Whistleblower: Unterschied zwischen den Versionen

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Ein Whistleblower (Hinweisgeber; wörtlich 'Pfeifenbläser' - engl.; vgl. dt.: 'jd. verpfeifen') ist eine Person, die einen Missstand in ihrem beruflichen Umfeld an die Öffentlichkeit bringt. Ein Whistleblower löst den Loyalitätskonflikt zwischen der Treue zu seinem Arbeitgeber einerseits und seinen Pflichten als Staatsbürger andererseits zugunsten der Interessen der Allgemeinheit an der Aufdeckung von unhaltbaren Zuständen. Er schadet damit aber oft seinem Arbeitgeber und dessen wirtschaftlichen oder politischen Interessen - und er erleidet selbst häufig Nachteile (Kündigung, Diskriminierung, Strafverfolgung ...). Gleichwohl äußern 90% der Whistleblower in einer Untersuchung von Don Soeken (USA), dass sie sich wieder so verhalten würden. Nach der Aufdeckung zahlreicher großer Skandale (z.B. Enron) wurde der Schutz für Whistleblower in den USA und Großbritannien spürbar verbessert. In Deutschland gibt es Überlegungen.  
Ein Whistleblower (Hinweisgeber; wörtlich 'Pfeifenbläser' - engl.; vgl. dt.: 'jd. verpfeifen') ist eine Person, die einen Missstand in ihrem beruflichen Umfeld an die Öffentlichkeit bringt. Ein Whistleblower löst den Loyalitätskonflikt zwischen der Treue zu seinem Arbeitgeber einerseits und seinen Pflichten als Staatsbürger andererseits zugunsten der Interessen der Allgemeinheit an der Aufdeckung von unhaltbaren Zuständen. Er schadet damit aber oft seinem Arbeitgeber und dessen wirtschaftlichen oder politischen Interessen - und er erleidet selbst häufig Nachteile (Kündigung, Diskriminierung, Strafverfolgung ...). Gleichwohl äußern 90% der Whistleblower in einer Untersuchung von Don Soeken (USA), dass sie sich wieder so verhalten würden. Nach der Aufdeckung zahlreicher großer Skandale (z.B. Enron) wurde der Schutz für Whistleblower in den USA durch den Sarbanes-Oxley Act (seit 2002) und in Großbritannien durch den Public Interest Disclosure Act (PIDA 1998) spürbar verbessert, während entsprechende Initiativen in Deutschland auffällig viele Jahre in den Schubladen des Justizministeriums liegen und immer noch nicht als reif genug angesehen werden. Deutsche Arbeitsgerichte sehen z.B. einen Kündigungsgrund, wenn ein Whistleblower eine Strafanzeige gegen seinen Arbeitgeber erstattet. Das Bundesarbeitsgericht hält es auch für sanktionswürdig, wenn ein Whistleblower heimliche Gesetzesverstöße seines Arbeitsgebers an die Öffentlichkeit trägt (2 AZR 235/02).


Zu den durch Whistleblowing aufgedeckten Skandalen gehörten die Fälle Enron und Siemens, die Korruptionsaffären EADS und IKEA sowie die Insider-Geschäfte des Gewerkschaftsführers Steinkühler. Darüber hinaus sind zahllose Skandale in der Lebensmittelbranche, im Gesundheitswesen und anderen gesellschaftlichen Bereichen durch Whistleblower ans Tageslicht gekommen.
Während Whistleblower in Großbritannien durch den Public Interest Disclosure Act (Whistleblower Protection Act) vor Sanktionen ihrer Arbeitgeber geschützt sind, werten deutsche Arbeitsgerichte Strafanzeigen gegen den Arbeitgeber generell als Kündigungsgrund. Das Grundgesetz schützt auch das Interesse des Arbeitgebers an der Verheimlichung von Gesetzesverstößen. Das Bundesarbeitsgericht forderte den Schutz vor Denunzianten, Nörglern und Personen, die sich nicht intensiv genug darum bemühten, vermeintliche Missstände intern zu klären (2 AZR 235/02).
In den USA werden Whistleblower seit 2002 durch den Sarbanes-Oxley Act (SOX) vor Kündigungen und anderen Benachteiligungen geschützt. 2002 wurden drei Whistleblowers vom Time Magazine als Person of the Year ausgezeichnet.


Zu den durch Whistleblowing aufgedeckten Skandalen gehörten die Fälle Enron und Siemens, die Korruptionsaffären EADS und IKEA sowie die Insider-Geschäfte des Gewerkschaftsführers Steinkühler. Darüber hinaus sind zahllose Skandale in der Lebensmittelbranche, im Gesundheitswesen und anderen gesellschaftlichen Bereichen durch Whistleblower ans Tageslicht gekommen. In den USA zeichnete das Time Magazine 2002 drei Whistleblower als "Person of the Year" aus.




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== Whistleblowing in den USA: der Sarbanes-Oxley-Act ==
== Whistleblowing in den USA: der Sarbanes-Oxley-Act (SOX) ==


Der SOX verpflichtet US-Aktiengesellschaften und ihre Unternehmenseinheiten in der EU sowie Nicht-US-Unternehmen, die an einer US-Börse notiert sind, Verfahren zur Entgegennahme, Speicherung und Bearbeitung von (vertraulichen, anonymen) Beschwerden in Bezug auf die Rechnungslegung, interne Rechnungslegungskontrollen und Wirtschaftsprüfungsfragen einzuführen. Abschnitt 806 des SOX verpflichtet zur Gewährleistung des Schutzes von Beschäftigten börsennotierter Unternehmen vor Vergeltungsmaßnahmen.
Der SOX verpflichtet US-Aktiengesellschaften und ihre Unternehmenseinheiten in der EU sowie Nicht-US-Unternehmen, die an einer US-Börse notiert sind, Verfahren zur Entgegennahme, Speicherung und Bearbeitung von (vertraulichen, anonymen) Beschwerden in Bezug auf die Rechnungslegung, interne Rechnungslegungskontrollen und Wirtschaftsprüfungsfragen einzuführen. Abschnitt 806 des SOX verpflichtet zur Gewährleistung des Schutzes von Beschäftigten börsennotierter Unternehmen vor Vergeltungsmaßnahmen.
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==Whistleblowing in Großbritannien==
==Whistleblowing in Großbritannien==


===Die europäischen Rahmenbedingungen===
War das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer lange Zeit eines der Unterordnung, so änderte sich das Arbeitnehmerbild im Laufe des 20. Jahrhunderts erheblich. Das Recht des Arbeitnehmers auf freie Meinungsäußerung endet nicht mehr unbedingt an den Werkstoren (vgl. Hepple: 1999, 205 ff.; Simitis: 1975, 132 ff.). Diese Veränderung betrifft auch das Spannungsverhältnis zwischen der Freiheit der Meinungsäußerung einerseits und der vertraglichen Pflicht zur Verschwiegenheit andererseits. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und seine Rechtsprechung zur freien Meinungsäußerung (Art. 10 Abs. 1 EMRK) betont in diesem Zusammenhang die doppelte Dimension der Meinungsfreiheit als unabdingbares Element der menschlichen Persönlichkeitsentfaltung einerseits und als grundlegendes Funktionselement eines freiheitlich demokratischen Staates andererseits (EGMR v. 07.12.1976, EuGRZ 1977, S. 38 ff. - Handyside gegen das Vereinigte Königreich).
 
 
Innerhalb Europas fand im Zeitalter des Subordinationverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber das bürgerliche Freiheitsrecht der freien Meinungsäußerung an dem Fabriktor seine Begrenzung. (Hepple: 1999, 205 ff.)
Allerdings stellte man fest, dass aufgrund der Veränderung kultureller Rahmenbedingungen die auf bloße Autorität gegründeten Beziehungen im gesamten sozialen Leben zunehmend an Bedeutung verloren, was auch zu einem strukturellen Wandel des Arbeitnehmerbildes in der europäischen Rechtsordnung führte. (Simitis: 1975, 132 ff..)
Insofern generierte auch das arbeitsrechtliche Phänomen des Whistleblowing zu einem juristischen Loyalitätsdilemma von gesamteuropäischer Bedeutung.
 
Um jenes Spannungsverhältnis zwischen der Freiheit der Meinungsäußerung und einer aus einem Arbeitsverhältnis erwachsenen, vertraglichen Verschwiegenheitsverpflichtung auf nationaler Ebene auflösen zu können, bedarf es zuvor, den gesamteuropäischen Rechtsrahmen nachzuzeichnen, der in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (nachfolgend EMRK) verankert ist.
 
Diese Konvention wurde vor dem Hintergrund der Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen im Zeichen des Faschismus im Zweiten Weltkrieg in Rom am 04. November 1950 abgeschlossen und kodifiziert.
 
Innerhalb dieser Vereinbarung kommt dem Recht zur freien Meinungsäußerung, das in Art. 10 Abs. 1 EMRK niedergelegt ist, eine besondere Bedeutung zu.
 
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) betont in diesem Zusammenhang in seiner Entscheidung auch die doppelte Dimension der Meinungsfreiheit, die sich zum einen als unabdingbares Element der menschlichen Persönlichkeitsentfaltung ausprägt, als auch zum anderen ein grundlegendes Funktionselement eines freiheitlich demokratischen Staates darstellt. (EGMR v. 07.12.1976, EuGRZ 1977, S. 38 ff. - Handyside gegen das Vereinigte Königreich)
   
   
Damit beinhaltet dieses Grundrecht auch eine offenkundige Relevanz für das Verständnis des Whistleblowing-Gesetzes (PIDA 1998) in Großbritannien.   
Damit beinhaltet dieses Grundrecht auch eine offenkundige Relevanz für das Verständnis des Whistleblowing-Gesetzes (PIDA 1998) in Großbritannien.   
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