Verbrechermenschen

Aus Krimpedia – das Kriminologie-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Ursprung des Begriffes

Erstmals hat Cesare Lombroso seinem 1876 erschienen Buch den Titel „L'uomo delinquente. In rapporto all'antropologia, alla giurisprudenza ed alle discipline carcerarie“ gegeben. Der Bestandteil „L'uomo delinquente“ kann wörtlich mit „Verbrechermensch“ übersetzt werden. In dem 1984 von dem österreichischen Rechtsphilosophen Professor Peter Strasser veröffentlichten Buch „Verbrechermenschen. Zur kriminalwissenschaftlichen Erzeugung des Bösen“ wird der Begriff erneut als Buchtitel verwendet. Bereits durch die Wortwahl, dem Zusammenfügen der Worte Verbrecher und Mensch, wird deutlich, dass Strasser sich u.a. mit den Lehren Lombrosos auseinandersetzt. Durch die Verschmelzung der beiden Substantive grenzt Peter Strasser den Gegenstand seiner Betrachtung gegen Theorien der umweltbedingten Straffälligkeit und den normalen Menschen, den „homo sapiens“, ab.

Kriminologische Bedeutung

aktuelle Entwicklung der kriminologischen Forschung

Prof. Strasser hinterfragt in seinem Buch die gesamte Kriminologie, von der Blickrichtung der Forschung bis hin zum Umgang mit dem Verbrecher und geht dabei auf das "Zusammenspiel von Vernunft, Mythos und Moral" ein. Die erweiterte Neuauflage von 2005 enthält zusätzlich zu dem ansonsten unverändert gebliebenen Buch ein Kapitel über die neuesten Entwicklungen der Kriminologie. Nachdem die letzten Jahrzehnte durch eine Humanisierung der Rechtsordnungen geprägt waren und eine Abkehr von den Theorien des geborenen, nicht resozialisierbaren Verbrechers hin zu modernen Straf- und Wiedereingliederungskonzepten statt gefunden hat, bemerkt Strasser mittlerweile wieder eine Rückkehr zu den Lehren Lombrosos und seiner Anhänger.

Belege anhand aktueller kriminologischer Forschung

Der vor allem in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts aufblühende Etikettierungsansatz, in dem der Verbrecher erst aufgrund der Behauptung anderer, insbesondere der Exikutive und Judikative, als Verbrecher definiert wurde, ist laut Strasser aus der aktuellen Forschung nahezu verschwunden. Die diesem Forschungsansatz innewohnende Kritik an staatlichem Handeln und der mit ihm Hand in Hand gehenden ätiologischen Forschung ist von kriminologischer Seite zurückgegangen. Die von Strasser vertretene These des neu einsetzenden Lombrosianismus manifestiert sich seiner Meinung nach u.a. in der Wiederaufnahme der Zwillingsforschung, der Erforschung des Neurotransmitters Serotonin im Zusammenhang mit Aggressivität sowie der Hirn- und Hirnanatomieforschung. Hauptsächlich wird eine Fehlfunktion im Gehirn für die Entstehung von Gewaltdelikten sowie für die Existenz von Gewohnheitsverbrechern verantwortlich gemacht und anhand von Studien untermauert. Im Bereich der psychologischen Forschung hat der kanadische Psychologe Robert D. Hare eine Checkliste für die Erkennung von Psychopathen entwickelt, die in Deutschland bereits an inhaftierten Gewalttätern erprobt wurde und für die Erkennung von psychopathischen Gewalttätern verantwortlich sein soll.

Belege aus kriminologischen Überlegungen zum Umgang mit dem Verbrecher

Bereits zu Beginn der kriminologischen Forschung und der Betrachtung des Umgangs mit dem Verbrecher versuchten Kriminologen, ihren Standpunkt adressatengerecht derart zu vertreten, dass er sich in die jeweilige moralische Strömung einfügte. Schon Beccaria fordert in seinem 1764 erschienen Werk „dei delitti e delle pene“ die Abschaffung der Folter, der Todesstrafe sowie mildere Urteile. Strasser vermutet, dass Beccaria mit seiner Argumentation, eine lebenslange Knechtschaft sei für den Verbrecher eine weitaus größere Qual als eine kurze Hinrichtung und würde darüber hinaus abschreckender wirken, die Argumente der damaligen Moralvorstellung anpasste, um seine humanitären Bestrebungen zu verdecken. Wenn derart rhetorische Finten vom Adressaten, z.B. dem Staat, umgesetzt werden, kann der humanitäre Gedanke verwirkt werden, der Verbrecher unter Umständen trotz gut gemeinter Absicht der Forschung schlechter behandelt werden als zuvor. Anders Lombroso, der sich der pragmatischen Behauptung bediente, brutale Gefängnisstrafen würden aus Verbrechern Feinde der Gesellschaft machen und damit eine für den Verbrecher unschädliche Argumentationsgrundlage für einen humaneren Strafvollzug schaffte. Nachdem in früheren Jahrhunderten der Verbrecher öffentlich bestraft wurde, wich bereits Ende des 18. Jahrhunderts die körperliche Bestrafung nach und nach der Freiheitsstrafe. Der Gedanke der Resozialisierung von Verbrechern setzte sich in der westlichen Welt während des letzten Jahrhunderts im Zusammenhang mit den umweltbedingten Kriminalitätstheorien durch. Allerdings bleibt die Frage offen, ob diese Humanisierung humanitäre Ursachen hat oder lediglich dazu dient, den Verbrecher im wahrsten Sinne unschädlich zu machen. In jüngerer Zeit wird im Zusammenspiel mit dem Neolombrosianismus laut Strasser eine Abkehr vom Resozialisierungsgedanken und dem humanen Strafvollzug erkennbar. Grund dafür scheinen unter anderem empirische Untersuchungen zu sein, die den aufwändigen Resozialisierungsprogrammen der letzten Jahrzehnte keinen Erfolg zuschreiben. So vertrat Robert D. Hare 1999 die Auffassung, über Psychopathen dürfe die Todesstrafe verhängt werden. Interessant an dieser Aussage ist, dass Hare in seinem Buch Without conscience die Behauptung aufstellt, 20% aller Gefängnisinsassen seien Psychopathen, die mehr als die Hälfte aller Verbrechen begingen.

Ursachen des Wiederauflebens biologischer Erklärungsansätze

Ursächlich für die Renaissance der biologischen Erklärungsansätze in der Kriminologie ist für Strasser ein neues Ordnungsdenken. Das ab Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts vorherrschende humanistische Bild vom Menschen und daher auch dem Verbrecher ist einem naturalistischen Menschenbild gewichen, in dem der Mensch immer mehr als Biomaschine betrachtet wird und damit einen Teil seiner Würde einbüßt. Die bis weit in das letzte Jahrhundert reichende Unvereinbarkeit zwischen Natur- und Geisteswissenschaft, die sich auch in der Kriminologie widerspiegelt, existiert in weiten Teilen nicht mehr; durch die immer weiter fortschreitende Forschung, insbesondere im Hirnbereich, hat der Mensch seine Sonderstellung verloren, die Funktionsweise des menschlichen Gehirns wird mit der eines Computers verglichen. Das neue Ordnungsdenken fußt einerseits in einer Ohnmacht gegenüber der Eigendynamik des globalisierenden Marktes, die in der Ausmerzung antisozialer, also auch verbrecherischer, Verhaltensweisen einen Ausgleich sucht. Andererseits nährt die latente Angst der westlichen Welt vor Anschlägen, Gewaltverbrechen und auch Ausländerkriminalität das neue Ordnungsbedürfnis. Auch im Bereich der Ethik, an der sich auch kriminologische Forschung messen lassen muss, bemerkt Strasser einen Wandel. Während früher abduktiv in alle Richtungen geforscht wurde, betreibt man heute mehr und mehr eine am Ziel orientierte Mainstreamforschung. Die erforschte „Wahrheit“ wird nur solange akzeptiert, wie sie mit den von Strasser sog. „erkenntnisleitenden Interessen“ in Einklang steht, die Kriminologie wird zum Vehikel von Politik und der aktuellen moralischen Anschauung.

Literaturhinweise

  • Strasser, Peter (2005): Verbrechermenschen. Zur kriminalwissenschaftlichen Erzeugung des Bösen, 2. erweiterte Neuauflage
  • Wiesendanger über "Verbrechermenschen. Zur kriminalwissenschaftlichen Erzeugung des Bösen", "Kriminologisches Journal", Heft 1/1986, Bücherbesprechungen
  • Internetzeitschrift Crime Times (http//www.crime-times.org)
  • Hare, Robert D (1999): Without Conscience