Sozialtherapeutische Anstalt: Unterschied zwischen den Versionen

 
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Unter einer  '''Sozialtherapeutischen Anstalt''' versteht man heute  eine inhaltlich und strukturell eigenständige Einrichtung des Strafvollzugs, die spezielle therapeutische Mittel und soziale Hilfen zur Behandlung und Resozialisierung der Gefangenen vorhält.  Zielgruppe sind besonders rückfallgefährdete Straftäter. Seit 1998 ist für [[Sexualstraftäter]] mit Verurteilungen zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe die Verlegung in eine Sozialtherapeutische Einrichtung gesetzlich vorgeschrieben.
 
 
Unter einer  '''Sozialtherapeutischen Anstalt''' versteht man heute  eine inhaltlich und strukturell eigenständige Einrichtung des Strafvollzugs, die spezielle therapeutische Mittel und soziale Hilfen zur Behandlung und Resozialisierung der Gefangenen vorhält.  Zielgruppe sind besonders rückfallgefährdete Straftäter. Seit 1998 ist für Sexualstraftäter mit Verurteilungen zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe die Verlegung in eine Sozialtherapeutische Einrichtung gesetzlich vorgeschrieben.




==Entwicklung des Konzepts==
==Entwicklung des Konzepts==
Zielsetzung und Anfänge: Die heutigen sozialtherapeutischen Anstalten haben ihren Ausgang von einer Strafrechtsreform von 1969 genommen. Geplant war, dass sozialtherapeutische Anstalten als Maßregel-Einrichtungen der Besserung und Sicherung nicht dem Strafvollzug unterstehen sollten, sondern wie der psychiatrische Maßregelvollzug  und die Sicherungsverwahrung als selbständige Alternative zum Strafvollzug von den Gerichten angeordnet werden können. Vorgesehen war für sie eine Regelung in Form eines  § 65 StGB (alter Fassung), der  analog zu den §§ 63 (bei psychischer Erkrankung), 64 (bei Sucht) und 66 (Sicherheitsverwahrung) StGB im Falle von Personen mit Persönlichkeitsstörungen zur Anwendung kommen sollte, die zwar persönlichkeitsgestört, jedoch nicht krank im psychiatrischen Sinne sind. Vier Fallgruppen waren vorgesehen:  
Zielsetzung und Anfänge: Die heutigen sozialtherapeutischen Anstalten haben ihren Ausgang von einer Strafrechtsreform von 1969 genommen. Geplant war, dass sozialtherapeutische Anstalten als Maßregel-Einrichtungen der Besserung und Sicherung nicht dem Strafvollzug unterstehen sollten, sondern wie der psychiatrische [[Maßregelvollzug]] und die [[Sicherungsverwahrung]] als selbständige Alternative zum Strafvollzug von den Gerichten angeordnet werden können. Vorgesehen war für sie eine Regelung in Form eines  § 65 StGB (alter Fassung), der  analog zu den §§ 63 (bei psychischer Erkrankung), 64 (bei Sucht) und 66 (Sicherheitsverwahrung) StGB bei den folgenden vier Personengruppen zur Anwendung kommen sollte:  


1. Rückfalltäter mit schweren Persönlichkeitsstörungen  
1. Rückfalltäter mit schweren Persönlichkeitsstörungen  
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3. Jungerwachsene Hangtäter
3. Jungerwachsene Hangtäter


4. §§ 20/21 Täter, wenn Sozialtherapie günstiger erschien  als eine Therapie im psychiatrischen Krankenhaus
4. Nach §§ 20/21 StGB unterzubringende  Täter, wenn Sozialtherapie günstiger erschien  als eine Therapie im psychiatrischen Krankenhaus


Erste sozialtherapeutische Anstalten wurden 1969 in Hamburg-Bergedorf und in  Hohenasperg (BW) eröffnet. Das Gesetz wurde zwar verabschiedet, trat jedoch nie in Kraft und wurde 1984 schließlich gestrichen.  
Erste sozialtherapeutische Anstalten wurden 1969 in Hamburg-Bergedorf und in  Hohenasperg (BW) eröffnet. Das Gesetz wurde zwar verabschiedet, trat jedoch nie in Kraft und wurde 1984 schließlich gestrichen.  


Weitere Entwicklung: Stattdessen wurde die Frage der Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt über die Strafvollzugsanstalten geregelt und seit 1977 in § 9 des (Bundes-) Strafvollzugsgesetzes (Verlegung eines Gefangenen in eine sozialtherapeutische Einrichtung, wenn die besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen einer solchen Anstalt zu seiner Resozialisierung angezeigt sind) und den §§ 123 bis 126 gefasst, und die Einrichtungen  blieben Teil des Strafvollzugs, auch wenn sie organisatorisch selbständig waren. Als Argumente dafür, das Gesetz zunächst nicht in Kraft treten zu lassen,  wird angeführt, dass den Ländern zunächst Zeit gegeben werden sollte, entsprechende Einrichtungen zu erstellen, und später Finanzierungsprobleme dies verhinderten.  
Weitere Entwicklung: Stattdessen wurde die Frage der Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt über die Strafvollzugsanstalten geregelt und seit 1977 in § 9 des (Bundes-) Strafvollzugsgesetzes (Verlegung eines Gefangenen in eine sozialtherapeutische Einrichtung, wenn die besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen einer solchen Anstalt zu seiner Resozialisierung angezeigt sind) und den §§ 123 bis 126 im StVollzG (Strafvollzugsgesetz[http://de.wikipedia.org/wiki/Strafvollzugsgesetz]) gefasst, und die Einrichtungen  blieben Teil des Strafvollzugs, auch wenn sie organisatorisch selbständig waren. Als Argumente dafür, das Gesetz zunächst nicht in Kraft treten zu lassen,  wird angeführt, dass den Ländern zunächst Zeit gegeben werden sollte, entsprechende Einrichtungen zu erstellen, und später Finanzierungsprobleme dies verhinderten.  


Den Anstalten in Hamburg-Bergedorf und in  Hohenasperg (BW) folgten solche  in Berlin, Düren, Erlangen, München, Ludwigshafen und anderen Orten; bis 1981 gab es in der BRD 12 dieser Einrichtungen, 1997 deren 20.  Danach steigt die Zahl bis 2009 auf 52 an.  Mit verantwortlich  dafür ist ein  ''Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten'' vom 26.01.1998: Dadurch kommt es zu einer Reform der Sozialtherapie im Justizvollzug, bei der die bislang Freiwillige Vollzugslösung (§9 StVollzG) durch eine „verpflichtende Vollzugslösung“ ergänzt wird: Bei Sexualstraftätern mit Verurteilungen zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe wird eine zwingende Verlegung in sozialtherapeutische Einrichtungen vorgesehen, wenn die Behandlung angezeigt ist (§9 Abs. 1 StVollzG).   
Den Anstalten in Hamburg-Bergedorf und in  Hohenasperg (BW) folgten solche  in Berlin, Düren, Erlangen, München, Ludwigshafen und anderen Orten; bis 1981 gab es in der BRD 12 dieser Einrichtungen, 1997 deren 20.  Danach steigt die Zahl bis 2009 auf 52 an.  Mit verantwortlich  dafür ist ein  ''Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten'' vom 26.01.1998: Dadurch kommt es zu einer Reform der Sozialtherapie im Justizvollzug, bei der die bislang Freiwillige Vollzugslösung (§9 StVollzG) durch eine „verpflichtende Vollzugslösung“ ergänzt wird: Bei Sexualstraftätern mit Verurteilungen zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe wird eine zwingende Verlegung in sozialtherapeutische Einrichtungen vorgesehen, wenn die Behandlung angezeigt ist (§9 Abs. 1 StVollzG).   
Dieses Gesetz dient der Verbesserung der therapeutischen Maßnahmen für Sexualstraftäter und  soll die Gesellschaft besser vor Sexualstraftätern schützen, die stets ein hohes Angstpotential evozieren. Gleichzeitig kann es den Gedanken der Sozialtherapie im Strafvollzug stärken. Es wird von einem Bedarf an insgesamt 4000 Sozialtherapie-Plätzen gesprochen (bei ca. 80000 Haftplätzen insgesamt). In den letzten Jahren kommen vermehrt Haftplätze in sozialtherapeutischen Einrichtungen im Jugendvollzug hinzu, deren Zielgruppe Mehrfach-Intensivtäter sind.  
Dieses Gesetz soll der Verbesserung der therapeutischen Maßnahmen für Sexualstraftäter dienen und  die Gesellschaft besser vor Sexualstraftätern schützen, die stets ein hohes Angstpotential evozieren. Gleichzeitig kann es den Gedanken der Sozialtherapie im Strafvollzug stärken. Es wird von einem Bedarf an insgesamt 4000 Sozialtherapie-Plätzen gesprochen (bei ca. 80000 Haftplätzen insgesamt). In den letzten Jahren kommen vermehrt Haftplätze in sozialtherapeutischen Einrichtungen im Jugendvollzug hinzu, deren Zielgruppe Mehrfach-Intensivtäter sind.  
Jährliche Übersichten über die Entwicklung der sozialtherapeutischen werden von der  Kriminologischen Zentralstelle e.V. in Wiesbaden erstellt, deren Leiter, Prof. Dr. R. Egg, die Entwicklung seit ihren Anfängen verfolgt.
Jährliche Übersichten über die Entwicklung der sozialtherapeutischen werden von der  Kriminologischen Zentralstelle e.V. in Wiesbaden erstellt, deren Leiter, Prof. Dr. R. Egg, die Entwicklung seit ihren Anfängen verfolgt.


Aktuelle Situation: Am  31. 03. 2009 (Erhebungsstichtag, Egg 2009) gibt es 52 sozialtherapeutische Einrichtungen mit 2043 Haftplätzen in Deutschland, die teils selbständig (7) sind, teils Abteilungen innerhalb von Vollzugsanstalten (45). Konsequenter Weise wird seit der Streichung des alten § 65 StGB vermehrt auch von „sozialtherapeutischen Einrichtungen“ oder „sozialtherapeutischen  Abteilungen“ gesprochen, sozusagen als Oberbegriff für Einrichtungen, die im Strafvollzug nach sozialtherapeutischen Prinzipien arbeiten. 34 dieser Einrichtungen dienen der Aufnahme von erwachsenen Männern, 3 sind für Frauen, 15 für männliche Jugendliche. Die Belegung der Plätze betrug im Durchschnitt 88%, wobei in den letzten Jahren insbesondere bei Männern tendenziell weniger Personen im offenen Vollzug untergebracht werden.  
Aktuelle Situation: Am  31. 03. 2009 (Erhebungsstichtag, Egg 2009) gibt es 52 sozialtherapeutische Einrichtungen mit 2043 Haftplätzen in Deutschland, die teils selbständig (7) sind, teils Abteilungen innerhalb von Vollzugsanstalten (45). Konsequenter Weise wird seit der Streichung des alten § 65 StGB vermehrt auch von „sozialtherapeutischen  Abteilungen“, wenn sie innerhalb einer JVA angesiedelt sind, oder werden allgemeiner als "[[Sozialtherapeutische Einrichtungen]]" sozusagen als Oberbegriff für Einrichtungen bezeichnet, die im Rahmen des Strafvollzugs nach sozialtherapeutischen Prinzipien arbeiten. 34 dieser Einrichtungen dienen der Aufnahme von erwachsenen Männern, 3 sind für Frauen, 15 für männliche Jugendliche. Die Belegung der Plätze betrug im Durchschnitt 88%, wobei in den letzten Jahren insbesondere bei Männern tendenziell weniger Personen im offenen Vollzug untergebracht werden.  
Zu berücksichtigen ist auch, dass infolge eines Förderalismusreform-Gesetzes von 2006  die Zuständigkeit für den Strafvollzug von dem Bund auf die Länder übergegangen ist, was zu Differenzierungen führt.  
Zu berücksichtigen ist auch, dass infolge eines Förderalismusreform-Gesetzes von 2006  die Zuständigkeit für den Strafvollzug von dem Bund auf die Länder übergegangen ist, was zu Differenzierungen führt.  


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===Sozialtherapie===  
===Sozialtherapie===  
ist in einem umfassenden Sinne eine Therapieform, die in Hinblick auf psychosoziale Störungen die Blickrichtung vom  Individuum auf das gesamte Lebensumfeld des Klienten erweitert (z. B. Richter 1978), und die sich daher nicht notwendigerweise auf das Klientel der Delinquenten beschränken muss. Wegweisend ist dabei in Verständnis von Störung,  das die durchgehende Verknüpfung von psychischem Befund und sozialer Interaktion (Uchtenhagen 1978) berücksichtigt. Anwendungsmöglichkeiten  ergeben sich überall dort, wo der Einbezug des Lebensumfeldes insbesondere deshalb Sinn macht, weil  Klienten von sich aus nicht in der Lage sind, ihre Lebensumstände soweit zu beeinflussen, dass sie ihre Leiden und Defizite beheben können. Sozialtherapeutische Interventionen in diesem Sinne sind in vielen Anwendungsfeldern denkbar, in Familien, Schulen, sozialen Brennpunkten etc.)  
ist in einem umfassenden Sinne eine Therapieform, die in Hinblick auf psychosoziale Störungen die Blickrichtung vom  Individuum auf das gesamte Lebensumfeld des Klienten erweitert (z. B. Richter 1978 [http://de.wikipedia.org/wiki/Horst-Eberhard_Richter]), und die sich daher nicht notwendigerweise auf das Klientel der Delinquenten beschränken muss. Wegweisend ist dabei ein Verständnis von Störung,  das die durchgehende Verknüpfung von psychischem Befund und sozialer Interaktion (Uchtenhagen [http://de.wikipedia.org/wiki/Ambros_Uchtenhagen]1978) berücksichtigt. Anwendungsmöglichkeiten  ergeben sich überall dort, wo der Einbezug des Lebensumfeldes insbesondere deshalb Sinn macht, weil  Klienten von sich aus nicht in der Lage sind, ihre Lebensumstände soweit zu beeinflussen, dass sie ihre Leiden und Defizite beheben können. Sozialtherapeutische Interventionen in diesem Sinne sind in vielen Anwendungsfeldern denkbar, in Familien, Schulen, sozialen Brennpunkten etc.)  


Als breites Feld für die Anwendung hat sich im Laufe der Zeit  Sozialtherapie im Straf- bzw. Justizvollzug entwickelt. Diese zeichnet sich aus durch
Als breites Feld für die Anwendung hat sich im Laufe der Zeit  Sozialtherapie im Straf- bzw. Justizvollzug entwickelt. Diese zeichnet sich aus durch
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===Therapeutische Mittel und Ziele===
===Therapeutische Mittel und Ziele===
Ziel von Sozialtherapie in diesem Sinne  ist die Ermöglichung eines Lebens in Freiheit nach der Entlassung ohne kriminelle Rückfälle für die Gefangenen. Die heutigen Konzepte arbeiten zumeist mit einer Kombination kognitiv-behaviouraler Programme wie Anti-Aggressivitätstraining, R&R – Training (Reasoning and Rehabilitation), Tataufarbeitung. Die Gefangenen leben in Wohngemeinschaften zusammen, die einen Übungsraum für soziales Lernen darstellen, in dem die notwendigen Fähigkeiten erlernt, Defizite abgebaut und Fehlhaltungen ausgeglichen werden sollen, damit prosoziale Haltungen  eingeübt werden können. Dabei werden Möglichkeiten von Selbstreflexion und Selbstkontrolle vermittelt,  sowie kognitive und soziale Fertigkeiten.  Impulsivität soll reduziert, die Frustrationstoleranz und die Empathiefähigkeit verbessert werden.  
Ziel von Sozialtherapie in diesem Sinne  ist die Ermöglichung eines Lebens in Freiheit nach der Entlassung ohne kriminelle Rückfälle für die Gefangenen. Die heutigen Konzepte arbeiten zumeist mit einer Kombination kognitiv-behaviouraler Programme wie Anti-Aggressivitätstraining, R&R – Training [http://www.psych-haina.de/kffp/html/r___r.html] (Reasoning and Rehabilitation), Tataufarbeitung. Die Gefangenen leben in Wohngemeinschaften zusammen, die einen Übungsraum für soziales Lernen darstellen, in dem die notwendigen Fähigkeiten erlernt, Defizite abgebaut und Fehlhaltungen ausgeglichen werden sollen, damit prosoziale Haltungen  eingeübt werden können. Dabei werden Möglichkeiten von Selbstreflexion und Selbstkontrolle vermittelt,  sowie kognitive und soziale Fertigkeiten.  Impulsivität soll reduziert, die Frustrationstoleranz[http://de.wikipedia.org/wiki/Frustrationstoleranz] und die Empathie [http://de.wikipedia.org/wiki/Empathie]- Fähigkeit verbessert werden.  
Ausgangspunkt ist die Annahme von Sozialisations- und Verhaltensdefiziten, die in der Einrichtung beseitigt werden sollen. Daher ist auch die Angleichung der Vollzugsbedingungen an die allgemeinen Lebensverhältnisse, wie sie in § 3 StVollzG vorgesehen ist, in der Sozialtherapie  von großer Bedeutung, damit die Behandlung  zu  Eigenverantwortlichkeit, Selbständigkeit und das Verantwortungsgefühl für andere führen kann.
Ausgangspunkt ist die Annahme von Sozialisations- und Verhaltensdefiziten, die in der Einrichtung beseitigt werden sollen. Daher ist auch die Angleichung der Vollzugsbedingungen an die allgemeinen Lebensverhältnisse, wie sie in § 3 StVollzG vorgesehen ist, in der Sozialtherapie  von großer Bedeutung, damit die Behandlung  zu  Eigenverantwortlichkeit, Selbständigkeit und das Verantwortungsgefühl für andere führen kann.


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===Zur Wirksamkeit von Sozialtherapie im Strafvollzug===
===Zur Wirksamkeit von Sozialtherapie im Strafvollzug===
Zur Beurteilung der Wirksamkeit sozialtherapeutischer Straftäterbehandlung liegt von Anfang an Begleitforschung vor,  sowohl in Einzelstudien als auch in Meta-Evaluationstudien (z.B. Lösel 1994; Dünkel 1996). Egg et al. 2001 berichten von einem durchschnittlichen Effekt von 11%). Die Befunde ergeben zumeist einen nicht allzu starken Haupteffekt der Sozialtherapie in Höhe von 8-14 %. Das bedeutet, wenn die Rückfallquote für die einer Studie gegenständlichen Deliktform z.B.50% beträgt, dann beträgt sie bei vergleichbaren  Straftätern, die sozialtherapeutisch behandelt wurden, ca.42-36%. VonBeginn an gab es Auch Zweifel an der Wirksamkeit von Sozialtherapie. Erwähnt werden soll eine Studie über 2 Anstalten aus Nordrhein-Westfalen von Ortmann (2002), bei der Probanden, bei denen eine Indikation für Sozialtherapie gestellt worden war, zufällig  in eine Gruppe mit und ohne Sozialtherapie eingeteilt wurden. Bei diesen ergab sich eine Wirksamkeit von nur 7,5%. Dennoch  gilt Sozialtherapie insbesondere bei Straftaten  mit hoher Rückfallgefahr  als wesentliches Mittel zur Senkung von Rückfälligkeit und als Vorbild für den resozialisierenden Strafvollzug überhaupt. Insgesamt kann man feststellen, dass die Wirksamkeit dessen, was heute in sozialtherapeutischen Anstalten für die Gefangenen getan wird, die ursprünglichen Erwartungen jedoch nicht erfüllt hat.
Zur Beurteilung der Wirksamkeit sozialtherapeutischer Straftäterbehandlung liegt von Anfang an Begleitforschung vor,  sowohl in Einzelstudien als auch in Meta-Evaluationstudien (z.B. Lösel 1994; Dünkel 1996). Egg et al. 2001 berichten von einem durchschnittlichen Effekt von 11%). Die Befunde ergeben zumeist einen nicht allzu starken Haupteffekt der Sozialtherapie in Höhe von 8-14 %. Von Beginn an gab es auch Zweifel an der Wirksamkeit von Sozialtherapie. Erwähnt werden soll eine Studie über 2 Anstalten aus Nordrhein-Westfalen von Ortmann (2002), bei der Probanden, bei denen eine Indikation für Sozialtherapie gestellt worden war, zufällig  in eine Gruppe mit und ohne Sozialtherapie eingeteilt wurden. Bei diesen ergab sich eine Wirksamkeit von nur 7,5%. Dennoch  gilt Sozialtherapie insbesondere bei Straftaten  mit hoher Rückfallgefahr  als wesentliches Mittel zur Senkung von Rückfälligkeit und als Vorbild für den resozialisierenden Strafvollzug überhaupt. Insgesamt kann man feststellen, dass die Wirksamkeit dessen, was heute in sozialtherapeutischen Anstalten für die Gefangenen getan wird, die ursprünglichen Erwartungen nicht erfüllt hat.


==Kritik der Sozialtherapie im Strafvollzug==
==Kritik der Sozialtherapie im Strafvollzug==
Sozialtherapie gilt als fortschrittliche Vollzugsform. Wie wirksam Sozialtherapie in der ursprünglich geplanten Form als Maßregel gewesen wäre, kann naheliegender Weise nicht erforscht werden. Trotz  Kritik kann man  davon ausgehen,  dass die Rückfälle bei aus dem Maßregelvollzug Entlassenen etwas, wenngleich nicht entscheidend niedriger sind als bei den aus Strafanstalten Entlassenen. Dieser eher geringe Effekt könnte damit zusammenhängen, dass gegenüber dem ursprünglichen Konzept der Sozialtherapeutischen Anstalt die heutigen Formen einige  insbesondere strukturelle Nachteile haben. Die Rückfallquoten nach der Anordnung von Maßregeln nach §§ 20, 21 sind jedenfalls geringer (Pollähne 2006)
Sozialtherapie gilt als fortschrittliche Vollzugsform. Wie wirksam Sozialtherapie in der ursprünglich geplanten Form als Maßregel gewesen wäre, kann naheliegender Weise nicht erforscht werden.  
 
Die ursprünglich als neue Maßregel und  "Kernstück der Strafrechts- und Strafvollzugsreform" (Laubenthal 2008, S. 341) vorgesehene Behandlungsform sollte für diejenigen Personen wirksame Hilfe bieten, für die eine ex- oder deculpierende psychiatrische Diagnose nicht gestellt werden kann, deren oft chronisch kriminelle Karriere jedoch mit potentiell korrigierbaren sozialen und persönlichen Einschränkungen zu verbinden war. Der Aspekt der Hilfe und der Alternative zum Regelvollzug wäre durch  Sozialtherapie als Maßregel gegenüber der jetzigen Vollzugslösung stärker  akzentuiert worden. In der jetzigen Situation sind  die Insassen einer sozialtherapeutischen Einrichtung Gefangene im Strafvollzug. Das bedeutet, sie halten sich im  Kontext von Schuld und einer dieser „angemessenen“ Strafe auf, sind nicht Patienten (§§ 63, 64) und auch nicht aus Sicherheitsgründen weiterhin Verwahrte, die ihre  Strafe verbüßt haben (§66). Zwischen Therapie und der vom Gefangenen als Vergeltung wahrgenommenen Strafe besteht eine gewisse Unverträglichkeit, auch seitens der Klienten solcher Maßnahmen, die deren Akzeptanz erschwert. Der alte § 65 wollte vornehmlich Hilfen bereitstellen. Letztlich zeigt sich in der Entwicklung auch, dass  der Gesetzgeber (und wohl auch die Gesellschaft) bei dieser Tätergruppe den Schwerpunkt der Maßnahme nicht zu sehr auf die Seite  von Therapie verlagern wollte.  


Bei der Konzeption von Therapie im Strafvollzug ist neben der unmittelbaren Gegenwart des Strafprinzips zu bedenken, dass die Handlungsmöglichkeiten des einzelnen Gefangenen stark beschnitten sind. Es gehört zum Wesen einer „totalen Institution“ wie den Gefängnissen, dass sie Autonomie und das Gefühl von Selbstwirksamkeit beim Einzelnen stark einschränken, was für Therapie eine schlechte Voraussetzung ist. Das Vollzugsklima kann den therapeutischen Zielen entgegenwirken. Man kann in diesem Zusammenhang sogar von einem therapiefeindlichen Vollzugsklima (Graebsch 2004) sprechen. Zur Wirksamkeit des Strafvollzugs ein Zitat eines Rückfallforschers:
Insgesamt kann man  davon ausgehen, dass die Häufigkeit der kriminellen Rückfälle bei aus dem sozialtherapeutischen Vollzug Entlassenen etwas, wenngleich nicht entscheidend niedriger ist als bei den aus dem Strafvollzug Entlassenen, und höher als bei  den aus Maßregeln nach §§ 20, 21 StGB (z. B. Pollähne 1996)Entlassenen.
''"Ein weiterer Kritikpunkt ist die anerkannt geringe spezialpräventive Wirkung des Strafvollzugs überhaupt, an der sich auch durch die Sozialtherapie im Strafvollzug nichts grundsätzlich ändert. Der Nachweis einer Überlegenheit eingriffsintensiverer im Vergleich zu weniger eingriffsintensiven Rechtsfolgen, insbesondere freiheitsentziehender gegenüber nicht freiheitsentziehenden Sanktionen, wurde demnach in keiner der vorliegenden Studien erbracht. Diese Befunde der deutschsprachigen Sanktionsforschung fügen sich bruchlos ein in den allgemeinen Wissensstand kriminologischer Forschung. Insbesondere die neueren US-amerikanischen Sekundäranalysen zeigen, dass von einer “tough on crime”-Kriminalpolitik, die auf Strafschärfungen, insbesondere auf freiheitsentziehende Sanktionen setzt, keine positiven Effekte zu erwarten sind. Programme, die auf spezialpräventive Abschreckung abzielten, sei es durch kurzen Freiheitsentzug (shock probation), durch längere, mit militärischem Drill verbundene Internierung (boot camps) oder in Form von Gefängnisbesuchsprogrammen (scared straight), hatten nicht die erwünschten Effekte, die Rückfallraten der Vergleichsgruppen waren nicht niedriger, in einer Reihe von Untersuchungen sogar höher."'' (Heinz 2007, S. 11)
Die ursprünglich als neue Maßregel und "Kernstück der Strafrechts- und Strafvollzugsreform" (Laubenthal 2008, S. 341) vorgesehene Behandlungsform sollte für die oben genannten Personen wirksame Hilfe bieten. Der Aspekt der Hilfe und der Alternative zum Regelvollzug wäre durch Sozialtherapie als Maßregel gegenüber der jetzigen Vollzugslösung stärker akzentuiert worden. In der jetzigen Situation bleiben  die Insassen einer sozialtherapeutischen Einrichtung Gefangene im Strafvollzug. Das bedeutet, sie halten sich im Kontext von Schuld und einer dieser Schuld „angemessenen“ Strafe auf, sind nicht Patienten (§§ 63, 64) und auch nicht aus Sicherheitsgründen weiterhin Verwahrte, die ihre  Strafe verbüßt haben (§66). Zwischen Therapie und der vom Gefangenen als Vergeltung wahrgenommenen Strafe besteht eine gewisse Unverträglichkeit, auch seitens der Klienten solcher Maßnahmen, die deren Akzeptanz erschwert. Der alte § 65 wollte vornehmlich Hilfen bereitstellen. Letztlich zeigt sich in der Entwicklung auch, dass  der Gesetzgeber (und wohl auch die Gesellschaft) bei dieser Tätergruppe den Schwerpunkt der Maßnahme nicht zu sehr auf die Seite  von Therapie verlagern wollte.  


Eine Möglichkeit der Abhilfe könnten weniger eingriffsintensive Sanktionen und integrierende Alternativen sein. Wenn die  Maßnahmen für verurteilte Straftäter vom Regelvollzug in die Richtung der Behandlung abweichen, haben  Gefangene weniger den Status von aus Strafgründen Ausgeschlossenen, sondern von Personen, die aufgrund ihrer Probleme Integrationshilfen erhalten. Die Angleichung der Vollzugsbedingungen an die allgemeinen Lebensverhältnisse (§ 3 StVollzG) trägt eher zur Integration bei, und für die Gefangenen damit zur Akzeptanz der Maßnahmen. Dazu gehörte auch eine eher weit gefasste Lockerungspraxis, der die gegenwärtige Entwicklung allerdings entgegenläuft. Derzeit kommt es  zu einer Bevorzugung des geschlossenen Vollzugs, was zu einer Verringerung von Plätzen im offenen Vollzug führt. Der offene Vollzug mit seiner insgesamt geringen Rückfallquote wäre  ein durchaus geeignetes Instrument zur Resozialisierung, was auch für die sozialtherapeutischen Einrichtungen analog gilt.  
Bei der Konzeption von Therapie im Strafvollzug ist neben der unmittelbaren Gegenwart des Strafprinzips zu bedenken, dass die Handlungsmöglichkeiten des einzelnen Gefangenen stark beschnitten sind. Es gehört zum Wesen einer „totalen Institution“[http://de.wikipedia.org/wiki/Totale_Institution] wie den Gefängnissen, dass sie Autonomie und das Gefühl von Selbstwirksamkeit [http://de.wikipedia.org/wiki/Selbstwirksamkeit] beim Einzelnen stark einschränken, was für Therapie eine schlechte Voraussetzung ist. Das Vollzugsklima kann den therapeutischen Zielen entgegenwirken. Man kann in diesem Zusammenhang sogar von einem therapiefeindlichen Vollzugsklima (Graebsch 2004) sprechen. Zur Wirksamkeit des Strafvollzugs  ein aktuelles Zitat eines Rückfallforschers:
''"Ein weiterer Kritikpunkt ist die anerkannt geringe spezialpräventive Wirkung des Strafvollzugs überhaupt, an der sich auch durch die Sozialtherapie im Strafvollzug nichts grundsätzlich ändert. Der Nachweis einer Überlegenheit eingriffsintensiverer im Vergleich zu weniger eingriffsintensiven Rechtsfolgen, insbesondere freiheitsentziehender gegenüber nicht freiheitsentziehenden Sanktionen, wurde demnach in keiner der vorliegenden Studien erbracht. Diese Befunde der deutschsprachigen Sanktionsforschung fügen sich bruchlos ein in den allgemeinen Wissensstand kriminologischer Forschung. Insbesondere die neueren US-amerikanischen Sekundäranalysen zeigen, dass von einer “tough on crime”-Kriminalpolitik, die auf Strafschärfungen, insbesondere auf freiheitsentziehende Sanktionen setzt, keine positiven Effekte zu erwarten sind. Programme, die auf spezialpräventive Abschreckung abzielten, sei es durch kurzen Freiheitsentzug (shock probation), durch längere, mit militärischem Drill verbundene Internierung (boot camps) oder in Form von Gefängnisbesuchsprogrammen (scared straight), hatten nicht die erwünschten Effekte, die Rückfallraten der Vergleichsgruppen waren nicht niedriger, in einer Reihe von Untersuchungen sogar höher."'' (Heinz 2007, S. 11[http://www.uni-konstanz.de/rtf/kis/Heinz_Rueckfall-und_Wirkungsforschung_he308.pdf])


Eine Möglichkeit der Abhilfe könnten weniger eingriffsintensive Sanktionen und  integrierende Alternativen sein.  Strafvollzug bedeutet soziale Ausschließung ([[Exklusion]]). Das vom Ansatz her integrierende Potential von Sozialtherapie könnte besser genutzt werden, wenn die  Angleichung der Bedingungen der Unterbringung an die allgemeinen Lebensverhältnisse (wie in § 3 StVollzG vorgesehen) konsequenter vollzogen würde.  Dazu gehörte  eine eher weit gefasste Lockerungspraxis, der die gegenwärtige Entwicklung allerdings entgegenläuft, die den geschlossenen Vollzug zunehmend zum Regelvollzug erklärt.


==Literatur==
==Literatur==
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Heinz; W.(2007): Rückfall- und Wirkungsforschung –
Heinz; W.(2007): Rückfall- und Wirkungsforschung –
Ergebnisse aus Deutschland. Vortrag,  5. April 2007,Kansai Universität, Osaka http://www.uni-konstanz.de/rtf/kis/Heinz_Rueckfall-und_Wirkungsforschung_he308.pdf
Ergebnisse aus Deutschland. Vortrag,  5. April 2007,Kansai Universität, Osaka  


Laubenthal, F.(2008): Strafvollzug. Springer. Berlin Heidelberg  
Laubenthal, F.(2008): Strafvollzug. Springer. Berlin Heidelberg  
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Pollähne H (1996):Legalbewährung nach Entlassung aus dem Maßregelvollzug. Werkstattschriften Forensische Psychiatrie und Psychotherapie Nr. 6 . Lengerich (Pabst)
Pollähne H (1996):Legalbewährung nach Entlassung aus dem Maßregelvollzug. Werkstattschriften Forensische Psychiatrie und Psychotherapie Nr. 6 . Lengerich (Pabst)
Rehn, Gerhard (2008) Die Sozialtherapeutische Anstalt - das andere Gefängnis? Kriminologisches Journal (ISSN 0341-1966), Ausgabe 01, Jahr 2008, Seite 42 - 52


Richter, H.E. (1978a): Was ist Sozialtherapie? In: Richter, H.E.(1978): Engagierte Analysen. Über den Umgang des Menschen mit dem Menschen. Gießen (Psychozozial-Verlag), S. 165-175.
Richter, H.E. (1978a): Was ist Sozialtherapie? In: Richter, H.E.(1978): Engagierte Analysen. Über den Umgang des Menschen mit dem Menschen. Gießen (Psychozozial-Verlag), S. 165-175.
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==Weblinks==
==Weblinks==
Arbeitskreis Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug e.V.:  http//www.krimz.de/sozialtherapie.html
Arbeitskreis Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug e.V.:  http://www.arbeitskreissozialtherapie.de/index.html
 
Kriminologische zentralstelle e.V.: http://krimz.de/sozialtherapie.html


Sozialtherapie im Strafvollzug 2009:  http://www.krimz.de/fileadmin/dateiablage/forschung/texte/Sozialtherapie_im_Strafvollzug_2009.pdf
Sozialtherapie im Strafvollzug 2009:  http://www.krimz.de/fileadmin/dateiablage/forschung/texte/Sozialtherapie_im_Strafvollzug_2009.pdf


Ortmann R. Sozialtherapie im Strafvollzug (2002):  http://www.gbv.de/dms/sbb-berlin/342120395.pdf
Ortmann R. Sozialtherapie im Strafvollzug (2002):  http://www.gbv.de/dms/sbb-berlin/342120395.pdf
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