Videoüberwachung: Unterschied zwischen den Versionen

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== Videoüberwachung in Deutschland ==
== Videoüberwachung in Deutschland ==
[[File:Ueberwachungskamera.G02.Bahnhof.Berlin.Suedkreuz.jpg|thumb|Ueberwachungskamera.G02.Bahnhof.Berlin.Suedkreuz]]
=== Allgemeines ===
=== Allgemeines ===
Die gängige '''Methode''' der V. ist (noch) die zeitgleiche Beobachtung der aufgenommenen Bilder durch die zuständigen Beamten oder Operateure vor den Monitoren. Es gibt aber auch das sog. Kamera-Monitor-Prinzip, das ohne Aufzeichnung auskommt, wie beispielsweise die Überwachung des Bahnsteigs von der Zugführerkabine aus. Die Kamera dient dabei quasi als verlängerte Funktion des Auges. Zur technischen Weiterentwicklung wurde im Oktober 2006 am Mainzer Hauptbahnhof ein Modellversuch zur computergestützten Gesichtserkennung anhand von biometrischen Gesichtsmerkmalen gestartet. Kameras sollten 200 Testpersonen aus den täglichen 23.000 Passanten herausfiltern, wobei aber selbst bei besten Lichtverhältnissen nicht einmal annähernd die erforderlichen knapp 100 Prozent erreicht wurden, so dass dieser Versuch vom BKA als gescheitert angesehen wird.
Die gängige '''Methode''' der V. ist (noch) die zeitgleiche Beobachtung der aufgenommenen Bilder durch die zuständigen Beamten oder Operateure vor den Monitoren. Es gibt aber auch das sog. Kamera-Monitor-Prinzip, das ohne Aufzeichnung auskommt, wie beispielsweise die Überwachung des Bahnsteigs von der Zugführerkabine aus. Die Kamera dient dabei quasi als verlängerte Funktion des Auges. Zur technischen Weiterentwicklung wurde im Oktober 2006 am Mainzer Hauptbahnhof ein Modellversuch zur computergestützten Gesichtserkennung anhand von biometrischen Gesichtsmerkmalen gestartet. Kameras sollten 200 Testpersonen aus den täglichen 23.000 Passanten herausfiltern, wobei aber selbst bei besten Lichtverhältnissen nicht einmal annähernd die erforderlichen knapp 100 Prozent erreicht wurden, so dass dieser Versuch vom BKA als gescheitert angesehen wird.
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== Kriminologische Relevanz ==
== Kriminologische Relevanz ==
=== Theoretische Hintergründe ===
=== Theoretische Hintergründe ===
Die V. als Instrument der '''Prävention''' ist der sekundären Kriminalprävention zuzurechnen, die sich auf gefährdete Gruppen und tatbegünstigende Strukturen bezieht. Die sog. situative Kriminalprävention geht auf den Rational-Choice-Ansatz und auf den Routine-Activity-Approach zurück. Dabei spielt die Überlegung eine Rolle, dass man Tatgelegenheiten an kriminalitätsbehafteten Orten beeinflussen kann.  
Die V. als Instrument der '''Prävention''' ist der sekundären Kriminalprävention zuzurechnen, die sich auf gefährdete Gruppen und tatbegünstigende Strukturen bezieht. Die sog. situative Kriminalprävention geht auf den [[Rational Choice Theory|Rational-Choice-Ansatz]] und auf den [[Routine Activity Theory|Routine-Activity-Approach]] zurück. Dabei spielt die Überlegung eine Rolle, dass man Tatgelegenheiten an kriminalitätsbehafteten Orten beeinflussen kann.  


Der ''Rational-Choice-Ansatz'' geht davon aus, dass kriminelles Verhalten wie alle anderen Handlungen auch nach Abwägung von Vor- und Nachteilen gewählt wird. Dabei werden in die "Berechnung" des subjektiven Nutzens einer Handlung der Wert des erwarteten Handlungsergebnisses, die dabei auftretenden Kosten und die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einbezogen. Die V. könnte die theoretische Wahrscheinlichkeit der Ergreifung, also das Sanktionsrisiko und damit den Kostenfaktor einer kriminellen Handlung erhöhen und so Straftaten vorbeugen. Dies setzt allerdings eine offene Überwachung voraus, da der Täter sie sonst nicht in seine Kosten-Nutzen-Rechnung aufnehmen kann.
Der ''Rational-Choice-Ansatz'' geht davon aus, dass kriminelles Verhalten wie alle anderen Handlungen auch nach Abwägung von Vor- und Nachteilen gewählt wird. Dabei werden in die "Berechnung" des subjektiven Nutzens einer Handlung der Wert des erwarteten Handlungsergebnisses, die dabei auftretenden Kosten und die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einbezogen. Die V. könnte die theoretische Wahrscheinlichkeit der Ergreifung, also das Sanktionsrisiko und damit den Kostenfaktor einer kriminellen Handlung erhöhen und so Straftaten vorbeugen. Dies setzt allerdings eine offene Überwachung voraus, da der Täter sie sonst nicht in seine Kosten-Nutzen-Rechnung aufnehmen kann.
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Nach dem ''Routine-Activity-Approach'' führt das Zusammentreffen von drei Faktoren zu Kriminalität. Es muss potentielle Täter mit der grundsätzlichen Bereitschaft zu kriminellem Verhalten geben, die auf geeignete Tatobjekte treffen, und es dürfen keine Kontrollen bzw. Kontrolleure anwesend sein. V. übernimmt dann die Funktion des Wächters, der die Verfügbarkeit von geeigneten Tatzielen verringert, was wiederum zur Verminderung der Anzahl an motivierten Tätern führen soll.  
Nach dem ''Routine-Activity-Approach'' führt das Zusammentreffen von drei Faktoren zu Kriminalität. Es muss potentielle Täter mit der grundsätzlichen Bereitschaft zu kriminellem Verhalten geben, die auf geeignete Tatobjekte treffen, und es dürfen keine Kontrollen bzw. Kontrolleure anwesend sein. V. übernimmt dann die Funktion des Wächters, der die Verfügbarkeit von geeigneten Tatzielen verringert, was wiederum zur Verminderung der Anzahl an motivierten Tätern führen soll.  


In diesem Zusammenhang spielt die ''Broken-Windows-Theorie'' eine Rolle. Sie beschreibt, wie ein harmloses Phänomen ("zerbrochenes Fenster") zu völliger Verwahrlosung eines Gebietes führen kann. Auf ihrer Basis wurde die Zero-Tolerance-Strategie entwickelt. Es sollen bereits geringfügig sozialschädliche Verhaltensweisen wie Bagatelldelikte oder bloße Ordnungsstörungen bekämpft werden ("Reparieren des zerbrochenen Fensters"), um so schwererer Kriminalität und Verwahrlosung den Nährboden zu entziehen. Als Hilfsmittel können auch Überwachungskameras eingesetzt werden.
In diesem Zusammenhang spielt die ''[[Broken Windows|Broken-Windows-Theorie]]'' eine Rolle. Sie beschreibt, wie ein harmloses Phänomen ("zerbrochenes Fenster") zu völliger Verwahrlosung eines Gebietes führen kann. Auf ihrer Basis wurde die Zero-Tolerance-Strategie entwickelt. Es sollen bereits geringfügig sozialschädliche Verhaltensweisen wie Bagatelldelikte oder bloße Ordnungsstörungen bekämpft werden ("Reparieren des zerbrochenen Fensters"), um so schwererer Kriminalität und Verwahrlosung den Nährboden zu entziehen. Als Hilfsmittel können auch Überwachungskameras eingesetzt werden.


Die V. als Mittel der '''Kontrolle''' lässt erwarten, dass nicht nur Menschen, die etwas zu verbergen haben, ihr Verhalten ändern. Dahinter steht das ursprünglich von Jeremy Bentham entwickelte und später von Michel Foucault auf westlich-liberale Gesellschaften übertragene ''panoptische Prinzip''. Danach führt allein die Möglichkeit der permanenten Überwachung zur Selbstdisziplinierung der Individuen. Da die Betroffenen beobachtet werden, ohne ihren Beobachter sehen zu können, wissen sie nicht, ob sie gerade überwacht werden. So werden sie weitgehend auch ohne die Anwesenheit eines Überwachers in ihrem Verhalten konditioniert. In den 1990er Jahren sah Gilles Deleuze Foucaults Konzept der modernen ''Disziplinargesellschaft'', die sich durch die Technik des Einsperrens von Individuen auszeichnet, als historisch überholt an und ersetzte sie durch den Begriff der ''Kontrollgesellschaft''. Diese ist von neuen, ökonomischeren und flexibleren Formen der Kontrolle wie beispielsweise dem elektronische Halsband, privaten Sicherheitsdiensten oder eben Überwachungskameras geprägt. Sie legitimieren sich weniger über Moral und erlauben es auch, unerwünschte Phänomene oder Gruppen nach dem Prinzip der Inklusion und Exklusion in der Gesellschaft nicht auszurotten, sondern sie in bestimmten umgrenzten Räumen gewähren zu lassen.  
Die V. als Mittel der '''Kontrolle''' lässt erwarten, dass nicht nur Menschen, die etwas zu verbergen haben, ihr Verhalten ändern. Dahinter steht das ursprünglich von [[Jeremy Bentham]] entwickelte und später von [[Michel Foucault]] auf westlich-liberale Gesellschaften übertragene ''panoptische Prinzip''. Danach führt allein die Möglichkeit der permanenten Überwachung zur Selbstdisziplinierung der Individuen. Da die Betroffenen beobachtet werden, ohne ihren Beobachter sehen zu können, wissen sie nicht, ob sie gerade überwacht werden. So werden sie weitgehend auch ohne die Anwesenheit eines Überwachers in ihrem Verhalten konditioniert. In den 1990er Jahren sah [[Gilles Deleuze]] Foucaults Konzept der modernen ''Disziplinargesellschaft'', die sich durch die Technik des Einsperrens von Individuen auszeichnet, als historisch überholt an und ersetzte sie durch den Begriff der ''Kontrollgesellschaft''. Diese ist von neuen, ökonomischeren und flexibleren Formen der Kontrolle wie beispielsweise dem elektronische Halsband, privaten Sicherheitsdiensten oder eben Überwachungskameras geprägt. Sie legitimieren sich weniger über Moral und erlauben es auch, unerwünschte Phänomene oder Gruppen nach dem Prinzip der Inklusion und [[Exklusion]] in der Gesellschaft nicht auszurotten, sondern sie in bestimmten umgrenzten Räumen gewähren zu lassen.  


=== Videoüberwachung in der Diskussion ===
=== Videoüberwachung in der Diskussion ===
Die '''Befürworter''' der V. gehen meist von ihrer Wirksamkeit aus und argumentieren hauptsächlich mit ihrem Zweck. So soll die permanente Kontrollmöglichkeit ausgewählter Bereiche die Reaktionszeit der Polizei verkürzen. Aufgezeichnete Bilder sollen helfen, Täter zu identifizieren und als Beweismaterial dienen. Die damit erwartete Verbesserung der Aufklärungsrate von Strafdelikten soll abschreckende Wirkung auf potentielle Straftäter haben und somit einen präventiven Effekt erzielen. Objektiv könne so die Begehung von schweren Straftaten und Belästigungen zurückgehen, die Aufklärung von Straftaten gesteigert und das subjektive Sicherheitsgefühl verbessert werden. Dahinter können sich aber auch wirtschaftliche oder politische Interessen verbergen. So soll beispielsweise die Installation von Kameras in Innenstädten oder Einkaufszentren deren Attraktivität steigern und dem potentiellen Kunden ein Sicherheitsgefühl suggerieren, um seine Konsumfreudigkeit zu steigern. Zudem dient der Einsatz kameragestützter Überwachung der Demonstration von Handlungsfähigkeit und damit dem Machterhalt staatlicher Akteure, die durch die (angeblich) gesteigerte Kriminalitätsfurcht in der Bevölkerung unter Handlungsdruck gesetzt werden.
Die '''Befürworter''' der V. gehen meist von ihrer Wirksamkeit aus und argumentieren hauptsächlich mit ihrem Zweck. So soll die permanente Kontrollmöglichkeit ausgewählter Bereiche die Reaktionszeit der Polizei verkürzen. Aufgezeichnete Bilder sollen helfen, Täter zu identifizieren und als Beweismaterial dienen. Die damit erwartete Verbesserung der Aufklärungsrate von Strafdelikten soll abschreckende Wirkung auf potentielle Straftäter haben und somit einen präventiven Effekt erzielen. Objektiv könne so die Begehung von schweren Straftaten und Belästigungen zurückgehen, die Aufklärung von Straftaten gesteigert und das subjektive Sicherheitsgefühl verbessert werden. Dahinter können sich aber auch wirtschaftliche oder politische Interessen verbergen. So soll beispielsweise die Installation von Kameras in Innenstädten oder Einkaufszentren deren Attraktivität steigern und dem potentiellen Kunden ein Sicherheitsgefühl suggerieren, um seine Konsumfreudigkeit zu steigern. Zudem dient der Einsatz kameragestützter Überwachung der Demonstration von Handlungsfähigkeit und damit dem Machterhalt staatlicher Akteure, die durch die (angeblich) gesteigerte Kriminalitätsfurcht in der Bevölkerung unter Handlungsdruck gesetzt werden.[[File:Bansky one nation under cctv.jpg|thumb|Bansky one nation under cctv]]Die '''Gegner''' wenden ein, dass ein ''Sicherheitsgefühl'' gerade auch beeinträchtigt werden könne, wenn die Passanten annähmen, der videoüberwachte Ort sei so unsicher, dass er polizeilich überwacht werden müsse. Fraglich sei auch, ob sich das Sicherheitsgefühl nicht durch andere Maßnahmen wie Polizeistreifen effektiver verbessern lasse. Zudem sei nicht klar, ob beim Sicherheitsgefühl tatsächlich das Ausbleiben von Kriminalität oder vielmehr ein anderer Aspekt relevant sei.
 
Die '''Gegner''' wenden ein, dass ein ''Sicherheitsgefühl'' gerade auch beeinträchtigt werden könne, wenn die Passanten annähmen, der videoüberwachte Ort sei so unsicher, dass er polizeilich überwacht werden müsse. Fraglich sei auch, ob sich das Sicherheitsgefühl nicht durch andere Maßnahmen wie Polizeistreifen effektiver verbessern lasse. Zudem sei nicht klar, ob beim Sicherheitsgefühl tatsächlich das Ausbleiben von Kriminalität oder vielmehr ein anderer Aspekt relevant sei.
   
   
An ''Rational-Choice- und Routine-Acitivity-Ansatz'' wird bemängelt, dass viele Delikte spontan oder affektiv begangen werden. V. dürfte also kein geeignetes Mittel der Verhinderung von Rausch- und Beziehungstaten oder von Delikten sein, bei denen sich die Akteure der Kameras nicht bewusst sind. Zudem sei eine Abschreckung nur lokal begrenzt auf das einsehbare Umfeld der Kameras, es bestehe also die Gefahr der Verdrängung von Kriminalität in nicht überwachte Räume. Oft seien dies ärmere Gebiete, da meist kommerziell interessante Gebiete wie Innenstädte überwacht würden. Damit würden sozial schwache Personen zusätzlicher Gefahr ausgesetzt, soziale Ungleichheiten verstärkt und die Wirksamkeit der Kameras überschätzt. Daher wird V. zum Teil eher als Methode zum Management von Kriminalität denn als Präventionsmaßnahme gesehen. Prävention sei nur denkbar, wenn auf die Nutzung des überwachten Platzes nicht verzichtet werden könne.
An ''Rational-Choice- und Routine-Acitivity-Ansatz'' wird bemängelt, dass viele Delikte spontan oder affektiv begangen werden. V. dürfte also kein geeignetes Mittel der Verhinderung von Rausch- und Beziehungstaten oder von Delikten sein, bei denen sich die Akteure der Kameras nicht bewusst sind. Zudem sei eine Abschreckung nur lokal begrenzt auf das einsehbare Umfeld der Kameras, es bestehe also die Gefahr der Verdrängung von Kriminalität in nicht überwachte Räume. Oft seien dies ärmere Gebiete, da meist kommerziell interessante Gebiete wie Innenstädte überwacht würden. Damit würden sozial schwache Personen zusätzlicher Gefahr ausgesetzt, soziale Ungleichheiten verstärkt und die Wirksamkeit der Kameras überschätzt. Daher wird V. zum Teil eher als Methode zum Management von Kriminalität denn als Präventionsmaßnahme gesehen. Prävention sei nur denkbar, wenn auf die Nutzung des überwachten Platzes nicht verzichtet werden könne.
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* Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V.: https://www.foebud.org/video/index_html/view
* Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V.: https://www.foebud.org/video/index_html/view
* DFG-Forschungsprojekt "Kultur, Kontrolle, Weltbild" an der Universität Hamburg: http://www.surveillance-studies.org/
* DFG-Forschungsprojekt "Kultur, Kontrolle, Weltbild" an der Universität Hamburg: http://www.surveillance-studies.org/
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