Der Begriff Renitenz (renitent: widerspenstig) bedeutet Aufsässigkeit, Widerspenstigkeit. Funktional gesehen handelt es sich um einen polemischen Kampfbegriff.


Historie

Historisch wurde damit in der Zeit der Leibeigenschaft zumeist eine Verhaltensweise von Untergebenen gegenüber einer (weltlichen oder kirchlichen) Obrigkeit von Monarchie und Feudaladel benannt und (negativ) bewertet. Die (negative) Fremdbezeichnung wird gelegentlich auch von den Betroffenen in eine (positive) Selbstbezeichnung transformiert. Ein bekanntes Beispiel ist die Renitente Kirche ungeänderter Augsburgischer Konfession in Hessen (sog. Hessische Renitenz).

Im Sozialisationshintergrund mancher politischer Straftäter (Überzeugungstäter, revoltierender Terrorismus) spielen gesinnungsethische Strukturen eine Rolle, die eine Verwandtschaft mit dem Phänomen und manchmal auch mit der Institutionalisierung von "Renitenz" erkennen lassen.

Die RAF-Gründerin Ulrike Meinhof z.B. kam aus einem Elternhaus, das sich im Dritten Reich der freikirchlichen Gemeinde "Hessische Renitenz" angeschlossen hatte, weil diese sich gegen die staatliche Einmischung in kirchliche und religiöse Fragen stellte. Auch Ulrike Meinhof selbst waren ihr Glaube und ihre Freiheit von Bevormundung besonders wichtig. In ihrer Schulzeit lehnte sie sich gegen Autoritäten und ungerechte Behandlung auf.

Obrigkeit und Rechtswesen

In neuerer Zeit wird der Begriff zunehmend auch als Kampfbegriff gegen die Obrigkeit verwendet, wenn diese meint, sich nicht an rechtsstaatliche Vorgaben halten zu müssen. Bekanntestes Beispiel sind renitente Vollzugsbehörden. Die Häufigkeit, mit der sich Strafvollzugsbehörden weigern, Gerichtsurteile zugunsten von Gefangenen umzusetzen, ist nicht bekannt. In Hamburg wurden im September 2007 - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - für den Zeitraum von ca. 4 Jahren 9 Fälle bekannt, in denen die Gefängnisleitungen Urteile der Gerichte schlicht ignorierten. Zum Beispiel: "Ein Gefangener will in den offenen Vollzug. Die Strafvollstreckungskammer verpflichtet die Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel, ihn zu verlegen. Zwei Beschlüsse (Mai und September 2006) ergehen, trotzdem bleibt der Mann im geschlossenen Vollzug. Ein anderer Gefangener sollte nach Überzeugung der Richter bereits im Januar 2003 in den offenen Vollzug, Fuhlsbüttel solle seinen Antrag 'neu bescheiden', sprich genehmigen. Nichts passiert. Im Dezember 2004 verpflichtete das Landgericht di Haftanstalt, den Mann endlich in den offenen Vollzug zu verlegen ("Ermessensreduzierung auf null"). Die Richter rügen: "Die Vollzugsbehörde ist ihrer gerichtlichen Verpflichtung über Jahre nicht nachgekommen. Im April 2005 teilten Mitarbeiter der JVA Fuhlsbüttel den Richtern sogar mit, ein Beschluss (Gefangener raus aus der Iso-Station) sei umgehend ausgeführt worden. Tatsächlich war der Mann weitre elf Tage isoliert" (Hamburger Morgenpost, Do., 27. September 2007: 12-13, "Justizbehörde ignoriert Gesetze", von Stephanie Lamprecht).

Antipode von Renitenz ist Gehorsam. Ein der Renitenz verwandtes Phänomen ist die Reaktanz.

Literatur

  • Wolfgang Lesting/Johannes Feest: Renitente Strafvollzugsbehörden. Eine rechtstatsächliche Untersuchung in rechtspolitischer Absicht, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 1987, S. 390-33.
  • Karl Wicke: Die hessische Renitenz, ihre Geschichte und ihr Sinn. Bärenreiter-Verlag, Kassel 1930