Totale Institution: Unterschied zwischen den Versionen

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Der Begriff einer Totalen Institution beschreibt nach Erving Goffmann ein soziales Milieu.
Der Begriff einer '''Totalen Institution''' beschreibt nach [[Erving Goffman]] ein soziales Milieu.


Mit Totalen Institutionen bezeichnet Goffmann eine Wohn- und Arbeitsstätte, für gleichgestellte Individuen, die für einen bestimmten Zeitraum von der übrigen Gesellschaft getrennt leben.
Mit Totalen Institutionen bezeichnet Goffmann eine Wohn- und Arbeitsstätte, für gleichgestellte Individuen, die für einen bestimmten Zeitraum von der übrigen Gesellschaft getrennt leben.
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Die Begrifflichkeit des totalen Charakters tritt dann ein, wenn der soziale Austausch mit der Außenwelt durch Reglementierungen auf die die einzelne betroffene Person keinen Einfluss hat, eingeschränkt wird.  
Die Begrifflichkeit des totalen Charakters tritt dann ein, wenn der soziale Austausch mit der Außenwelt durch Reglementierungen auf die die einzelne betroffene Person keinen Einfluss hat, eingeschränkt wird.  


Nach Goffmann werden totale Institutionen in fünf Gruppen/ Einrichtungen unterschieden:
Nach Goffman werden totale Institutionen in fünf Gruppen/ Einrichtungen unterschieden:


#Anstalten, die für die Fürsorge der sich dort aufhaltenden Personen eingerichtet worden sind. Die dortigen Insassen sind als ungefährlich gegenüber der übrigen Gesellschaft einzustufen. Sie bedürfen der externen Hilfe, da sie eine Unselbstständigkeit im Alltag aufweisen.
#Anstalten, die für die Fürsorge der sich dort aufhaltenden Personen eingerichtet worden sind. Die dortigen Insassen sind als ungefährlich gegenüber der übrigen Gesellschaft einzustufen. Sie bedürfen der externen Hilfe, da sie eine Unselbstständigkeit im Alltag aufweisen.
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Die ständige Überwachung bis ins kleinst Detail sowie die permanenten Maßnahmen, welche bei Verfehlungen angewendet werden, haben das Ziel einer Anpassung in den Alltag der Institution.  
Die ständige Überwachung bis ins kleinst Detail sowie die permanenten Maßnahmen, welche bei Verfehlungen angewendet werden, haben das Ziel einer Anpassung in den Alltag der Institution.  
Die teilweise alltäglichen Dinge, die das Leben der Menschen ausserhalb von totalen Institutionen erleichtern, erfreuen werden innerhalb dieser Einrichtungen als Privilegien empfunden. Durch die Aufstellung von Privilegien, die bei kooperativen Verhalten des Insassen eingesetzt werden, sollen letztlich auch Personen zur Kooperatin angehalten werden, die sich dem ansonsten entziehen. Ferner wird durch das Bestehen von Privilegien das Selbst des Insassen wiederbelebt.
Die teilweise alltäglichen Dinge, die das Leben der Menschen ausserhalb von totalen Institutionen erleichtern, erfreuen werden innerhalb dieser Einrichtungen als Privilegien empfunden. Durch die Aufstellung von Privilegien, die bei kooperativen Verhalten des Insassen eingesetzt werden, sollen letztlich auch Personen zur Kooperation angehalten werden, die sich dem ansonsten entziehen. Ferner wird durch das Bestehen von Privilegien das Selbst des Insassen wiederbelebt.
Das Privilegiensystem kann in drei Abschnitte unterteilt werden. Unter anderem stellt die Hausordnung der Institution ein Regelwerk dar, welches den Tagesablauf der Insassen festlegt. Durch die Aufnahme an die Einrichtung verliert der Insasse sämtliche vorherigen Privilegien. Durch die Anpassung an die Hausordnung durch erwünschtes normgerechtes Verhalten, stellt die Institution die Wiedererlangung der Mittel in Aussicht.
Das Privilegiensystem kann in drei Abschnitte unterteilt werden. Unter anderem stellt die Hausordnung der Institution ein Regelwerk dar, welches den Tagesablauf der Insassen festlegt. Durch die Aufnahme in die Einrichtung verliert der Insasse sämtliche vorherigen Privilegien. Durch die Anpassung an die Hausordnung durch erwünschtes normgerechtes Verhalten, stellt die Institution die Wiedererlangung der Mittel in Aussicht.


Der Wiedererlangung der Dinge, die als Belohnung dargestellt werden, sind keine Vergünstigungen oder Vergütungen, sondern die Abwesenheit von Entbehrungen. Privilegien stehen meistens in Verbindung mit dem eigentlichen Ziel, der Entlassung aus der Einrichtung. Zu bemerken ist, dass diese Privilegien vor dem Aufenthalt in der Einrichtung als normal angesehen worden sind.
Der Wiedererlangung der Dinge, die als Belohnung dargestellt werden, sind keine Vergünstigungen oder Vergütungen, sondern die Abwesenheit von Entbehrungen. Privilegien stehen meistens in Verbindung mit dem eigentlichen Ziel, der Entlassung aus der Einrichtung. Zu bemerken ist, dass diese Privilegien vor dem Aufenthalt in der Einrichtung als normal angesehen worden sind.


Als drittes Merkmal im Privilegiensystem sind die Strafen zu benennen. Sie stellen Reaktionen der Institution dar, die bei Regelüberschreitungen seitens des Insassen zur Anwendung kommen. Hierbei kommt es aus behavioristischer Sicht zu einer Durchmischung der Welt des Kindes und der des Erwachsenen. Strafen führen in der Welt der Erwachsenen meistens zu einer indirekten nachteiligen Folge, im Gegensatz zu dem Konditionierungsmodell des Kindes, bei der eine direkte Reaktion auf das gezeigte Missverhalten folgt.
Als drittes Merkmal im Privilegiensystem sind die Strafen zu benennen. Sie stellen Reaktionen der Institution dar, die bei Regelüberschreitungen seitens des Insassen zur Anwendung kommen. Hierbei kommt es aus behavioristischer Sicht zu einer Durchmischung der Welt des Kindes und der des Erwachsenen. Strafen führen in der Welt der Erwachsenen meistens zu einer indirekten nachteiligen Folge, im Gegensatz zu dem Konditionierungsmodell des Kindes, bei der eine direkte Reaktion auf das gezeigte Missverhalten folgt.
 


== Auswirkungen auf die Insassen ==
== Auswirkungen auf die Insassen ==
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Durch den so genannten Fraternisationseffekt wird versucht, den harten, trostlose Alltag zu kompensieren. Insassen, die vor ihrer Einweisung keine Verknüpfungspunkte zueinander hatten, stehen sich nun in totalen Institutionen trotz fehlender sozialer Bindung sehr nahe; es kommen Primärgruppen zustande. Gemeinsam wird versucht, dem repressiven Alltag in der Einrichtung zu trotzen. Während dieser Entwicklung zeigt sich, dass ein Mitverständnis untereinander entsteht.  
Durch den so genannten Fraternisationseffekt wird versucht, den harten, trostlose Alltag zu kompensieren. Insassen, die vor ihrer Einweisung keine Verknüpfungspunkte zueinander hatten, stehen sich nun in totalen Institutionen trotz fehlender sozialer Bindung sehr nahe; es kommen Primärgruppen zustande. Gemeinsam wird versucht, dem repressiven Alltag in der Einrichtung zu trotzen. Während dieser Entwicklung zeigt sich, dass ein Mitverständnis untereinander entsteht.  


Die Loyalität drückt sich darin aus, dass die enstandenden Gefühle sowie entwickelten Abwehrmechanismen während der Zeit in den Institutionen geteilt werden können. Ferner wird strikt zwischen der Welt innerhalb des Einrichtung und der außerhalb getrennt. Das heißt, die Gründe weswegen es zu einer Einweisung gekommen ist, hat lediglich  eine sekundäre Bedeutung. Hinzu kommt, dass die Vorwürfe die den Insassen zur Last gelegt werden, durch Anteilnahme der Mitinsassen leichter neutralisiert werden können.
Die Loyalität drückt sich darin aus, dass die enstandenden Gefühle sowie entwickelten Abwehrmechanismen während der Zeit in den Institutionen geteilt werden können. Ferner wird strikt zwischen der Welt innerhalb des Einrichtung und der außerhalb getrennt. Das heißt, die Gründe weswegen es zu einer Einweisung gekommen ist, haben lediglich  eine sekundäre Bedeutung. Hinzu kommt, dass die Vorwürfe die den Insassen zur Last gelegt werden, durch Anteilnahme der Mitinsassen leichter neutralisiert werden können.
Kollektive Fraternisation stärkt den Zusammenhalt einer Gruppe. Sie zeigt sich in der Form, dass sie gegen das Personal erfolgt. Durch die Gruppendynamik wird versucht, das Personal zu provozieren. Die Solidarität reicht in diesen Situationen soweit, dass die Gruppe der Insassen den eigentlichen Anstifter zu decken versucht, damit dieser nicht dem Bestrafungssystem der Einrichtung ausgesetzt ist. Um die abgesprochene Solidarität zu verhindern, versucht die Institution von vornherein die Bildung von Primärgruppen zu unterbinden.
Kollektive Fraternisation stärkt den Zusammenhalt einer Gruppe. Sie zeigt sich in der Form, dass sie gegen das Personal erfolgt. Durch die Gruppendynamik wird versucht, das Personal zu provozieren. Die Solidarität reicht in diesen Situationen soweit, dass die Gruppe der Insassen den eigentlichen Anstifter zu decken versucht, damit dieser nicht dem Bestrafungssystem der Einrichtung ausgesetzt ist. Um die abgesprochene Solidarität zu verhindern, versucht die Institution von vornherein die Bildung von Primärgruppen zu unterbinden.


Es ist jedoch zu bemerken, dass die Solidaritätsbekundungen aus der Not heraus dem Misstrauen innerhalb des Institutionsalltags entegegenstehen. So führen nicht zwangsläufig ähnliche Schicksale in einer Einrichtung zu Fraternisation. Im Gegenteil, ist der Einzelne eher darauf bedacht möglichst unbeschadet durch den Alltag zu kommen. Ängste wie der Diebstahl seiner noch verbliebenden Habseligkeiten bis hin dem Risiko eines Angriffes seitens des Mitinsassen ausgesetzt zu sein, lässt den Insassen eher ein zurückgezogenes Leben führen.
Es ist jedoch zu bemerken, dass die Solidaritätsbekundungen aus der Not heraus dem Misstrauen innerhalb des Institutionsalltags entegegenstehen. So führen nicht zwangsläufig ähnliche Schicksale in einer Einrichtung zu Fraternisation. Im Gegenteil, ist der Einzelne eher darauf bedacht möglichst unbeschadet durch den Alltag zu kommen. Ängste wie der Diebstahl seiner noch verbliebenen Habseligkeiten bis hin dem Risiko eines Angriffes seitens des Mitinsassen ausgesetzt zu sein, lässt den Insassen eher ein zurückgezogenes Leben führen.


Weitere zu beobachtende Symptomatik ist u.a. das Auftreten von Regression, kompromisslosem Standpunkt (Goffmann, 1973:66) sowie Kolonisierung.  
Weitere zu beobachtende Symptomatik ist u.a. das Auftreten von Regression, kompromisslosem Standpunkt (Goffmann, 1973:66) sowie Kolonisierung.  
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Resignationen zeigen sich in der Form der Kolonisierung, indem die Situation als positiv bewertet wird.
Resignationen zeigen sich in der Form der Kolonisierung, indem die Situation als positiv bewertet wird.
Glaubt der Insasse aus dem derzeitgen Alltag eine Zukunft aufzubauen, die ihn zufriedenstellt, so wird von einem Zustand der Kolonisierung gesprochen. Der Betroffene nimmt lediglich einen sehr kleinen Ausschnitt seiner Umwelt wahr. Durch die eher negativen Erfahrungen in der Welt außerhalb der Institution, die er vor dem Eintritt gemacht hat, glaubt er innnerhalb der Einrichtung ein durchaus besseres Leben führen zu können. Die bisher als schmerzlich empfundenen Unterschiede zwischen der Außenwelt und der totalen Institution werden nicht mehr so stark wahrgenommen, bzw. sogar ausgeblendet. Dem Personal gegenüber untergräbt er ihre Macht durch seine Zufriedenheit, da sie dem Zustand eher ohnmächtig entgegenstehen.
Glaubt der Insasse aus dem derzeitigen Alltag eine Zukunft aufzubauen, die ihn zufriedenstellt, so wird von einem Zustand der Kolonisierung gesprochen. Der Betroffene nimmt lediglich einen sehr kleinen Ausschnitt seiner Umwelt wahr. Durch die eher negativen Erfahrungen in der Welt außerhalb der Institution, die er vor dem Eintritt gemacht hat, glaubt er innnerhalb der Einrichtung ein durchaus besseres Leben führen zu können. Die bisher als schmerzlich empfundenen Unterschiede zwischen der Außenwelt und der totalen Institution werden nicht mehr so stark wahrgenommen, bzw. sogar ausgeblendet. Dem Personal gegenüber untergräbt er ihre Macht durch seine Zufriedenheit, da sie dem Zustand eher ohnmächtig entgegenstehen.
   
   
Durch das Konversionsverhalten wird durch die fehlerfreie Anpasung in der Form eines perfekten Insassen die Möglichkeit einer baldigen Entlassung erhofft. Dies zeigt sich u.a. in perfektem Verhalten, wie sich das Personal dies erwünscht. Teilweise übernehmen die Insassen auch die Attitüden von einzelnen Personalangehörigen indem sie versuchen sich ähnlich zu kleiden,  bzw. das Verhalten zu imitieren. Hier ist mitunter auffällig, dass sie bei tatsächlicher Einbindung durch das Personal durchaus härter und strenger agieren.  
Durch das Konversionsverhalten wird durch die fehlerfreie Anpasung in der Form eines perfekten Insassen die Möglichkeit einer baldigen Entlassung erhofft. Dies zeigt sich u.a. in perfektem Verhalten, wie sich das Personal dies erwünscht. Teilweise übernehmen die Insassen auch die Attitüden von einzelnen Personalangehörigen indem sie versuchen sich ähnlich zu kleiden,  bzw. das Verhalten zu imitieren. Hier ist mitunter auffällig, dass sie bei tatsächlicher Einbindung durch das Personal durchaus härter und strenger agieren.  
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== Fazit, Kritik ==
== Fazit, Kritik ==


Das primäre Ziel von einer totalen Institution ist die Veränderung des Charakters der betroffenen Person. Die bewusst entstehende Spannung in der Einrichtung soll als strategischer Hebel zur Menschenführung dienen.  
Das primäre Ziel einer totalen Institution ist die Veränderung des Charakters der betroffenen Person. Die bewusst entstehende Spannung in der Einrichtung soll als strategischer Hebel zur Menschenführung dienen.  
Weitere anerkanne Ziele von totalen Institutionen sind u.a. Erziehung und Ausbildung, medizinische Behandlung sowie Schutz der übrigen Gesellschaft (Psychiatrie).  
Weitere anerkanne Ziele von totalen Institutionen sind u.a. Erziehung und Ausbildung, medizinische Behandlung sowie Schutz der übrigen Gesellschaft (Psychiatrie).  
Gerade totale Institutionen in der Form eines Strafvollzuges verfolgen die primären generalpräventiven Ziele wie der Unschädlichmachung, der Vegeltung, der Abschreckung und der Besserung der betroffenen Insassen zum Schutz der Gesellschaft ausserhalb dieser Einrichtungen.
Gerade totale Institutionen in der Form eines Strafvollzuges verfolgen die primären generalpräventiven Ziele wie der Unschädlichmachung, der Vegeltung, der Abschreckung und der Besserung der betroffenen Insassen zum Schutz der Gesellschaft ausserhalb dieser Einrichtungen.
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== Literatur ==
== Literatur ==


*Goffman, Erving,1973, Asyle über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderen Insassen, Suhrkamp, Frankfurt am Main
*Erving Goffman, ''Asyle über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen'', Suhrkamp, Frankfurt am Main 1973.
 
[[Kategorie:Soziologie]]
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