Punitivität: Unterschied zwischen den Versionen

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Eine andere Erklärung ist eher ein <i>Bottom-up-</i>Ansatz: In der Tradition der Autoritarismusforschung, wie sie etwa von Adorno et&nbsp;al. (1950) begründet wurde, deutet man Punitivität als autoritäre Aggression oder als gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, hinter der man etwa gesellschaftliche Desintegrationsprozesse (Mansel 2004) ausmachen kann. <b>Maruna et&nbsp;al. (2004) greifen auf die Psychoanalyse zurück, um zu dem Schluß zu kommen, daß Punitivität eine Projektion von Schuldgefühlen sei.</b> Eine repressivere Kriminalpolitik ist hier die Folge einer gestiegenen Repressionsneigung der Bevölkerung und somit eines punitiveren gesellschaftlichen Klimas.<br>  
Eine andere Erklärung ist eher ein <i>Bottom-up-</i>Ansatz: In der Tradition der Autoritarismusforschung, wie sie etwa von Adorno et&nbsp;al. (1950) begründet wurde, deutet man Punitivität als autoritäre Aggression oder als gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, hinter der man etwa gesellschaftliche Desintegrationsprozesse (Mansel 2004) ausmachen kann. <b>Maruna et&nbsp;al. (2004) greifen auf die Psychoanalyse zurück, um zu dem Schluß zu kommen, daß Punitivität eine Projektion von Schuldgefühlen sei.</b> Eine repressivere Kriminalpolitik ist hier die Folge einer gestiegenen Repressionsneigung der Bevölkerung und somit eines punitiveren gesellschaftlichen Klimas.<br>  


In vielen Erklärungen von Punitivität wird den Medien eine große Rolle zugesprochen. So kommen etwa Pfeiffer et&nbsp;al. (2004) zu dem Ergebnis, daß der Konsum von Fernsehsendungen, die Kriminalität und Strafverfolgung nichtfiktional oder auch fiktional zum Gegenstand haben, zu einer Überschätzung des Auftretens der Kriminalität führt und zu einem höheren Strafbedürfnis. Reuband (2004) kann in einer Fallstudie für die Stadt Dresden einen Zusammenhang zwischen Tageszeitungslektüre und Punitivität belegen: Leser von Boulevardblättern sind punitiver als Leser anderer Tageszeitungen.<br>
In vielen Erklärungen von Punitivität wird dem Einfluß der Medien eine große Rolle zugesprochen. So kommen etwa Pfeiffer et&nbsp;al. (2004) zu dem Ergebnis, daß der verstärkte Konsum von Fernsehsendungen, die Kriminalität und Strafverfolgung nichtfiktional oder auch fiktional zum Gegenstand haben, zu einer Überschätzung des Auftretens der Kriminalität führt und zu einem höheren Strafbedürfnis. Reuband (2004) kann in einer Fallstudie für die Stadt Dresden einen Zusammenhang zwischen Tageszeitungslektüre und Punitivität belegen: Leser von Boulevardblättern sind punitiver als Leser anderer Tageszeitungen.<br>


Eine ältere These, die auch zur Erklärung von Punitivität taugen kann, wird in der gegenwärtigen Diskussion kaum gewürdigt. Rusche und Kirchheimer (1939) haben in ihrer Untersuchung zu Strafvollzug und Arbeitsmarkt den Zusammenhang von Strafform und Produktionsverhältnissen betont. Der Wert eines Menschen hänge von den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes ab: Mit Industrialisierung einhergehend löste die Einsperrung die Körperstrafe als dominierende Strafform im Strafvollzug ab. Arbeitskräftemangel nach dem Zweiten Weltkrieg ließ die [[Resozialisierung]] zum dominierenden Strafziel werden, das Gefängnis trat wieder in den Hintergrund, Geldstrafen und [[Diversion]] wurden populärer. Durch den Fortschritt der Produktivkräfte ist der Bedarf an menschlicher Arbeitskraft aber gesunken, folglich wird wieder härter gestraft, d&nbsp;h. länger eingesperrt. Western und Beckett (1999) etwa behandeln die steigenden Gefangenenraten in den USA folglich auch als staatliche Intervention in den Arbeitsmarkt.
Eine ältere These, die auch zur Erklärung von Punitivität taugen kann, wird in der gegenwärtigen Diskussion kaum gewürdigt. Rusche und Kirchheimer (1939) haben in ihrer Untersuchung zu Strafvollzug und Arbeitsmarkt den Zusammenhang von Strafform und Produktionsverhältnissen betont. Der Wert eines Menschen hänge von den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes ab: Mit Industrialisierung einhergehend löste die Einsperrung die Körperstrafe als dominierende Strafform im Strafvollzug ab. Arbeitskräftemangel nach dem Zweiten Weltkrieg ließ die [[Resozialisierung]] zum dominierenden Strafziel werden, das Gefängnis trat wieder in den Hintergrund, Geldstrafen und [[Diversion]] wurden populärer. Durch den Fortschritt der Produktivkräfte ist der Bedarf an menschlicher Arbeitskraft aber gesunken, folglich wird wieder härter gestraft, d&nbsp;h. länger eingesperrt. Western und Beckett (1999) etwa behandeln die steigenden Gefangenenraten in den USA folglich auch als staatliche Intervention in den Arbeitsmarkt.
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