Verschwindenlassen: Unterschied zwischen den Versionen

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Seit Mitte der 70’er Jahre wurden verschiedene regionale Abkommen geschlossen, die das Ausmaß dieses Phänomens begrenzen, und die Aufarbeitung der Fälle ermöglichen sollen. Bei den Vereinten Nationen steht das Thema seit 1978 auf der Agenda. Die 1980 von der UN-Menschenrechtskommission gegründete „Working Group on Enforced or Involuntary Dissappearances“ hat bisher über 50.000 Fälle aus 79 Staaten bearbeitet, von denen aber kaum welche aufgeklärt wurden konnten. Das „Verschwindenlassen von Personen“ fällt nach den Statuten des Internationalen Strafgerichtshof (in Kraft seit 2002) unter den Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7 Abs. 1 lit i). Eine universelle Rechtsnorm, die das Verschwindenlassen von Personen weltweit verbietet, unter Strafe stellt und die ggf. länderübergreifende Strafverfolgung vorschreibt gibt es seit Ende 2006.
Seit Mitte der 70’er Jahre wurden verschiedene regionale Abkommen geschlossen, die das Ausmaß dieses Phänomens begrenzen, und die Aufarbeitung der Fälle ermöglichen sollen. Bei den Vereinten Nationen steht das Thema seit 1978 auf der Agenda. Die 1980 von der UN-Menschenrechtskommission gegründete „Working Group on Enforced or Involuntary Dissappearances“ hat bisher über 50.000 Fälle aus 79 Staaten bearbeitet, von denen aber kaum welche aufgeklärt wurden konnten. Das „Verschwindenlassen von Personen“ fällt nach den Statuten des Internationalen Strafgerichtshof (in Kraft seit 2002) unter den Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7 Abs. 1 lit i). Eine universelle Rechtsnorm, die das Verschwindenlassen von Personen weltweit verbietet, unter Strafe stellt und die ggf. länderübergreifende Strafverfolgung vorschreibt gibt es seit Ende 2006.


Diese universelle Rechtsnorm mit dem Titel „das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen“ ist bereits von 61 Staaten unterzeichnet (Stand August 2007). Demnach ist der Tatbestand des Verschwindenlassens (enforced dissapearance) definiert als:  
Diese universelle Rechtsnorm mit dem Titel „das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen“[2] ist bereits von 61 Staaten unterzeichnet (Stand August 2007). Demnach ist der Tatbestand des Verschwindenlassens (enforced dissapearance) definiert als:  


''“arrest, detention, abduction or any other form of deprivation of liberty by agents of the State or by persons or groups of persons acting with the authorization, support or acquiescence of the State, followed by a refusal to acknowledge the deprivation of liberty or by concealment of the fate or whereabouts of the disappeared person, which place such a person outside the protection of the law.”''
''“arrest, detention, abduction or any other form of deprivation of liberty by agents of the State or by persons or groups of persons acting with the authorization, support or acquiescence of the State, followed by a refusal to acknowledge the deprivation of liberty or by concealment of the fate or whereabouts of the disappeared person, which place such a person outside the protection of the law.”''
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== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
[1] Ana Luccrecia Molina Theissen (1996): La desaparicion forzada de personas en America Latina. In: Institutio Latinoamericano de Derechos Humanos (Hg.): Serie Estudios Basicos de Derechos Humanos VII, San Jose de Cosra Rica, S.65ff. http://www.rosario.gov.ar/sitio/lugares_disfrutar/museomemoria/archivos/desaparicionforzada.pdf
[1] Ana Luccrecia Molina Theissen (1996): La desaparicion forzada de personas en America Latina. In: Institutio Latinoamericano de Derechos Humanos (Hg.): Serie Estudios Basicos de Derechos Humanos VII, San Jose de Cosra Rica, S.65ff. http://www.rosario.gov.ar/sitio/lugares_disfrutar/museomemoria/archivos/desaparicionforzada.pdf
 
[2] A/RES/61/177 http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N06/505/05/PDF/N0650505.pdf


== Literatur ==
== Literatur ==
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*Grammer, Christoph (2006) Der Tatbestand des Verschwindenlassens einer Person. Transposition einer völkerrechtlichen Figur ins Strafrecht. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, Band S 105. Berlin: Duncker & Humblot.
*Grammer, Christoph (2006) Der Tatbestand des Verschwindenlassens einer Person. Transposition einer völkerrechtlichen Figur ins Strafrecht. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, Band S 105. Berlin: Duncker & Humblot.
*Hummer, Waldemar/Mayr-Singer, Jelka (2007): Wider die Straflosigkeit. Das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen. In: Vereinte Nationen, Jg. 55, 5, S.183-189.
==Weblinks==
*Working Group on Enforced or Involuntary Dissappearances: http://www2.ohchr.org/english/issues/disappear/index.htm

Version vom 13. Dezember 2007, 20:22 Uhr

Das Verschwindenlassen von Personen war und ist eine Form der "staatsverstärkten Kriminalität" (Wolfgang Naucke), bzw. der "Makrokriminalität" (Herbert Jäger). Es besteht darin, dass eine Regierung oder eine parastaatliche Organisation einen Menschen seiner Freiheit beraubt und/oder tötet, ohne dass Angehörige, Freunde oder Öffentlichkeit etwas über den Verbleib der Person erfahren. Das Verschwindenlassen wurde u.a. im nationalsozialistischen Deutschland, in der Sowjetunion und von lateinamerikanischen Diktaturen praktiziert. Als Instrument der Herrschaftssicherung besitzt es den Vorteil, beim Opfer und in seinem Umfeld größte Angst und Einschüchterung zu erzeugen, das Sanktionsrisiko für die Täter aber gering zu halten. Auch Staaten, die sich als Bollwerke des Rechtsstaats und individueller Freiheit verstehen, sind - wie das Beispiel des Gefangenenlagers Guantanamo zeigt - gegen die Versuchung zur Nutzung dieses Instruments nicht gefeit.


Geschichte des Verschwindenlassens

Im Dritten Reich wurde die Praxis des Verschwindenlassens mit dem "Nacht-und-Nebel-Erlass" vom 7. Dezember 1941 vergesetzlicht. Die entsprechende stalinistische Praxis wurde in der sowjetischen Besatzungszone übernommen: in den Jahren 1945 bis 1949 betrug die Zahl der spurlos Verschwundenen vermutlich rund 150.000 Personen. In Lateinamerika verschwanden zwischen 1966 und 1986 mehr als 90.000 Personen durch staatliche oder parastaatliche Aktivitäten[1].


Rechtliche Aspekte

Der Festgenommene hat in Rechtsstaaten grundsätzlich ein Recht darauf, seine Angehörigen zu informieren. Die nach der Rechtslage in Deutschland darüber hinausgehende Verpflichtung des Staates zur Benachrichtigung wird von deutschen Gerichten in der Praxis zu einem bloßen Recht herabgestuft. Nach Ansicht von Kai Cornelius wird dadurch das einzig wirksame Instrument zur Verhinderung des Verschwindenlassens ausgehöhlt.

Das Verschwindenlassen erfüllt meist verschiedene Tatbestände (u.a. Freiheitsberaubung). Der Unrechtsgehalt des Verschwindenlassens wird dadurch aber nach verbreiteter Ansicht nicht hinreichend erfasst. Daraus resultieren verschiedene Versuche der Schaffung eines Straftatbestands des Verschwindenlassen.

Die Praxis des Verschwindenlassens war lange Zeit nur durch Straftatbestände wie Entführung, Menschenraub, Folter unmenschliche Behandlung verfolgbar. Regelmäßig wurden entsprechende Fälle jedoch überhaupt nicht strafrechtlich geahndet zumal sie häufig in Zeiten nationaler Ausnahmezustände auftreten. Spektakuläre Fälle systematischen Verschwindenlassens durch staatliche Akteure wurden allenfalls anhand so genannter Schlussstrich- oder Versöhnungsmodelle geschlichtet.

Seit Mitte der 70’er Jahre wurden verschiedene regionale Abkommen geschlossen, die das Ausmaß dieses Phänomens begrenzen, und die Aufarbeitung der Fälle ermöglichen sollen. Bei den Vereinten Nationen steht das Thema seit 1978 auf der Agenda. Die 1980 von der UN-Menschenrechtskommission gegründete „Working Group on Enforced or Involuntary Dissappearances“ hat bisher über 50.000 Fälle aus 79 Staaten bearbeitet, von denen aber kaum welche aufgeklärt wurden konnten. Das „Verschwindenlassen von Personen“ fällt nach den Statuten des Internationalen Strafgerichtshof (in Kraft seit 2002) unter den Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7 Abs. 1 lit i). Eine universelle Rechtsnorm, die das Verschwindenlassen von Personen weltweit verbietet, unter Strafe stellt und die ggf. länderübergreifende Strafverfolgung vorschreibt gibt es seit Ende 2006.

Diese universelle Rechtsnorm mit dem Titel „das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen“[2] ist bereits von 61 Staaten unterzeichnet (Stand August 2007). Demnach ist der Tatbestand des Verschwindenlassens (enforced dissapearance) definiert als:

“arrest, detention, abduction or any other form of deprivation of liberty by agents of the State or by persons or groups of persons acting with the authorization, support or acquiescence of the State, followed by a refusal to acknowledge the deprivation of liberty or by concealment of the fate or whereabouts of the disappeared person, which place such a person outside the protection of the law.”

Aufgeweicht wird der Tatbestand dadurch, dass nichstaatliche Aktuere von der Norm nicht betroffen sind, entsprechende Taten aber häufig nicht in Verbindung mit der nationalen Autorität gebracht werden können. Jeder Staat, der das Abkommen unterzeichnet verpflichtet sich dazu, im nationalen Strafgesetz einen entsprechenden Strafbestand zu schaffen. Die entsprechenden Rechtsvorschriften können nicht durch Notstandbestimmungen ausgesetzt werden. Aufgrund der Universalität der Rechtnorm ist jeder Teilnehmerstaat strafbefugt unabhängig davon, wer die Tat wo gegen wen verübt hat. Gefasste Täter müssen entweder abgeurteilt oder ggf. ausgeliefert werden. Die Konvention erteilt dem „Committee on Enforced Disappearances“ ein Mandat zur Durchsetzung der Kooperationspflicht und zur Bearbeitung von Beschwerdegesuchen. Während Teilnehmerstaaten die Möglichkeit haben Beschwerdeverfahren nicht anzuerkennen, müssen sie Felduntersuchungen durch die Kommission akzeptieren anderenfalls kann die Kommission die Generalversammlung von dem Versäumnis unterrichten.

Einzelnachweise

[1] Ana Luccrecia Molina Theissen (1996): La desaparicion forzada de personas en America Latina. In: Institutio Latinoamericano de Derechos Humanos (Hg.): Serie Estudios Basicos de Derechos Humanos VII, San Jose de Cosra Rica, S.65ff. http://www.rosario.gov.ar/sitio/lugares_disfrutar/museomemoria/archivos/desaparicionforzada.pdf

[2] A/RES/61/177 http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N06/505/05/PDF/N0650505.pdf

Literatur

  • Cornelius, Kai (2006) Vom spurlosen Verschwindenlassen zur Benachrichtigungspflicht bei Festnahmen. Juristische Zeitgeschichte, Abteilung 1: Allgemeine Reihe. Band 18. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag.
  • Grammer, Christoph (2006) Der Tatbestand des Verschwindenlassens einer Person. Transposition einer völkerrechtlichen Figur ins Strafrecht. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, Band S 105. Berlin: Duncker & Humblot.
  • Hummer, Waldemar/Mayr-Singer, Jelka (2007): Wider die Straflosigkeit. Das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen. In: Vereinte Nationen, Jg. 55, 5, S.183-189.

Weblinks