Prävention: Unterschied zwischen den Versionen

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==== Historische Benutzung ====
==== Historische Benutzung ====


*Schülein fasst die historische Benutzung und Entwicklung des Begriffs zusammen: „Der Brockhaus von 1890 kennt zwar auch schon die Präventiv-Medizin, aber im Vordergrund steht eine juristische und kirchenrechtliche Bestimmung.  Prävention ist danach ein Vorgang, bei dem `jemand eine rechtliche Handlung früher vornimmt als ein anderer Berechtiger, und dadurch das ausschließliche Recht zur Fortsetzung der Sache erlangt‘.  Kirchenrechtlich verstand sich Prävention als Recht des höheren Geistlichen, ‚in Befugnisse des Untergebenen einzugreifen`. Dagegen fehlt das Stichwort ‚Präventivkrieg‘... Das lässt auf einen Bedeutungswandel schließen –nicht nur insofern, als sich die Militärtechnologie offenkundig weiterentwickelt hat, sondern auch in bezug auf den psychosozialen Gehalt des Begriffs. Während im 19. Jahrhunder Prävention stärker konkurrenzhaltig war, ist sie gegenwärtig eher von Angst und Misstrauen geprägt.  Prävention soll der Verhinderung von möglichen Übeln dienen“ (Schülein, 13).<br>Schülein analysiert die Evolution von Prävention und stellt dar, dass es in den vorindustriellen Gesellschaften sehr wenig Raum für Prävention gab.  In den traditionsgeleiteten Gesellschaften sind die Mitgliederzahlen meist niedrig und der Lebensstandard auch relativ niedrig.  Die Produktion basiert sich in relativ einfachen Techniken, die das Rhytmus der Natur nicht überspringen sondern antizipieren möchten und deshalb ein begrenztes Präventionspotenzial besitzen.  Diese Gesellschaften „ produzieren keinen oder wenig Surplus, so dass auch wenig Möglichkeit der Investition in eine (alternative) Zukunft besteht“ (Schülein, 22).  Es ist dann klar, dass diese Gesellschaften, in denen die Veränderungen als Echo des Wandels der Lebensbedingungen und weniger aus der Eigendynamik der Gesellschaften selbst entstehen, einen statischen Charakter haben und keine besonderen vorbeugenden Erwartungen brauchen.<br>
*Schülein fasst die historische Benutzung und Entwicklung des Begriffs zusammen: „Der Brockhaus von 1890 kennt zwar auch schon die Präventiv-Medizin, aber im Vordergrund steht eine juristische und kirchenrechtliche Bestimmung.  Prävention ist danach ein Vorgang, bei dem `jemand eine rechtliche Handlung früher vornimmt als ein anderer Berechtiger, und dadurch das ausschließliche Recht zur Fortsetzung der Sache erlangt‘.  Kirchenrechtlich verstand sich Prävention als Recht des höheren Geistlichen, ‚in Befugnisse des Untergebenen einzugreifen`. Dagegen fehlt das Stichwort ‚Präventivkrieg‘... Das lässt auf einen Bedeutungswandel schließen –nicht nur insofern, als sich die Militärtechnologie offenkundig weiterentwickelt hat, sondern auch in bezug auf den psychosozialen Gehalt des Begriffs. Während im 19. Jahrhunder Prävention stärker konkurrenzhaltig war, ist sie gegenwärtig eher von Angst und Misstrauen geprägt.  Prävention soll der Verhinderung von möglichen Übeln dienen“ (Schülein, 13).<br>Schülein analysiert die Evolution von Prävention und stellt dar, dass es in den vorindustriellen Gesellschaften sehr wenig Raum für Prävention gab.  In den traditionsgeleiteten Gesellschaften sind die Mitgliederzahlen meist niedrig und der Lebensstandard auch relativ niedrig.  Die Produktion basiert sich in relativ einfachen Techniken, die das Rhytmus der Natur nicht überspringen sondern antizipieren möchten und deshalb ein begrenztes Präventionspotenzial besitzen.  Diese Gesellschaften „ produzieren keinen oder wenig Surplus, so dass auch wenig Möglichkeit der Investition in eine (alternative) Zukunft besteht“ (Schülein, 22).  Es ist dann klar, dass diese Gesellschaften, in denen die Veränderungen als Echo des Wandels der Lebensbedingungen und weniger aus der Eigendynamik der Gesellschaften selbst entstehen, einen statischen Charakter haben und keine besonderen vorbeugenden Erwartungen brauchen.<br>Die beanspruchlose Prävention der vorindustriellen Gesellschaft ändert sich im Übergang zur Industriegesellschaft grundsätzlich.  Sowohl neue Produktionstechniken als auch neue soziale Strukturen bilden zweckrationale Interaktionsabläufe und –systeme, die eine hohe Eigendynamik besitzen, die aber auch vielfältige Subjektivitäten und eigene Erwartungen und Alternativen erlauben.  Ein erheblich höherer Präventionsbedarf ist mit dieser Vergrößerung des sozialen und subjektiven Möglichkeitshorizont verbunden.  „Mit der Entwicklung der Produktivkräfte in der und durch die Industriegesellschaft ist auch eine erhebliche Steigerung der Präventionsmöglichkeiten verbunden.  Der Wandel von der traditionsgeleiteten zur zweckrational spezialisierten Interaktion bringt große Mengen von Informationen über natürliche wie soziale Prozesse mit sich.  Damit ist Prävention auf eine neue Basis gestellt und kann die Grenzen traditioneller art überschreiten.  Andererseits wächst aber auch der Präventionsbedarf explosiv, und Prävention als Prozess wird komplexer.  Denn ''mit der Reichweite der instrumentellen und sozialen Kompetenzen und der Ausweitung des Horizonts von Möglichkeiten nimmt auch die Notwendigkeit der Steuerung in Richtung auf hochspezifische Zukunftskonstellationen exponentiell zu. [...] '' Institutionen sind im Grunde nichts anders als Negativ-Präventionen, indem sie einen großen Teil von potentiellen Entwicklungen ausgrenzen.  Aus diesem Grund lässt sich erkennen, dass komplexe Industriegesellschaften dazu tendieren, den selbstgeschaffenen Interaktionsspielraum sekundär durch Institutionalisierungen wieder zu beschränken.“ (Schülein, 24/25).
Die beanspruchlose Prävention der vorindustriellen Gesellschaft ändert sich im Übergang zur Industriegesellschaft grundsätzlich.  Sowohl neue Produktionstechniken als auch neue soziale Strukturen bilden zweckrationale Interaktionsabläufe und –systeme, die eine hohe Eigendynamik besitzen, die aber auch vielfältige Subjektivitäten und eigene Erwartungen und Alternativen erlauben.  Ein erheblich höherer Präventionsbedarf ist mit dieser Vergrößerung des sozialen und subjektiven Möglichkeitshorizont verbunden.  „Mit der Entwicklung der Produktivkräfte in der und durch die Industriegesellschaft ist auch eine erhebliche Steigerung der Präventionsmöglichkeiten verbunden.  Der Wandel von der traditionsgeleiteten zur zweckrational spezialisierten Interaktion bringt große Mengen von Informationen über natürliche wie soziale Prozesse mit sich.  Damit ist Prävention auf eine neue Basis gestellt und kann die Grenzen traditioneller art überschreiten.  Andererseits wächst aber auch der Präventionsbedarf explosiv, und Prävention als Prozess wird komplexer.  Denn ''mit der Reichweite der instrumentellen und sozialen Kompetenzen und der Ausweitung des Horizonts von Möglichkeiten nimmt auch die Notwendigkeit der Steuerung in Richtung auf hochspezifische Zukunftskonstellationen exponentiell zu. [...] '' Institutionen sind im Grunde nichts anders als Negativ-Präventionen, indem sie einen großen Teil von potentiellen Entwicklungen ausgrenzen.  Aus diesem Grund lässt sich erkennen, dass komplexe Industriegesellschaften dazu tendieren, den selbstgeschaffenen Interaktionsspielraum sekundär durch Institutionalisierungen wieder zu beschränken.“ (Schülein, 24/25).
Der Entwicklungsprozess der kapitalistischen Industriegesellschaften bringt mit sich neben der massiven Tendenz zur ungleichgewichtigen Verteilung von Chancen ein starkes Anomiepotential.  „Sowohl die teilweise Privatisierung gesellschaftlicher Macht als auch die desintegrative Wirkung individualistischer Organisation der Lebenswelt tragen dazu bei.  Aus genau diesen Gründen hat sich dagegen die Präventionskompetenz subjektiv wie gesellschaftlich nicht entsprechend entwickeln können.  Denn in den Zentren privater Macht wurde und wird Prävention vor allem für private Interessen betrieben und die individualistischer Organisation der Lebensbereiche führt ebenfalls dazu, dass Strategien der persönlichen Bedürfnisbefriedigung stets Vorrang vor den (Abstrakten) Erfordernissen kollektiver Prävention haben.“ (Schülein, 26).
Der Entwicklungsprozess der kapitalistischen Industriegesellschaften bringt mit sich neben der massiven Tendenz zur ungleichgewichtigen Verteilung von Chancen ein starkes Anomiepotential.  „Sowohl die teilweise Privatisierung gesellschaftlicher Macht als auch die desintegrative Wirkung individualistischer Organisation der Lebenswelt tragen dazu bei.  Aus genau diesen Gründen hat sich dagegen die Präventionskompetenz subjektiv wie gesellschaftlich nicht entsprechend entwickeln können.  Denn in den Zentren privater Macht wurde und wird Prävention vor allem für private Interessen betrieben und die individualistischer Organisation der Lebensbereiche führt ebenfalls dazu, dass Strategien der persönlichen Bedürfnisbefriedigung stets Vorrang vor den (Abstrakten) Erfordernissen kollektiver Prävention haben.“ (Schülein, 26).
*Einen merkwürdigen und historischen Blickwinkel bieten die Verbrechensverhütungsmaßnahmen, die während der nationalsozialistischen Regierung von den Akademikern analysiert und gelehrt wurden:  Deportation nach Siberien, Vernichtung lebensunwerten Lebens, Vorbeugungshaft, etc.. (Schneickert)
*Einen merkwürdigen und historischen Blickwinkel bieten die Verbrechensverhütungsmaßnahmen, die während der nationalsozialistischen Regierung von den Akademikern analysiert und gelehrt wurden:  Deportation nach Siberien, Vernichtung lebensunwerten Lebens, Vorbeugungshaft, etc.. (Schneickert)
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