Rational Choice Theory

Aus Krimpedia – das Kriminologie-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

In der Rational Choice Theory wird der Grund für Verbrechen nicht in besonderen Persönlichkeitsmerkmalen oder Umweltbedingungen gesehen, sondern als individuelles, nutenmaximierendes, rationales Entscheidungsverhalten des potentiellen Kriminellen.

Der ökonomische Ansatz

Die Verwendung des ökonomischen Ansatzes geht zurück auf den Ökonomen Gary S. Becker, der den Ansatz erstmals in dem Aufsatz Kriminalität und Strafe: Ein ökonomischer Ansatz 1968 im Jounal of Political Economy fuer die Erklaerung von kriminellem Verhalten anwandte. Becker vertrat darin die These, dass fuer eine Theorie kriminellen Verhaltens auf besondere Theorien wie die Anomietheorie, psychologische Unangepasstheit oder die Vererbung bestimmter Charakterzuege verzichtet werden kann und die Anwendung der oekonomischen Theorie der Wahlhandlung fuer diesen Bereich ausreicht (Becker, 1993).

Voraussetzungen und Annahmen

In der oekonomischen Analyse von Wahlhandlungen wird ein nutzenmaximierendes Verhalten der Individuen unterstellt, d.h. vor zwei Alternativen gestellt wird diejenige Alternative ausgewaelt, die dem Hnadelnden die groesste Wohlfahrt stiftet. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass die Wohlfart anderer damit gefoerdert wird (Kirsch, 1997).

Angenommen wird weiterhin, dass der Handelnde eine rationale Entscheidung trifft. Dabei wird Rationalitaet so verstanden, dass der Handelnde diejenige Entscheidung trifft, die er subjektiv fuer die beste haelt, unabhaengig davon, ob sie das auch ist. Damit wird auch nicht impliziert, dass der Handelnde umfassend informiert ist, alle Alternativen kennt oder das keine Gefuehle oder Affekte in die Entscheidung einfliessen. Der Rational Choice-Ansatz geht davon aus, dass der einzelne jene Alternative waehlt, die ihm zum Zeitpunkt der Entscheidung als die beste erscheint. Eine bewusstes und explizites Entscheidungskalkuel muss dem nicht vorausgehen (Kirsch, 1997).

Darueber hinaus wird fuer den einzelnen Praeferenzenstabilitaet angenommen sowie ein Marktgleichgewicht unterstellt (Markt wird hier im weitesten Sinne verstanden). Preise geben dem Handelnden Informationen ueber die Opportunitaetskosten des Einsatzes knapper Ressourcen (Becker, 1993).

Entscheidungsvariablen

Die Vaiablen, die in die Entscheidung eines potentiellen Krimenellen einfliessen, bevor er sich fuer oder gegen ein illegale Handlungsalternative entscheidet sind:

  1. die subjektiv erwartete Wahrscheinlichkeit, dass eine Straftat j entdeckt und verurteilt wird pj
  2. die erwartete Wahrscheinlichkeit fuer die Straftat j nicht verurteilt zu werden 1 - pj
  3. das monetaere Aequivalent fj der Strafe bei Verurteilung
  4. das Einkommen Yj aus der Straftat sowie
  5. der Nutzen Uj der Yj bzw. Yj - fj beigemessen wird.

Fuer den potentiellen Kriminellen ergibt sich dann folgende Gleichung fuer den zu erwartenden Nutzen aus einer kriminellen Handlung:

EUj = pj Uj (Yj - fj) + (1 - pj) Uj (Yj) (Becker, 1993)

Beim Vergleich mehrerer Handlngsalternativen wird dann diejenige Handlung mit dem groessten zu erwartenden Nutzen realisiert werden.

Schlussfolgerungen

Ein Ansteigen der Entdeckungswahrscheinlichkeit pj oder der Strafhoehe fj wuerde den erwarteten Nutzen einer Straftat mindern und tendenziell die Zahl der Straftaten senken. Aus der Gleichung ergibt sich auch, dass eine Erhoehung der Entdeckungswahrscheinlichkeit einen staerkeren Einfluss auf die Anzahl der veruebten Straftaten hat als eine Straferhoehung (Becker, 1993).

Beckers Ziel war es, Kriterien fuer eine optimale oeffentliche und private Politik zur Bekaempfung von illegalen Verhalten zu gewinnen. Optimale Entscheidungen sind dann dadurch gekennzeichnet, dass sie den gesellschaftlichen Einkommensverlust in Form von Schaeden, Kosten fuer Verhaftung und Verurteilung und Kosten fuer die Vollstreckung von Strafen minimieren. So plaediert er dafuer, dass Geldstrafen verhaengt werden "wo immer dies moeglich ist." Geldstrafen haben den Vorteil, dass durch sie keine zusaetzlichen Ressourcen fuer die Abgeltung der Strafe gebunden werden und den Opfern eine Kompensation bieten. Arme Straftaeter koenten diese Geldstrafe entweder in Raten abzahlen oder wuerden eine geringer Haftstrafe verbuessen als der optimalen Geldstrafe angemessen waere, da dadurch die Kosten fuer die Haftstrafe gering gehalten werden koennten. In diesem Zusammenhang tritt er auch fuer eine Staerkung des Gedankens der Wiedergutmachung des Schadens ein im Gegensatz zu Strafe und Abschreckung. Kriminell waeren dann nur Taten, die fuer andere einen nicht kompensierten Schaden verursacht haben (Becker, 1993).

Kriminologische Vorlauefer der Rational Choice Theory

Die Rational Choice Theory kann in der Kriminologie auf die Ansaetze von Beccaria und Bentham zurueck gefuehrt werden. Grundlegend sowohl fuer Beccaria als auch fuer Bentham war die Einsicht, dass menschliches Handeln bestimmt wird von dem Bestreben Schmerz zu vermeiden und einen Lustgewinn zu erzielen. Nach Beccaria sind kriminelle Handlungen mit einem hoeren Lustgewinn verbunden, bzw. die kriminelle Beschaffung von Guetern erfolgt leichter und schneller als auf einem gesetzeskonformen Weg. Mit diesen handlungstheoretischen Ueberlegungen stellt er die strafbare Handlung in den Mittelpunkt seiner Ueberlegungen und entwickelt daraus die Idee der Abschreckung (Eifler, 2002). Eine Theorie der Genralpraevention wurde von Bentham entwickelt, der davon ausging, das die Wirkung von Gesetzen vorallem auf der Straffurcht bzw. der Vermeidung von Schmerz beruht (Bentham, 1982). Dabei unterschied er in eine generelle und eine spezielle Abschreckung.

Kriminologische Anwendungen der Rational Choice Theory

Als bekanntestes Beispiel fuer die Anwendung der Rational Choice Theory kann das Konzept des reasoning criminal von Cornish und Clark angefuehrt werden. Im Rahmen von situational crime prevention Programmen wurde davon ausgegangen, dass potentielle Taeter auf staerkere Kontrollen, intensivere Sicherungen und technische und bauliche Massnahmen rational reagieren wuerden (Karstedt/Greve, 1996).

Eine Gegenseitige Unterstuetzung wird zwischem den Rational ChoiceAnsatz und dem Routine Activity-Ansatz konstatiert, da beide Interesse am situativen Kontext von Delikten und eine kriminalpolitische Orientierung teilen (Karstedt/Greve, 1996).

Letztlich kann auch die Kontrolltheorie Hirshis bzw. die allgemeine Theorie der Kriminalitaet von Gottfredson/Hirshi zu den Rational Choice-Ansaetzen gezaelt werden. Auch hier wird von einer Wahlhandlung ausgegangen. Aus seiner durch extrem kurzfristige Gewinnaussichten bestimmten Praeferenzenordnung handelt der potentielle Taeter auch hier rational, ihm fehlt die Selbstkontrolle (Karstedt/Greve, 1996).

Kriminologische Kritik

Die Annahmen der Rational Choice Theory setzen einen Menschen voraus, der sich stets oekonomisch verhaelt, auch wenn sein Verhalten emotional oder altruistisch gepraegt ist oder von anderen als unvernuenftigt eingestuft wird. Damit wird eine tautologische Praemisse zu Grunde gelegt, die nicht falsifizierbar ist (Kunz, 2008).

Als Gretchenfrage an die handlungtheoretischen Grundannahmen haette nach Karstedt/Greve die Frage gestellt werden muessen warum bei besten Gelegenheiten strafbare Handlungen unterlassen werden. Darueber hinaus sind mit dem sehr weiten Rationalitaetskonzept problematische Konsequenzen verbunden. Wie nebenbei werden beim Tater spezifische Dispositionsmerkmale vorausgesetzt wie ein Mangel an Selbskontrolle und ein Praeferenzstrucktur, die kurzfristige Gewinne bevorzugt, damit handelt es sich eher um eine Theorie spezifischer Dispositionen von Taetern (Karstedt/Greve, 1996).

Weiterhin laesst sich aus dem Modell weder die Konsistenz noch die Konstanz der Praeferenzordnung deduzieren. Eine empirische Ueberpruefung laesst sich erst durchfuehren, wenn Praeferenzsystem und Informationsstand des Akteurs bekannt sind. Damit wuerde aber empirisch ueberprueft, was andererseits vorausgesetzt wird (Wittig, 1993).

Auch wird in der Rational Choice Theory die Rolle von Normen nicht ausreichend beruecksichtigt. Normen treten als kalkulierbare Sanktionsrisiken und -kosten in Erscheinung. Damit wird ausser acht gelassen, dass Normen Handlungen koordiniern ueber Handlungen, die sie ausloesen. Auch scheint Normen ein hoeheres Gewicht bei der Eingrenzung von ueberhaupt in Frage kommenden Alternativen zu zukommen, als die Einschaetzung von Entdeckungswahrscheinlichkeit und Strafhoehe. Es fehlt damit innerhalb der Rational Choice-Perspektive eine theoretische Konzeption, ob Normen allein als formelle und informelle Sanktionen fungieren oder auch als selbstbezogene SAnktionen und darueber hinaus als eigenstaendige Entscheidungsprinzipien gelten oder als dem rationalen Entscheiden entgegengesetzter Entscheidungsmodus verstanden werden (Karstedt/Greve, 1996).

Die von der Rational Choice Theory gestuetzten krimnalpolitischen Massnahmen gehen von einem schlichten substantiellen Konzept der Rationalitaet aus und koennen damit nicht intendierte Effekte ausloesen. Auch werden Kosten-Nutzen-Analysen fuer Praevetionsmassnahmen vermisst, gerade wenn diese Massnahmen nur fuer eine kurze Zeit wirkenund eine geringer werdende Zahl an Delikten verhindern (Karstedt/Greve, 1996).

Literatur

  • Cesare Beccaria, Über Verbrechen und Strafe. Nach der Ausgabe von 1766 übersetzt und herausgegeben von Wilhelm Alff, Insel Verlag, Frankfurt a. Main 1988.
  • Gary S. Becker, Ökonomische Erklärungen menschlichen Verhaltens, Mohr Siebeck, Tübingen 1993.
  • Jeremy Bentham, An Introduction to the Princeples of Moral and Legislation, herausgegeben von J.H. Burns und H.L.A. Hart, Methuen, London/New York 1982.
  • Stefanie Eifler, Kriminalsoziologie, transcript Verlag, Witten 2002.
  • Susanne Karstedt/Werner Greve, Die Vernunft des Verbrechens, in Kritische Kriminologie in der Diskussion, S. 171 - 210, herausgegeben von Kai-D. Bussmann und Reinhard Kreissl, Westdeutscher Verlag, Opladen 1996.
  • Guy Kirsch, Neue Politische Ökonomie, Werner Verlag, Düsseldorf 1997.
  • Karl-Ludwig Kunzel, Kriminologie. Eine Grundlegung, Haupt Verlag, Bern 2008.
  • Petra Wittig, Der rationale Verbrecher. Der ökonomische Ansatz zur Erklärung kriminellen Verhaltens, Duncker & Humbolt, Berlin 1993.