Soziales Kapital: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Soziales Kapital''' (auch: Sozialkapital) umfasst Vertrauen, [[Normen]], Werte, Sitten, Regeln, Denkschemata, Verhaltensmuster und Netzwerke, die den sozialen Zusammenhalt befördern.


== Begriff ==
=== Geschichte ===
Der Begriff wurde von Jane Jacobs 1961 in ihrem Werk, „The Death and Life of Great American Cities“ zur Beschreibung von städtischen Nachbarschaftsnetzwerken  verwendet.


'''Soziales Kapital''' umfasst Vertrauen, [[Normen]], Werte, Sitten, Regeln, Denkschemata, Verhaltensmuster und Netzwerke, die den sozialen Zusammenhalt befördern.
Nach Lewis A. Friedland wurden von diesem Werk von Jacobs, Glenn Cartman Loury und in der Folge James S. Coleman inspiriert.


== Historie des Begriffs „Sozialkapital“ ==
Robert D. Putnam führt den Ursprung des Begriffes „Sozialkapital“ auf einen anderen Autor, den Deutschen  Ekkehart Schlicht, zurück. Schlicht verwendete 1984 „Sozialkapital“ in einem Aufsatz über „Normengeleitetes Verhalten“. Schlicht selbst wurde von den Arbeiten von Weizsäcker und von Alfred Marshall angeregt. Weiter ergaben die Recherchen über die Herkunft von „Sozialkapital“, dass Lydia Judson Hanifan schon 1920 in  „The Community Center“ den Begriff gebrauchte.  Hanifan, Jacobs und  Loury verwendeten den Begriff ohne ein theoretisches Konzept im Hintergrund.
Das Forschungsfeld um das „Sozialkapital“ entstand durch die wissenschaftliche Diskussion im Bereich der sozialen Netzwerkforschung und der sozialen Ressourcen. Es stellte sich heraus, dass die diskutierten Theorien nicht dem Bedarf einer beständigen Theorie gerecht wurden und viele Fragen offen ließen. Deshalb musste ein neuer Begriff und Theorieansatz gefunden werden, der die noch offenen Fragen und Probleme der sozialen Netzwerkforschung und des Bereiches der sozialen Ressourcen schließt. Hier trat nun das „Sozialkapital“ in den Vordergrund. 
In der wissenschaftlichen Debatte gibt es jedoch einen Streit darüber, wann der Begriff „Sozialkapital“ in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt wurde und welcher Wissenschaftler ihn zuerst einbrachte. Die Wissenschaft ist sich deshalb über den Entstehungsprozess nicht einig. 1997 startet Michael I. Lichter einen Versuch, dem Ursprung des Begriffs „Sozialkapital“ auf den Grund zu gehen. Lichter veröffentlicht im Internet die Frage, wann und von wem der Begriff „Sozialkapital“ zum ersten Mal verwendet wurde. Festzuhalten ist, dass die Konzepte zum „Sozialkapital“ unabhängig voneinander in  verschiedenen Disziplinen entwickelt wurden. 
Der Begriff wurde bereits von Jane Jacobs 1961 in ihrem Werk, „The Death and Life of Great American Cities“ , zur Beschreibung von städtischen Nachbarschaftsnetzwerken  verwendet. Nach Lewis A. Friedland wurden von diesem Werk von Jacobs, Glenn Cartman Loury und in der Folge James S. Coleman inspiriert. Robert D. Putnam, der sich selbst an der Internetdebatte von Lichter beteiligte, führt den Ursprung des Begriffes „Sozialkapital“ auf einen anderen Autor, den Deutschen  Ekkehart Schlicht  zurück. Schlicht verwendete 1984 „Sozialkapital“ in einem Aufsatz über „Normengeleitetem Verhalten“. Schlicht selbst wurde von den Arbeiten von Weizsäcker und von Alfred Marshall angeregt. Weiter ergaben die Recherchen über die Herkunft von „Sozialkapital“, dass Lydia Judson Hanifan schon 1920 in  „The Community Center“ den Begriff gebrauchte.  Hanifan, Jacobs und  Loury verwendeten den Begriff ohne ein theoretisches Konzept im Hintergrund. Erst James Coleman und Pierre Bourdieu stellen „Sozialkapital“ in einen theoretischen Zusammenhang.
 
 
== Begriffsdefinition ==


Erst James Coleman und Pierre Bourdieu stellen „Sozialkapital“ in einen theoretischen Zusammenhang.
=== Definition ===
„Soziales Kapital stellt die Zugehörigkeit zu familiären und klassenabhängigen sozialen Netzen dar, die gegenseitige Verpflichtungsbeziehungen, Vertrauen und Reputation mit sich bringen“ . Dem „Sozialkapital“ wird nicht nur Einfluss auf den  ökonomischen Fortschritt eines Landes zugesprochen, sondern ihm auch  eine besondere Wirkung auf das Funktionieren von Demokratien zugeschrieben. Im Unterschied zu den anderen Kapitalsorten, entsteht „Sozialkapital“ in den Beziehungen zwischen den Akteuren.  
„Soziales Kapital stellt die Zugehörigkeit zu familiären und klassenabhängigen sozialen Netzen dar, die gegenseitige Verpflichtungsbeziehungen, Vertrauen und Reputation mit sich bringen“ . Dem „Sozialkapital“ wird nicht nur Einfluss auf den  ökonomischen Fortschritt eines Landes zugesprochen, sondern ihm auch  eine besondere Wirkung auf das Funktionieren von Demokratien zugeschrieben. Im Unterschied zu den anderen Kapitalsorten, entsteht „Sozialkapital“ in den Beziehungen zwischen den Akteuren.  
Grundlegend kann „Sozialkapital“ nach dem Nutzen der Akteure unterschieden werden: Erstens, nach dem Nutzen des Einzelnen, der durch aktives Eigenengagement, sich selbst das „Sozialkapital“ erwirtschaftet und Nutzen daraus ziehen kann. Zweitens, der Nutzen des Einzelnen, der entsteht, wenn der Einzelne geringeres Engagement in die vorhandenen Netzwerkstrukturen investiert, jedoch durch die vorhandenen sozialen Beziehungen über Dritte, Nutzen daraus für sich selbst ziehen kann.  Drittens, der Nutzen der Gemeinschaft, der durch das Vorhandensein dieser Netzwerkstrukturen und dem daraus resultierende „Sozialkapital“ entsteht.  
Grundlegend kann „Sozialkapital“ nach dem Nutzen der Akteure unterschieden werden: Erstens, nach dem Nutzen des Einzelnen, der durch aktives Eigenengagement, sich selbst das „Sozialkapital“ erwirtschaftet und Nutzen daraus ziehen kann. Zweitens, der Nutzen des Einzelnen, der entsteht, wenn der Einzelne geringeres Engagement in die vorhandenen Netzwerkstrukturen investiert, jedoch durch die vorhandenen sozialen Beziehungen über Dritte, Nutzen daraus für sich selbst ziehen kann.  Drittens, der Nutzen der Gemeinschaft, der durch das Vorhandensein dieser Netzwerkstrukturen und dem daraus resultierende „Sozialkapital“ entsteht.  
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Zwei Untersuchungsebenen haben sich in der wissenschaftlichen Verwendung herauskristallisiert. Der individualistische und der Netzwerk-theoretische Ansatz, welcher „Sozialkapital“ als Ressource ansieht, die instrumentell nutzbar, jedoch nicht spezifisch unabhängig von anderen Personen anwendbar ist.  Beim Ansatz in der  Debatte um die „politische Kultur“, wird „Sozialkapital“ als Gesamtes  gesehen, als Ressource, der eine positive Wirkung als  Problemlösungsfaktor beigemessen wird.  
Zwei Untersuchungsebenen haben sich in der wissenschaftlichen Verwendung herauskristallisiert. Der individualistische und der Netzwerk-theoretische Ansatz, welcher „Sozialkapital“ als Ressource ansieht, die instrumentell nutzbar, jedoch nicht spezifisch unabhängig von anderen Personen anwendbar ist.  Beim Ansatz in der  Debatte um die „politische Kultur“, wird „Sozialkapital“ als Gesamtes  gesehen, als Ressource, der eine positive Wirkung als  Problemlösungsfaktor beigemessen wird.  
„Sozialkapital“ ist produktiv und weist eine Beeinflussung von ökonomischen Effekten auf. Damit das Niveau von „Sozialkapital“ gehalten werden kann, muss in das „Sozialkapital“ reinvestiert werden. Dies erfolgt durch die Pflege der sozialen Kontakte in einem ständigen Wechselwirkungsprozess, in dem Zeit und direkt oder auch indirekt Geld investiert werden muss. Von diesen Investitionen wird erwartet, dass daraus später Profit erzielt wird.  „Sozialkapital“ lässt sich auch in andere Kapitalformen umwandeln. Wenn „Sozialkapital“ erlischt, entsteht daraus physisches Kapital oder auch Humankapital.  „Sozialkapital“ hilft Ziele, die für unerreichbar scheinen, mit einem durchaus niedrigeren Kosteneinsatz leichter zu erreichen.  
„Sozialkapital“ ist produktiv und weist eine Beeinflussung von ökonomischen Effekten auf. Damit das Niveau von „Sozialkapital“ gehalten werden kann, muss in das „Sozialkapital“ reinvestiert werden. Dies erfolgt durch die Pflege der sozialen Kontakte in einem ständigen Wechselwirkungsprozess, in dem Zeit und direkt oder auch indirekt Geld investiert werden muss. Von diesen Investitionen wird erwartet, dass daraus später Profit erzielt wird.  „Sozialkapital“ lässt sich auch in andere Kapitalformen umwandeln. Wenn „Sozialkapital“ erlischt, entsteht daraus physisches Kapital oder auch Humankapital.  „Sozialkapital“ hilft Ziele, die für unerreichbar scheinen, mit einem durchaus niedrigeren Kosteneinsatz leichter zu erreichen.  
== Kriminologie ==


„Sozialkapital“ hat für die Kriminologie vor allem im Bereich Prävention eine bedeutende Rolle. Es kann dazu beitragen Kriminalität zu verhindern. Jedoch nicht jede Form von „Sozialkapital“ erwirtschaftet denselben Nutzen. Beispielweise kann das Engagement in einer politischen Partei neben den positiven Effekten auch negative Auswirkungen haben, wenn  z.B. der Arbeitgeber  dem politischen Engagement eines Bewerbers  einer Arbeitsstelle kritisch gegenüber steht und dieser deshalb nicht in die engere Auswahl gezogen wird. 


== Sozialkapital und Kriminologie ==
Dennoch wird dem Sozialkapital meist eine positive Wirkung zugesprochen. Im Gegenzug gibt es auch Wissenschaftler, die dem „Sozialkapital“ einen negativen Effekt bescheinigen. Denkt man beispielsweise an die Mafia, die durch ihr Gewaltmonopol agiert und den eigenen Verbund so zusammenhält, indem sie Personen, die nicht in ihr Konzept passen, unterdrückt. Einige Studien haben ergeben, dass es bei Gruppen, die über einen hohen Anteil an „Sozialkapital“ verfügen, dazu führen kann, dass die Mitglieder dieser Gruppierung nur über eine eingeschränkte individuelle Freiheit verfügen. Diese wird durch bestehende Normen der Gruppe so eingeengt und dadurch wird ein Aufstieg jedes Einzelnen innerhalb der sozialen Struktur erschwert. Robert Putnams Hypothese ist, dass das in den letzten Jahrzehnten zurückbildende Engagement der Bürger für die Gesellschaft, eine schleichende Zerstörung der grundlegenden gesellschaftlichen und kulturellen Vorbedingungen für eine wirksame Demokratie, zur Folge hat. So sieht er, dass in Gesellschaften, die über ein hohes Plus an Sozialkapital verfügen, mehr freiwillige Kooperationen entstehen.  Netzwerke haben für die Akteure einer Gesellschaft einen positiven Vorzug, d.h. einen privaten oder internen Nutzen.  Im Gegensatz dazu gibt es auch Ansätze, die von einem externen oder öffentlichen Effekt von Sozialkapital sprechen. Als Beispiel hierfür führt Putnam die Beziehungsdichte innerhalb eines Wohngebietes an. In Wohnbezirken, in  denen eine hohe Beziehungsdichte vorhanden ist, ist eine niedrigere Kriminalitätsrate festzustellen, d.h. dieses informelle Sozialkapital hat eine präventive Wirkung. Selbst die passiven Bewohner dieses Wohnbezirkes, die ihre sozialen Kontakte weniger aktiv pflegen, profitieren davon. Putnam sieht dies als einen Beweis dafür an, dass Sozialkapital auch  zum öffentlichen Gut werden kann.
 
„Sozialkapital“ hat für die Kriminologie vor allem im Bereich Prävention eine bedeutende Rolle. Es kann dazu beitragen Kriminalität zu verhindern. Jedoch nicht jede Form von „Sozialkapital“ erwirtschaftet denselben Nutzen. Beispielweise kann das Engagement in einer politischen Partei neben den positiven Effekten auch negative Auswirkungen haben, wenn  z.B. der Arbeitgeber  dem politischen Engagement eines Bewerbers  einer Arbeitsstelle kritisch gegenüber steht und dieser deshalb nicht in die engere Auswahl gezogen wird. 
Dennoch wird dem Soziakapital meist eine positive Wirkung zugesprochen. Im Gegenzug gibt es auch Wissenschaftler, die dem „Sozialkapital“ einen negativen Effekt bescheinigen. Denkt man beispielsweise an die Mafia, die durch ihr Gewaltmonopol agiert und den eigenen Verbund so zusammenhält, indem sie Personen, die nicht in ihr Konzept passen, unterdrückt. Einige Studien haben ergeben, dass es bei Gruppen, die über einen hohen Anteil an „Sozialkapital“ verfügen, dazu führen kann, dass die Mitglieder dieser Gruppierung nur über eine eingeschränkte individuelle Freiheit verfügen. Diese wird durch bestehende Normen der Gruppe so eingeengt und dadurch wird ein Aufstieg jedes Einzelnen innerhalb der sozialen Struktur erschwert. Robert Putnams Hypothese ist, dass das in den letzten Jahrzehnten zurückbildende Engagement der Bürger für die Gesellschaft, eine schleichende Zerstörung der grundlegenden gesellschaftlichen und kulturellen Vorbedingungen für eine wirksame Demokratie, zur Folge hat. So sieht er, dass in Gesellschaften, die über ein hohes Plus an Sozialkapital verfügen, mehr freiwillige Kooperationen entstehen.  Netzwerke haben für die Akteure einer Gesellschaft einen positiven Vorzug, d.h. einen privaten oder internen Nutzen.  Im Gegensatz dazu gibt es auch Ansätze, die von einem externen oder öffentlichen Effekt von Sozialkapital sprechen. Als Beispiel hierfür führt Putnam die Beziehungsdichte innerhalb eines Wohngebietes an. In Wohnbezirken, in  denen eine hohe Beziehungsdichte vorhanden ist, ist eine niedrigere Kriminalitätsrate festzustellen, d.h. dieses informelle Sozialkapital hat eine präventive Wirkung. Selbst die passiven Bewohner dieses Wohnbezirkes, die ihre sozialen Kontakte weniger aktiv pflegen, profitieren davon. Putnam sieht dies als einen Beweis dafür an, dass Sozialkapital auch  zum öffentlichen Gut werden kann.
Für die kriminologische Forschung ist sowohl der positive als auch der negative Effekt von „Sozialkapital“ interessant. Netzwerke können zur Kriminalitätsbekämpfung beitragen oder auch Verursacher sein.
Für die kriminologische Forschung ist sowohl der positive als auch der negative Effekt von „Sozialkapital“ interessant. Netzwerke können zur Kriminalitätsbekämpfung beitragen oder auch Verursacher sein.


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Finally, social capital is often linked to the success of democracy and political involvement. Robert D. Putnam, in his book Bowling Alone makes the argument that social capital is linked to the recent decline in American political participation. Putnam's theoretical framework has been firstly applied to the South of Italy (Putnam, 1993). This framerwork has been rediscussed by considering simultanelously the condition of European regions and specifically Southern Italy (Ferragina, 2012; Ferragina, 2013).
Finally, social capital is often linked to the success of democracy and political involvement. Robert D. Putnam, in his book Bowling Alone makes the argument that social capital is linked to the recent decline in American political participation. Putnam's theoretical framework has been firstly applied to the South of Italy (Putnam, 1993). This framerwork has been rediscussed by considering simultanelously the condition of European regions and specifically Southern Italy (Ferragina, 2012; Ferragina, 2013).


== Literaturverzeichnis ==
== Literaturverzeichnis ==


''Boissevain, Jeremy F.: Friends of Friends. Networks, Manipulators and Coalitions. Oxford/ Basil Blackwell 1974
''Boissevain, Jeremy F.: Friends of Friends. Networks, Manipulators and Coalitions. Oxford/ Basil Blackwell 1974
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Smart, Alan: Gifts, Bribes, and Guanxi: A Reconsideration of Bourdieu's Social Capital. In: Cultural Anthroplogy, 8,4, 1993
Smart, Alan: Gifts, Bribes, and Guanxi: A Reconsideration of Bourdieu's Social Capital. In: Cultural Anthroplogy, 8,4, 1993


Vester, Michael/ Oertzen, Peter von/ Geiling, Heiko/ Hermann, Thomas/ Müller, Dagmar: Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration und Ausgrenzung. Köln 1993 ''
Vester, Michael/ Oertzen, Peter von/ Geiling, Heiko/ Hermann, Thomas/ Müller, Dagmar: Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration und Ausgrenzung. Köln 1993
[[Kategorie:Sozialstruktur]]
[[Kategorie:Pierre Bourdieu]]
[[Kategorie:Kriminalprävention]]