Staatsverbrechen

Der Begriff Staatsverbrechen, der im 19. Jahrhundert ausschliesslich Delikte gegen den Staat meinte, bezeichnet im 21. Jahrhundert vor allem Delikte seitens des Staates.

In der Krünitz´schen Enzyklopädie (1836: 380 ff.) hiess es, ein Staatsverbrechen (=Crimen majestatis s. perduellionis; Fr. Crime d' état) sei "ein Vergehen, welches gegen den Staat begangen wird, sey es nun gegen den Staat oder die Regierung als Körperschaft, oder gegen den Regenten, als Haupt, Oberhaupt der Körperschaft, und gegen dessen Familie."

Weiter ist zu lesen (Zitat; Seitenzahlen im Text):

Gegen den Staat als Körperschaft werden Verbrechen begangen:

  1. Wenn man dessen Geheimnisse als hoher Staatsbedienter an fremde Mächte, sey es im Frieden oder im Kriege, verräth
  2. wenn man einen hohen oder wichtigen Posten in einer kritischen Lage des Staats und in entscheidenden Momenten, besonders im Kriege, verläßt, und wohl gar in die Dienste des Feindes geht, oder sich doch mit ihm im Geheimen verbindet, oder auch dem Feinde Hülfe leistet, und ihm, z. B. in Kriegszeiten, mit Geld, Mannschaft, Pferden, Waffen etc. beisteht, oder mit demselben eine verrätherische Correspondenz führt
  3. wenn Minister landesverderbliche Rathschläge geben, und dadurch das Volk in Aufruhr bringen, den Bürgerkrieg im Innern entzünden etc.
  4. wenn Unterthanen den Feind aufwiegeln sich des Landes zu bemächtigen, oder selbst den Staat in des Feindes Hände liefern; 5) wenn man den Staat in Schriften angreift, ihn fälschlich der Mängel beschuldiget, seine höheren Diener oder Beamten in den Augen des Volks herabsetzt, ihnen Vergehen andichtet etc.
  5. wenn man Aufruhr prediget und aufrührische Schriften verbreitet, oder sich an das demagogische Treiben anschließt
  6. wenn <165, 381> man eine Verschwörung gegen den Staat anzettelt
  7. wenn man dessen Gesetze verhöhnt
  8. wenn man anvertraute Gelder unterschlägt und das Geld aus öffentlichen Kassen auch zu seinem Nutzen verwendet; auch gehören hierher die Verfälschungen von Staatspapieren, Staatsdokumenten, und die Falschmünzerey, und
  9. wenn man die Kirche auf eine gehässige und in den Augen des Volks anstößige Weise in Schriften angreift und ihre Diener lästert.

Gegen den Regenten als Oberhaupt des Staats werden Verbrechen begangen:

  1. Wenn man dessen Person angreift und beschimpft, sey es nun in Schriften, in Kupferstichen, oder durch angeschlagene Pasquille, in der Absicht, einen Aufruhr zu erregen
  2. wenn man eine Verschwörung gegen das Leben des Regenten anzettelt und den Thron umzustürzen trachtet, und
  3. wenn man einen Angriff auf das Leben des Herrschers wagt, ja ihn verwundet, oder wohl gar tödtet.

Sowohl die oben zuerst angeführten Verbrechen, als auch diese drei Abtheilungen sind Hochverrath, also Kapital=Staatsverbrechen, und Letztere beziehen sich auch auf die Familie des Regenten, besonders auf dessen Gemahlin, und den Thronfolger. Den Hauptstaatsverbrechern oder Hochverräthern werden gleich geachtet: alle diejenigen, welche zu dem Verbrechen den Auftrag geben, Rathschläge ertheilen, sich wissentlich zur Ausführung der Anschläge der Zusammenverschworenen gebrauchen lassen, Waffen und andere Instrumente und Materialien bei sich verstecken, ihr Haus zu den Zusammenkünften der Verschworenen hergeben; ferner diejenigen, welche um den von Andern sich vorgenommenen Hochverrath wissen, und ihn anzeigen oder sonst verhindern konnten, aber ihn dennoch nicht angezeigt oder verhindert haben; auch diejenigen, welche einen ins Gefängniß geworfenen Hochverräther aus demselben befreiet, oder zu befreien gesucht haben. <165, 382> Nach dem Herren von Montesquiou soll das Gesetz nicht so hart seyn, welches in mehreren Staaten unter Lebensstrafe befiehlt eine Verschwörung zu entdecken, wenn man selbst darin auch nicht verwickelt ist; nur unter einer Monarchischen Regierung sey es rathsam, dasselbe zu beschränken; denn nur in seiner ganzen Strenge soll es bei einem Majestäts=Verbrechen, an dem Staats=Oberhaupte begangen, angewendet werden."


Nach Bedeutung wurden drei Klassen unterschieden (426 f.):

  1. Zur ersten Klasse gehören die Kapital=Verbrechen, als der Hochverrath, der sowohl in einer Verschwörung gegen den Staat, als auch gegen die höchste Person darin, den Herrscher, besteht, so wie alle sich darauf beziehende Verbrechen, welche schon in Ausübung gebracht, oder blos attentirt, oder vor der Ausführung entdeckt und verhindert worden sind; auch gehören hierher die Verrätherey der Staatsgeheimnisse, Truppenstellungen im Kriege, Uebergabe von Festungen ohne Noth, kurz alle Handlungen, wodurch dem Staate tiefe Wunden beigebracht werden oder werden können, und wobei seine Existenz auf dem Spiele steht.
  2. Zur zweiten Klasse gehören alle dieje<165, 427>nigen Verbrechen gegen den Staat oder dessen Oberhaupt, die zwar als Reizmittel zur Empörung dienen, aber ohne andere Elemente nicht gleich schädlich wirken können, wenn sie gleich in moralischer Beziehung die Herzen vergiften und den Keim zur Empörung darein pflanzen. Hierher gehören alle zum Aufruhr oder doch zum Ungehorsam gegen die Regierung und die bestehenden Gesetze reizenden Schriften, das Aufruhrpredigen von sogenannten Volksmännern in geschlossenen Gesellschaften, wenn nämlich der Zweck dabei Zwietracht zu stiften und die Regierung zu verhöhnen unverkennbar vorwaltet; ferner die Verbrechen der beleidigten Majestät, wozu auch die Injurien gegen den Regenten, die Pasquille mancherlei Art gehören, so wie auch alle darauf Bezug und nicht Bezug habenden andern Vergehen von einiger Bedeutung gegen den Staat. Hierher kann man auch die Verbrechen gegen die Kirche und ihre Diener rechnen, welche sonst eine eigene Klasse bilden würden.
  3. Zur dritten Klasse gehören alle Verbrechen gegen den Staat, welche nicht dessen Umsturz, Störung etc. bezwecken, wohl aber dessen Ansehen, Geschäftsgang und Finanzen schwächen und stören können, wohin auch die Verläumdungen der Staatsdiener höheren Ranges im Amte oder in Beziehung auf ihre Aemter und Amtspflichten, die Unterschlagung von Staatsgeldern bei Staatskassen, Verfälschung von Staatsdokumenten etc. etc. gehören. Diese drei Klassen haben nun wieder ihre Unterabtheilungen in Hinsicht der mehreren oder wenigern Strafbarkeit des Verbrechens, des Alters der Verbrecher, und der Umstände, unter welchen es begangen worden.


Der Hochverrath ist das größte Verbrechen, welches gegen den Staat und denjenigen begangen werden kann, der die höchsten Magestätsrechte darin hat, welches daraus fließt, daß er das Wohl und die <165, 428> Sicherheit des Staats als die Grundpfeiler, den eigentlichen Endzweck desselben, angreift, verletzt und zerstört; deshalb wird er auch mit den größten Strafen, die dem menschlichen Gesetzgeber erlaubt sind, bestraft, wie solches auch bei allen bekannten Völkern geschehen ist, ja bei einigen oft mit solcher Grausamkeit noch bis in das letzte Drittel des vergangenen Jahrhunderts, wie es kaum bei rohen kulturlosen Völkern zu geschehen pflegt.


Staasverbrecher , Violator Majestatis, Fr. Criminel d' état, eine Person, welche ein Verbrechen gegen den Staat begeht,


Literatur

  • Artikel "Staatsverbrechen", in: Johann Georg Krünitz: Ökonomisch-technologische Enzyklopädie, Band 165 (1836), S. 380-467 (elektronische Ausgabe der Universitätsbibliothek Trier [1]).
  • Artikel "Staatsverbrecher", in: Johann Georg Krünitz: Ökonomisch-technologische Enzyklopädie, Band 165 (1836), S. 642-684 (elektronische Ausgabe der Universitätsbibliothek Trier [2]).
  • Vassalli, Giuliano (2010) Radbruchsche Formel und Strafrecht. Zur Bestrafung der 'Staatsverbrechen' im postnazistischen und postkommunistischen Deutschland. Berlin, New York: de Gruyter.

Weblinks