Durch das am 01.01.2017 in Kraft getretene Gesetz haben bundesweit sowohl Kinder, Jugendliche als auch Erwachsene, die insbesondere Opfer von Gewalt- oder Sexualstraftaten geworden sind, einen gesetzlichen Anspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren (PsychPbG). Es handelt sich dabei um eine professionelle Betreuung und Begleitung der Opfer während des gesamten Strafverfahrens, welche bei einer Befürwortung des Antrages durch das Gericht für die Betroffenen kostenlos ist (vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz 2016, 19 f.).



Entstehung und rechtliche Ausgangssituation

Der juristische aber auch der gesellschaftliche Fokus im Strafprozess lag weit bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts auf den Beschuldigten. Der Verletzte einer Straftat diente lediglich als Zeuge zur Sachverhaltsaufklärung (vgl. Freudenberg 2013, 99).

Erstmals wurde mit dem Opferschutzgesetz vom 18.12.1986 die Stellung der Verletzten im Strafverfahren verbessert. Durch die gesetzliche Verankerung von Ansprüchen der Verletzten wurde den Opfern eine gesicherte Rechtsposition eingeräumt. Die Ansprüche beinhalteten unter anderem auf Antrag die Auskunft über den Ausgang des Verfahren, die Ermöglichung der Akteneinsicht durch einen Rechtsanwalt und die Bestellung eines Rechtsanwaltes als Beistand (vgl. BGBL I 1986, 2497 f.).

2004 wurden durch das Opferrechtsreformgesetz die Beteiligungsrechte der Verletzten, indem die Verfahrens- und Informationsrechte nochmals verbessert und die Durchsetzung von Schadensansprüchen bereits im Strafverfahren erleichtert wurden, erweitert (vgl. BGBL I 2004, 1354 ff.). Die stärkende Gesetzgebung im Hinblick auf die Rechte von Opfern kam 2006 auch im Strafverfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende zur Anwendung (vgl. BGBL I 2006, 3433). Verletzte, welche durch Jugendliche oder Heranwachsende beispielsweise ein Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung erlitten haben, erhielten die Möglichkeit sich der Anklage der Staatsanwaltschaft als Nebenkläger anzuschließen (vgl. § 80 JGG).

Mit dem 2. Opferrechtsreformgesetz vom 29. Juli 2009 wurden weitere Rechte für Opferzeug*innen eingeführt. Es beinhaltet Regelungen zu der erweiterten Anwendung der Aufzeichnungen von Vernehmungen und des Zeugenschutzes durch Beistände oder Opferanwält*innen (vgl. BGBL I 2009, 2280).

Die psychischen und sozialen Belastungen, welche neben der Straftat durch den gesamten Strafprozess entstanden, fanden bei den Regelungen zum Opferschutz bis dahin weniger Beachtung. In der Strafprozessordnung des § 406h Abs. 1 Nr. 5 StPO wurde zwar aufgeführt, dass Opfer frühzeitig Unterstützung und Hilfe durch Opferhilfeeinrichtungen, etwa in Form einer Beratung oder einer psychosozialen Prozessbegleitung, erhalten können, jedoch exisitierte diesbezüglich keine konkrete Aufgaben- bzw. Tätigkeitsbeschreibung. Erst am 03.12.2015 hat der Bundestag das 3. Opferrechtsreformgesetz mit dem Gesetz zur psychosozialen Prozessbegleitung im Strafverfahren (PsychPbG) verabschiedet und somit gesetzliche Grundlagen zur Ausgestaltung und eine klare Zielformulierung geschaffen (vgl. BGBL I 2015, 2529).

Gesetzliche Grundlagen und Aufgaben

Im Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren (PsychPbG) und in § 406g der Strafprozessordnung sind die rechtlichen Grundlagen der psychosozialen Prozessbegleitung verankert.

Die Grundsätze der psychosozialen Prozessbegleitung sind in § 2 PsychPbG geregelt.

„(1) Psychosoziale Prozessbegleitung ist eine besondere Form der nicht rechtlichen Begleitung im Strafverfahren für besonders schutzbedürftige Verletzte vor, während und nach der Hauptverhandlung. Sie umfasst die Informationsvermittlung sowie die qualifizierte Betreuung und Unterstützung im gesamten Strafverfahren mit dem Ziel, die individuelle Belastung der Verletzten zu reduzieren und ihre Sekundärviktimisierung zu vermeiden. “ (BGBL I 2015, 2529)

„(2) Psychosoziale Prozessbegleitung ist geprägt von Neutralität gegenüber dem Strafverfahren und der Trennung von Beratung und Begleitung. Sie umfasst weder die rechtliche Beratung noch die Aufklärung des Sachverhalts und darf nicht zu einer Beeinflussung des Zeugen oder einer Beeinträchtigung der Zeugenaussage führen. Der Verletzte ist darüber sowie über das fehlende Zeugnisverweigerungsrecht des psychosozialen Prozessbegleiters von diesem zu Beginn der Prozessbegleitung zu informieren. “ (BGBL I 2015, 2529)

Der Bundesverband Psychosoziale Prozessbegleitung e.V. (BPP), der 2008 gegründet wurde, hat Qualitätsstandards entwickelt und bietet durch eine Tätigkeitsbeschreibung der psychosozialen Prozessbegleitung eine Orientierung für die psychosozialen Prozessbegleiter*innen in der beruflichen Praxis (vgl. BPP 2016, 1 ff.). Die Qualitätsstandards werden durch den BPP regelmäßig überprüft und ggfs. modifiziert. Die in Betracht kommenden Tätigkeiten sind in einzelne Phasen gegliedert. Das Erstgespräch dient dem gegenseitigen Kennenlernen, dem Informationsaustausch über das Strafverfahren, Akteure und Zeugenpflichten. Es kann zu einer Vermittlung eines anwaltlichen Beistands, Abklärung aktuelle Gefährdungssituationen und Antragstellung auf (sozial-) gesetzliche Leistungen genutzt werden. Im Hinblick auf eine mögliche Anzeigeerstattung werden Konsequenzen und Risiken aufgezeigt (vgl. BPP 2016, 13 f.).

In der Phase der Prozessvorbereitung kann eine Begleitung zu Vernehmungen, ein Besuch des Gerichts, das Kennenlernen des Vorsitzenden Richters, insbesondere bei Kindern, welche Opfer geworden sind, erfolgen (vgl. BPP 2016, 15 f.).

Bei der Prozessbegleitung im Hauptverfahren findet eine elementare Versorgung der Zeugin/des Zeugen während des Zeitraumes der Hauptverhandlung statt. Dies kann die Organisation einer sichereren An- und Abreise, die Vermeidung der Begegnung mit dem/der Angeklagten, die Betreuung während der Wartezeit, die Kooperation mit den Prozessverantwortlichen, insbesondere mit der Nebenklagevertretung, eine altersangemessene Übersetzung juristischer Begriffe beinhalten (vgl. BPP 2016, 16 f.). Die Anwesenheit der Prozessbegleiter*innen in der Hauptverhandlung ist gewährleistet (vgl. § 406g Abs. 1 StPO).

In der abschließenden Phase der Prozessnachbereitung findet eine Aufklärung des Verfahrensausganges und Nachbesprechung der Verhandlung statt. Es können Belastungen aufgearbeitet und weitere Hilfsangebote vermittelt werden. Bei der Einlegung von Rechtsmitteln kann weiterhin die Prozessbegleitung erfolgen (vgl. BPP 2016, 17).

Die Voraussetzungen für die Beiordnung der Prozessbegleiter*innen sind durch den § 406g Abs. 3 StPO geregelt. Nach § 406g Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 397a Abs. 1 Nr. 4 haben Opfer, die noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, einen Anspruch auf eine psychosoziale Prozessbegleitung. Darunter fallen die Straftatbestände sexueller Missbrauch (§§ 174-176b StGB), sexuelle Nötigung und Vergewaltigung (§ 177 StGB), sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 178 StGB), sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen (§ 179 StGB), Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger (§ 180 StGB), Ausbeutung von Prostituierten (§180a StGB), Zuhälterei (§ 181a StGB), sexueller Missbrauch von Jugendlichen (§ 182 StGB) sowie Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB).

Kommt es zu einer schweren Körperverletzung (§ 226 StGB), Verstümmelung weiblicher Genitalien (§ 226a StGB), Menschenhandel, Menschenraub, Entziehung Minderjähriger (§§ 232-235 StGB), Zwangsheirat (§ 237 StGB), Nachstellung in erschwertem Fall (§ 238 Abs. 2 und 3 StGB), erpresserischer Menschenraub (§ 239a StGB), Geiselnahme (§ 239b StGB), Nötigung in besonders schweren Fällen (§ 240 Abs. 4 StGB), Raub und Erpressung (§§ 249, 250, 252 und 255 StGB) haben minderjährige Opfer auf Antrag ebenfalls nach § 406g Abs. 3 Satz I i.V.m. § 397a Abs. I Nr. 5 StPO ein Recht auf eine Beiordnung eines psychosozialen Prozessbegleiters.

Bei einer erfolgreichen Begründung der besonderen Schutzbedürftigkeit müssen auch Opfern, unabhängig ihres Alters, nach § 406g Abs. 3 StPO auf Antrag ein psychosozialer Prozessbegleiter beigeordnet werden. Der Terminus der besonderen Schutzbedürftigkeit ist in der Strafprozessordnung nicht definiert. Laut Art. 22 Abs. 3 der EU-Opferschutzrichtlinien werden Opfer, „die infolge der Schwere der Straftat eine beträchtliche Schädigung erlitten haben; Opfer, die Hasskriminalität und von in diskriminierender Absicht begangene Straftaten erlitten haben, die insbesondere im Zusammenhang mit ihren persönlichen Merkmalen stehen könnten; Opfer, die aufgrund ihrer Beziehung zum und Abhängigkeit vom Täter besonders gefährdet sind“ (Amtsblatt EU 2012, L315/72 ) als Opfergruppen, welche unter eine besondere Schutzbedürftigkeit fallen können, benannt.

Kinder, Eltern, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner, die ihren Angehörigen durch eine Straftat verloren haben, können ebenfalls eine psychosoziale Prozessbegleitung beantragen.

Kommt es zu keiner Beiordnung durch das Gericht können Betroffene auf eigene Kosten eine psychosoziale Prozessbegleitung in Anspruch nehmen.

Berufliche Qualifikation

Nach § 4 PsychPbG liegt die Verantwortung hinsichtlich der Anforderungen und Ausgestaltung an die Qualifikation der Prozessbegleiter*innen bei den Ländern.

Für die Ausübung der Tätigkeit ist ein Hochschulabschluss im Bereich Sozialpädagogik, Soziale Arbeit, Pädagogik, Psychologie in einem dieser Bereiche, sowie praktische Berufserfahrung notwendig. Daneben ist der Abschluss einer von einem Land anerkannten Aus- oder Weiterbildung zum psychosozialen Prozessbegleiter erforderlich (vgl. BGBL I 2015, 2529).

Neben der fachlichen Qualifikation wird eine persönliche Qualifikation erwartet. Es wird eine Beratungskompetenz, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Belastbarkeit sowie organisatorische Kompetenz vorausgesetzt (vgl. BGBL I 2015, 2529). Ein zielgruppenbezogenes Grundwissen in Medizin, Psychologie, Viktimologie, Kriminologie stellt die interdisziplinäre Qualifikation dar, welche ebenfalls erwartet wird (vgl. BGBL I 2015, 2529).

Das Wissen über Hilfsangebote vor Ort für Opfer muss sich der psychosoziale Prozessbegleiter aneignen. Die regelmäßige Fortbildung fällt ebenso in die Verantwortung des psychosozialen Prozessbegleiters (vgl. BGBL I 2015, 2529).


Kritik und Kriminologische Relevanz

Durch die psychosoziale Prozessbegleitung sollen Opfer von Straftaten professionell begleitet und unterstützt werden, Belastungen aufgrund des Strafverfahrens verringert und (Re-) Traumatisierungen vermieden werden (vgl. Riekenbrauck 2016, 30).

Neben der Grenzwahrung erfordert die Tätigkeit der Prozessbegleitung eine gelingende Kooperation, damit Opfer profitieren können (vgl. Fastie 2002, 249). Es darf jedoch nicht dazu führen, dass es zu einem Ungleichgewicht zum Nachteil des/der Beschuldigten kommt.

„Aus diesem Grunde wird es bei der Qualifizierung der ProzessbegleiterInnen und in der Praxis darauf ankommen, dass das Strafrechtssystem und die den Strafprozess prägenden Verfahrensgrundsätze als eine rechtsstaatliche Errungenschaft akzeptiert und den Opfern in seiner Bedeutung erklärt werden. Dazu gehören auch und ganz besonders die verfassungsrechtlich geschützte Unschuldsvermutung sowie die Verteidigungsrechte des/der Beschuldigten.“ (Riekenbrauck 2016, 32)

In § 2 Abs. 1 Satz 2 PyschPbG wird die „Sekundärviktimisierung“ aufgegriffen. Eisenberg führt diesbezüglich an, dass dadurch eine Opferrolle unterstellt und die Unschuldsvermutung somit unterlaufen wird. Insbesondere im Jugendstrafverfahren könnte es zu einer Verletzung der wesentlichen Grundsätze kommen. Es könnte auf der einen Seite zu einer gewissen Erwartungshaltung durch das Gericht kommen und auf der anderen Seite könnte es beim jugendlichen Beschuldigten zu einem „zumindest subjektiv empfundenen Erwartungsdruck“ kommen, welcher wiederum dazu führen kann, dass ein „falsches Geständnis“ abgelegt wird (vgl. Eisenberg 2016, 34).


Literatur

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2016). Opferfibel: Rechte von Verletzten und Geschädigten in Strafverfahren. Frankfurt a.M.: Druck- und Verlagshaus Zarbock GmbH & Co.KG.

Eisenberg, Ulrich (2016). Noch mehr im Jugendstrafverfahren (nicht auf Seiten des Beschuldigten) anwesende Erwachsene? - Die neue Regelung der Psychosozialen Prozessbegleitung. ZJJ, 1, 33-36.

Fastie, Friesa (Hrsg.) (2002). Opferschutz im Strafverfahren. Sozialpädagogische Prozessbegleitung bei Sexualdelikten. Ein interdisziplinäres Handbuch. Opladen: Leske u. Budrich.

Fischer, Thomas (2016). Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 63. Auflage, C.H.Beck.

Freudenberg, Dagmar (2013). Psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren gem. § 406 h Satz 1 Nr. 5 StPO – Umsetzung in Niedersachsen. Neue Kriminalpolitik, 25, 3, 99-107.

Riekenbrauk, Klaus (2016). Psychosoziale Prozessbegleitung – ein neuer Sozialer Dienst der Justiz. ZJJ, 1, 25-33.


Weblinks

Bundesgesetzblatt Teil I (BGBL I) (1986). Erstes Gesetz zur Verbesserung der Stellung der Verletzten im Strafverfahren (Opferschutzgesetz) (2496-2500). Verfügbar unter [1] [19.03.2017].

Bundesgesetzblatt Teil I (BGBL I) (2004). Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (Opferrechtsreformgesetz – OpferRGG) (1354-1358). Verfügbar unter [2] [19.03.2017].

Bundesgesetzblatt Teil I (BGBL I) (2006). Zweites Gesetz zur Modernisierung der Justiz (2. Justizmodernisierungsgesetz) (3416-3438). Verfügbar unter [3] [19.03.2017].

Bundesgesetzblatt Teil I (BGBL I) (2009). Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz) (2280-2285). Verfügbar unter [4] [19.03.2017].

Bundesgesetzblatt Teil I (BGBL I) (2015). Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz) (2525-2530). Verfügbar unter [5] [19.03.2017].

Bundesverband Psychosoziale Prozessbegleitung (2016). Qualitätsstandards für die Psychosoziale Prozessbegleitung (2. überarbeitete Aufl.) (1-18). Verfügbar unter [6][19.03.2017].