Rechtspsychologie: Unterschied zwischen den Versionen

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Bei der '''Rechtspsychologie''' handelt sich um einen eigenständigen Bereich der Angewandten Psychologie.
Bei der '''Rechtspsychologie''' handelt sich um einen eigenständigen Bereich der Angewandten Psychologie.
Unter Rechtspsychologie (engl. auch ''legal psychology'' oder ''psychology and law'') versteht man die "Anwendungen psychologischer Theorien, Methoden und Ergebnisse auf Probleme des Rechts" (Lösel/Bender, 1993, S. 590). Die Rechtspsychologie wird als Überbegriff für die '''Forensische Psychologie''' und die '''Kriminalpsychologie''' verwendet.  
Unter Rechtspsychologie (engl. auch ''legal psychology'' oder ''psychology and law'') versteht man die "Anwendungen psychologischer Theorien, Methoden und Ergebnisse auf Probleme des Rechts" (Lösel/Bender 1993590). Die Rechtspsychologie wird als Überbegriff für die '''Forensische Psychologie''' und die '''Kriminalpsychologie''' verwendet.  




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===Historie/Entwicklung des Begriffs Rechtspsychologie===
===Historie/Entwicklung des Begriffs Rechtspsychologie===


Bedingt durch Einflüsse aus dem angloamerikanischen Raum ("''legal psychology''", "''psychology and law''") setzte sich im deutschen Sprachraum seit Mitte der 1970er Jahre mehr und mehr die Bezeichnung Rechtspsychologie durch. Auf dem 33. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie einigte man sich 1982 in Mainz darauf die Kriminalpsychologie und die Forensische Psychologie unter der Bezeichnung Rechtspsychologie zusammenzufassen. Innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) wurde 1984 die Fachgruppe Rechtspsychologie gegründet. Ein Jahr später wurde auch innerhalb des Berufsverbandes der Deutschen Psychologinnen und Psychologen (BDP) eine Sektion Rechtspsychologie gegründet. Seither werden von beiden Organisationen Fachtagungen zu diesem Bereich der Psychologie durchgeführt (Bliesener/Lösel/Köhnken, 2014, S. 25).   
Bedingt durch Einflüsse aus dem angloamerikanischen Raum ("''legal psychology''", "''psychology and law''") setzte sich im deutschen Sprachraum seit Mitte der 1970er Jahre mehr und mehr die Bezeichnung Rechtspsychologie durch. Auf dem 33. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie einigte man sich 1982 in Mainz darauf die Kriminalpsychologie und die Forensische Psychologie unter der Bezeichnung Rechtspsychologie zusammenzufassen. Innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) wurde 1984 die Fachgruppe Rechtspsychologie gegründet. Ein Jahr später wurde auch innerhalb des Berufsverbandes der Deutschen Psychologinnen und Psychologen (BDP) eine Sektion Rechtspsychologie gegründet. Seither werden von beiden Organisationen Fachtagungen zu diesem Bereich der Psychologie durchgeführt (vgl. Bliesener/Lösel/Köhnken 2014: 25).   


===[[Kriminalpsychologie]]===
===[[Kriminalpsychologie]]===


Die Kriminalpsychologie ist interdisziplinär. Die ersten Ansätze der "Criminalpsychologie" reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück. Sie ist eng verbunden mit der Rechtswissenschaft, der Kriminologie, der Kriminalistik, der Psychiatrie, der Soziologie und der Sozialpädagogik und befasst sich vorrangig mit Fragenstellungen der Beschreibung, Erklärung, Prognose, Prävention, Reaktion und Rehabilitation auf sozial inakzeptables Verhalten (Bliesener/Lösel/Köhnken, 2014, S. 22).
Die Kriminalpsychologie ist interdisziplinär. Die ersten Ansätze der "Criminalpsychologie" reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück. Sie ist eng verbunden mit der Rechtswissenschaft, der Kriminologie, der Kriminalistik, der Psychiatrie, der Soziologie und der Sozialpädagogik und befasst sich vorrangig mit Fragenstellungen der Beschreibung, Erklärung, Prognose, Prävention, Reaktion und Rehabilitation auf sozial inakzeptables Verhalten (vgl. Bliesener/Lösel/Köhnken 2014: 22).
Im Zentrum der Betrachtung steht die Persönlichkeit des Täters, die psychischen Prozesse und die situativen Gegebenheiten vor, während und nach der Tat sowie die möglichen Präventionsmaßnahmen und deren Wirkung.  
Im Zentrum der Betrachtung steht die Persönlichkeit des Täters, die psychischen Prozesse und die situativen Gegebenheiten vor, während und nach der Tat sowie die möglichen Präventionsmaßnahmen und deren Wirkung.  


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==Themenfelder/Gegenstände der Rechtspsychologie==
==Themenfelder/Gegenstände der Rechtspsychologie==


Die Themenfelder der Rechtspsychologie sind umfangreich und weisen teilweise Überschneidungen zu anderen Disziplinen (u. a. der [[Sozialpsychologie]]) auf. Im Wesentlichen geht es um die "affektiven, kognitiven und motivationalen Prozesse des Verhaltens [...] zu Rechtsnormen" (Bliesener/Lösel/Köhnken, 2014, S. 29).
Die Themenfelder der Rechtspsychologie sind umfangreich und weisen teilweise Überschneidungen zu anderen Disziplinen (u. a. der [[Sozialpsychologie]]) auf. Im Wesentlichen geht es um die "affektiven, kognitiven und motivationalen Prozesse des Verhaltens [...] zu Rechtsnormen" (Bliesener/Lösel/Köhnken 2014: 29).




Sowohl Haney (1980) als auch Sporer (1985, S. 404) haben das Verhältnis/die Beziehung von Recht und Psychologie in drei Kategorien differenziert:
Sowohl Haney (1980) als auch Sporer (1985: 404) haben das Verhältnis/die Beziehung von Recht und Psychologie in drei Kategorien differenziert:


# Psychologie ''im'' Recht - Psychologie hilft der Rechtspraxis Ziele zu erreichen
# Psychologie ''im'' Recht - Psychologie hilft der Rechtspraxis Ziele zu erreichen
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Zu den klassischen Bereichen der Rechtspsychologie zählen (nach Bliesener/Lösel/Köhnken, 2014, S. 28):
Zu den klassischen Bereichen der Rechtspsychologie zählen (nach Bliesener/Lösel/Köhnken 2014: 28):


* Forensisch-psychologische Begutachtung im Straf-, Zivil-, Sozial- und Verwaltungsrecht
* Forensisch-psychologische Begutachtung im Straf-, Zivil-, Sozial- und Verwaltungsrecht
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==Studium der Rechtspsychologie==
==Studium der Rechtspsychologie==


Im Jahre 1941 wurde in Deutschland der erst Diplomstudiengang [[Psychologie]] ins Leben gerufen (vgl. Kury/Obergfell-Fuchs, 2012, 22).
Im Jahre 1941 wurde in Deutschland der erst Diplomstudiengang [[Psychologie]] ins Leben gerufen (vgl. Kury/Obergfell-Fuchs 2012: 22).
Die Möglichkeit eines separaten Rechtspsychologiestudiums bestand lange Zeit nicht. Rechtspsychologie war in Deutschland nur ein Teilfach des Psychologiestudiums an einigen wenigen Universitäten gewesen. So konnte erst seit den 1970er Jahren an einigen Universitäten im Rahmen des Diplomstudienganges Psychologie die Rechtspsychologie als viertes Anwendungsfach (neben der Klinischen, der Pädagogischen und der Arbeits- und Organisationspsychologie) etabliert werden (Bliesener/Lösel/Köhnken, 2014, S. 29).  
Die Möglichkeit eines separaten Rechtspsychologiestudiums bestand lange Zeit nicht. Rechtspsychologie war in Deutschland nur ein Teilfach des Psychologiestudiums an einigen wenigen Universitäten gewesen. So konnte erst seit den 1970er Jahren an einigen Universitäten im Rahmen des Diplomstudienganges Psychologie die Rechtspsychologie als viertes Anwendungsfach (neben der Klinischen, der Pädagogischen und der Arbeits- und Organisationspsychologie) etabliert werden (vgl. Bliesener/Lösel/Köhnken 2014: 29).  


In Deutschland wurde die erste und einzige eigenständige Professur für Forensische Psychologie Mitte der 1980er Jahre in der Forensischen Psychiatrie der Charité in Berlin (FU Berlin) eingerichtet. Eine Nachbesetzung der Professur erfolgte jedoch nicht (siehe hierzu Rückert, 2008; Bliesener/Lösel/Köhnken, 2014, S. 31).  
In Deutschland wurde die erste und einzige eigenständige Professur für Forensische Psychologie Mitte der 1980er Jahre in der Forensischen Psychiatrie der Charité in Berlin (FU Berlin) eingerichtet. Eine Nachbesetzung der Professur erfolgte jedoch nicht (siehe hierzu Rückert 2008; Bliesener/Lösel/Köhnken 2014: 31).  
Seminare in Rechtspsychologie kann man in Deutschland an der FU Berlin sowie in Bonn, an der TU Braunschweig, der Uni Bremen, der Uni Erlangen-Nürnberg, der Uni Gießen, der Uni Kiel und der Uni Mainz belegen.
Seminare in Rechtspsychologie kann man in Deutschland an der FU Berlin sowie in Bonn, an der TU Braunschweig, der Uni Bremen, der Uni Erlangen-Nürnberg, der Uni Gießen, der Uni Kiel und der Uni Mainz belegen.


Mit der Umstellung der Diplomstudiengänge auf die Bachelor- und Masterstudiengänge gingen teilweise neue Studiengänge mit einem rechtspsychologischen Schwerpunkt (z. B. Bonn) daraus hervor. Auch an einigen  Fachhochschulen (z. B. Hamburg und Heidelberg) besteht die Möglichkeit Rechtspsychologie zu studieren (Bliesener/Lösel/Köhnken, 2014, S. 29).  
Mit der Umstellung der Diplomstudiengänge auf die Bachelor- und Masterstudiengänge gingen teilweise neue Studiengänge mit einem rechtspsychologischen Schwerpunkt (z. B. Bonn) daraus hervor. Auch an einigen  Fachhochschulen (z. B. Hamburg und Heidelberg) besteht die Möglichkeit Rechtspsychologie zu studieren (vgl. Bliesener/Lösel/Köhnken 2014: 29).  




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Eine Weiterbildung des Psychologen oder Psychotherapeuten zum Rechtspsychologen ist nicht zwingend vorgeschrieben, um in diesem Arbeitsbereicht tätig werden zu können.  
Eine Weiterbildung des Psychologen oder Psychotherapeuten zum Rechtspsychologen ist nicht zwingend vorgeschrieben, um in diesem Arbeitsbereicht tätig werden zu können.  
Bei Bedarf kann im Rahmen eines dreijährigen berufsbegleitenden postgradualen Studiums die Zertifizierung zum "Fachpsychologen für Rechtspsychologie" erworben werden. Vorraussetzung hierfür ist ein abgeschlossenes Psychologiestudium (Diplom oder Master) sowie die Absolvierung des 400 Stunden umfassenden Theorie- und Praxisteils (Bliesener/Lösel/Köhnken, 2014, S. 30). Die Zertifizierung erfolgt durch die Föderation deutsche Psychologenvereinigungen, einem Dachverband der beiden psychologischen Berufsvertretungen (BDP und DGPs). Mit Stand Juni 2014 gibt es zirka 300 solcher Fachpsychologen für Rechtspsychologie.
Bei Bedarf kann im Rahmen eines dreijährigen berufsbegleitenden postgradualen Studiums die Zertifizierung zum "Fachpsychologen für Rechtspsychologie" erworben werden. Vorraussetzung hierfür ist ein abgeschlossenes Psychologiestudium (Diplom oder Master) sowie die Absolvierung des 400 Stunden umfassenden Theorie- und Praxisteils (vgl. Bliesener/Lösel/Köhnken 2014: 30). Die Zertifizierung erfolgt durch die Föderation deutsche Psychologenvereinigungen, einem Dachverband der beiden psychologischen Berufsvertretungen (BDP und DGPs). Mit Stand Juni 2014 gibt es zirka 300 solcher Fachpsychologen für Rechtspsychologie.


Des Weiteren besteht die Möglichkeit über die jeweiligen Psychotherapeutenkammern der Länder an entsprechenden Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen.  
Des Weiteren besteht die Möglichkeit über die jeweiligen Psychotherapeutenkammern der Länder an entsprechenden Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen.  
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==Kriminologische Relevanz==
==Kriminologische Relevanz==


Die Rechtspsychologie steht in einem engen Verhältnis zur [[Kriminologie]]. Beide sind sehr stark interdisziplinär angelegt. Die Disziplinen nutzen die jeweiligen Erkenntnisse der anderen Fachrichtung und beschäftigen sich intensiv mit den selben Themenfeldern. Im Mittelpunkt steht der Wunsch [[sozial abweichendes Verhalten]] verstehen zu können und daraus abgeleitet Lösungsansätze zu entwickeln (vgl. Kury/Obergfell-Fuchs, 2012, 19 ff.).
Die Rechtspsychologie steht in einem engen Verhältnis zur [[Kriminologie]]. Beide sind sehr stark interdisziplinär angelegt. Die Disziplinen nutzen die jeweiligen Erkenntnisse der anderen Fachrichtung und beschäftigen sich intensiv mit den selben Themenfeldern. Im Mittelpunkt steht der Wunsch [[sozial abweichendes Verhalten]] verstehen zu können und daraus abgeleitet Lösungsansätze zu entwickeln (vgl. Kury/Obergfell-Fuchs 2012: 19 ff.).
Neben den klassischen, biologischen, ökonomischen und soziologischen Theorien werden auch psychologische Erklärungsansätze genutzt.  
Neben den klassischen, biologischen, ökonomischen und soziologischen Theorien werden auch psychologische Erklärungsansätze genutzt.  


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==Literatur==
==Literatur==


*Bliesener, Thomas/Lösel, Friedrich/Köhnken, Günter (Hrsg.) (2014): Lehrbuch der Rechtspsychologie, Bern.
*Bliesener, Thomas/Lösel, Friedrich/Köhnken, Günter (Hrsg.) (2014): Lehrbuch der Rechtspsychologie. Bern.


*Haney, Craig (1980): Psychology and legal change. On the limits of factual jurisprudence. In: Law and Human Behavior, Jahrgang 4, 147-199.
*Haney, Craig (1980): Psychology and legal change. On the limits of factual jurisprudence. In: Law and Human Behavior, Jahrgang 4, 147-199.
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*Köhler, Dennis (2014): Rechtspsychologie. Stuttgart (= Grundriss der Psychologie; Band 17).
*Köhler, Dennis (2014): Rechtspsychologie. Stuttgart (= Grundriss der Psychologie; Band 17).


*Kury, Helmut/Obergfell-Fuchs, Joachim (2012): Rechtspsychologie. Forensische Grundlagen und Begutachtung. Ein Lehrbuch für Studium und Praxis, Stuttgart.
*Kury, Helmut/Obergfell-Fuchs, Joachim (2012): Rechtspsychologie. Forensische Grundlagen und Begutachtung. Ein Lehrbuch für Studium und Praxis. Stuttgart.


*Lösel, Friedrich/Bender, Doris (1993): Rechtspsychologie. In: Schorr, Angela (Hrsg.): Handwörterbuch der Angewandten Psychologie. Bonn. 590-598.  
*Lösel, Friedrich/Bender, Doris (1993): Rechtspsychologie. In: Schorr, Angela (Hrsg.): Handwörterbuch der Angewandten Psychologie. Bonn. 590-598.  


*Lüer, Gerd (Hrsg.) (1983): Bericht über den 33. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Mainz 1982. Band 1 und Band 2, Göttingen.
*Lüer, Gerd (Hrsg.) (1983): Bericht über den 33. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Mainz 1982. Band 1 und Band 2. Göttingen.


*Rückert, Sabine (2008): [http://www.zeit.de/2008/49/PS-Rechtspsychologie?page=all Der Untergang des Sachverstands. In Berlin soll die einzige Professur für Rechtspsychologie abgeschafft werden – mit verheerenden Folgen für die Strafjustiz.] In: Zeit Online 27.11.2008.
*Rückert, Sabine (2008): [http://www.zeit.de/2008/49/PS-Rechtspsychologie?page=all Der Untergang des Sachverstands. In Berlin soll die einzige Professur für Rechtspsychologie abgeschafft werden – mit verheerenden Folgen für die Strafjustiz.]. In: Zeit Online 27.11.2008.


*Sporer, Siegfried Ludwig (1985): Rechtspsychologie versus Forensischer Psychologie. In: Hehl, Franz-Josef (Ebel, Volker/Ruch, Willibald (Hrsg.): Psychologische Aspekte politischer und juristischer Entscheidungen.  Bonn. 403-412.
*Sporer, Siegfried Ludwig (1985): Rechtspsychologie versus Forensischer Psychologie. In: Hehl, Franz-Josef (Ebel, Volker/Ruch, Willibald (Hrsg.): Psychologische Aspekte politischer und juristischer Entscheidungen.  Bonn. 403-412.
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