Punitivität: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Ursache einer zunehmend punitiveren Kriminalpolitik wird häufig als Strategie von Politikern gesehen: Punitive soziale Kontrolle wird und wurde von populistischen Politikern auf die Agenda gesetzt, da diese als Erfolgsgarant im Kampf um Wählerstimmen gilt (Becker und Reddig 2004; Beckett und Sasson 2004). Sie ist sogar in der Lage, dem Staat aus seiner Legitimationskrise zu helfen, in die er in der Spätmoderne durch das weit verbreitete Mißtrauen gegenüber Regierungen und ihren Experten und seinem Rückzug aus seinen vormaligen Haupttätigkeitsbereichen Wirtschafts- und Sozialpolitik, geraten ist. Die von Kriminalität hervorgerufene Angst und Empörung und die damit einhergehenden Rufe nach staatlichen Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung helfen dem Staat wieder auf (Sack 2004), und zwar aus seiner Legitimationskrise. Kriminalität wird zur Regierungsstrategie, was Simon (1997) als <i>Governing through crime</i> bezeichnete.<br>
Die Ursache einer zunehmend punitiveren Kriminalpolitik wird häufig als Strategie von Politikern gesehen: Punitive soziale Kontrolle wird und wurde von populistischen Politikern auf die Agenda gesetzt, da diese als Erfolgsgarant im Kampf um Wählerstimmen gilt (Becker und Reddig 2004; Beckett und Sasson 2004). Sie ist sogar in der Lage, dem Staat aus seiner Legitimationskrise zu helfen, in die er in der Spätmoderne durch das weit verbreitete Mißtrauen gegenüber Regierungen und ihren Experten und seinem Rückzug aus seinen vormaligen Haupttätigkeitsbereichen Wirtschafts- und Sozialpolitik, geraten ist. Die von Kriminalität hervorgerufene Angst und Empörung und die damit einhergehenden Rufe nach staatlichen Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung helfen dem Staat wieder auf (Sack 2004), und zwar aus seiner Legitimationskrise. Kriminalität wird zur Regierungsstrategie, was Simon (1997) als <i>Governing through crime</i> bezeichnete.<br>


Eine andere Erklärung stellt eher eine <i>Bottom-up-</i>Erklärung dar: In der Tradition der Autoritarismusforschung, wie sie etwa von Adorno et&nbsp;al. (1950) begründet wurde, deutet man Punitivität als autoritäre Aggression oder als gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, hinter der man etwa gesellschaftliche Desintegrationsprozesse (Mansel 2004) ausmachen kann. Maruna et&nbsp;al. (2004) bemühen psychoanalytische Methoden zur Untersuchung der Punitivität und ... Eine repressivere Kriminalpolitik ist hier die Folge eines punitiveren gesellschaftlichen Klimas.  
Eine andere Erklärung stellt eher eine <i>Bottom-up-</i>Erklärung dar: In der Tradition der Autoritarismusforschung, wie sie etwa von Adorno et&nbsp;al. (1950) begründet wurde, deutet man Punitivität als autoritäre Aggression oder als gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, hinter der man etwa gesellschaftliche Desintegrationsprozesse (Mansel 2004) ausmachen kann. Maruna et&nbsp;al. (2004) greifen auf die Psychoanalyse zurück, um zu der Vermutung zu kommen, daß Punitivität eine Projektion von Schuldgefühlen sei. Eine repressivere Kriminalpolitik ist hier die Folge eines punitiveren gesellschaftlichen Klimas.  


In vielen Erklärungen wird den Medien eine große Rolle zugesprochen
In vielen Erklärungen wird den Medien eine große Rolle zugesprochen
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+ Punitivität als <i>Denial</i> bzw <i>Acting out</i>: Garland (2001) deutet ein verschärftes Sanktionsklima als Reaktion auf den in den letzten Jahrzehnten augenscheinlich gewordenen Kriminalitätsanstieg. Im harten und expressiven Strafen zeige sich der Versuch des Staates, seine traditionelle, aber mittlerweile illusorisch gewordene Rolle als Beschützer seiner Bürger vor Feinden nicht nur von außen, sondern auch von innen symbolisch zu bekräftigen und seine Macht gegenüber den Feinden von innen zu demonstrieren.
+ Punitivität als <i>Denial</i> bzw <i>Acting out</i>: Garland (2001) deutet ein verschärftes Sanktionsklima als Reaktion auf den in den letzten Jahrzehnten augenscheinlich gewordenen Kriminalitätsanstieg. Im harten und expressiven Strafen zeige sich der Versuch des Staates, seine traditionelle, aber mittlerweile illusorisch gewordene Rolle als Beschützer seiner Bürger vor Feinden nicht nur von außen, sondern auch von innen symbolisch zu bekräftigen und seine Macht gegenüber den Feinden von innen zu demonstrieren.


+ In Teilen der Kritischen Kriminologie wird Punitivität als neuer "Schlüsselbegriff" (Lautmann und Klimke 2004) gehandelt. Gerade die Unschärfe des Begriffes mache dessen Nutzen aus, man könne die herrschenden mit der Frage nach der Punitivität in die Defensive bringen. Der Begriff stehe in einer Tradition mit dem des [[Abolitionismus]].
+ In Teilen der Kritischen Kriminologie wird Punitivität als neuer "Schlüsselbegriff" (Lautmann und Klimke 2004) gehandelt. Gerade die Unschärfe des Begriffes mache dessen Nutzen aus, man könne die herrschenden mit der Frage nach der Punitivität in die Defensive bringen. Der Begriff stehe in einer Tradition mit dem des [[Abolitionismus]]. Im internationalen und Vergleich (etwa Reuband 2003) wird deutlich, daß das Verhältnis von Verhalten und gesellschaftlicher Reaktion, von Verbrechen und [[Strafe]] kein naturgegebenes und zwangsläufiges ist, sondern durchaus variabel.


== Fazit ==
== Fazit ==
Anonymer Benutzer