbau des Raffinements und durch eine gedankliche Einengung auf die Praktiken auszeichnet.
  • Wenn die Sexualität als Ausdruck eines neurotischen Konflikts Symptomcharakter annimmt, d.h. wenn die neurotischen Konflikte in sexuellen Handlungen ausgetragen bzw. Abgewehrt werden.

Anschließend sind eine sorgfältige Analyse der Akten und eine explizite Darlegung von Anknüpfungstatsachen bei der Begutachtung von Sexualstraftätern wegen häufiger Diskrepanzen zwischen subjektiven Schilderungen von Probanden und Geschädigten von besonderer Bedeutung.


3. Prognosegutachten

Für die Risikoeinschätzung bei Sexualstraftäter müssen nicht nur Dimensionen sowie kriminellen Lebensstil, psychosoziale Fehlanpassung, ungünstige Selbstdarstellung beim Untersuchen sondern auch den Ausmaß der sexuellen Devianz und gründliche Sexualanamnese erhoben werden. Unter den Dimensionen werden Risikofaktoren sowohl statistisch als auch dynamisch erfasst.




Literatur

Hans-Jürgen Möller / Gerd Laux / Hans-Peter Kapfhammer (Hrsg.) (2003) Psychiatrie und Psychotherapie 2.Aufl., Springer Verlag, Berlin Heidelberg: Kapitel 73 -Forensische Psychiatrie (N. Nedopil), S.1821-1850

Hans-Ludwig Kröber / Max Steller (Hrsg.) (2005) Psychologische Begutachtung im Strafverfahren - Indikationen, Methoden und Qualitätsstandards 2.Aufl., Steinkopff, Darmstadt

Nobert Nedopil (2000) Forensische Psychiatrie: Klinik, Begutachtung und Behandlung zwischen Psychiatrie und Recht 2. Aufl. Georg Thieme Verlag, Stuttgart / New York

Sabine C.Herpertz / Henning Saß (2003) Persönlichkeitsstörung. Georg Thieme Verlag Stuttgart / New York

Wolfgang Berner / Peer Briken / Andreas Hill (Hrsg.) (2007) Sexualstraftäter behandeln: mit Psychotherapie und Medikamenten Deutscher Ärzte-Verlag Köln

Links

Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf [1]

Prognose, Begutachtung und Legalbewährung – ein Vergleich von Sexualstraftätern und anderen Gewaltstraftätern [2]