Sicherungsverwahrung: Unterschied zwischen den Versionen

keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 1: Zeile 1:
Die Sicherungsverwahrung (SV) ist eine Institution des deutschen Strafrechts, die es ermöglicht, gefährliche Straftäter zum Schutze der Allgemeinheit auch dann in Haft zu nehmen und zu halten, wenn die Voraussetzungen für eine Freiheitsstrafe nicht vorliegen. Im deutschen Strafrecht gehört die SV zusammen mit der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und in einem psychiatrischen Krankenhaus zu derjenigen Klasse legalen Freiheitsentzugs, die das Gesetz als Maßregeln der Besserung und Sicherung bezeichnet. Wie die anderen Maßregeln bezweckt auch die SV (juristisch gesehen) nicht den Ausgleich der Tatschuld, die der Täter auf sich geladen hatte, sondern ist ganz unabhängig von dem Gesichtspunkt der Schuld und des Schuldausgleichs eine Art polizeilich motivierter Vorbeugehaft zur Verhinderung künftiger Taten eines gefährlichen Individuums. Insofern handelt es sich bei der SV materiell um Gefahrenabwehr, also eine Angelegenheit der Polizei, während sie formell in der Zuständigkeit der Strafjustiz liegt und in der Art und Weise ihres Vollzugs auch kaum von dem Vollzug einer Gefängnisstrafe zu unterscheiden ist.
Die Sicherungsverwahrung (SV) ist eine Institution des deutschen Strafrechts, die es ermöglicht, gefährliche Straftäter zum Schutze der Allgemeinheit auch dann in Haft zu nehmen und zu halten, wenn die Voraussetzungen für eine Freiheitsstrafe nicht vorliegen. Mit der deutschen SV vergleichbar sind die Unterbringung im "Maßnahmenvollzug" in Österreich (§ 23 östStGB) und die "Verwahrung" von Gewohnheitsverbrechern in der Schweiz (Art. 42 schwStGB).


Nach einer Phase geringerer Nutzung des Instituts der SV geriet sie Ende des 20. Jahrhunderts wieder in den Mittelpunkt kriminalpolitischer Aktivitäten. Von 1998 bis 2007 wurde sie von sieben Reformgesetzen tangiert, die u.a. zur Streichung der Höchstgrenze von zehn Jahren bei der erstmaligen Anordnung der SV, zur Ermöglichung der nachträglichen Anordnung der SV und ihrer Anordnung bei Jugendlichen führte.


Während im Jahre 1996 in Deutschland insgesamt 176 Sicherungsverwahrte gezählt wurden, waren es im Jahre 2005 schon 365.
Im deutschen Strafrecht gehört die SV zusammen mit der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und in einem psychiatrischen Krankenhaus zu derjenigen Klasse legalen Freiheitsentzugs, die das Gesetz als Maßregeln der Besserung und Sicherung bezeichnet. Wie die anderen Maßregeln bezweckt auch die SV (juristisch gesehen) nicht den Ausgleich der Tatschuld, die der Täter auf sich geladen hatte, sondern ist ganz unabhängig von dem Gesichtspunkt der Schuld und des Schuldausgleichs eine Art polizeilich motivierter Vorbeugehaft zur Verhinderung künftiger Taten eines gefährlichen Individuums. Insofern handelt es sich bei der SV materiell um Gefahrenabwehr, also eine Angelegenheit der Polizei, während sie formell in der Zuständigkeit der Strafjustiz liegt und in der Art und Weise ihres Vollzugs auch kaum von dem Vollzug einer Gefängnisstrafe zu unterscheiden ist.
 
Einerseits werden gegen die SV grund- und menschenrechtliche Bedenken geltend gemacht. Die von der SV Betroffenen werden, was den Rechtsgrund ihres Freiheitsentzugs angeht, lediglich als Gefahrenquellen betrachtet und damit gleichsam "zum Objekt gemacht" (Stichwort: "Feindstrafrecht").
Andererseits haben von 1998-2007 nicht weniger als sieben Reformgesetze den Anwendungsbereich der SV weiter ausgedehnt, indem sie u.a. zur Streichung der Höchstgrenze von zehn Jahren bei der erstmaligen Anordnung der SV führten und sowohl die nachträgliche Anordnung und die Anordnung der SV gegenüber Jugendlichen ermöglichten. Während im Jahre 1996 in Deutschland insgesamt 176 Sicherungsverwahrte gezählt wurden, waren es im Jahre 2005 schon 365.


Eine maßgebliche Rolle spielte dabei die zunehmende gesellschaftliche Punitivität gegenüber Sexualstraftätern und das "Gesetz zur Bekämpfung von Sexualstraftaten" aus dem Jahre 1998. Auf absehbare Zeit scheint damit die Zukunft dieser Form des Freiheitsentzugs gesichert und es kann wohl die Prognose gewagt werden, dass die Zahl der Sicherungsverwahrten in den nächsten Jahren wieder auf die altbekannten Höhen der Jahre vor der Strafrechtsreform steigen dürfte. Noch handhaben die Vollstreckungsgerichte die SV allerdings recht restriktiv (vgl. Ullenbruch 2007).  
Eine maßgebliche Rolle spielte dabei die zunehmende gesellschaftliche Punitivität gegenüber Sexualstraftätern und das "Gesetz zur Bekämpfung von Sexualstraftaten" aus dem Jahre 1998. Auf absehbare Zeit scheint damit die Zukunft dieser Form des Freiheitsentzugs gesichert und es kann wohl die Prognose gewagt werden, dass die Zahl der Sicherungsverwahrten in den nächsten Jahren wieder auf die altbekannten Höhen der Jahre vor der Strafrechtsreform steigen dürfte. Noch handhaben die Vollstreckungsgerichte die SV allerdings recht restriktiv (vgl. Ullenbruch 2007).  
Gegen die SV wurden und werden verfassungsrechtliche und kriminalpolitische Bedenken geltend gemacht. Die von der SV Betroffenen werden, was den Rechtsgrund ihres Freiheitsentzugs angeht, lediglich als Gefahrenquellen betrachtet und damit gleichsam "zum Objekt gemacht" (Stichwort: "Feindstrafrecht").


== Intention der SV ==
== Intention der SV ==
Zeile 26: Zeile 25:
Die Sicherungsverwahrung ist ein Rechtsinstitut, das es ermöglicht, Straftäter auch nach dem Ablauf ihrer Freiheitsstrafe noch gefangen zu halten, um weitere Delikte dieser gefährlichen Rückfalltäter ("Hangtäter"; "Unverbesserlichen") zu verhindern. Insofern wird von den von dieser Maßregel betroffenen Personen zwangsweise verlangt, dass sie über ihre Bestrafung hinaus ein Opfer für die Gesellschaft bringen: man verwehrt ihnen trotz Strafablaufs ihre Entlassung in die Freiheit, um die Gesellschaft vor dem Risiko ihrer Rückfälligkeit zu bewahren.
Die Sicherungsverwahrung ist ein Rechtsinstitut, das es ermöglicht, Straftäter auch nach dem Ablauf ihrer Freiheitsstrafe noch gefangen zu halten, um weitere Delikte dieser gefährlichen Rückfalltäter ("Hangtäter"; "Unverbesserlichen") zu verhindern. Insofern wird von den von dieser Maßregel betroffenen Personen zwangsweise verlangt, dass sie über ihre Bestrafung hinaus ein Opfer für die Gesellschaft bringen: man verwehrt ihnen trotz Strafablaufs ihre Entlassung in die Freiheit, um die Gesellschaft vor dem Risiko ihrer Rückfälligkeit zu bewahren.
Obwohl das eine Art "Sonderopfer" darstellt, bei dem die Idee der Bestrafung keine Rolle mehr spielen sollte, ähnelt diese spezielle Art des Freiheitsentzugs der Freiheitsstrafe so sehr, dass unbefangene AnstaltsbesucherInnen auf den ersten Blick wohl kaum in der Lage wären, die Strafgefangenen von den Sicherungsverwahrten zu unterscheiden. So wird die S. zum Beispiel auf dem Gelände von Gefängnissen vollzogen. Außerdem sind alle Sicherungsverwahrten ehemalige Strafgefangene. Diejenigen Häftlinge, bei denen ein Gericht entweder bei oder nach dem Strafurteil zusätzlich noch die Sicherungsverwahrung angeordnet hatte, werden nach Ablauf ihrer Strafhaft eben nicht entlassen, sondern unter der veränderten Bezeichnung und bei verändertem rechtlichen Status in der Anstalt auch über das Ende ihrer Bestrafung hinaus gefangen gehalten, sofern sie vom zuständigen Gericht weiterhin als gefährlich angesehen werden. Hauptziel der Sicherungsverwahrung, die im Strafgesetzbuch nicht als Strafe, sondern als eine von mehreren dort vorgesehenen "Maßregeln der Besserung und Sicherung" firmiert, ist der Schutz der Gesellschaft vor gefährlichen Rückfalltätern ("Hangtätern"; "Unverbesserlichen").
Obwohl das eine Art "Sonderopfer" darstellt, bei dem die Idee der Bestrafung keine Rolle mehr spielen sollte, ähnelt diese spezielle Art des Freiheitsentzugs der Freiheitsstrafe so sehr, dass unbefangene AnstaltsbesucherInnen auf den ersten Blick wohl kaum in der Lage wären, die Strafgefangenen von den Sicherungsverwahrten zu unterscheiden. So wird die S. zum Beispiel auf dem Gelände von Gefängnissen vollzogen. Außerdem sind alle Sicherungsverwahrten ehemalige Strafgefangene. Diejenigen Häftlinge, bei denen ein Gericht entweder bei oder nach dem Strafurteil zusätzlich noch die Sicherungsverwahrung angeordnet hatte, werden nach Ablauf ihrer Strafhaft eben nicht entlassen, sondern unter der veränderten Bezeichnung und bei verändertem rechtlichen Status in der Anstalt auch über das Ende ihrer Bestrafung hinaus gefangen gehalten, sofern sie vom zuständigen Gericht weiterhin als gefährlich angesehen werden. Hauptziel der Sicherungsverwahrung, die im Strafgesetzbuch nicht als Strafe, sondern als eine von mehreren dort vorgesehenen "Maßregeln der Besserung und Sicherung" firmiert, ist der Schutz der Gesellschaft vor gefährlichen Rückfalltätern ("Hangtätern"; "Unverbesserlichen").
Vergleichbare Institutionen im deutschsprachigen Ausland sind die Unterbringung im Maßnahmenvollzug in Österreich (§ 23 StGB) und in der Schweiz die Verwahrung von Gewohnheitsverbrechern (Art. 42 StGB).


In Deutschland wurde die Sicherungsverwahrung durch das "Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung" vom 24. November 1933 eingeführt. Die NS-Zeit machte insofern grundlegende Überlegungen zur Thematik nutzbar, die sich insbesondere im Werk von Franz von Liszt "zur Zweckmäßigkeit" des Strafrechts finden. Nach dem Ende des Dritten Reichs stufte der Alliierte Kontrollrat das Gewohnheitsverbrechergesetz als rechtstaatsverträglich ein und entfernte lediglich die „Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher“ sowie die 1941 eingeführte Todesstrafe.
In Deutschland wurde die Sicherungsverwahrung durch das "Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung" vom 24. November 1933 eingeführt. Die NS-Zeit machte insofern grundlegende Überlegungen zur Thematik nutzbar, die sich insbesondere im Werk von Franz von Liszt "zur Zweckmäßigkeit" des Strafrechts finden. Nach dem Ende des Dritten Reichs stufte der Alliierte Kontrollrat das Gewohnheitsverbrechergesetz als rechtstaatsverträglich ein und entfernte lediglich die „Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher“ sowie die 1941 eingeführte Todesstrafe.
31.738

Bearbeitungen