Strafvollzug in freier Form

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Kurze Historie des Strafvollzug

Der Strafvollzug erfuhr im Laufe der Jahrhunderte vom reinen Verwahrvollzug bis zum Erziehungs- oder Behandlungsvollzug einige Veränderungen. Der Strafvollzug findet seinen Ursprung im 16. Jahrhundert. Den Anfang machte England im Jahre 1555, es entstand ein Arbeitshaus für Landstreicher und Diebe, die durch Arbeit resozialisiert werden sollten. Dem Vorbild Englands folgend, wurden in Deutschland und Holland weitere Einrichtungen eröffnet. Die erste „Anstalt“ für „missratene“ Kinder entstand 1603 in Deutschland. Die bis dahin bekannten Zuchthäuser, waren von reinem Vergeltungscharakter geprägt und bestanden weiterhin fort.

Die neuen Ansätze, welche durch Resozialisierungsbemühungen geprägt waren, fanden durch den 30-jährigen Krieg (1618-1648) ein Ende. Im 18. Jahrhundert setzten umfassende Reformbewegungen ein, welche eine klare Differenzierung zwischen Kindern und Erwachsenen verdeutlichten. Diese wirkten sich auf die Strafverbüßung für Kinder und Jugendliche aus, welche den Status der Erziehungsbedürftigkeit erhielten und somit andere Haftvoraussetzungen erforderten. Als Ergebnis dieser veränderten Haltung wurde 1912 ein Jugendgefängnis eröffnet (in Wittlich). 1923 wurde vom Reichstag das erste Jugendgerichtsgesetz ins Leben gerufen. Erstmalig wurden erzieherische Aspekte berücksichtigt.

In der Fassung des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) von 1953 wurden Bewährungsstrafen und Bewährungshilfe verankert. §91 JGG definiert den Jugendstrafvollzug als Erziehungsvollzug. 1976 wurden weitere Veränderungen vorgenommen: In §2 des Strafvollzuggesetzes (StVollzG) wurden die Themen des allgemeinen Strafvollzugs erweitert indem die Resozialisierung in den Vordergrund gerückt wurde.

Im Laufe der Entwicklung wurden zwei, zum Teil gegensätzlich scheinende Ansätze deutlich:

1. Resozialisierung und Behandlung

2. Schutz der Gesellschaft durch „Verwahrung“ im geschlossenen Vollzug


Der Strafvollzug

Der Strafvollzug wird durch das Strafvollzugsrecht und bundeseinheitliche Verwaltungsvorschriften geregelt. Der Strafvollzug wird in Deutschland nach gerichtlich verhängten Freiheitsstrafen in Justizvollzugsanstalten durchgeführt. Hiervon unterscheidet sich der Maßregelvollzug, dieser wird i.d.R. in psychiatrischen Kliniken durchgeführt. Die Jugendstrafe wird i.d.R. innerhalb von Jugendstrafanstalten vollzogen.

Das übergeordnete Ziel, das im Vollzug der Freiheitsstrafe angestrebt werden soll, ist das Vollzugsziel. Die Gefangenen im Strafvollzug sollen "fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen." (§ 2 StVollzG).

Hiervon lassen sich die folgenden Ziele ableiten:

Ein Richtziel im Strafvollzug ist unter anderem das im §2 StVollzG definierte Vollzugsziel: die Resozialisierung. Dieses beinhaltet "alle Maßnahmen, welche eine (Wieder-) Eingliederung straffällig gewordener Jugendlicher oder Erwachsener in die Gesellschaft anzielen" (vgl.Keller und Novak, 1993). Die Formulierung dieses Ziels ist nicht präzise definiert. Klare Richtlinien zur Umsetzung werden nicht gegeben. Der Strafvollzug in freier Form unterscheidet sich entscheidend von den genannten Formen.

Gesetzestext (Berücksichtigter Stand der Gesetzgebung: 30. Juni 2008)

"(1) Ein Gefangener soll mit seiner Zustimmung in einer Anstalt oder Abteilung des offenen Vollzuges untergebracht werden, wenn er den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges genügt und namentlich nicht zu befürchten ist, daß er sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzuges zu Straftaten mißbrauchen werde.

(2) Im übrigen sind die Gefangenen im geschlossenen Vollzug unterzubringen. Ein Gefangener kann auch dann im geschlossenen Vollzug untergebracht oder dorthin zurückverlegt werden, wenn dies zu seiner Behandlung notwendig ist." (Vgl. http://www.jusline.de/index.php?cpid=f92f99b766343e040d46fcd6b03d3ee8&lawid=67&paid=10)


Strafvollzug in freier Form

Der Strafvollzug in freier Form tritt unter bestimmten Bedingungen für Jugendliche in Kraft. Geregelt wurde dieses durch das Jugendgerichtsgesetz. Von besonderer Bedeutung war hier der §91 Abs.3 JGG. Es handelte sich um eine Alternative innerhalb des Jugendstrafvollzuges, es bestehen gewisse Ähnlichkeiten zum offenen Vollzug, primär durch die Reduzierung der Sicherheitsvorkehrungen und dadurch, dass der Vollzug nicht in einer Justizvollzugsanstalt durchgeführt wird.

Am 01.01.2008 wurde der §91 Abs.3 JGG durch 16 Landesstrafvollzugsgesetze abgelöst. Mit dem Inkrafttreten seit dem 01.01.2008 sind die Bundesländer der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 31.05.2006 gefolgt (vgl.:www.bundesverfassungsgericht.de).

Merkmale des offenen Vollzugs:

  • weitgehender Angleichung an die Lebensbedingungen außerhalb des Vollzuges
  • Verzicht auf die für den geschlossenen Vollzug typische baulich-technische Sicherung
  • es können Umwehrungsmauer, Fenstergitter und besonders gesicherte Türen entfallen
  • Außentüren der Gebäude können tagsüber unverschlossen bleiben
  • Betroffene können während ihrer Freizeit das Außengelände nutzen
  • Nachts sind die Außentüren der Unterkünfte verschlossen

Typische Arten von Vollzugslockerungen sind:

  • Ausgang, d.h. es handelt sich um ein kurzzeitiges Verlassen der Einrichtung
  • Urlaub aus der Haft bedeutet mindestens 1 Übernachtung außerhalb der Einrichtung
  • Außenbeschäftigung und Freigang werden nicht generell überwacht


Ziele des Strafvollzugs in freier Form:

Für den Jugendstrafvollzug ist primäres Ziel die Befähigung zu einem straffreien Leben in Freiheit.

  • Realitätsnahe Resozialisation
  • intensives Sozialtraining
  • Übernahme allgemein anerkannter Wertvorstellungen
  • Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt
  • demokratische Alltagsbewältigung
  • mehr Selbständigkeit und moralische Verantwortung
  • Soziale Trainingskurse
  • Konfliktfreies Zusammenleben
  • Sinnvolle Freizeitbeschäftigung
  • Verantwortungsbewusstsein
  • Regelmäßige Arbeit
  • Einhaltung von Regeln und Richtlinien
  • Sauberkeit


Gesetzliche Grundlage Jugendstrafvollzug:

„Der Jugendstrafvollzug betrifft nur die Jugendstrafe, was aus § 91 Absatz 1 Jugendgerichtsgesetz (JGG) hervorgeht. Er findet in speziellen Jugendstrafanstalten statt (§ 92 Absatz 1 JGG), die von den Strafvollzugsanstalten für Erwachsene institutionell und räumlich getrennt sind, so dass jeglicher Kontakt mit "ausgewachsenen" Straftätern verhindert wird. Die dort tätigen Vollzugsbeamten müssen auch besonders für die Betreuung Jugendlicher geschult sein (§ 91 Absatz 4 JGG). Zu Beginn des Aufenthaltes wird aufgrund einer psychologischen Untersuchung des Jugendlichen ein Vollzugsplan erstellt, der den weiteren Ablauf der Jugendstrafe für diesen festlegt. Der Jugendliche lebt dann innerhalb der Anstalt in einer so genannten Erziehungsgruppe, die meist von einem Sozialarbeiter geleitet wird. Wie diese Gruppen von ihrer Zusammensetzung her genau aussehen, ist in den einzelnen Anstalten ziemlich verschieden. Sport und Arbeit kommen im Vollzug besondere Bedeutung zu (§ 91 Absatz 2 JGG), da sie den Jugendlichen von weiterer Straffälligkeit abhalten sollen. Insbesondere eine regelmäßige Arbeit soll ihm Selbstvertrauen schenken und nicht nur monoton sein. Auch der Besuch einer Berufsschule ist im Strafvollzug möglich, so dass der Jugendliche auch seine Berufsausbildung nachholen kann. Weiter gibt es ein psychotherapeutisches Angebot: Gruppentherapie, soziale Trainingskurse (zum Beispiel Anti-Aggressions-Training) und Drogenentzug sind im Jugendstrafvollzug heute weitgehend Standart. Sogar eine weitgehende Lockerung des Vollzugs kann erfolgen - bis hin zum halboffenen Vollzug oder zum "Freigängertum" (§ 91 Absatz 3 JGG). Diese Lockerungen dienen letztlich auch der Erziehung und fördern die Selbständigkeit des Einzelnen. Schließlich ist auch die Entlassung zu organisieren, der Übergang des Jugendlichen in die "normale Welt" wird ihm durch die Hilfe der Behörden erleichtert.“ (Vgl. http://cms.valuenet.de/tsolcgi/ts.cgi?tsurl=0.59410.547339.0.0&tsstmplt=object_ph)

Bislang fand dieser jedoch kaum Anwendung.Häufig wurden junge Menschen, deren Strafe ohne Bewährung ausgesetzt wurde, in normalen Justizvollzugsanstalten inhaftiert.

Der Strafvollzug in freier Form unterscheidet sich vom "offenen Vollzug". Gesetzliche Regelungen finden sich im § 10 StVollzG Offener und geschlossener Vollzug: § 10 StVollzG Offener und geschlossener Vollzug


Besonderheiten bei Jugendlichen

Für Jugendliche bedeutet der Aufenthalt in einer Justizvollzugsanstalt ein besonders einschneidendes und sich häufig negativ auf den weiteren Lebensverlauf auswirkendes Ereignis. Unter anderem ist hierfür das Zeitempfinden Jugendlicher verantwortlich, welches sich von dem Erwachsener unterscheidet. Jugendliche erfahren zudem einen stärkeren Leidensdruck durch die Trennung aus ihrem primären und sekundären sozialen Umfeld und sind in ihrer Persönlichkeit weniger gefestigt und stärker prägbar, als Erwachsene. Jugendlichen muss die Möglichkeit gegeben werden, familiäre Beziehungen zu pflegen. Der Umgang mit delinquenten Jugendlichen erfordert somit eine besondere, sensiblere Umgehensweise, welche Rücksicht auf die Besonderheiten der Entwicklungsphase nimmt.

Der Staat ist dazu verpflichtet, negative Auswirkungen zu mindern. Jugendliche befinden sich in einer stark prägenden Lebensphase und sollen dazu befähigt werden, ein nicht kriminelles und selbständiges Leben führen zu können. Der Aufenthalt in einer Strafanstalt wäre insofern kontraproduktiv, wenn nicht sogar verfassungswidrig (vgl. Butz, 2004).

Jugendliche zu inhaftieren kann zum Teil als unangemessene Härte interpretiert werden. Der Staat übernimmt in dieser Phase eine besondere Verantwortung und fördert die Betroffenen beispielsweise durch soziales Lernen und die Förderung von Fähigkeiten, welche sich positiv auf die berufliche Karriere auswirken. Die erfolgreiche Wiedereingliederung ist sowohl für den Betroffenen, wie auch für den Schutz der Allgemeinheit von großer Wichtigkeit.

Die Achtung der Menschenwürde und der Verhältnismäßigkeit staatlichen Strafens muss den Besonderheiten des jugendlichen Lebensabschnittes und Heranwachsender Rechnung tragen.

Das Bundesverfassungsgerichts forderte am 31.05.2006 folgende Regelungen:

  • eine Ausrichtung auf die soziale Integration des Vollzuges. Als fragwürdig können jene Reglungen bezeichnet werden, welche den Schutz der Allgemeinheit vor das Resozialisierungsziel stellen.
  • das Bundesverfassungsgericht forderte weiterhin konkrete Vorgaben bezüglich personeller wie finanzieller Mittel zur Erreichung des Vollzugszieles. Diese finden sich jedoch nicht in den Ländergesetzen.
  • das Bundesverfassungsgericht verlangte am 31.05.2006, dass die Gesetzgeber sich am aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand orientieren sollten. Dieses wurde ignoriert, bzw. wurde hier entgegengesetzt durch die neuen Ländergesetze gehandelt, indem der offene Vollzug und Vollzugslockerungen abgebaut wurden.

Hinweise auf Verstöße gegen die Grundrechte sieht das Bundesverfassungsgericht in der Missachtung gegenüber völkerrechtlicher Vorgaben. Hierzu gehört auch die Isolationshaft, welche jedoch weiterhin in den Bundesländern, bis auf Hessen, durchgeführt wird (vgl.http://www.strafvollzugsarchiv.de).


Offener Jugendstrafvollzug

Der offene Jugendstrafvollzug ist eine Vollzugsform, bei der in dafür geeigneten Fällen, die Strafvollstreckung gem. § 91 Abs. 3 Jugendgerichtsgesetz weitgehend in freien Formen durchgeführt wird. Die Anstalten unterscheiden sich nach der Definition in § 15 JStVollG von geschlossenen Einrichtungen durch reduzierte Sicherheitsvorkehrungen gegen Entweichungen. D.h. dass auf Mauern oder Sicherheitszäune und Gitter verzichtet wurde.

Dem Schutz der Allgemeinheit wird durch folgende Regelungen Rechnung getragen: Es werden nur Menschen in den offenen Vollzug aufgenommen, welche sich vor ihrer Aufnahme einer Eignungsuntersuchung unterziehen und die sich vor Strafantritt in Freiheit befanden und nicht anzunehmen ist, dass sie den offenen Vollzug zur Begehung von Straftaten missbrauchen.

Eine Überwachung findet in geeigneter Weise statt. Der Aufenthalt in einer Einrichtung des offenen Vollzugs kann widerrufen werden, wenn der Betreffende die Eignungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt.Jugendliche aus Jugendstrafanstalten können unter bestimmten Voraussetzungen in den offenen Jugendstrafvollzug wechseln.


Literaturangaben:


Butz, K.,2004 in: Die Verhängung von Jugendstrafe vor dem Hintergrund der Verfassungswidrigkeit des Jugendstrafvollzuges: Untersuchung zur Verfassungsgemässheit von § 17 Abs. 2 JGG, Shaker

Diemer, H., 2008 in: Jugendgerichtsgesetz: mit den Jugendstrafvollzugsgesetzen der Länder, Heidelberg

Feest, J. (Hrsg.) in 2006: StVollzG, Kommentar zum Strafvollzugsgesetz, Luchterhand

Keller und Novak, 1993 in: Kleines Pädagogisches Wörterbuch, Grundbegriffe - Praxisorientierungen - Reformideen. Freiburg im Breisgau

Ortner H., 1988 in: Gefängnis. Eine Einführung in seine Innenwelt. Geschichte, Alltag, Alternativen. Beltz, Weinheim

Reindl, R., 1991 in: Offener Jugendstrafvollzug als Sozialisationsorgan. Ein erziehungssoziologischer Beitrag zu den Bedingungungen pädagogischen Handelns in offenen Einrichtungen des Jugendstrafvollzugs, Pfaffenweiler



Internetquellen:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20060531_2bvr167304.html (Stand: 2008-08-27)

http://cms.valuenet.de/tsolcgi/ts.cgi?tsurl=0.59410.547339.0.0&tsstmplt=object_ph (Stand: 2008-07-15)

http://www.jusline.de/index.php?cpid=f92f99b766343e040d46fcd6b03d3ee8&lawid=67&paid=10 (Stand: 2008-07-15)

http://www.spiegel.de/sptv/themenabend/0,1518,159022,00.html (Stand: 2008-07-16)

http://www.strafvollzugsarchiv.de/index.php?action=archiv_beitrag&thema_id=16&beitrag_id=171&gelesen=171 (Stand: 2008-08-27)

Weitere Informationen zum Strafvollzug unter: http://prisonportal.informatik.uni-bremen.de/prisonportal/index.php/Portal