Wissenschaftskriminalität: Unterschied zwischen den Versionen

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Der Bereich der Wissenschaftskriminalität zeichnet sich einerseits durch die Verwirklichung der sog. klassischen Korruptionsdelikte, §§ 331 ff. StGB aus. Typische Begleitdelikte können dabei auch in diesem Bereich die nachfolgend Genannten sein: § 203 StGB Verletzung von Privatgeheimnissen (Geheimnisverrat), § 204 StGB Verwertung fremder Geheimnisse, § 240 Nötigung, § 246 StGB Unterschlagung, § 253 StGB Erpressung, § 258 a StGB Strafvereitelung im Amt, § 261 StGB Geldwäsche, Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte, § 263 StGB Betrug, § 264 StGB Subventionsbetrug, § 265 b StGB Kreditbetrug, § 266 StGB Untreue, § 267 StGB Urkundenfälschung, §§ 298-300 StGB Straftaten gegen den Wettbewerb.
==Ausgangspunkt==
Neben diesen klassischen Anwendungsfällen für Korruption findet sich speziell in der Wissenschaft immer häufiger, dass Fehler und Fälschungen in wissenschaftlichen Arbeiten durch Ermittler deutscher Universitäten aufgedeckt werden. So werden Textpassagen als eigene ausgegeben, werden Arbeiten anderer abgeschrieben und unter eigenem Namen veröffentlicht, oder sogar Forschungsergebnisse gefälscht.
 
Das Grundgesetz garantiert die Freiheit von Forschung und Lehre. Damit soll u.a. auch verhindert werden, daß der Staat oder eine andere Autorität sich anmaßt, über Art und Gültigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse zu bestimmen. So sind historische Fälle, in denen der Staat oder andere Institutionen die Wissenschaft für ihr Weltbild kompatibel machten nicht unbekannt. Am bekanntesten ist der Fall des Galileo Galilei, den die Inquisition unter Androhung von Folter dazu bewegte, die Sonne wieder um die Erde kreisen zu lassen. Anhänger des Nationalsozialismus erfanden eine "Deutsche Physik", um sie der "jüdischen" Relativitätstheorie Einsteins gegenüberzustellen" (vgl. di Troccio).
Eine autoritäre Bevormundung wird gegenwärtig weniger als Hauptgefahr für die Freiheit von Forschung und Lehre gesehen. Die Ursache für Kriminalität in der Wissenschaft wird in den sog. hochentwickelten Ländern eher in der finanziellen Abhängigkeit von Forschungsmitteln und dem Karriere-Ehrgeiz der Forscher gesehen. Mit den eher unzureichenden Budgets der Universitäten und des Staates lassen sich viele der aufwendigen und teuren Experimente besonders in der Physik und Biotechnologie und Medizin alleine nicht mehr finanzieren. Kaum ein Hochschulinstitut oder eine Forschungseinrichtung kommt heute noch ohne Drittmittel - z.B. Gelder aus der Industrie und Privatwirtschaft - aus.
Diese Abhängigkeit von staatlichen und privaten Fördermitteln ist in vielen Bereichen Motivation, daß nicht der Wissenschaftler, sondern seine Geldgeber über die Zielrichtung der Forschung und die Form der Veröffentlichung entscheiden. Auch bei Wissenschaftlern bestimmt den beruflichen Erfolg oft neben dem fachlichen Können auch das persönliche Talent zur Selbstdarstellung (vgl. di Troccio).
 
Diese Entwicklung hat nicht nur zu einem stärkerem Publikations- und Leistungsdruck um "Fördermittel" geführt, sondern schafft auch neue Abhängigkeits- und Einflussstrukturen. Die Hauptgeber von Drittmitteln sind oft Unternehmen der chemischen oder pharmazeutischen Industrie, die ihrerseits Wert darauf legen, wem sie diese Mittel zur Verfügung stellen. Obwohl sich die Einflussnahme im Forschungsalltag meist in Grenzen hält, kommt es spätestens dann zu einem Interessenskonflikt, wenn Wissenschaftler als Gutachter tätig werden. Geht es z.B. in einem Rechtsstreit um die Gesundheitsfolgen eines Chemieunfalls oder Atomreaktors, werden vor Gericht Sachverständige gebraucht, um die wissenschaftlichen Hintergründe darzulegen und zu bewerten. Sowohl Kläger als auch Beklagte wenden sich auf der Suche nach den jeweils "geeigneten" Gutachtern dann meist an Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
 
== Gegenstand ==
 
 
Der Gegenstand der Wissenschaftskriminalität zeichnet sich einerseits durch die Verwirklichung der sog. klassischen Korruptionsdelikte, §§ 331 ff. StGB und typischer Begleitdelikte wie die Verletzung von Privatgeheimnissen , Verwertung fremder Geheimnisse, Unterschlagung, Subventionsbetrug u.a. Daneben finden sich speziell in der Wissenschaft Fehler und Fälschungen in wissenschaftlichen Arbeiten.
 
Ermittler deutscher Universitäten decken diese zunehmend auf. So werden Textpassagen als eigene ausgegeben, werden Arbeiten anderer abgeschrieben und unter eigenem Namen veröffentlicht, oder sogar Forschungsergebnisse gefälscht.
Auf Betreiben der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) haben bereits viele Hochschulen Kommissionen zur Selbstkontrolle eingerichtet.
Auf Betreiben der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) haben bereits viele Hochschulen Kommissionen zur Selbstkontrolle eingerichtet.


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Ein weiterer Verdacht traf 1999 den Leiter der Transfusionsmedizin der Charitè in Berlin. Prof. Dr. Holger Kiesewetter präsentierte eine Studie, die eine positive Wirkung von Knoblauchpräparaten bei Gefäßverkalkung nachweisen sollte. Finanziert wurde die Arbeit vom Pharmahersteller Lichtwer. Die Charité wies nach einer Kontrolle die "Unterstellung vorsätzlicher Datenmanipulationen" als "abwegig" zurück. Der Vorwurf, Computerbilder seien gefälscht worden, bestätigte sich nicht. Mängel gab es hingegen bei der statistischen Auswertung. Die hohe Zahl der Versuchsabbrecher war nicht ausreichend berücksichtigt worden: Von 140 Freiwilligen, die den Knoblauch schluckten, brachen 79 die Studie vorzeitig ab.
Ein weiterer Verdacht traf 1999 den Leiter der Transfusionsmedizin der Charitè in Berlin. Prof. Dr. Holger Kiesewetter präsentierte eine Studie, die eine positive Wirkung von Knoblauchpräparaten bei Gefäßverkalkung nachweisen sollte. Finanziert wurde die Arbeit vom Pharmahersteller Lichtwer. Die Charité wies nach einer Kontrolle die "Unterstellung vorsätzlicher Datenmanipulationen" als "abwegig" zurück. Der Vorwurf, Computerbilder seien gefälscht worden, bestätigte sich nicht. Mängel gab es hingegen bei der statistischen Auswertung. Die hohe Zahl der Versuchsabbrecher war nicht ausreichend berücksichtigt worden: Von 140 Freiwilligen, die den Knoblauch schluckten, brachen 79 die Studie vorzeitig ab.
Die von der Freien Universität Berlin durchgeführte Untersuchung kam zum Ergebnis, dass die statistische Analyse "methodische Probleme aufweist und korrigiert werden muss".
Die von der Freien Universität Berlin durchgeführte Untersuchung kam zum Ergebnis, dass die statistische Analyse "methodische Probleme aufweist und korrigiert werden muss".
== Selbstkontrolle in der Wissenschaft==
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat den Ausschuss zur Untersuchung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens errichtet. Dieser beschäftigt sich mit der Untersuchung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens von Antragstellern, Bewilligungsempfängern, anderen für den Einsatz von Mitteln der DFG Verantwortlichen und DFG- finanzierten Mitarbeitern sowie Gutachtern und an dem Beratungs- und Entscheidungsverfahren mitwirkenden Mitgliedern der Gremien der DFG.
Der Ausschuss berät in mündlicher Verhandlung; die Beteiligten haben das Recht, angehört zu werden. Der Ausschuss prüft in freier Beweiswürdigung, ob wissenschaftliches Fehlverhalten vorliegt. Hält der Ausschuss mehrheitlich ein Fehlverhalten für hinreichend erwiesen und eine Maßnahme für erforderlich, so legt er das Ergebnis seiner Untersuchungen dem Hauptausschuss mit einem Vorschlag zur Entscheidung vor. Andernfalls wird das Verfahren eingestellt.
Aufgrund der zunehmenden Fälle "wissenschaftlichen Fehlverhaltens" hat die DFG-Kommission "Selbstkontrolle in der Wissenschaft" 1998 "Vorschläge zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis" verabschiedet.
Die Empfehlungen richten sich zunächst an die Institutionen der Wissenschaft und über diese an ihre Mitglieder. Im Vordergrund stehen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis und deren tägliche Einhaltung die wirksamste Vorbeugung gegen Unredlichkeit darstellen soll.
Die Empfehlungen enthalten dabei auch Grundregeln für den Umgang mit Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Und die Aufforderung der wissenschaftlichen Einrichtungen für ein faires Verfahren zu sorgen, das die Interessen der Beteiligten und Betroffenen ebenso schützt wie ihren eigenen guten Ruf.
Die Empfehlungen sind nicht als detailliertes Regelsystem ausgestaltet. Sie sollen den Institutionen des Wissenschaftssystems einen Rahmen für eigene Überlegungen geben, diese jeweils gemäß ihrer äußeren und inneren Verfassung und ihren Aufgaben zu entwickeln.


== Literatur ==
== Literatur ==
*Bogner, Alexander und Wolfgang Menz 2006: Wissenschaftskriminalität. Der koreanische Klonskandal und die Bedeutung der Ethik, in: Leviathan, 34. 2, 270–290.
*Bogner, Alexander und Wolfgang Menz 2006: Wissenschaftskriminalität. Der koreanische Klonskandal und die Bedeutung der Ethik, in: Leviathan, 34. 2, 270–290.
*Schwarz, Karl-Peter (2008) An der Universität Zagreb mehr als 100 Festnahmen. FAZ 23.09.08: 11.
*Schwarz, Karl-Peter (2008) An der Universität Zagreb mehr als 100 Festnahmen. FAZ 23.09.08: 11.
*Trocchio, Federico Di (2003) Der große Schwindel: Betrug und Fälschung in der Wissenschaft, 2. Auflage. Reinbek
*Wissenschaftliches Fehlverhalten - Erfahrungen von Ombudsgremien: Tagungsbericht; (...am 12./13. November 2003 ein gemeinsames Symposium "Erfahrungen von Ombudsgremien im Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten in Bonn/ hrsg.:  von der deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Ombudsmann der DFG, Weinheim, 2004
*Finetti, Marco/Himmelrath, Armin (1999): Der Sündenfall: Betrug und Fälschung in der deutschen Wissenschaft, Stuttgart
*spiegel-online, Wissenschaft, Universitäten, vom 23. Februar 2001, "Wie Professoren schummeln"
*spiegel-online, Wissenschaft, Universitäten, vom 23. Februar 2001, "Wie Professoren schummeln"
== Links ==
*http://www.zeit.de/2001/51/200151_mertelsmann_xml?page=all
*http://www.zeit.de/2001/51/200151_mertelsmann_xml?page=all
*http://www.dfg.de/aktuelles_presse/reden_stellungnahmen/download/empfehlung_wiss_praxis_0198.pdf
*http://www1.uni-hamburg.de/dfg_ombud//Publ_faelschung.pdf
*http://www.geowissenschaften.de/dossier-110-1.html
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