Wissenschaftskriminalität: Unterschied zwischen den Versionen

 
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Das Grundgesetz garantiert die Freiheit von Forschung und Lehre. Damit soll u.a. auch verhindert werden, daß der Staat oder eine andere Autorität sich anmaßt, über Art und Gültigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse zu bestimmen. So sind historische Fälle, in denen der Staat oder andere Institutionen die Wissenschaft für ihr Weltbild kompatibel machten nicht unbekannt. Am bekanntesten ist der Fall des Galileo Galilei, den die Inquisition unter Androhung von Folter dazu bewegte, die Sonne wieder um die Erde kreisen zu lassen. Anhänger des Nationalsozialismus erfanden eine "Deutsche Physik", um sie der "jüdischen" Relativitätstheorie Einsteins gegenüberzustellen" (vgl. di Troccio).
Das Grundgesetz garantiert die Freiheit von Forschung und Lehre. Damit soll u.a. auch verhindert werden, daß der Staat oder eine andere Autorität sich anmaßt, über Art und Gültigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse zu bestimmen. So sind historische Fälle, in denen der Staat oder andere Institutionen die Wissenschaft für ihr Weltbild kompatibel machten nicht unbekannt. Am bekanntesten ist der Fall des Galileo Galilei, den die Inquisition unter Androhung von Folter dazu bewegte, die Sonne wieder um die Erde kreisen zu lassen. Anhänger des Nationalsozialismus erfanden eine "Deutsche Physik", um sie der "jüdischen" Relativitätstheorie Einsteins gegenüberzustellen" (vgl. di Troccio).
Eine autoritäre Bevormundung wird gegenwärtig weniger als Hauptgefahr für die Freiheit von Forschung und Lehre gesehen. Die Ursache für Kriminalität in der Wissenschaft wird in den sog. hochentwickelten Ländern eher in der finanziellen Abhängigkeit von Forschungsmitteln und dem Karriere-Ehrgeiz der Forscher gesehen. Mit den eher unzureichenden Budgets der Universitäten und des Staates lassen sich viele der aufwendigen und teuren Experimente besonders in der Physik und Biotechnologie alleine nicht mehr finanzieren. Kaum ein Hochschulinstitut oder eine Forschungseinrichtung kommt heute noch ohne Drittmittel - z.B. Gelder aus der Industrie und Privatwirtschaft - aus.
Eine autoritäre Bevormundung wird gegenwärtig weniger als Hauptgefahr für die Freiheit von Forschung und Lehre gesehen. Die Ursache für Kriminalität in der Wissenschaft wird in den sog. hochentwickelten Ländern eher in der finanziellen Abhängigkeit von Forschungsmitteln und dem Karriere-Ehrgeiz der Forscher gesehen. Mit den eher unzureichenden Budgets der Universitäten und des Staates lassen sich viele der aufwendigen und teuren Experimente besonders in der Physik und Biotechnologie und Medizin alleine nicht mehr finanzieren. Kaum ein Hochschulinstitut oder eine Forschungseinrichtung kommt heute noch ohne Drittmittel - z.B. Gelder aus der Industrie und Privatwirtschaft - aus.
Diese Abhängigkeit von staatlichen und privaten Fördermitteln ist in vielen Bereichen Motivation, daß nicht der Wissenschaftler, sondern seine Geldgeber über die Zielrichtung der Forschung und die Form der Veröffentlichung entscheiden. Auch bei Wissenschaftlern bestimmt den beruflichen Erfolg oft neben dem fachlichen Können auch das persönliche Talent zur Selbstdarstellung (vgl. di Troccio).
Diese Abhängigkeit von staatlichen und privaten Fördermitteln ist in vielen Bereichen Motivation, daß nicht der Wissenschaftler, sondern seine Geldgeber über die Zielrichtung der Forschung und die Form der Veröffentlichung entscheiden. Auch bei Wissenschaftlern bestimmt den beruflichen Erfolg oft neben dem fachlichen Können auch das persönliche Talent zur Selbstdarstellung (vgl. di Troccio).


Diese Entwicklung hat nicht nur zu einem stärkerem Publikations- und Leistungsdruck im Kampf um "Fördermittel" geführt, sondern schafft auch neue Abhängigkeits- und Einflussstrukturen. Die Hauptgeber von Drittmitteln sind oft Unternehmen der chemischen oder pharmazeutischen Industrie, die ihrerseits Wert darauf legen, wem sie diese Mittel zur Verfügung stellen. Obwohl sich die Einflussnahme im Forschungsalltag meist in Grenzen hält, kommt es spätestens dann zu einem Interessenskonflikt, wenn Wissenschaftler als Gutachter tätig werden. Geht es z.B. in einem Rechtsstreit um die Gesundheitsfolgen eines Chemieunfalls oder Atomreaktors, werden vor Gericht Sachverständige gebraucht, um die wissenschaftlichen Hintergründe darzulegen und zu bewerten. Sowohl Kläger als auch Beklagte wenden sich auf der Suche nach den jeweils "geeigneten" Gutachtern dann meist an Hochschulen und Forschungseinrichtungen.  
Diese Entwicklung hat nicht nur zu einem stärkerem Publikations- und Leistungsdruck um "Fördermittel" geführt, sondern schafft auch neue Abhängigkeits- und Einflussstrukturen. Die Hauptgeber von Drittmitteln sind oft Unternehmen der chemischen oder pharmazeutischen Industrie, die ihrerseits Wert darauf legen, wem sie diese Mittel zur Verfügung stellen. Obwohl sich die Einflussnahme im Forschungsalltag meist in Grenzen hält, kommt es spätestens dann zu einem Interessenskonflikt, wenn Wissenschaftler als Gutachter tätig werden. Geht es z.B. in einem Rechtsstreit um die Gesundheitsfolgen eines Chemieunfalls oder Atomreaktors, werden vor Gericht Sachverständige gebraucht, um die wissenschaftlichen Hintergründe darzulegen und zu bewerten. Sowohl Kläger als auch Beklagte wenden sich auf der Suche nach den jeweils "geeigneten" Gutachtern dann meist an Hochschulen und Forschungseinrichtungen.


== Gegenstand ==
== Gegenstand ==
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Aufgrund der zunehmenden Fälle "wissenschaftlichen Fehlverhaltens" hat die DFG-Kommission "Selbstkontrolle in der Wissenschaft" 1998 "Vorschläge zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis" verabschiedet.
Aufgrund der zunehmenden Fälle "wissenschaftlichen Fehlverhaltens" hat die DFG-Kommission "Selbstkontrolle in der Wissenschaft" 1998 "Vorschläge zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis" verabschiedet.
Die Empfehlungen richten sich zunächst an die Institutionen der Wissenschaft und über diese an alle ihre Mitglieder. Im Vordergrund stehen Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, die nicht neu sind, deren tägliche bewußte Einhaltung aber die wirksamste Vorbeugung gegen Unredlichkeit darstellen soll.  
Die Empfehlungen richten sich zunächst an die Institutionen der Wissenschaft und über diese an ihre Mitglieder. Im Vordergrund stehen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis und deren tägliche Einhaltung die wirksamste Vorbeugung gegen Unredlichkeit darstellen soll.  


Gestützt auf ausländische Erfahrungen enthalten die Empfehlungen auch Grundregeln für den Umgang mit Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Alle wissenschaftlichen Einrichtungen sollen dafür ein faires Verfahren, das die Interessen der Beteiligten und Betroffenen ebenso schützt wie ihren eigenen guten Ruf, für ihren jeweiligen Bereich erörtern, ausgestalten und in Kraft setzen.  
Die Empfehlungen enthalten dabei auch Grundregeln für den Umgang mit Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Und die Aufforderung der wissenschaftlichen Einrichtungen für ein faires Verfahren zu sorgen, das die Interessen der Beteiligten und Betroffenen ebenso schützt wie ihren eigenen guten Ruf.


Die Empfehlungen sind - auch wenn sie nicht für alle Wissenschaftsgebiete in gleicher Weise angewendet werden können - absichtlich nicht als detailliertes Regelsystem ausgestaltet. Sie bieten vielmehr den Institutionen des Wissenschaftssystems einen Rahmen für eigene Überlegungen, die sie selbst jeweils gemäß ihrer äußeren und inneren Verfassung und ihren Aufgaben entwickeln müssen.
Die Empfehlungen sind nicht als detailliertes Regelsystem ausgestaltet. Sie sollen den Institutionen des Wissenschaftssystems einen Rahmen für eigene Überlegungen geben, diese jeweils gemäß ihrer äußeren und inneren Verfassung und ihren Aufgaben zu entwickeln.


== Literatur ==
== Literatur ==
*Bogner, Alexander und Wolfgang Menz 2006: Wissenschaftskriminalität. Der koreanische Klonskandal und die Bedeutung der Ethik, in: Leviathan, 34. 2, 270–290.
*Bogner, Alexander und Wolfgang Menz 2006: Wissenschaftskriminalität. Der koreanische Klonskandal und die Bedeutung der Ethik, in: Leviathan, 34. 2, 270–290.
*Schwarz, Karl-Peter (2008) An der Universität Zagreb mehr als 100 Festnahmen. FAZ 23.09.08: 11.
*Schwarz, Karl-Peter (2008) An der Universität Zagreb mehr als 100 Festnahmen. FAZ 23.09.08: 11.
*Trocchio, Federico Di (dt. 1999, ital. 1992). Betrug und Fälschung in der Wissenschaft. Reinbek: Rowohlt.
*Trocchio, Federico Di (2003) Der große Schwindel: Betrug und Fälschung in der Wissenschaft, 2. Auflage. Reinbek
*Wissenschaftliches Fehlverhalten - Erfahrungen von Ombudsgremien: Tagungsbericht; (...am 12./13. November 2003 ein gemeinsames Symposium "Erfahrungen von Ombudsgremien im Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten in Bonn/ hrsg.:  von der deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Ombudsmann der DFG, Weinheim, 2004
*Finetti, Marco/Himmelrath, Armin (1999): Der Sündenfall: Betrug und Fälschung in der deutschen Wissenschaft, Stuttgart
*spiegel-online, Wissenschaft, Universitäten, vom 23. Februar 2001, "Wie Professoren schummeln"
*spiegel-online, Wissenschaft, Universitäten, vom 23. Februar 2001, "Wie Professoren schummeln"
== Links ==
*http://www.zeit.de/2001/51/200151_mertelsmann_xml?page=all
*http://www.zeit.de/2001/51/200151_mertelsmann_xml?page=all
*http://www.dfg.de/aktuelles_presse/reden_stellungnahmen/download/empfehlung_wiss_praxis_0198.pdf
*http://www.dfg.de/aktuelles_presse/reden_stellungnahmen/download/empfehlung_wiss_praxis_0198.pdf
*http://www1.uni-hamburg.de/dfg_ombud//Publ_faelschung.pdf
*http://www1.uni-hamburg.de/dfg_ombud//Publ_faelschung.pdf
*http://www.geowissenschaften.de/dossier-110-1.html
*http://www.geowissenschaften.de/dossier-110-1.html
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