Rational Choice Theory

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Da Menschen - der Rational Choice Theory zufolge - bei ihrem Entscheidungsverhalten zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten diejenigen Optionen bevorzugen, die ihrer Ansicht nach am besten dazu geeignet sind, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und ihre Lebenssituation zu verbessern (vgl. Hill 2002: 44), werden sie (nach Ansicht der Vertreter dieser Theorie) diesen Grundsätzen auch dann folgen, wenn es um die Entscheidung zu deviantem, illegalen, bzw. kriminellen Handeln geht. Die Gründe für die Begehung von Straftaten sind damit nicht in besonderen Persönlichkeitsmerkmalen oder Umweltbedingungen zu suchen, sondern in dem individuellen, nutzenmaximierenden, rationalen Entscheidungsverhalten der jeweiligen Akteure. Mit "Rationalität" ist allerdings keine "objektive" oder "übergeordnete" Vernunft zu verstehen und schon gar nicht diejenige des wissenschaftlichen Beobachters selbst, sondern "rational" verhält sich der Akteur (nur) in dem Sinne, "dass er die Alternative wählt, die ihm am vorteilhaftesten erscheint. Diese Einschätzung beruht ausschließlich auf den subjektiven Erfahrungen und Gewichtungen des jeweiligen Akteurs" (Hill 2002: 50).

Die "rationale Wahl" läuft nach Hartmut Esser (1991, 1996) zweistufig ab: erst wird der Rahmen (frame) gewählt, dann innerhalb dieser Situationsdefinition eine konkrete Handlung. Wenn ich zum Beispiel einen Mann vor drei Polizisten weglaufen sehe und den Situationsrahmen "Verbrecherjagd" wähle (und den "Verbrecher" mit meinem Auto anfahre, um der Polizei zu helfen), dann kann das Nachteile mit sich bringen, wenn der richtige Rahmen meiner Interpretation "Filmaufnahme" gewesen wäre. Es gilt also zunächst, den richtigen situativen Rahmen zu finden - und dann eine Handlungsoption auszuwählen (vgl. Hill 2002: 35 ff.).

Im Alltag werden viele frames routinemäßig erfasst (= automatisiertes Framing) und viele Handlungen (quasi-) automatisch ausgeführt, d.h. der Akteur entlastet sich von langwierigen Überlegungen aufgrund einer früh eingeübten Routine (deren Entstehung und Praktizierung allerdings auch unter dem Gesichtspunkt von rational choice erklärt werden können). Je schwerwiegender dem Akteur allerdings die möglichen Folgen einer Fehlentscheidung erscheinen, desto eher kommt es zu überlegtem Handeln, gezielter Informationssuche, Abwägungen aller Einzelheiten und so weiter. Unter Rückgriff auf die Theorie des überlegten Handelns von Martin Fishbein und Icek Ajzen (1975) entwickelte Russell H. Fazio (1986: 237 f.) das MODE-Modell (motivation and opportunity as determinants of the attitude-behavior-process).

Der ökonomische Ansatz

Die Verwendung des ökonomischen Ansatzes geht zurück auf den Ökonomen Gary S. Becker, der den Ansatz erstmals in dem Aufsatz Kriminalität und Strafe: Ein ökonomischer Ansatz 1968 im Jounal of Political Economy für die Erklärung von kriminellem Verhalten anwandte. Becker vertrat darin die These, dass für eine Theorie kriminellen Verhaltens auf besondere Theorien wie die Anomietheorie, psychologische Unangepasstheit oder die Vererbung bestimmter Charakterzüge verzichtet werden kann und die Anwendung der ökonomischen Theorie der Wahlhandlung für diesen Bereich ausreicht (Becker, 1993).

Voraussetzungen und Annahmen

In der ökonomischen Analyse von Wahlhandlungen wird ein nutzenmaximierendes Verhalten der Individuen unterstellt, d.h. vor zwei Alternativen gestellt wird diejenige Alternative ausgewählt, die dem Handelnden die größte Wohlfahrt stiftet. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass die Wohlfahrt anderer damit gefördert wird (Kirsch, 1997).

Angenommen wird weiterhin, dass der Handelnde eine rationale Entscheidung trifft. Dabei wird Rationalität so verstanden, dass der Handelnde diejenige Entscheidung trifft, die er subjektiv für die beste hält, unabhängig davon, ob sie das auch ist. Damit wird auch nicht impliziert, dass der Handelnde umfassend informiert ist, alle Alternativen kennt oder das keine Gefühle oder Affekte in die Entscheidung einfließen. Der Rational Choice-Ansatz geht davon aus, dass der einzelne jene Alternative wählt, die ihm zum Zeitpunkt der Entscheidung als die beste erscheint. Eine bewusstes und explizites Entscheidungskalkül muss dem nicht vorausgehen (Kirsch, 1997).

Darüber hinaus wird für den einzelnen Präferenzenstabilität angenommen sowie ein Marktgleichgewicht unterstellt (Markt wird hier im weitesten Sinne verstanden). Preise geben dem Handelnden Informationen über die Opportunitätskosten des Einsatzes knapper Ressourcen (Becker, 1993).

Entscheidungsvariablen

Die Variablen, die in die Entscheidung eines potentiellen Kriminellen einfliessen, bevor er sich für oder gegen ein illegale Handlungsalternative entscheidet sind:

  1. die subjektiv erwartete Wahrscheinlichkeit pj, dass eine Straftat j entdeckt und verurteilt wird
  2. die erwartete Wahrscheinlichkeit für die Straftat j nicht verurteilt zu werden 1 - pj
  3. das monetäre Äquivalent fj der Strafe bei Verurteilung
  4. das Einkommen Yj aus der Straftat sowie
  5. der Nutzen Uj der Yj bzw. Yj - fj beigemessen wird.

Für den potentiellen Kriminellen ergibt sich dann folgende Gleichung für den zu erwartenden Nutzen aus einer kriminellen Handlung:

EUj = pj Uj (Yj - fj) + (1 - pj) Uj (Yj) (Becker, 1993)

Beim Vergleich mehrerer Handlungsalternativen wird dann diejenige Handlung, mit dem größten zu erwartenden Nutzen realisiert werden.

Schlussfolgerungen

Ein Ansteigen der Entdeckungswahrscheinlichkeit pj oder der Strafhöhe fj würde den erwarteten Nutzen einer Straftat mindern und tendenziell die Zahl der Straftaten senken. Aus der Gleichung ergibt sich auch, dass eine Erhöhung der Entdeckungswahrscheinlichkeit einen stärkeren Einfluss auf die Anzahl der verübten Straftaten hat als eine Straferhöhung (Becker, 1993).

Beckers Ziel war es, Kriterien für eine optimale öffentliche und private Politik zur Bekämpfung von illegalen Verhalten zu gewinnen. Optimale Entscheidungen sind dann dadurch gekennzeichnet, dass sie den gesellschaftlichen Einkommensverlust in Form von Schäden, Kosten für Verhaftung und Verurteilung sowie die Kosten für die Vollstreckung von Strafen minimieren. So plädiert er dafür, dass Geldstrafen verhängt werden "wo immer dies möglich ist." Geldstrafen haben den Vorteil, dass durch sie keine zusätzlichen Ressourcen für die Abgeltung der Strafe gebunden werden und sie den Opfern eine Kompensation bieten. Arme Straftäter könnten diese Geldstrafe entweder in Raten abzahlen oder würden eine geringer Haftstrafe verbüßen als der optimalen Geldstrafe angemessen wäre, da dadurch die Kosten für die Haftstrafe gering gehalten werden könnten. In diesem Zusammenhang tritt er auch für eine Stärkung des Gedankens der Wiedergutmachung des Schadens ein im Gegensatz zu Strafe und Abschreckung. Kriminell wären dann nur Taten, die für andere einen nicht kompensierten Schaden verursacht haben (Becker, 1993).

Vorläufer

Die Rational Choice Theory kann in der Kriminologie auf die Ansätze von Beccaria und Bentham zurück geführt werden. Grundlegend, sowohl für Beccaria als auch für Bentham war die Einsicht, dass menschliches Handeln bestimmt wird von dem Bestreben Schmerz zu vermeiden und einen Lustgewinn zu erzielen. Nach Beccaria sind kriminelle Handlungen mit einem höheren Lustgewinn verbunden, bzw. die kriminelle Beschaffung von Gütern erfolgt leichter und schneller als auf einem gesetzeskonformen Weg. Mit diesen handlungstheoretischen Überlegungen stellt er die strafbare Handlung in den Mittelpunkt seiner Überlegungen und entwickelt daraus die Idee der Abschreckung (Eifler, 2002). Eine Theorie der Genralpraevention wurde von Bentham entwickelt, der davon ausging, das die Wirkung von Gesetzen vorallem auf der Straffurcht bzw. der Vermeidung von Schmerz beruht. Dabei unterscheidet er in eine generelle und eine spezielle Abschreckungswirkung (Bentham, 1982).

Anwendungsfälle

Als bekanntestes Beispiel für die Anwendung der Rational Choice Theory kann das Konzept des reasoning criminal von Cornish und Clark angeführt werden. Im Rahmen von situational crime prevention Programmen wurde davon ausgegangen, dass potentielle Täter auf stärkere Kontrollen, intensivere Sicherungen und technische und bauliche Massnahmen rational reagieren würden (Karstedt/Greve, 1996).

Eine gegenseitige Unterstützung wird zwischem dem Rational Choice Ansatz und dem Routine Activity Ansatz konstatiert, da beide Interesse am situativen Kontext von Delikten und eine kriminalpolitische Orientierung teilen (Karstedt/Greve, 1996).

Letztlich kann auch im weitesten Sinne die Kontrolltheorie Hirschis bzw. die allgemeine Theorie der Kriminalität von Gottfredson/Hirschi zu den Rational Choice-Ansätzen gezählt werden. Auch hier wird von einer Wahlhandlung ausgegangen: Aus seiner durch extrem kurzfristige Gewinnaussichten bestimmten Präferenzenordnung handelt der potentielle Täter auch hier rational, ihm fehlt die Selbstkontrolle (Karstedt/Greve, 1996).

Kritik

Die Annahmen der Rational Choice Theory setzen einen Menschen voraus, der sich stets ökonomisch verhält, auch wenn sein Verhalten emotional oder altruistisch geprägt ist oder von anderen als unvernünftigt eingestuft wird. Damit wird eine tautologische Prämisse zu Grunde gelegt, die nicht falsifizierbar ist (Kunz, 2008).

Als Gretchenfrage an die handlungtheoretischen Grundannahmen muss nach Karstedt/Greve die Frage gestellt werden, warum bei besten Gelegenheiten strafbare Handlungen unterlassen werden. Darüber hinaus sind mit dem sehr weiten Rationalitätskonzept problematische Konsequenzen verbunden. Wie nebenbei werden beim Täter spezifische Dispositionsmerkmale vorausgesetzt wie ein Mangel an Selbskontrolle und eine Präferenzstrucktur, die kurzfristige Gewinne bevorzugt, damit handelt es sich eher um eine Theorie spezifischer Dispositionen von Tätern (Karstedt/Greve, 1996).

Weiterhin lässt sich aus dem Modell weder die Konsistenz noch die Konstanz der Präferenzordnung deduzieren. Eine empirische Überprüfung läßt sich erst durchführen, wenn Präferenzsystem und Informationsstand des Akteurs bekannt sind. Damit würde aber empirisch überprüft, was andererseits vorausgesetzt wird (Wittig, 1993).

Auch wird in der Rational Choice Theory die Rolle von Normen nicht ausreichend berücksichtigt. Normen treten als kalkulierbare Sanktionsrisiken und -kosten in Erscheinung. Damit wird außer Acht gelassen, dass Normen Handlungen koordiniern über Emotionen, die sie auslösen. Auch scheint Normen ein höheres Gewicht bei der Eingrenzung von überhaupt in Frage kommenden Alternativen zu zukommen, als die Einschätzung von Entdeckungswahrscheinlichkeit und Strafhöhe. Es fehlt damit innerhalb der Rational Choice-Perspektive eine theoretische Konzeption, ob Normen allein als formelle und informelle Sanktionen fungieren oder auch als selbstbezogene Sanktionen und darüber hinaus als eigenständige Entscheidungsprinzipien gelten oder als dem rationalen Entscheiden entgegengesetzter Entscheidungsmodus verstanden werden (Karstedt/Greve, 1996).

Die von der Rational Choice Theory gestützten krimnalpolitischen Massnahmen gehen von einem schlichten substantiellen Konzept der Rationalität aus und können damit nicht intendierte Effekte auslösen. Auch werden Kosten-Nutzen-Analysen für Präventionsmassnahmen vermisst, gerade wenn diese Massnahmen nur für eine kurze Zeit wirken und eine geringer werdende Zahl an Delikten verhindern (Karstedt/Greve, 1996).

Film

Frau ohne Gewissen

Literatur

  • Beccaria, Cesare (1764/1988) Über Verbrechen und Strafen. Nach der Ausgabe von 1766 übersetzt und herausgegeben von Wilhelm Alff, Insel Verlag, Frankfurt/M.
  • Gary S. Becker (1993) Ökonomische Erklärungen menschlichen Verhaltens, Mohr Siebeck, Tübingen.
  • Jeremy Bentham (1982) An Introduction to the Princeples of Moral and Legislation, herausgegeben von J.H. Burns und H.L.A. Hart, Methuen, London/New York.
  • Stefanie Eifler (2002) Kriminalsoziologie, Bielefeld: transcript.
  • Fazio, Russell H. (1990) Multiple processes by which attitudes guide behavior: The mode model as an integrative framework. In: Mark P. Zanna, ed., Advances in experimental social psycholgoy. San Diego: Academic Press: 75-109.
  • Fishbein, Martin & Icek Ajzen (1975) Belief, Attitude, Intention, and Behavior: an introduction to theory and research. Reading, MA: Addison-Wesley.
  • Hadamitzky, Gregor (2015): Crime Mapping - Digitale Kriminalitätskartierung in Zeiten der Risikogesellschaft. Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt/M.
  • Hill, Paul B. (2002) Rational-Choice-Theorie. Bielefeld: transcript.
  • Susanne Karstedt/Werner Greve (1996) Die Vernunft des Verbrechens, in Kritische Kriminologie in der Diskussion, S. 171 - 210, herausgegeben von Kai-D. Bussmann und Reinhard Kreissl, Westdeutscher Verlag, Opladen.
  • Guy Kirsch (1997) Neue Politische Ökonomie, Werner Verlag, Düsseldorf.
  • Karl-Ludwig Kunz (2008) Kriminologie. Eine Grundlegung. Bern: Haupt Verlag.
  • Petra Wittig (1993) Der rationale Verbrecher. Der ökonomische Ansatz zur Erklärung kriminellen Verhaltens. Berlin: Duncker & Humblot.