Schuld: Unterschied zwischen den Versionen

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Im strafrechtlichen Sinne versteht man unter Schuld die Vorwerfbarkeit eines strafrechtlich relevanten Verhaltens. Aufgrund des Aspekts der Vorwerfbarkeit ist die Frage der Schuld im Strafrecht zentral verbunden mit der subjektiven Zurechenbarkeit. Hierdurch wird also die Frage aufgeworfen, ob jemand verantwortlich gemacht werden kann und wenn ja, in welchem Umfang und in welcher Form. Nach gültigem Strafrecht in Deutschland ist deshalb selbst im Falle der [[objektive Zurechnung|objektiven Zurechenbarkeit]] einer Tat, das Vorhandensein eines Unrechtsbewusstseins sowie das Vorliegen etwaiger Entschuldigungsgründe zu prüfen, z. B. im Sinne einer fehlenden oder verringerten Schuldfähigkeit. Letzt genanntes bezieht sich auf den Aspekt der subjektiven Zurechnung. (Vgl. Hassemer 1993)
Im strafrechtlichen Sinne versteht man unter Schuld die Vorwerfbarkeit eines strafrechtlich relevanten Verhaltens. Aufgrund des Aspekts der Vorwerfbarkeit ist die Frage der Schuld im Strafrecht zentral verbunden mit der subjektiven Zurechenbarkeit. Hierdurch wird also die Frage aufgeworfen, ob jemand verantwortlich gemacht werden kann und wenn ja, in welchem Umfang und in welcher Form. Nach gültigem Strafrecht in Deutschland ist deshalb selbst im Falle der [[objektive Zurechnung|objektiven Zurechenbarkeit]] einer Tat, das Vorhandensein eines Unrechtsbewusstseins sowie das Vorliegen etwaiger Entschuldigungsgründe zu prüfen, z. B. im Sinne einer fehlenden oder verringerten Schuldfähigkeit. Letzt genanntes bezieht sich auf den Aspekt der subjektiven Zurechnung. (Vgl. Hassemer 1993)
===Kriminologische Sicht===
===Kriminologische Sicht===
Der Begriff der Zurechnung, der sich im Strafrecht ausschließlich auf das Individuum bezieht, nimmt nach Hassemer (1993) hingegen in der Kriminologie keine zentrale Rolle ein. Sie ist mehr ein Begleitthema und wenn Kriminologie der Schuldfrage nachgeht, geschieht dies nicht (ausschließlich) auf das Individuum bezogen sondern im Hinblick auf eine Verantwortung von Politik, Ökonomie, Medien und Familie. Hierauf begründet wird, dass es sich bei 'Schuld' nicht um eine Kategorie der Kriminologie, sondern vielmehr des Strafrechts und des alltäglichen Lebens handele (ebd., S. 451). Jedoch ist es genau dieser Umstand, der die Auseinandersetzung der [[Kritische Kriminologie|Kritischen Kriminologie]] mit dem Schuldbegriff mit sich bringt.
Der Schuldbegriff ist im Strafrecht unmittelbar an die Zurechnung an ein Individuum verknüpft. Hier unterscheidet sich die kriminologische wesentlich von der strafrechtlichen Betrachtungsweise: Wenn in der Kriminologie der Frage einer etwaigen Zurechnung nachgeht, geschieht dies im Hinblick auf Politik, Ökonomie, Medien und Familie (vgl. Hassemer 1993). Jedoch ist die Frage der Zurechnung und der Schuld kein zentrales Thema der Kriminologie, sondern des Strafrechts und des alltäglichen Lebens (ebd., S. 451). Da die 'Schuldfrage' automatisch die Frage der Strafe nach sich zieht, ist es genau dieser Umstand, der die Auseinandersetzung der [[Kritische Kriminologie|Kritischen Kriminologie]] mit dem Schuldbegriff mit sich bringt.
===Zitate zum Thema Schuld===
===Zitate zum Thema Schuld===
Die nachfolgenden Zitate spiegeln beispielhaft die Mehrdimensionalität, aber auch kritische Betrachtungen des Schuldbegriffs wider:
Die nachfolgenden Zitate spiegeln beispielhaft die Mehrdimensionalität, aber auch kritische Betrachtungen des Schuldbegriffs wider:
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Freud wiederum betrachtet den Begriff Schuld als affektiven Zustand. Dieser Zustand, der sich als Folge einer normverletzenden Handlung ergibt, wird von Freud als 'soziale Angst' bezeichnet, da dieser eng mit der - zumindest befürchteten - äußeren Reaktion [[soziale Kontrolle|sozialer (Kontroll-)Organe]] verbunden sei. Hierzu grenzt Freud das Gewissen ab, das mit intrinsischer Schuld und Scham zu vergleichen ist. Diese Form der empfundenen Schuld sei nach Freud erst zu bejahen, wenn das Schuldgefühl nicht allein durch äußere Autorität, sondern vielmehr aufgrund einer verinnerlichten moralischen Instanz, dem Über-Ich, herbeigeführt wird. Haesler greift 2010 die Gedanken von Freud auf und unterstreicht die seines Erachtens gegebene Sinnhaftigkeit einer synonymen Verwendung der Begriffe 'reale Schuld', 'Schuldgefühle' und 'Schuldbewusstsein'. Als Begründung benennt er die Notwendigkeit auf Seiten des Täters, Schuld an einer objektiv zurechenbaren Tat auch psychisch als solche zu erleben, damit tatsächlich die Verwendung des Begriffs 'Schuld' seine Berechtigung finde.  
Freud wiederum betrachtet den Begriff Schuld als affektiven Zustand. Dieser Zustand, der sich als Folge einer normverletzenden Handlung ergibt, wird von Freud als 'soziale Angst' bezeichnet, da dieser eng mit der - zumindest befürchteten - äußeren Reaktion [[soziale Kontrolle|sozialer (Kontroll-)Organe]] verbunden sei. Hierzu grenzt Freud das Gewissen ab, das mit intrinsischer Schuld und Scham zu vergleichen ist. Diese Form der empfundenen Schuld sei nach Freud erst zu bejahen, wenn das Schuldgefühl nicht allein durch äußere Autorität, sondern vielmehr aufgrund einer verinnerlichten moralischen Instanz, dem Über-Ich, herbeigeführt wird. Haesler greift 2010 die Gedanken von Freud auf und unterstreicht die seines Erachtens gegebene Sinnhaftigkeit einer synonymen Verwendung der Begriffe 'reale Schuld', 'Schuldgefühle' und 'Schuldbewusstsein'. Als Begründung benennt er die Notwendigkeit auf Seiten des Täters, Schuld an einer objektiv zurechenbaren Tat auch psychisch als solche zu erleben, damit tatsächlich die Verwendung des Begriffs 'Schuld' seine Berechtigung finde.  
===Kriminologisch relevantes Spannungsfeld des Schuldbegriffs===
===Kriminologisch relevantes Spannungsfeld des Schuldbegriffs===
Bei Betrachtung der verschiedenen Definitionsversuche zeichnet sich eine unumgängliche Verstrickung von 'Schuld' mit den Begriffen Verantwortung, Moral, Gewissen, Scham, Wiedergutmachung, Vergeltung und [[Strafe]] ab. In diesem Zusammenhang sei nochmals die Begriffsbestimmung von Machlitt (2010) aufgegriffen, in der auf die Notwendigkeit einer Instanz mit Definitionsmacht hingewiesen wird. Nach [[Max Weber]] (1956 zit. nach Erdheim 2005, S. 12) bedeutet [[Macht]] "(…) jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen durchzusetzen, gleichwohl worauf diese  Chance beruht."  Zur Definitionsmacht zurückkommend wirft auch Safranski (2003, S. 34 u. 36) verschiedene Fragen auf, so z. B.: Ob der der Mensch sich überhaupt nach sich selbst richten kann? Und wenn ja, wonach richtet er sich dann tatsächlich und wie ist der jeweilige Mensch geworden, was er ist? Und was ist der Richtwert: die eigene Vernunft oder auf die gemeinschaftliche Tradition, derer man angehört? Aus kriminologischer Sicht erscheint es - wenn schon die Schuldfrage gestellt wird - zu eindimensional, diese ausschließlich an das Individuum zu richten, ohne die Institutionen der sozialen Kontrolle diesbezüglich zu betrachten und zu hinterfragen.  
Bei Betrachtung der verschiedenen Definitionsversuche zeichnet sich eine unumgängliche Verstrickung von 'Schuld' mit den Begriffen Verantwortung, Moral, Gewissen, Scham, Wiedergutmachung, Vergeltung und [[Strafe]] ab. In diesem Zusammenhang sei nochmals die Begriffsbestimmung von Machlitt (2010) aufgegriffen, in der auf die Notwendigkeit einer Instanz mit Definitionsmacht hingewiesen wird. Nach [[Max Weber]] (1956 zit. nach Erdheim 2005, S. 12) bedeutet [[Macht]] "(…) jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen durchzusetzen, gleichwohl worauf diese  Chance beruht."  Zur Definitionsmacht zurückkommend wirft auch Safranski (2003, S. 34 u. 36) verschiedene Fragen auf, so z. B.: Ob der der Mensch sich überhaupt nach sich selbst richten kann? Und wenn ja, wonach richtet er sich dann tatsächlich und wie ist der jeweilige Mensch geworden, was er ist? Und was ist der Richtwert: die eigene Vernunft oder auf die gemeinschaftliche Tradition, derer man angehört? Aus kriminologischer Sicht erscheint es - wenn schon die Frage der Zurechnung gestellt wird - zu eindimensional, diese ausschließlich an das Individuum zu richten, ohne die Institutionen der sozialen Kontrolle diesbezüglich zu betrachten und zu hinterfragen.  
Zur Verdeutlichung des kriminologisch relevanten Spannungsfeldes sei hier das Beispiel der Situation pädophiler Männer aufgegriffen. Verwendet man den Begriff der Pädophilie im Sinne des [http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/index.htm ICD-10] oder des [http://www.psychology48.com/deu/d/dsm-iv/dsm-iv.htm DSM-IV], so handelt es sich um eine Störung der sexuellen Präferenz, also um einen auf das vorpubertierende Kind gerichteten und vom pädophilen Menschen nicht selbst gewählten sexuellen Stimulus. Allein hieraus lässt sich die Kritik von Hassemer (1993) angebrachte Kritik zur Schuldfrage ableiten: Kann nun allein dem pädophilen Menschen per se die Schuld an einem nicht selbst gewählten sexuellen Stimulus und an den etwaig daraus resultierenden delinquenten Verhaltensweisen gegeben werden? Nun ist dies eine Frage, der sich aus strafrechtlicher Sicht im Sinne der subjektiven Zurechnung genähert werden kann. Betrachtet man weitere zentrale kriminogene Merkmale für die Fragestellung, ob ein pädophil veranlagter Mensch auch tatsächlich entsprechend delinquentes Verhalten zeigt, wird die kriminologische Relevanz des Spannungsfeldes zum Schuldbegriff deutlicher. In der [[Präventionsprogramme und -projekte des sexuellen Missbrauchs von Kindern|(rückfall-)präventiven Arbeit mit pädophilen Menschen]] geht es neben der Betrachtung von Schutzfaktoren auch um Risikofaktoren. Sowohl Risiko- als auch Schutzfaktoren werden in statische - im Sinne einer Unveränderbarkeit - und in variable, also veränderbare Faktoren unterteilt. (Vgl. auch Nedopil 2005; Rotermann, Köhler & Hinrichs 2009) Zu den statischen Risikofaktoren zählen u. a. auch prägende sozialisatorische Aspekte, wie z. B. spezifische Belastungsfaktoren im Elternhaus. Als erwiesene und zentrale variable Risikofaktoren werden 'soziale Isolation' und 'Einsamkeit' benannt (vgl. Marshall 1989). Aus kriminologischer Sicht sind bezüglich sozialen Rückzugsverhaltens pädophiler Menschen folgende Aspekte zu diskutieren:
Zur Verdeutlichung des kriminologisch relevanten Spannungsfeldes sei hier das Beispiel der Situation pädophiler Männer aufgegriffen. Verwendet man den Begriff der Pädophilie im Sinne des [http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/index.htm ICD-10] oder des [http://www.psychology48.com/deu/d/dsm-iv/dsm-iv.htm DSM-IV], so handelt es sich um eine Störung der sexuellen Präferenz, also um einen auf das vorpubertierende Kind gerichteten und vom pädophilen Menschen nicht selbst gewählten sexuellen Stimulus. Allein hieraus lässt sich die Kritik von Hassemer (1993) angebrachte Kritik zur Schuldfrage ableiten: Kann nun allein dem pädophilen Menschen per se die Schuld an einem nicht selbst gewählten sexuellen Stimulus und an den etwaig daraus resultierenden delinquenten Verhaltensweisen gegeben werden? Nun ist dies eine Frage, der sich aus strafrechtlicher Sicht im Sinne der subjektiven Zurechnung genähert werden kann. Betrachtet man weitere zentrale kriminogene Merkmale für die Fragestellung, ob ein pädophil veranlagter Mensch auch tatsächlich entsprechend delinquentes Verhalten zeigt, wird die kriminologische Relevanz des Spannungsfeldes zum Schuldbegriff deutlicher. In der [[Präventionsprogramme und -projekte des sexuellen Missbrauchs von Kindern|(rückfall-)präventiven Arbeit mit pädophilen Menschen]] geht es neben der Betrachtung von Schutzfaktoren auch um Risikofaktoren. Sowohl Risiko- als auch Schutzfaktoren werden in statische - im Sinne einer Unveränderbarkeit - und in variable, also veränderbare Faktoren unterteilt. (Vgl. auch Nedopil 2005; Rotermann, Köhler & Hinrichs 2009) Zu den statischen Risikofaktoren zählen u. a. auch prägende sozialisatorische Aspekte, wie z. B. spezifische Belastungsfaktoren im Elternhaus. Als erwiesene und zentrale variable Risikofaktoren werden 'soziale Isolation' und 'Einsamkeit' benannt (vgl. Marshall 1989). Aus kriminologischer Sicht sind bezüglich sozialen Rückzugsverhaltens pädophiler Menschen folgende Aspekte zu diskutieren:
* negative, mit Ekeln und Ablehnung besetzte Haltungen eines Großteils der Bevölkerung gegenüber pädophilen Menschen (vgl. Vogt 2006, S. 37),  
* negative, mit Ekeln und Ablehnung besetzte Haltungen eines Großteils der Bevölkerung gegenüber pädophilen Menschen (vgl. Vogt 2006, S. 37),  
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