Punitivität: Unterschied zwischen den Versionen

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In vielen Erklärungen von Punitivität wird den Medien eine große Rolle zugesprochen. So kommen etwa Pfeiffer et&nbsp;al. (2004) zu dem Ergebnis, daß der Konsum von Fernsehsendungen, die Kriminalität und Strafverfolgung nichtfiktional oder auch fiktional zum Gegenstand haben, zu einer Überschätzung des Auftretens der Kriminalität führt und zu einem höheren Strafbedürfnis. Reuband (2004) kann in einer Fallstudie für die Stadt Dresden einen Zusammenhang zwischen Tageszeitungslektüre und Punitivität belegen: Leser von Boulevardblättern sind punitiver als Leser anderer Tageszeitungen.<br>
In vielen Erklärungen von Punitivität wird den Medien eine große Rolle zugesprochen. So kommen etwa Pfeiffer et&nbsp;al. (2004) zu dem Ergebnis, daß der Konsum von Fernsehsendungen, die Kriminalität und Strafverfolgung nichtfiktional oder auch fiktional zum Gegenstand haben, zu einer Überschätzung des Auftretens der Kriminalität führt und zu einem höheren Strafbedürfnis. Reuband (2004) kann in einer Fallstudie für die Stadt Dresden einen Zusammenhang zwischen Tageszeitungslektüre und Punitivität belegen: Leser von Boulevardblättern sind punitiver als Leser anderer Tageszeitungen.<br>


Eine ältere These, die auch zur Erklärung von Punitivität taugen kann, wird in der gegenwärtigen Diskussion kaum gewürdigt. Rusche und Kirchheimer (1939) haben in ihrer Untersuchung zu Strafvollzug und Arbeitsmarkt den Zusammenhang von Strafform und Produktionsverhältnissen betont. Der Wert eines Menschen hänge von den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes ab: So ging mit der Industrialisierung der Wechsel von der Körperstrafe zur Einsperrung als dominierender Strafform im Strafvollzug einher. Arbeitskräftemangel nach dem Zweiten Weltkrieg ließ die Resozialisierung zum dominierenden Strafziel werden, das Gefängnis trat wieder in den Hintergrund, Geldstrafen und [[Diversion]] wurden populärer. Durch den Fortschritt der Produktivkräfte ist der Bedarf an menschlicher Arbeitskraft aber gesunken, folglich wird wieder härter gestraft, d&nbsp;h. länger eingesperrt. Western und Beckett (1999) etwa behandeln die steigenden Gefangenenraten folglich auch als staatliche Interventionen in den Arbeitsmarkt.
Eine ältere These, die auch zur Erklärung von Punitivität taugen kann, wird in der gegenwärtigen Diskussion kaum gewürdigt. Rusche und Kirchheimer (1939) haben in ihrer Untersuchung zu Strafvollzug und Arbeitsmarkt den Zusammenhang von Strafform und Produktionsverhältnissen betont. Der Wert eines Menschen hänge von den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes ab: Mit Industrialisierung einhergehend löste die Einsperrung die Körperstrafe als dominierende Strafform im Strafvollzug ab. Arbeitskräftemangel nach dem Zweiten Weltkrieg ließ die [[Resozialisierung]] zum dominierenden Strafziel werden, das Gefängnis trat wieder in den Hintergrund, Geldstrafen und [[Diversion]] wurden populärer. Durch den Fortschritt der Produktivkräfte ist der Bedarf an menschlicher Arbeitskraft aber gesunken, folglich wird wieder härter gestraft, d&nbsp;h. länger eingesperrt. Western und Beckett (1999) etwa behandeln die steigenden Gefangenenraten in den USA folglich auch als staatliche Intervention in den Arbeitsmarkt.


+ Punitivität als <i>Denial</i> bzw <i>Acting out</i>: Garland (2001) deutet ein verschärftes Sanktionsklima als Reaktion auf den in den letzten Jahrzehnten augenscheinlich gewordenen Kriminalitätsanstieg. Im harten und expressiven Strafen zeige sich der Versuch des Staates, seine traditionelle, aber mittlerweile illusorisch gewordene Rolle als Beschützer seiner Bürger vor Feinden nicht nur von außen, sondern auch von innen symbolisch zu bekräftigen und seine Macht gegenüber den Feinden von innen zu demonstrieren.
+ Punitivität als <i>Denial</i> bzw <i>Acting out</i>: Garland (2001) deutet ein verschärftes Sanktionsklima als Reaktion auf den in den letzten Jahrzehnten augenscheinlich gewordenen Kriminalitätsanstieg. Im harten und expressiven Strafen zeige sich der Versuch des Staates, seine traditionelle, aber mittlerweile illusorisch gewordene Rolle als Beschützer seiner Bürger vor Feinden nicht nur von außen, sondern auch von innen symbolisch zu bekräftigen und seine Macht gegenüber den Feinden von innen zu demonstrieren.
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