Verbrechen: Unterschied zwischen den Versionen

13.092 Bytes hinzugefügt ,  20:28, 28. Nov. 2010
keine Bearbeitungszusammenfassung
(keine Bearbeiternamen mehr nötig (2006!))
Zeile 1: Zeile 1:
Unter einem '''Verbrechen''' wird im gewöhnlichen deutschen Sprachgebrauch eine besonders schwere Straftat verstanden. Besonders schwere (ursprünglich: mit dem Verlust des Lebens zu ahndende) Verbrechen werden auch als Kapitalverbrechen (von lat. caput = „Haupt“) bezeichnet.
In der juristischen Fachsprache bezeichnet der Begriff des Verbrechens in Deutschland laut Paragraph 12 des Strafgesetzbuchs (StGB) jede Straftat, die vom Gesetz mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist: "(1) Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind. (2) Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind. (3) Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind, bleiben für die Einteilung außer Betracht."
Gesellschaftswissenschaftlich befasst sich die [[Kriminologie]] mit dem Phänomen des Verbrechens. Mit den Mitteln und Methoden der Verbrechensbekämpfung und -aufklärung beschäftigt sich die [[Kriminalistik]].
== Historische Einordnung ==
Die Differenzierung zwischen strafbaren Handlungen unterschiedlicher Schwere ist bereits sehr früh in der Rechtsgeschichte belegt. Schon in der Constitutio Criminalis Carolina wurde zwischen causae maiores und causae minores (schwerwiegenden und minderschweren Anklagegründen) unterschieden; diese Trennung war für die Form der Bestrafung ausschlaggebend: Lebens-, Leibes- und Ehrenstrafen oder Geldbuße und kurzzeitiges Gefängnis.
Das deutsche Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) von 1871 unterschied zwischen drei Stufen der Schwere der Straftat: Verbrechen, Vergehen und Übertretung. Dabei orientierte es sich an dem unter Napoleon entstandenen französischen Code Pénal Impérial (1810), dessen Dreiteilung (crime - délit - contravention) das französische Strafrecht und die eng an das französische angelehnten Systeme (bspw. Belgiens) bis heute bestimmt. Von der Zuordnung der Tat zu einer der drei Kategorien hing wiederum die Strafart ab; für Verbrechen konnte u.U. auf Todesstrafe oder auf Zuchthaus erkannt werden, Vergehen wurden mit Gefängnis und Übertretungen in der Regel nur mit einer Geldstrafe oder kurzer Haft geahndet.
Mit der Strafrechtsreform von 1974/75 trat in der Bundesrepublik Deutschland an die Stelle dieser Trichotomie (Dreiteilung) die heute maßgebliche Dichotomie (Zweiteilung): Seither sind nur noch Verbrechen und Vergehen strafbare Handlungen. Die Übertretungen wurden abgeschafft und zum Teil durch Ordnungswidrigkeiten ersetzt. Strafen wie Zuchthaus oder Gefängnis wurden ebenfalls abgeschafft und eine einheitliche Freiheitsstrafe geschaffen, wobei nun auch Verbrechen durch Geldstrafen gesühnt werden können. Ob diese Zweiteilung beibehalten werden soll, ist unter Strafrechtlern umstritten, da ihre praktische Bedeutung relativ gering ist.
In einigen Rechtssystemen gibt es die Unterscheidung zwischen Verbrechen und Vergehen nicht oder nicht mehr. Beispielsweise existieren in den ebenfalls vom französischen Modell ausgehend entwickelten Strafrechten Italiens, Spaniens und der Niederlande für Bagatellstraftaten zwar weiterhin die Übertretungen (contravvenzioni, faltas bzw. overtredingen), alle anderen Straftaten werden dagegen einheitlich als „Delikte“ oder „Vergehen“ (delitti, delitos bzw. misdrijven) bezeichnet. Trotzdem werden auch hier schwere und weniger schwere Tatbestände entsprechenden Unterkategorien zugeordnet. In den meisten Rechtsordnungen des Common Law gibt es die Unterscheidung zwischen schweren oder „kapitalen“ Verbrechen (felonies) und weniger schweren kriminellen Verfehlungen (misdemeanors), wobei der eigentliche Ausdruck „Verbrechen“ (crime) im Englischen als Oberbegriff dient und systematisch eher der „Straftat“ als solchen entspricht.
Formeller Verbrechensbegriff in Deutschland [Bearbeiten]
Verbrechen ist die subjektiv objektive Verletzung des Rechts in seiner besonderen und allgemeinen gesetzlichen Geltung in einem Maß, dass die rechtliche Selbstständigkeit der betroffenen Person oder Gemeinschaft grundlegend verändert wird (Kriminalrecht). Im deutschen Strafrecht werden gemäß § 12 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) als Verbrechen alle die gesetzlich normierten Delikte bewertet, bei denen eine Strafandrohung von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe besteht (z. B. Raub, Körperverletzung mit Todesfolge, schwere Brandstiftung, schwerer sexueller Missbrauch, Rechtsbeugung).
Delikte mit Androhung einer geringeren Mindeststrafe werden gemäß § 12 Abs. 2 StGB als Vergehen bezeichnet.
Ist ein Vergehen in besonderen Fällen mit höherer Strafe bedroht, sodass eine Mindeststrafe von über einem Jahr vorgesehen ist, bleibt die Tat dennoch ein Vergehen - Gleiches gilt entsprechend auch umgekehrt (§ 12 Abs. 3 StGB).
Der Unterschied zwischen Verbrechen und Vergehen wirkt sich auch auf die Strafbarkeit eines Tatversuchs aus, der gemäß § 23 Abs. 1 StGB bei Verbrechen immer strafbar ist, bei Vergehen dagegen nur dann, wenn es im Gesetz ausdrücklich so bestimmt ist (versuchter Hausfriedensbruch ist demnach z. B. nicht strafbar). Auch ist die versuchte Anstiftung zu einem Verbrechen grundsätzlich strafbar, die zu einem Vergehen jedoch nicht. Von Bedeutung ist der Unterschied auch für den Straftatbestand der Bedrohung (§ 241 StGB), der nur mit der Androhung eines Verbrechens, nicht aber eines Vergehens verwirklicht werden kann.
Auch für den Verlust von Amtsfähigkeit und Wählbarkeit spielt nach § 45 Abs. 1 StGB die Unterscheidung zwischen Verbrechen und Vergehen eine Rolle.
Aus der Einteilung der Straftaten in Verbrechen und Vergehen ergeben sich auch strafprozessrechtliche Konsequenzen, etwa für die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit der Gerichte. Des Weiteren hat ein Angeklagter, dem ein Verbrechen vorgeworfen wird, nach § 140 Abs. 1 Nr. 2 der Strafprozessordnung (StPO) immer Anspruch auf die Bestellung eines Pflichtverteidigers, wenn er selbst keinen Rechtsanwalt als Verteidiger benennt.
Der Strafbefehl ist nur für Vergehen vorgesehen (§ 407 StPO), und auch eine Einstellung des Verfahrens nach §§ 153, 153a, 154d StPO kommt bei Verbrechen nicht in Frage.
Formeller Verbrechensbegriff in Österreich [Bearbeiten]
Nach § 17 des österreichischen Strafgesetzbuches (Einteilung der strafbaren Handlungen) sind Verbrechen „vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind“ (§ 17 StGB); alle übrigen strafbaren Handlungen sind Vergehen. Im Unterschied zur deutschen Regelung sind in Österreich auch der Versuch und die Bestimmung („Anstiftung“) eines Vergehens strafbar. Weiters ist die Zuständigkeit der Gerichte anders geregelt.
Formeller Verbrechensbegriff in der Schweiz [Bearbeiten]
Das schweizerische Strafgesetzbuch (Stand Januar 2010) definiert Verbrechen als Taten, die mit Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht sind (Art. 10 Abs. 2 StGB). Vergehen sind Taten, die mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedroht sind (Art. 10 Abs. 3 StGB).
Auch der Versuch eines Verbrechens oder Vergehens ist strafbar (Art. 22 Abs. 1 StGB). Entscheidend ist hierbei der «point of no return» – der letzte entscheidende Schritt, von dem es kein zurück mehr gibt. Der subjektive Tatbestand muss genau gleich erfüllt sein, wie beim vollendeten Delikt. Ausgenommen von Strafe ist der «Versuch aus grobem Unverstand», bei dem die von dem Täter verwendeten Mittel nicht tauglich sind, den angestrebten Erfolg zu verwirklichen; oder wenn an dem von dem Täter angegriffenen Objekt das Delikt überhaupt nicht begangen werden kann (Art. 22 Abs. 2 StGB).
Übertretungen schließlich sind Taten, die mit Busse bedroht sind (Art. 103 StGB). Versuch (und Gehilfenschaft) sind hier nur in vom Gesetz ausdrücklich bestimmten Fällen strafbar (Art. 105 Abs. 2 StGB).
Materieller Verbrechensbegriff [Bearbeiten]
Der materielle Verbrechensbegriff löst sich von den normativen Vorgaben des Strafrechts. Er ist im Vergleich zum formellen Verbrechensbegriff daher weniger scharf umschrieben und abgegrenzt. Für die Einordnung einer Tat als Verbrechen sind dabei u. a. folgende Kriterien von Bedeutung.
Naturrechtlicher Verbrechensgehalt [Bearbeiten]
Im Naturrecht wird eine Trennung in moralisch an sich verwerfliche Delikte (mala delicta per se) und schlicht verbotene Delikte (mala prohibita) vorgenommen. Diese Unterscheidung von natürlichen und bloß konventionellen Verbrechen spielt im strafrechtlichen Denken des Common Law noch heute eine bedeutende Rolle. Allerdings ist der „natürliche“ Verbrechensbegriff wegen der ihm innewohnenden Gefahr der Willkür und der immanenten Subjektivität in der Dogmatik umstritten.
Lehre vom Rechtsgut [Bearbeiten]
Die juristische Lehre vom Rechtsgut bezeichnet als Verbrechen solche Handlungen, die geeignet sind, geschützte Rechtsgüter in strafwürdiger Weise zu verletzen. Rechtsgüter sind dabei die rechtlich geschützten individuellen Interessen der Teilnehmer am Rechtsverkehr. Dieser „rechtsgutsbezogene“ Verbrechensbegriff ist enger als der natürliche Verbrechensbegriff und knüpft an die normativen Grundlagen einer Rechtsordnung (Gesellschaft) an. Er steht daher dem formellen Verbrechensbegriff schon recht nahe.
Lehre vom sozialschädlichen Verhalten [Bearbeiten]
Aus den Sozialwissenschaften stammt der Begriff des antisozialen Verhaltens, das im Kontext sozial unangepassten oder abweichenden Verhaltens (Devianz) definiert wird. Der daraus erwachsende Verbrechensbegriff stützt sich auf ein sozialwissenschaftliches Verständnis vom Handeln des Einzelnen in der Gesellschaft und bezieht in besonders hohem Maße Erkenntnisse der Kriminalistik ein. Um einen handhabbaren Verbrechensbegriff zu liefern, benötigt jedoch auch dieser Ansatz eine normative Basis.
Beispiele [Bearbeiten]
In Deutschland gelten unter anderem folgende Verbrechenstatbestände:
Strafgesetzbuch [Bearbeiten]
§ StGB Bezeichnung
§ 80 Vorbereitung eines Angriffskrieges
§ 81 Hochverrat gegen den Bund
§ 82 Hochverrat gegen ein Land
§ 83 Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens
§ 94 Landesverrat
§ 96 Landesverräterische Ausspähung
§ 100 Friedensgefährdende Beziehungen
§ 105 Nötigung von Verfassungsorganen
§ 129a Bildung terroristischer Vereinigungen
§ 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland
§ 146 Geldfälschung
§ 152b Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion und Vordrucken für Euroschecks
§ 154 Meineid
§ 176a Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern
§ 176b Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge
§ 177 Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung
§ 178 Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge
§ 211 Mord
§ 212 Totschlag
§ 213 Minder schwerer Fall des Totschlags
§ 226 Schwere Körperverletzung
§ 227 Körperverletzung mit Todesfolge
§ 234 Menschenraub
§ 234a Verschleppung
§ 239a Erpresserischer Menschenraub
§ 239b Geiselnahme
§ 244a Schwerer Bandendiebstahl
§ 249 Raub
§ 250 Schwerer Raub
§ 251 Raub mit Todesfolge
§ 252 Räuberischer Diebstahl
§ 255 Räuberische Erpressung
§ 260a Gewerbsmäßige Bandenhehlerei
§ 306 Brandstiftung
§ 306a Schwere Brandstiftung
§ 306b Besonders schwere Brandstiftung
§ 306c Brandstiftung mit Todesfolge
§ 307 Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie
§ 308 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion
§ 309 Missbrauch ionisierender Strahlen
§ 310 Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens
§ 313 Herbeiführen einer Überschwemmung
§ 314 Gemeingefährliche Vergiftung
§ 316a Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer
§ 316c Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr
§ 339 Rechtsbeugung
§ 343 Aussageerpressung
§ 344 Verfolgung Unschuldiger
§ 345 Vollstreckung gegen Unschuldige
Völkerstrafrecht [Bearbeiten]
    * Völkermord (§ 6 VStGB)
== Strafnebengesetze ==
    * Unerlaubter Handel mit Betäubungsmitteln (§ 29 a Betäubungsmittelgesetz (BtMG))
    * Gewerbsmäßiger unerlaubter Handel mit Betäubungsmitteln (§ 30 BtMG)
    * Bandenmäßiger gewerbsmäßiger unerlaubter Handel mit Betäubungsmitteln (§ 30 a BtMG)
    * Verbreitung und Herstellung von Selbstladewaffen (§ 52 a Waffengesetz)
    * Gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern (§ 92 b Ausländergesetz)
    * Gewerbs- und bandenmäßige Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung (§ 84 a Asylverfahrensgesetz)
    * Gewerbs- oder bandenmäßige Steuerhinterziehung in großem Ausmaß (§ 370a AO)
    * § 34 Abs. 4 Außenwirtschaftsgesetz in Verbindung mit § 69 Buchst, h Abs. 1 Nr. 2 Außenwirtschaftsverordnung
    * §§ 19 bis 20a Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG)
    * § 22a KWKG
Literatur [Bearbeiten]
    * Bernd-Dieter Meier: Kriminologie, C.H. Beck, München 2003
    * Hermann Mannheim: Vergleichende Kriminologie, Enke, Stuttgart 1966
==== Etymologie ====
==== Etymologie ====


31.738

Bearbeitungen