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==Begriff== | ==Begriff== | ||
Punitivität | Als Punitivität wird die verallgemeinerte Haltung oder Tendenz bezeichnet, auf Herausforderungen oder Normabweichungen mit retributiven Sanktionen zu reagieren, bzw. vergeltende Sanktionen vorzuziehen und versöhnende zu vernachlässigen. | ||
Stanley Cohen (1994) versteht darunter eine Form der [[soziale Kontrolle|sozialen Kontrolle]], die in der Regel folgende Merkmale aufweist: | Stanley Cohen (1994) versteht darunter eine Form der [[soziale Kontrolle|sozialen Kontrolle]], die in der Regel folgende Merkmale aufweist: | ||
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* Gesellschaftliche Punitivität ist im Gegensatz dazu die Makroperspektive, die sich überindividuell in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, vor allem in den Massenmedien, zeigt.<br> | * Gesellschaftliche Punitivität ist im Gegensatz dazu die Makroperspektive, die sich überindividuell in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, vor allem in den Massenmedien, zeigt.<br> | ||
* Die justizielle Punitivität, also die tatsächliche Sanktionspraxis des Justizapparates, ist selbstredend auch Ausdruck der Strafmentalität.<br> | * Die justizielle Punitivität, also die tatsächliche Sanktionspraxis des Justizapparates, ist selbstredend auch Ausdruck der Strafmentalität.<br> | ||
Daneben sind auch noch weitere Dimensionen des Konzeptes denkbar, zum Beispiel eine legislative oder exekutive Form der Punitivität.<br> | |||
Die verschiedenen Dimensionen von Punitivität sind wechselseitig miteinander verbunden und eine Veränderung auf der einen Ebene kann, muß aber nicht zwingend mit einer Veränderung auf der anderen Ebene einhergehen. So kann eine Veränderung auf legislativer Ebene (Abschaffung der Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg) eine Veränderung auf gesellschaftlicher Ebene bewirken (beständiges Sinken der Zustimmung zur Todesstrafe). Andererseits ist ein Ansteigen der Zahl der mit der Todesstrafe bewehrten Delikte (Anstieg auf der legislativen Ebene) im Großbritannien des 18. Jahrhunderts mit einem Sinken der Zahl der Verurteilungen zum Tode (kein Anstieg auf der justiziellen Ebene) einhergegangen. | Die verschiedenen Dimensionen von Punitivität sind wechselseitig miteinander verbunden und eine Veränderung auf der einen Ebene kann, muß aber nicht zwingend mit einer Veränderung auf der anderen Ebene einhergehen. So kann eine Veränderung auf legislativer Ebene (Abschaffung der Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg) eine Veränderung auf gesellschaftlicher Ebene bewirken (beständiges Sinken der Zustimmung zur Todesstrafe). Andererseits ist ein Ansteigen der Zahl der mit der Todesstrafe bewehrten Delikte (Anstieg auf der legislativen Ebene) im Großbritannien des 18. Jahrhunderts mit einem Sinken der Zahl der Verurteilungen zum Tode (kein Anstieg auf der justiziellen Ebene) einhergegangen. | ||
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In der [[Kritische Kriminologie | kritischen Kriminologie]] verlaufen die Diskussionslinien anders: Stellenweise wird eine Kriminologie, die sich nicht in erster Linie um die Delegitimierung von Strafbedürfnissen bemüht, des Populismus geziehen. In anderen Teilen der kritischen Kriminologie wird Punitivität als neuer »Schlüsselbegriff« (Lautmann und Klimke 2004) gehandelt. Einerseits ist man damit in der Lage, nicht nur den Täter und seine Taten (das klassische Arbeitsfeld der administrativen Kriminologie) zu thematisieren, sondern auch die gesellschaftliche Reaktion darauf: Gesellschaftliche Verhältnisse und die Instanzen sozialer Kontrolle werden wieder Gegenstand der Diskussion. Andererseits berührt Punitivität auch Fragen der Menschen- und Bürgerrechte, die das Thema auch für eine Diskussion mit größerer Öffentlichkeitswirkung attraktiv werden lassen. Der Begriff steht daher in einer Tradition mit dem des [[Abolitionismus]], der um 1980 ähnliche Anstöße geben konnte. | In der [[Kritische Kriminologie | kritischen Kriminologie]] verlaufen die Diskussionslinien anders: Stellenweise wird eine Kriminologie, die sich nicht in erster Linie um die Delegitimierung von Strafbedürfnissen bemüht, des Populismus geziehen. In anderen Teilen der kritischen Kriminologie wird Punitivität als neuer »Schlüsselbegriff« (Lautmann und Klimke 2004) gehandelt. Einerseits ist man damit in der Lage, nicht nur den Täter und seine Taten (das klassische Arbeitsfeld der administrativen Kriminologie) zu thematisieren, sondern auch die gesellschaftliche Reaktion darauf: Gesellschaftliche Verhältnisse und die Instanzen sozialer Kontrolle werden wieder Gegenstand der Diskussion. Andererseits berührt Punitivität auch Fragen der Menschen- und Bürgerrechte, die das Thema auch für eine Diskussion mit größerer Öffentlichkeitswirkung attraktiv werden lassen. Der Begriff steht daher in einer Tradition mit dem des [[Abolitionismus]], der um 1980 ähnliche Anstöße geben konnte. | ||
== Verwandte Begriffe== | |||
[[Kriminalitätseinstellungen]], [[Kriminalpolitik]], <i>[[Law and order]]</i>, <i>[[Penal populism]]</i>, [[Sicherungsverwahrung]], [[Soziale Kontrolle]], [[Strafe]], [[Todesstrafe]], <i>[[Zero Tolerance | Zero tolerance]]</i>, <i>[[Vindictiveness]]</i>. | |||
== Verwandte | |||
[[Kriminalitätseinstellungen]], [[Kriminalpolitik]], <i>[[Law and order]]</i>, <i>[[Penal populism]]</i>, [[Sicherungsverwahrung]], [[Soziale Kontrolle]], [[Strafe]], [[Todesstrafe]], <i>[[Zero Tolerance | Zero tolerance]]</i>. | |||
== Literatur == | == Literatur == | ||
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*Green, David A. 2006: Public Opinion versus Public Judgment about Crime. Correcting the ›Comedy of Errors‹, British Journal of Criminology 46, Heft 1, S. 131-154. | *Green, David A. 2006: Public Opinion versus Public Judgment about Crime. Correcting the ›Comedy of Errors‹, British Journal of Criminology 46, Heft 1, S. 131-154. | ||
*Groenemeyer, Axel (2003) Punitivität im Kontext – Globale Konvergenzen der Kriminalpolitik oder Pfadabhängigkeit der Konstruktion abweichenden Verhaltens. In: Soziale Probleme Gesundheit und Politik Nr. 3. | *Groenemeyer, Axel (2003) Punitivität im Kontext – Globale Konvergenzen der Kriminalpolitik oder Pfadabhängigkeit der Konstruktion abweichenden Verhaltens. In: Soziale Probleme Gesundheit und Politik Nr. 3. | ||
* | *Hallsworth, Simon (2000) Rethinking the Punitive Turn. Economies of Excess and the Criminology of the Other, in: Punishment and Society 2/2; S. 145-160. | ||
*Hinds, Lyn (2005) Crime Control in Western Countries, 1970 to 2000, in: Pratt, John, David Brown, Mark Brown, Simon Hallsworth und Wayne Morrison (Hrsg.): The New Punitiveness. Trends, Theories, Perspectives, Devon, S. 47-65. | *Hinds, Lyn (2005) Crime Control in Western Countries, 1970 to 2000, in: Pratt, John, David Brown, Mark Brown, Simon Hallsworth und Wayne Morrison (Hrsg.): The New Punitiveness. Trends, Theories, Perspectives, Devon, S. 47-65. | ||
*Hutton, Neil 2005: »Beyond Populist Punitiveness?«, <i>Punishment & Society</i> 7, Heft 3, Seite 243 bis 258. | *Hutton, Neil 2005: »Beyond Populist Punitiveness?«, <i>Punishment & Society</i> 7, Heft 3, Seite 243 bis 258. | ||
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*Rusche, Georg und Otto Kirchheimer 1939: <i>Sozialstruktur und Strafvollzug</i>, übersetzt von Helmut und Susan Kapczynski, Frankfurt am Main 1974. | *Rusche, Georg und Otto Kirchheimer 1939: <i>Sozialstruktur und Strafvollzug</i>, übersetzt von Helmut und Susan Kapczynski, Frankfurt am Main 1974. | ||
<!--*Sack, Fritz 2004: »Wie die Kriminalpolitik dem Staat aufhilft. <i>Governing through Crime</i> als neue politische Strategie«, in: Lautmann, Rüdiger, Daniela Klimke und Fritz Sack (Hrsg.): <i>Punitivität</i>. Achtes Beiheft zum <i>Kriminologischen Journal</i>, Weinheim, S. 30-50. | <!--*Sack, Fritz 2004: »Wie die Kriminalpolitik dem Staat aufhilft. <i>Governing through Crime</i> als neue politische Strategie«, in: Lautmann, Rüdiger, Daniela Klimke und Fritz Sack (Hrsg.): <i>Punitivität</i>. Achtes Beiheft zum <i>Kriminologischen Journal</i>, Weinheim, S. 30-50. | ||
*Savelsberg, Joachim J: Knowledge, Domination and Criminal Punishment Revisited. In: Punishment & Society 1/1; S. 45-70.(1999). | |||
*Sessar, Klaus 2001: »Soziale Konstruktion und Bedeutung von Strafeinstellungen«, in: <i>Kriminologisches Bulletin</i> 27, Heft 1, Seite 7 bis 24.--> | *Sessar, Klaus 2001: »Soziale Konstruktion und Bedeutung von Strafeinstellungen«, in: <i>Kriminologisches Bulletin</i> 27, Heft 1, Seite 7 bis 24.--> | ||
*Simon, Jonathan 1997: »Governing through Crime«, in: Friedman, Lawrence M. und George Fisher (Hrsg.): <i>The Crime Conundrum. Essays on Criminal Justice</i>, Boulder, CO, Seite 171 bis 189. | *Simon, Jonathan 1997: »Governing through Crime«, in: Friedman, Lawrence M. und George Fisher (Hrsg.): <i>The Crime Conundrum. Essays on Criminal Justice</i>, Boulder, CO, Seite 171 bis 189. | ||
<!--*Simon, Jonathan 1997: »Gewalt, Rache und Risiko. Die Todesstrafe im neoliberalen Staat«, in: Trotha, Trutz von (Hrsg.): <i>Soziologie der Gewalt</i>. Sonderheft 37 der <i>Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie</i>, Opladen, Seite 277 bis 301.--> | <!--*Simon, Jonathan 1997: »Gewalt, Rache und Risiko. Die Todesstrafe im neoliberalen Staat«, in: Trotha, Trutz von (Hrsg.): <i>Soziologie der Gewalt</i>. Sonderheft 37 der <i>Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie</i>, Opladen, Seite 277 bis 301.--> | ||
*Stalans, Loretta J. 2002: »Measuring Attitudes to Sentencing«, in: Roberts, Julian V. und Mike Hough (Hrsg.): <i>Changing Attitudes to Punishment. Public Opinion, Crime and Justice, S. 15-32. | *Stalans, Loretta J. 2002: »Measuring Attitudes to Sentencing«, in: Roberts, Julian V. und Mike Hough (Hrsg.): <i>Changing Attitudes to Punishment. Public Opinion, Crime and Justice, S. 15-32. | ||
*Simon, Jonathan: Gewalt, Rache und Risiko. Die Todesstrafe im neoliberalen Staat. S. 279-301 in: Trotha, T. von (Hg.): Soziologie der Gewalt. (Sonderheft 37 der Kölner Zeitschrift f. Soziologie u. Sozialpsychologie). (Opladen, 1997). | *Simon, Jonathan: Gewalt, Rache und Risiko. Die Todesstrafe im neoliberalen Staat. S. 279-301 in: Trotha, T. von (Hg.): Soziologie der Gewalt. (Sonderheft 37 der Kölner Zeitschrift f. Soziologie u. Sozialpsychologie). (Opladen, 1997). | ||
*Stehr, Johannes: Welche Funktionen haben staatliche Strafen und der Ruf nach Bestrafung der Jugend? In: Bettinger [u.a.]: Gefährdete Jugend? Jugend, Kriminalität und der Ruf nach Strafe. Opladen 2002, S. 103-116. | *Stehr, Johannes: Welche Funktionen haben staatliche Strafen und der Ruf nach Bestrafung der Jugend? In: Bettinger [u.a.]: Gefährdete Jugend? Jugend, Kriminalität und der Ruf nach Strafe. Opladen 2002, S. 103-116. |
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