Terrorliste: Unterschied zwischen den Versionen

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Eine Terrorliste ist ein Verzeichnis von natürlichen und/oder juristischen Personen, die als terroristische Gefährdung angesehen werden und deshalb besonderen Finanz- und/oder Reise-Einschränkungen unterliegen. Obwohl Terrorlisten auch in den USA, in Großbritannien und anderen Staaten geführt werden, behandelt dieser Beitrag lediglich die Terrorlisten der Vereinten Nationen und der Europäischen Union.   
Eine '''Terrorliste''' ist ein Verzeichnis von natürlichen und/oder juristischen Personen, die als terroristische Gefährdung angesehen werden und deshalb besonderen Finanz- und/oder Reise-Einschränkungen unterliegen. Obwohl Terrorlisten auch in den USA, in Großbritannien und anderen Staaten geführt werden, behandelt dieser Beitrag lediglich die Terrorlisten der Vereinten Nationen und der Europäischen Union.   





Version vom 28. Oktober 2009, 15:54 Uhr

Eine Terrorliste ist ein Verzeichnis von natürlichen und/oder juristischen Personen, die als terroristische Gefährdung angesehen werden und deshalb besonderen Finanz- und/oder Reise-Einschränkungen unterliegen. Obwohl Terrorlisten auch in den USA, in Großbritannien und anderen Staaten geführt werden, behandelt dieser Beitrag lediglich die Terrorlisten der Vereinten Nationen und der Europäischen Union.


Die UNO-Liste

Rund 400 Namen befinden sich auf der vom Sanktionsausschuss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen geführten UN-Terrorliste. Vom Sicherheitsrat wurden alle UN-Mitglieder verpflichtet, finanzielle Ressourcen der Verfügung der Eigentümer zu entziehen (= "einzufrieren"), die direkt oder indirekt von Personen auf der Terrorliste kontrolliert werden. Hinzu kommen Ein- und Durchreiseverbote und das Verbot der Belieferung mit Waffen.

Die EU-Liste

Die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats wurden innerhalb der EU in Verordnungen umgesetzt, welche die Kommission der Europäischen Gemeinschaften ermächtigte, die UN-Terrorlisten gemäß den Entscheidungen des Sanktionsausschusses des Sicherheitsrats zu aktualisieren.

Bis 2007 musste eine Listung nicht begründet werden. Personen erfuhren also nicht, dass sie gelistet waren, warum sie gelistet waren - und konnten dementsprechend auch nicht dagegen vorgehen. Verschiedene Rechtsstreitigkeiten gaben den Gelisteten daraufhin einige Rechte.

Die im Jahre 2009 auf rund 100 Namen (etwa je zur Hälfte Personen und Organisationen) angewachsene EU-Terrorliste wird von einem geheim tagenden Expertengremium erstellt und vom EU-Ministerrat beschlossen. Im Dezember 2001 begann die Liste mit etwa einem Dutzend Organisationen wie z.B. der ETA und der real IRA; am 02.05.02 kamen arabische Einzelpersonen und einige Organisationen wie die PKK dazu - und zwar ungeachtet der Tatsache, dass im EU-Staat Deutschland der dafür zuständige Generalbundesanwalt die PKK schon seit 1997 ausdrücklich als "nicht mehr terroristisch" eingestuft hatte. Mitte 2002 kamen dann auch noch die FARC und die Al-Aksa-Brigaden auf die Liste. Die halbjährlich aktualisierte Liste befindet sich im Anhang einer EU-Verordnung, die das Einfrieren von Geldern all der Personen anordnet, die in dieser Liste aufgeführt sind. Allerdings sind die Kriterien unbestimmt, nach denen jemand auf die Liste gelangt oder wieder von der Liste gestrichen wird. Im September 2008 standen zum Beispiel die Hisbollah nicht auf der EU-Terrorliste, wohl aber die Iranischen Volksmudschaheddin (PMOI), obwohl der Europäische Gerichtshof (EuGH) die im Jahre 2002 erfolgte Aufnahme der PMOI auf die Liste für nichtig erklärt hatte.



Folgen für die Betroffenen

  • "Den gelisteten Personen oder Unternehmen dürfen keinerlei Gelder zur Verfügung gestellt werden. Eine gelistete Person darf zwar für ein Unternehmen arbeiten, das Unternehmen darf dem Betreffenden aber kein Geld und auch keinen anderen wirtschaftlichen Vorteil zur Verfügung stellen. Eine Meldepflicht schreibt zudem vor, dass Unternehmen, Institutionen, Behörden und auch Privatpersonen, die in geschäftlichen Kontakt mit solch einer Person kommen, dieses umgehend melden müssen. Europaratsermittler Dick Marty bezeichnete dahingegend die Listung einer Person als zivile Todesstrafe, da eine gelistete Person praktisch rechtlos gestellt (wird)" (Berner 2008).
  • "Wer einmal auf der Liste steht, hat kaum mehr eine Chance auf ein normales Leben. Er ist quasi vogelfrei, wird politisch geächtet, wirtschaftlich ruiniert und sozial isoliert. Das gesamte Vermögen wird eingefroren, alle Konten und Kreditkarten werden gesperrt, Barmittel beschlagnahmt, Arbeits- und Geschäftsverträge faktisch aufhoben; weder Arbeitsentgelt noch staatliche Sozialleistungen dürfen noch ausbezahlt werden; hinzu kommen Passentzug und Ausreisesperre sowie Überwachungs- und Fahndungsmaßnahmen. Mit Verweis auf die Terrorliste werden Wohnungsdurchsuchungen, Beschlagnahmungen oder Festnahmen begründet. Zu den Fernwirkungen zählen die Verweigerung von Einbürgerungen und Asylanerkennungen sowie der Widerruf des Asylstatus von Mitgliedern oder Anhängern gelisteter Gruppen" (Gössner 2009).
  • Dem im niederländischen Asyl lebenden Gründungsvorsitzender philippinischen kommunistischen Partei und angeblichen Führer einer terroristischen Bewegung auf den Philippinen, José Maria Sison, wurden Sozialhilfe und Krankenversicherung aufgekündigt. Sein Bankkonto wurde gesperrt. Auslandsreisen wurden ihm untersagt.

Konsequenzen für Dritte

Gefängnis-Seelsorge

Obwohl die Zahl der Gefängnis-Insassen, die auf einer Terror-Liste stehen, nicht groß ist (in Deutschland 2009: 20), können Kontakte mit solchen Gefangenen für Gefängnis-Seelsorger Risiken mit sich bringen.

  • Ein katholischer Gemeindereferant, der aufgrund seiner Eigenschaft als Gefängnisseelsorger in einem Düsseldorfer Al-Kaida-Prozess im Jahre 2006 die Aussage verweigert hatte, wehrte sich gegen das Ordnungsgeld von 750 Euro ebenso wie gegen die dann angedrohte maximale Beugehaft von sechs Monaten. Als er mit seiner Haltung auch vor den höchsten deutschen Gerichten nicht durchdrang, konnte er die Beugehaft durch seine Aussage abwenden, dass er für einen der drei Angeklagten in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal Versicherungsadressen im Internet recherchiert habe. Internetrecherchen, so das Oberlandesgericht, sei kein Element der Seelsorge. Den Vorwurf, dass er auch Briefe des Angeklagten an Versicherungen an der Postkontrolle der JVA vorbeigeschleust habe, bestritt der 45-Jährige. Der Seelsorger, der das Gericht als freier Mann verlassen konnte, erklärte: "Ich stehe nicht über dem Recht, und von daher muss ich mich dieser Entscheidung beugen."

Einzelprobleme

  • Deutschland prüft genauer als Nachbarländer - und halst sich damit erhebliche Mehrkosten in der Privatwirtschaft gegenüber ausländischen Mitbewerbern auf.
  • Internationale Speditionsfirmen wie z.B. Kühne & Nagel leisten sich teure computergestützte Überprüfungen. Sie beklagen sich darüber, dass z.B. Bahn- und Briefbeförderungs-Unternehmen keine entsprechenden Überprüfungen ihrer Transportleistungen durchführen und sich damit einen Vorteil gegenüber anderen Logistikunternehmen verschaffen.
  • Die Kriterien, nach denen die Listen erstellt werden, sind undurchsichtig. Auf die Liste zu kommen oder von der Liste gestrichen zu werden, hängt nicht zuletzt von politischen Opportunitätserwägungen, Aushandlungsprozessen usw. ab.
  • Es gibt keine Durchführungsbestimmungen, nicht einmal Empfehlungen zu den Terrorlisten. Sie wirken allein durch ihre Abschreckungswirkung gegenüber allen, die sich an einem Totalboykott nicht beteiligen wollen oder sich fahrlässig auf Kontakte einlassen, etwa weil sie von der Aufnahme einer Person oder Firma in die Terrorliste nichts erfahren haben.
  • Es ist verboten, Geschäftsbeziehungen zu Personen oder Organisationen zu unterhalten, die auf einer Terrorliste stehen. Die Sanktion kann darin bestehen, dass eine solche Firma selbst auf die Terrorliste gesetzt wird. Für Firmen mit internationalen Kontakten ist es nicht leicht zu wissen, ob jemand auf der Terrorliste steht. Sie zahlen jedenfalls entweder durch die Anschaffung teurer Software und die Einstellung zusätzlicher Sicherheitskräfte oder dadurch, dass sie kostenintensive Schwierigkeiten bekommen. Nach Meinung mancher erledigt die Privatwirtschaft auf diese Weise auf eigene Kosten hoheitliche Aufgaben (vgl. Pergande 2009).
  • Die "Iranischen Volksmudschahedin", eine Organisation, die schon in Opposition zum iranischen Schah-Regime und dann in Opposition zum Mullah-Regime stand und inzwischen der Gewalt abgeschworen haben will, stand lange auf der europäischen Terrorliste und wurde erst im Februar 2009 aufgrund von Verfahrensfehlern bei der Auflisten aus der Liste gestrichen.
  • Die iranische Staatsreederei steht auf den US-Listen. Eine Nichtbeachtung der US-Listen durch international tätige Firmen würde diese in Existenznot bringen, auch wenn sich die rechtliche Verpflichtungswirkung der US-Listen nicht auf andere Staaten erstreckt.
  • Der Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Dick Marty, bezeichnet die Aufnahme in eine solche Terrorliste im Zusammenhang mit dem Fall des Italieners ägyptischer Herkunft, Youssef Nada, als ein Beispiel von vielen für so etwas wie eine zivile Todesstrafe. Nada wurde von der CIA verdächtigt, zu den Finanzgebern der Anschläge vom 11. September 2001 zu gehören. Durch den Eintrag in eine Schwarze Liste wurde Nada geschäftlich ruiniert. Die von dem Betroffenen selbst geforderten vierjährige Ermittlungen der Schweizer Justiz konnten keinerlei Verdachtsmomente zu Tage fördern.
  • Der zunächst auf die UN-Terrorliste und bereits am 19. Oktober 2001 auch auf die EU-Terrorliste gesetzte saudi-arabische Geschäftsmann Yassin Abdullah Kadi klagte mit Erfolg vor dem Europäischen Gerichtshof gegen seine Aufnahme auf die EU-Terrorliste. Zwar hatte das Gericht erster Instanz die EU-Gerichtsbarkeit für letztlich unzuständig erklärt, weil die EU ja nicht selbst Recht setzte, sondern lediglich ihrer Verpflichtung zum Nachvollzug der Sicherheitsrats-Resolutionen nachkäme. Doch der Generalanwalt am Gerichtshof (Poiares Maduro) erklärte, dass auch der eminent politische Charakter der Maßnahme nicht dazu führen dürfe, "die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts auszuschalten und dem Einzelnen seine Grundrechte" - gemeint waren vor allem das Grundrecht auf Eigentum, der Anspruch auf rechtliches Gehör und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz - "zu entziehen". Am 3. September 2008 entschieden die Luxemburger Richter, dass die Konten Kadis und der in Schweden ansässigen Al-Barakaat-Stiftung zu unrecht gesperrt worden waren. Die Verordnung, mit der die EU entsprechenden Resolutionen des UN-Sicherheitsrates nach dem 11. September 2001 nachgekommen war, verstoße gegen Grundrechte. Die Kontrolle der Gültigkeit einer jeden Handlung der Gemeinschaft mit Blick auf die Grundrechte sei als Ausdruck einer Verfassungsgarantie in einer Rechtsgemeinschaft zu betrachten - einer Garantie, die isch aus dem EG-Vertrag als autonomen Rechtssystem ergebe und durch ein völkerrechtliches Abkkommen wie die UN-Charta niecht beeinträchtigt werden könne. Der Gerichtshof gab dem Rat drei Monate Zeit, die Verletzungen zu heilen. Zwar sei es verständlich, dass man Verdächtige nicht vorher von dem Verdacht informieren dürfe, doch sei es unerlässlich, Verdächtigen nach der Sperrung ihrer Konten die Gründe dafür darzulegen und ihnen Gelegenheit zur Verteidigung zu geben.

Rechtsschutz

EU

  • Am 28.10.2002 geriet der in Utrecht im Exil lebende Filipino José Maria Sison, Gründungsvorsitzender der philippinischen kommunistischen Partei, auf Antrag der niederländischen Regierung auf die Terrorliste. Für den im Februar 2009 70 Jahre alt gewordenen Sison war es wie ein Geburtstagsgeschenk, als der Europäische Gerichtshof Erster Instanz die Listung am 30.09.2009 für rechtswidrig erklärte.

Die Iranischen Volksmudschahedding waren gegen ihre Listung vor den EuGH gezogen. Sie erhielten ein Urteil zu ihren Gunsten. Doch die EU verhielt sich renitent. Der EuGH urteilte erneut und erneut blieb das Urteil ohne Folgen. Erst nach dem dritten Urteil des EuGH in derselben Sache und nach weiterer Wartezeit strich die EU-Kommission die Gruppe von der Liste. Eine Prozedur, welche die Frage nach Instrumenten rechtlichen Zwangs gegen renitente EU-Organe aufwerfen könnte.

Nach 7 Jahren ohne Rechtsmittel-Möglichkeit führte ein Gerichtsurteil seit 2008 dazu, dass die Aufnahme in die EU-Terrorliste begründet und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen werden muss.

Auf diese Weise erwirkte ein in den Niederlanden lebender Marokkaner, der 2006 in Rotterdam wegen Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe verurteilt und sogleich auch auf die EU-Terror-Liste gesetzt worden war, nach seinem Freispruch im Berufungsverfahren (2008) auch die Streichung von der Terrorliste. Allerdings billigte ihm der EuGH keine Entschädigung zu.

Kritik

Ein Vertreter der American Civil Liberties Union (ACLU), Barry Steinhardt, erklärte zur Terrorliste: "Die Überwachungsliste in ein perfektes Symbol für das, was falsch läuft beim Umgang der Regierung mit dem Terrorismus: Sie ist unfair, außer Kontrolle geraten, miserabel verwaltet, eine Verschwendung von Ressourcen, und es ist ein sehr reales Hindernis im Leben von Milliarden Reisenden" (Welt-Online 15.07.08).

Dick Marty, der Sonderbeauftragte des Europarats, erklärte, die Listung käme einer zivilen Todesstrafe gleich; ein Serienkiller habe mehr Rechte als ein Mensch, der auf einer Terrorliste stehe (zit.n. Macke 2008: 37).

Literatur

  • Gössner, Rolf (2009) EU-Terrorliste: Feindstrafrecht auf Europäisch. Blätter für deutsche und internationale Politik 3:13–16 (www.blaetter.de)
  • Pergande, Frank (2009) Die Tücken der Terrorlisten. Deutsche Unternehmen im Visier der Fahnder. FAZ 24.02.09: 3.
  • Rechtsschutz für Terrorverdächtige. FAZ 04.09.08: 4.

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