Vergeltung: Unterschied zwischen den Versionen

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Als '''Vergeltung''' bezeichnet man im weitesten Sinn jede Reaktion auf eine vorhergegangene Aktion. Im älteren Sprachgebrauch verstand man unter diesem eine Gegenleistung oder Belohnung für erwiesene Dienste, ohne eine entsprechende Differenzierung zwischen ökonomischen, juristischen und sozialen Kulturbereichen dabei vorzunehmen. Es besteht jedoch eine Wortverwandtschaft mit dem Begriff des Geldes. Heutzutage wird Vergeltung meist als Strafe mit dem Charakter der Sühne und Rache verstanden, da die Begriffe überdeckende Bedeutungsinhalte vorweisen. Es existiert ein interdisziplinärer Diskurs über Vergeltungskonzepte unter verschiedenen humanwissenschaftlichen Disziplinen, wie der Theologie, der Rechtswissenschaft, der Psychologie, den Sozialwissenschaften und der Ökonomie. Ausgangspunkt der modernen Forschung über Vergeltungsregeln ist die Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung des Prinzips der Reziprozität, der Gegenseitigkeit, des Ausgleichs von Leistung und Gegenleistung oder Gegenleistung oder Aktion und Reaktion. Das Spektrum reicht dabei von ökonomischen Forschungen wie im Organisationsmanagement, oder der Makroökonomie über die verschiedenen Subdisziplinen der Psychologie bis zur Terrorismus- und Kriegsursachenforschung und Gewalt- und Konfliktforschung. Das Vergeltungsprinzip ist bedeutend in die historischen Gesetzgebungen verschiedener Rechtsordnungen mit eingeflossen, wobei eine gewisses Verhältnis zwischen Tat und Sühne durch eine Ausgleichshandlung geschaffen wird, die auch über die tatsächliche Schwere der Tat hinausgehen kann. Unterformen der Vergeltung, die nicht darüber hinausgehen, sind der Schadenersatz und Talion.
Als '''Vergeltung''' bezeichnet man im weitesten Sinn jede Reaktion auf eine vorhergegangene Aktion. Im älteren Sprachgebrauch verstand man unter diesem eine Gegenleistung oder Belohnung für erwiesene Dienste, ohne eine entsprechende Differenzierung zwischen ökonomischen, juristischen und sozialen Kulturbereichen dabei vorzunehmen. Es besteht jedoch eine Wortverwandtschaft mit dem Begriff des Geldes. Heutzutage wird Vergeltung meist als [[Strafe]] mit dem Charakter der [[Sühne]] und [[Rache]] verstanden, da die Begriffe überdeckende Bedeutungsinhalte vorweisen. Es existiert ein interdisziplinärer Diskurs über Vergeltungskonzepte unter verschiedenen humanwissenschaftlichen Disziplinen, wie der Theologie, der Rechtswissenschaft, der Psychologie, den Sozialwissenschaften und der Ökonomie. Ausgangspunkt der modernen Forschung über Vergeltungsregeln ist die Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung des Prinzips der Reziprozität, der Gegenseitigkeit, des Ausgleichs von Leistung und Gegenleistung oder Gegenleistung oder Aktion und Reaktion. Das Spektrum reicht dabei von ökonomischen Forschungen, wie im Organisationsmanagement, oder der Makroökonomie über die verschiedenen Subdisziplinen der Psychologie, bis zur Terrorismus- und Kriegsursachenforschung und Gewalt- und Konfliktforschung. Das Vergeltungsprinzip ist bedeutend in die historischen Gesetzgebungen verschiedener Rechtsordnungen mit eingeflossen, wobei eine gewisses Verhältnis zwischen Tat und Sühne durch eine Ausgleichshandlung geschaffen wird, die auch über die tatsächliche Schwere der Tat hinausgehen kann. Unterformen der Vergeltung, die nicht darüber hinausgehen, sind der [[Schadenersatz]] und [[Talion]].




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=== Historisch ===
=== Historisch ===


Das Ius talionis oder Lex talionis oder Talionsprinzip in frühen antiken Rechtstexten (lat. Retaliation, eigentlich Wiedervergeltung) beschreibt das einfache Verhältnis der Ausgleichshandlung oder der Büße, das Eintreiben eines gleichartigen Ausgleichs. Vielfach existierte jedoch bereits simultan die mehrfache Buße, wobei bestimmte Delikte besonders bestraft wurden, in dem die Höhe der Strafe überproportional hoch zum Durchschnitt ist. Dieses Strafprinzip findet sich noch häufig in fränkischem und germanischem Recht. Im griechisch- römischen Recht finden sich schon deutliche Bestrebungen, die Anteile der Rache in der Strafe, durch das Recht zurückzudrängen.  
Das Ius talionis oder Lex talionis oder Talionsprinzip in frühen antiken Rechtstexten (lat. Retaliation, eigentlich Wiedervergeltung) beschreibt das einfache Verhältnis der Ausgleichshandlung oder der [[Buße]], das Eintreiben eines gleichartigen Ausgleichs. Vielfach existierte jedoch bereits simultan die mehrfache Buße, wobei bestimmte Delikte besonders bestraft wurden, in dem die Höhe der Strafe überproportional hoch zum Durchschnitt ist. Dieses Strafprinzip findet sich noch häufig in fränkischem und germanischem Recht. Im griechisch- römischen Recht finden sich schon deutliche Bestrebungen, die Anteile der Rache in der Strafe, durch das Recht zurückzudrängen.  


=== Religiös ===
=== Religiös ===
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Die einzelnen Rechtsbegriffe um die Strafe und dem Vergeltungsbegriff entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte in starker Abhängigkeit zueinander. Die einzelnen Bedeutungen weisen durch Begriffsverschmelzungen und Begriffsverwandtschaften ebenso deutliche Schnittmengen mit anderen Definitionen auf.
Die einzelnen Rechtsbegriffe um die Strafe und dem Vergeltungsbegriff entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte in starker Abhängigkeit zueinander. Die einzelnen Bedeutungen weisen durch Begriffsverschmelzungen und Begriffsverwandtschaften ebenso deutliche Schnittmengen mit anderen Definitionen auf.
Die Vergeltungstheorie hat in jedoch in ihrer generellen Entwicklung eine Tendenz zur Symbolisierung und Idealisierung . Dem Vergeltungsbedürfnis liegt eine tiefe Sehnsucht nach Gerechtigkeit zugrunde , der auch den emotionalen Anteil der Rache befriedigt.
Die Vergeltungstheorie hat in jedoch in ihrer generellen Entwicklung eine Tendenz zur Symbolisierung und Idealisierung. Dem Vergeltungsbedürfnis liegt eine tiefe Sehnsucht nach Gerechtigkeit zugrunde, der auch den emotionalen Anteil der Rache befriedigt.


Eine bewusste und kriminalpädagogisch- kritische Reflektion der Strafzwecke manifestiert sich erstmals gegen Ende des 16. Jahrhunderts, wobei die Meinung zu dem Vergeltungsgedanken dazu weiterhin umstritten blieb.
Eine bewusste und kriminalpädagogisch- kritische Reflektion der Strafzwecke manifestiert sich erstmals gegen Ende des 16. Jahrhunderts, wobei die Meinung zu dem Vergeltungsgedanken dazu weiterhin umstritten blieb.


Bei der Gründung des Deutschen Reiches war die Grundlage im RStGB vom 15.5.1871 ein kantsches , autoritäres Staats- und Strafrechtsverständnis, wobei es Straftheoretisch der Vergeltungsidee verpflichtet war .
Bei der Gründung des Deutschen Reiches war die Grundlage im RStGB vom 15.5.1871 ein kantsches, autoritäres Staats- und Strafrechtsverständnis, wobei es Straftheoretisch der Vergeltungsidee verpflichtet war .
1882 fordert Franz v. Liszt schon in seinem Marburger Programm die spezialpräventive Ausrichtung des Strafrechts, zu Lasten des Vergeltungsgedanken. Die Wendung von Tat- zum Täterstrafrecht, wird heute bei der Strafzumessung im Rahmen des § 46 StGB berücksichtigt.
1882 fordert Franz v. Liszt schon in seinem Marburger Programm die spezialpräventive Ausrichtung des Strafrechts, zu Lasten des Vergeltungsgedanken. Die Wendung von Tat- zum Täterstrafrecht, wird heute bei der Strafzumessung im Rahmen des § 46 StGB berücksichtigt.
In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts stellte die überwiegende Strafrechtswissenschaft bei der Rechtfertigung strafrechtlicher Sanktionen noch den Schutz des Individuums in den Vordergrund und beschränkte den Strafanspruch des Staates . Bereits vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten sollte an dem im Rechtsgefühl des Volkes verwurzelten Vergeltungsgedanken angeknüpft werden .
In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts stellte die überwiegende Strafrechtswissenschaft bei der Rechtfertigung strafrechtlicher Sanktionen noch den Schutz des Individuums in den Vordergrund und beschränkte den Strafanspruch des Staates. Bereits vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten sollte an dem im Rechtsgefühl des Volkes verwurzelten Vergeltungsgedanken angeknüpft werden.
In deutlicher Abkehr hiervon hat das Grundgesetz das Bekenntnis zur Würde des Menschen vorangestellt (z.B. Art. 102 GG), die zu achten und zu schützen Verpflichtung aller staatlicher Gewalt ist, wonach sich die Rechtfertigung von Strafe allerdings nicht erledigt hat.
In deutlicher Abkehr hiervon hat das Grundgesetz das Bekenntnis zur Würde des Menschen vorangestellt (z.B. Art. 102 GG), die zu achten und zu schützen Verpflichtung aller staatlicher Gewalt ist, wonach sich die Rechtfertigung von Strafe allerdings nicht erledigt hat.
In abgeschwächter Form wurde diese Diskussion erneut zu den Arbeiten der Großen Strafrechtskommission 1962 aufgebracht. In Deutschland besteht heute allerdings weitgehend Konsens darüber, dass die Vergeltungsidee den Einsatz der Strafe nicht mehr rechtfertigen kann.
In abgeschwächter Form wurde diese Diskussion erneut zu den Arbeiten der Großen Strafrechtskommission 1962 aufgebracht. In Deutschland besteht heute allerdings weitgehend Konsens darüber, dass die Vergeltungsidee den Einsatz der Strafe nicht mehr rechtfertigen kann.


Dem Begriff der Gerechtigkeit kommt damit überragende Bedeutung für die Ausgestaltung einer freiheitlichen Rechtsordnung zu , der seinen Inhalt aus dem Bereich der Ethik bezieht . Die Gerechtigkeit ist das Sinnkriterium des Strafrechts und nicht primär utilitaristische Zwecke der Sicherung und Besserung. Radbruch erklärt, dass sich im Vergeltungsgedanke zugleich der Gedanke der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit erfülle. Maßgeblich sei nicht das äußere Erscheinungsbild der Vergeltung, entscheidend sei vielmehr das geistige Verständnis der Bestrafung als Realisierung von Gerechtigkeit.
Dem Begriff der Gerechtigkeit kommt damit überragende Bedeutung für die Ausgestaltung einer freiheitlichen Rechtsordnung zu, der seinen Inhalt aus dem Bereich der Ethik bezieht. Die Gerechtigkeit ist das Sinnkriterium des Strafrechts und nicht primär utilitaristische Zwecke der Sicherung und Besserung. Radbruch erklärt, dass sich im Vergeltungsgedanke zugleich der Gedanke der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit erfülle. Maßgeblich sei nicht das äußere Erscheinungsbild der Vergeltung, entscheidend sei vielmehr das geistige Verständnis der Bestrafung als Realisierung von Gerechtigkeit.




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