Post-panopticon/Post-Panotikum: Unterschied zwischen den Versionen

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Der englische Utilitarist und Strafvollzugsreformer Jeremy Bentham erfand 1791 ein Gebäude, in dem man sich der Beobachtung nicht mehr entziehen konnte und gab ihm den Namen Panoptikum. „Es sollte ein moralisches Gebäude sein und eine Blaupause für die Neugestaltung der Welt“ <ref>(Bauman/Lyon, 2011,23)</ref>. Der französische Philosoph des späten 20. Jahrhunderts Michel Foucault bezeichnete dieses Ordnungsprinzip als wesentlich für westlich-liberale Gesellschaften, die er auch Disziplinargesellschaften nennt. In Anlehnung daran entwickelte er seinen Begriff des Panoptismus als Symbol für die Überwachungs- und Herrschaftsstrukturen <ref>(Foucault,1994, 116)</ref>. Dieses Panoptikum erfreut sich heute „bester Gesundheit“, unterliegt jedoch einem fortwährenden Gestaltwandel. Es bedient sich elektronisch optimierter, „cyborgisierter“ Muskeln, die ihm mehr Macht verleihen, als es sich Foucault oder gar Bentham je hätten vorstellen können <ref>(Bauman/Lyon, 2011, 74)</ref>. Die heutigen Erscheinungsformen der Überwachung gehen weit über die damaligen Aspekte hinaus. Durch die Entwicklung immer neuer Medien und Sicherheitsstandards kommt es zu immer einer größeren Verschiebung des Privaten in die Gesellschaft.
Der englische Utilitarist und Strafvollzugsreformer Jeremy Bentham erfand 1791 ein Gebäude, in dem man sich der Beobachtung nicht mehr entziehen konnte und gab ihm den Namen Panoptikum. „Es sollte ein moralisches Gebäude sein und eine Blaupause für die Neugestaltung der Welt“ <ref>Bauman/Lyon, 2011,23</ref>. Der französische Philosoph des späten 20. Jahrhunderts Michel Foucault bezeichnete dieses Ordnungsprinzip als wesentlich für westlich-liberale Gesellschaften, die er auch Disziplinargesellschaften nennt. In Anlehnung daran entwickelte er seinen Begriff des Panoptismus als Symbol für die Überwachungs- und Herrschaftsstrukturen <ref>Foucault,1994, 116</ref>. Dieses Panoptikum erfreut sich heute „bester Gesundheit“, unterliegt jedoch einem fortwährenden Gestaltwandel. Es bedient sich elektronisch optimierter, „cyborgisierter“ Muskeln, die ihm mehr Macht verleihen, als es sich Foucault oder gar Bentham je hätten vorstellen können <ref>Bauman/Lyon, 2011, 74</ref>. Die heutigen Erscheinungsformen der Überwachung gehen weit über die damaligen Aspekte hinaus. Durch die Entwicklung immer neuer Medien und Sicherheitsstandards kommt es zu immer einer größeren Verschiebung des Privaten in die Gesellschaft.


Etymologie
Etymologie
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Historie/Entwicklung des Begriffs
Historie/Entwicklung des Begriffs
Das Panoptikum war von Bentham als Gebäudetypus für Schulen, Krankenhäuser, Gefängnisse und sonstige Anstalten konzipiert worden. Es erlaubte einem Wachmann von der Warte eines zentralen Turms aus, sämtliche kreisförmig um ihn herum angeordneten Zellen und Räume im Blick zu haben – ohne seinerseits von den Insassen gesehen zu werden <ref>http://www.zeit.de/kultur/literatur/2013-08/zygmunt-bauman-david-lyon-daten-drohnen-disziplin</ref>
Das Panoptikum war von Bentham als Gebäudetypus für Schulen, Krankenhäuser, Gefängnisse und sonstige Anstalten konzipiert worden. Es erlaubte einem Wachmann von der Warte eines zentralen Turms aus, sämtliche kreisförmig um ihn herum angeordneten Zellen und Räume im Blick zu haben – ohne seinerseits von den Insassen gesehen zu werden <ref>http://www.zeit.de/kultur/literatur/2013-08/zygmunt-bauman-david-lyon-daten-drohnen-disziplin</ref>
Die Insassen sollten in der ständigen Furcht leben, gesehen zu werden und sich vorsorglich anpassen. Oder wie es Foucault in Überwachen und Strafen formuliert: "Derjenige, welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist und dies weiß, übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selber aus; er internalisiert das Machtverhältnis, in welchem er gleichzeitig beide Rollen spielt; er wird zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung."  <ref>(michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses S.268)</ref> Von diesem Konstruktionsprinzip erhoffte sich Bentham, dass sich alle Insassen zu jeder Zeit unter Überwachungsdruck regelkonform verhalten (also abweichendes Verhalten vermeiden), da sie jederzeit davon ausgehen müssten, beobachtet zu werden. Dies führe vor allem durch die Reduktion des Personals zu einer massiven Kostensenkung im Gefängnis- und Fabrikwesen, denn das Verhältnis zwischen effektiv geleisteter Überwachungsarbeit und erzeugter Angst, beobachtet zu werden, ist sehr hoch.
Die Insassen sollten in der ständigen Furcht leben, gesehen zu werden und sich vorsorglich anpassen. Oder wie es Foucault in Überwachen und Strafen formuliert: "Derjenige, welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist und dies weiß, übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selber aus; er internalisiert das Machtverhältnis, in welchem er gleichzeitig beide Rollen spielt; er wird zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung."  <ref>michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses S.268</ref> Von diesem Konstruktionsprinzip erhoffte sich Bentham, dass sich alle Insassen zu jeder Zeit unter Überwachungsdruck regelkonform verhalten (also abweichendes Verhalten vermeiden), da sie jederzeit davon ausgehen müssten, beobachtet zu werden. Dies führe vor allem durch die Reduktion des Personals zu einer massiven Kostensenkung im Gefängnis- und Fabrikwesen, denn das Verhältnis zwischen effektiv geleisteter Überwachungsarbeit und erzeugter Angst, beobachtet zu werden, ist sehr hoch.


Bentham selber versteht das Panoptikum als effizientes Mittel zur Erreichung eines gesamtgesellschaftlichen Zweckes. Ziel ist die Maximierung der Freiheit derjenigen, die außerhalb des Gefängnisses in der Folge eines funktionierenden Disziplinarbaus in Sicherheit leben können. Gleichzeitig diskutiert er die maximale Freiheit der Gefangenen nach gesellschaftlicher Reintegration wie auch innerhalb des Kontrollhauses. Benthams panoptisches Gefängnis ist somit vor allem als Erziehungs- und Besserungsanstalt zum Zwecke einer gesamtgesellschaftlichen Bewegung hin zu einem Zustand größeren Allgemeinnutzens zu verstehen – die Gefangenen einbezogen. Durch den Fokus auf deren Selbst-Disziplinierung wurde Benthams scharfem Kalkül zufolge eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft erleichtert, da die Techniken zur Selbststeuerung und Handlung im Sinne des gesellschaftlichen Interesses über die Zeit erlernt würden. Die panoptisch ausgerichtete Institution war für Bentham somit Instrument zur Steuerung gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens mit möglichst geringen Kosten.
Bentham selber versteht das Panoptikum als effizientes Mittel zur Erreichung eines gesamtgesellschaftlichen Zweckes. Ziel ist die Maximierung der Freiheit derjenigen, die außerhalb des Gefängnisses in der Folge eines funktionierenden Disziplinarbaus in Sicherheit leben können. Gleichzeitig diskutiert er die maximale Freiheit der Gefangenen nach gesellschaftlicher Reintegration wie auch innerhalb des Kontrollhauses. Benthams panoptisches Gefängnis ist somit vor allem als Erziehungs- und Besserungsanstalt zum Zwecke einer gesamtgesellschaftlichen Bewegung hin zu einem Zustand größeren Allgemeinnutzens zu verstehen – die Gefangenen einbezogen. Durch den Fokus auf deren Selbst-Disziplinierung wurde Benthams scharfem Kalkül zufolge eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft erleichtert, da die Techniken zur Selbststeuerung und Handlung im Sinne des gesellschaftlichen Interesses über die Zeit erlernt würden. Die panoptisch ausgerichtete Institution war für Bentham somit Instrument zur Steuerung gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens mit möglichst geringen Kosten.
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==Abhören, Mitlesen und Auswerten von Kommunikation==
==Abhören, Mitlesen und Auswerten von Kommunikation==
Edward Snowdens umfassenden Enthüllungen zur Internet- und Telekommunikationsüberwachung durch die USA und das Vereinigte Königreich im Rahmen der globalen Überwachungs- und Spionageaffäre Mitte 2013 zeigten das ganze Ausmaß heutiger Überwachung <ref>(Glenn Greenwald, 2014, 78)</ref>
Edward Snowdens umfassenden Enthüllungen zur Internet- und Telekommunikationsüberwachung durch die USA und das Vereinigte Königreich im Rahmen der globalen Überwachungs- und Spionageaffäre Mitte 2013 zeigten das ganze Ausmaß heutiger Überwachung <ref>Glenn Greenwald, 2014, 78</ref>
Von den technischen Voraussetzungen her ist es längst möglich geworden, nahezu jede Form der nicht öffentlich adressierten Mitteilung zugänglich zu machen, ganz gleich, ob es sich dabei um verbalen oder datenmediatesierten Austausch handelt. Gespräche können über leistungsfähige und miniaturisierte Mikrophone auch über größere Distanzen hinweg erfasst und aufgezeichnet werden. Ein Hindernis für die totale Kommunikationsüberwachung stellen einerseits die gigantischen Mengen an Daten dar, sowie unerwünschte Dritte vom Zugang fernzuhalten <ref>(Nogala, 2000, S. 114)</ref>.
Von den technischen Voraussetzungen her ist es längst möglich geworden, nahezu jede Form der nicht öffentlich adressierten Mitteilung zugänglich zu machen, ganz gleich, ob es sich dabei um verbalen oder datenmediatesierten Austausch handelt. Gespräche können über leistungsfähige und miniaturisierte Mikrophone auch über größere Distanzen hinweg erfasst und aufgezeichnet werden. Ein Hindernis für die totale Kommunikationsüberwachung stellen einerseits die gigantischen Mengen an Daten dar, sowie unerwünschte Dritte vom Zugang fernzuhalten <ref>Nogala, 2000, S. 114</ref>.


==RFID==
==RFID==
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==Drohnen==  
==Drohnen==  
Aber die Überwachung endet heute nicht mehr an Gebäudemauern, selbst an territorialen und zeitlichen Grenzen macht sie nicht mehr halt. Die digitale Verbildlichung und die Möglichkeit zur Anfertigung von Videos ist allgegenwärtig, ob in Form von Smartphones, Webcamesservices oder Google Street View und all dieses Videomaterial ist in Echtzeit in den Sphären des Internet <ref>(Rothmann uva, Krim J 1.2015,61-62)</ref>. Eine aktive Rolle in einer fast lückenlosen Videoüberwachung spielen ferngesteuerten Drohnen, die so klein wie Kolibris <ref>(bauman/Lyon,2013, S. 35)</ref> sind und hochauflösende Kameras haben. Es gibt sie ab 50 Euro in jedem Elektrofachgeschäft zu kaufen und sie lassen sich problemlos mit dem Smartphone steuern.  
Aber die Überwachung endet heute nicht mehr an Gebäudemauern, selbst an territorialen und zeitlichen Grenzen macht sie nicht mehr halt. Die digitale Verbildlichung und die Möglichkeit zur Anfertigung von Videos ist allgegenwärtig, ob in Form von Smartphones, Webcamesservices oder Google Street View und all dieses Videomaterial ist in Echtzeit in den Sphären des Internet <ref>Rothmann uva, Krim J 1.2015,61-62</ref>. Eine aktive Rolle in einer fast lückenlosen Videoüberwachung spielen ferngesteuerten Drohnen, die so klein wie Kolibris <ref>bauman/Lyon,2013, S. 35</ref> sind und hochauflösende Kameras haben. Es gibt sie ab 50 Euro in jedem Elektrofachgeschäft zu kaufen und sie lassen sich problemlos mit dem Smartphone steuern.  


==Ortung==  
==Ortung==  
Das Aufspüren, Verorten und unbemerkte Verfolgen von Sachen und Personen (Lokalisierung) ist im Zeitalter des tagging und Weltumspannender Satellitensysteme zu einer effektiven Option für staatliche, aber auch kommerzielle Überwachungsagenturen geworden. Mittels elektronischer Sender- und Empfängereinheiten können so Standorte in Echtzeit Millimeter genau angezeigt werden. Eine Variante dieses Ortungsprinzip findet in der elektronischen Fußfessel Anwendung <ref>(Nogalla, 2000, S. 117)</ref>
Das Aufspüren, Verorten und unbemerkte Verfolgen von Sachen und Personen (Lokalisierung) ist im Zeitalter des tagging und Weltumspannender Satellitensysteme zu einer effektiven Option für staatliche, aber auch kommerzielle Überwachungsagenturen geworden. Mittels elektronischer Sender- und Empfängereinheiten können so Standorte in Echtzeit Millimeter genau angezeigt werden. Eine Variante dieses Ortungsprinzip findet in der elektronischen Fußfessel Anwendung <ref>Nogalla, 2000, S. 117</ref>
   
   
==Dashcam==
==Dashcam==
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==Das EU-Projekt INDECT==
==Das EU-Projekt INDECT==
Seit 2009 läuft ein EU-Forschungsprojekt mit Namen „INDECT“,  dass die intelligente, automatisierte Zusammenführung von Informationen aus verschiedenen Datenquellen untersucht. Das Projekt erforscht die automatisierte Auswertung und Verknüpfung von Bildern von Überwachungskameras des öffentlichen Raums mit einer großen Zahl weiterer Datenquellen (siehe oben), wie etwa Daten aus sozialen Netzwerken und der Telekommunikationsüberwachung. Dabei soll unter anderem durch Videoanalyse automatisiert „abnormales Verhalten“ von Menschen in der Öffentlichkeit erkannt werden <ref>(singelstein/stolle, 2012, 83)</ref>.
Seit 2009 läuft ein EU-Forschungsprojekt mit Namen „INDECT“,  dass die intelligente, automatisierte Zusammenführung von Informationen aus verschiedenen Datenquellen untersucht. Das Projekt erforscht die automatisierte Auswertung und Verknüpfung von Bildern von Überwachungskameras des öffentlichen Raums mit einer großen Zahl weiterer Datenquellen (siehe oben), wie etwa Daten aus sozialen Netzwerken und der Telekommunikationsüberwachung. Dabei soll unter anderem durch Videoanalyse automatisiert „abnormales Verhalten“ von Menschen in der Öffentlichkeit erkannt werden <ref>singelstein/stolle, 2012, 83</ref>.


==Wollen wir überwacht werden?==
==Wollen wir überwacht werden?==
Eine visuelle Überwachung, wie die vorangegangenen panoptischen Blickrichtungen zeigen, ist nicht nur soziale Kontrolle im negativen Sinn. Das beobachtete Subjekt erfährt durch das Gesehen werden auch Zuwendung und Aufmerksamkeit. Die Nachricht „du bist nie allein“ kann auch die Botschaft sein „Du musst nie wieder allein (verlassen, übersehen, vernachlässigt) sein“. Es ist also immer einer da, der einen Wahrnimmt. Die Bedrohung ständig überwacht zu werden, hat sich in eine Verheißung verwandelt: „Dem Versprechen erhöhter Sichtbarkeit gleichgesetzt mit der gesellschaftlicher Anerkennung“. Die immer weitere Ausdehnung der sozialen Netzwerke ist dafür ein gutes Beispiel. Dadurch entstehe geradezu eine Haltung des Überwacht-werden-wollens, da die Selbst-Verortungen des ndividuums in Datenbeständen sinnstiftende Orientierung mit sich bringt <ref>(Bauman/Lyon, 2013, 37-38)</ref>.
Eine visuelle Überwachung, wie die vorangegangenen panoptischen Blickrichtungen zeigen, ist nicht nur soziale Kontrolle im negativen Sinn. Das beobachtete Subjekt erfährt durch das Gesehen werden auch Zuwendung und Aufmerksamkeit. Die Nachricht „du bist nie allein“ kann auch die Botschaft sein „Du musst nie wieder allein (verlassen, übersehen, vernachlässigt) sein“. Es ist also immer einer da, der einen Wahrnimmt. Die Bedrohung ständig überwacht zu werden, hat sich in eine Verheißung verwandelt: „Dem Versprechen erhöhter Sichtbarkeit gleichgesetzt mit der gesellschaftlicher Anerkennung“. Die immer weitere Ausdehnung der sozialen Netzwerke ist dafür ein gutes Beispiel. Dadurch entstehe geradezu eine Haltung des Überwacht-werden-wollens, da die Selbst-Verortungen des ndividuums in Datenbeständen sinnstiftende Orientierung mit sich bringt <ref>Bauman/Lyon, 2013, 37-38</ref>.


==Generelle Tendenzen==
==Generelle Tendenzen==
Als häufig zitiertes Negativ-Beispiel und als Symbol eines zur Diktatur ausgearteten Überwachungsstaats gilt der Roman 1984 des britischen Schriftstellers George Orwell, der auch den Begriff Big Brother (engl. f. Großer Bruder) prägte. Bedenken gegen die zunehmende staatliche Überwachung führten bereits seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verstärkt zu öffentlichen Debatten und Demonstrationen <ref>(https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cberwachungsstaat)</ref>. Einordnung von Menschen als potentielle Straftäter (sog. Generalverdacht) verstößt außerdem gegen den Grundgedanken des demokratischen Staates. Denn genau wie das frühe Panoptikum gesellschaftliche und politische Konsequenzen hatte, haben auch die weitgehend postpanoptischen Überwachungssysteme heute Konsequenzen: Verlust von Anonymität und Vertraulichkeit, dringende Fragen der Gerechtigkeit und der Fairness bürgerlichen Freiheiten und der Menschenrechte denn sie bewirken auch soziale Klassifizierungen.
Als häufig zitiertes Negativ-Beispiel und als Symbol eines zur Diktatur ausgearteten Überwachungsstaats gilt der Roman 1984 des britischen Schriftstellers George Orwell, der auch den Begriff Big Brother (engl. f. Großer Bruder) prägte. Bedenken gegen die zunehmende staatliche Überwachung führten bereits seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verstärkt zu öffentlichen Debatten und Demonstrationen <ref>https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cberwachungsstaat</ref>. Einordnung von Menschen als potentielle Straftäter (sog. Generalverdacht) verstößt außerdem gegen den Grundgedanken des demokratischen Staates. Denn genau wie das frühe Panoptikum gesellschaftliche und politische Konsequenzen hatte, haben auch die weitgehend postpanoptischen Überwachungssysteme heute Konsequenzen: Verlust von Anonymität und Vertraulichkeit, dringende Fragen der Gerechtigkeit und der Fairness bürgerlichen Freiheiten und der Menschenrechte denn sie bewirken auch soziale Klassifizierungen.
Es ist zudem nicht nur der Staat, der sich über die durch Technisierung erheblich erweiterten Möglichkeiten sporadischer und permanenter Kontrolle und Überwachung erfreut. Des Weiteren bedienen sich auch Konzerne, mittlere Unternehmen, kleine Geschäftsleute und nicht zuletzt auch individualisierten Bürger selbst, diesen Systemen. Die vielen einzelnen Kontroll- und Überwachungssysteme, jedes für sich allem Anschein noch sozial beherrschbar, sind dabei sich zu einer Überwachungsordnung neuer Qualität zu verdichten, die sich durch ihre technische Mediatisierung von bisherigen unterscheidet und dank finanzstarkem Interesse mit atemberaubenden Tempo verbreitet <ref>(Nogala, 2000, S. 120)</ref>.  
Es ist zudem nicht nur der Staat, der sich über die durch Technisierung erheblich erweiterten Möglichkeiten sporadischer und permanenter Kontrolle und Überwachung erfreut. Des Weiteren bedienen sich auch Konzerne, mittlere Unternehmen, kleine Geschäftsleute und nicht zuletzt auch individualisierten Bürger selbst, diesen Systemen. Die vielen einzelnen Kontroll- und Überwachungssysteme, jedes für sich allem Anschein noch sozial beherrschbar, sind dabei sich zu einer Überwachungsordnung neuer Qualität zu verdichten, die sich durch ihre technische Mediatisierung von bisherigen unterscheidet und dank finanzstarkem Interesse mit atemberaubenden Tempo verbreitet <ref>Nogala, 2000, S. 120</ref>.  


==Aufgabe der Kriminologie==
==Aufgabe der Kriminologie==
Um die politisch Mächtigen im Wettbewerb der Globalisierung wettbewerbsfähig zu machen, wird der Sozialstaat immer mehr abgeschafft. Es werden staatliche Funktionen an die Kräfte des Marktes abgegeben oder der privaten Initiative der Bürger überlassen. Für den Nationalstaat bedeutet dies, dass er weniger Kontrolle über die Auswirkungen der globalen Veränderungen behält. Dieser Rückzug des Sozialstaates hat wiederum weitgreifende Folgen für den einzelnen Bürger. Dieser ist immer mehr den Unwägbarkeiten des Marktes ausgesetzt und damit den globalen Kräften, auf dessen Wirkung er kaum Einfluss nehmen kann um sich zu schützen <ref>(www.literaturkritik.de/public/rezension.php063)</ref>.
Um die politisch Mächtigen im Wettbewerb der Globalisierung wettbewerbsfähig zu machen, wird der Sozialstaat immer mehr abgeschafft. Es werden staatliche Funktionen an die Kräfte des Marktes abgegeben oder der privaten Initiative der Bürger überlassen. Für den Nationalstaat bedeutet dies, dass er weniger Kontrolle über die Auswirkungen der globalen Veränderungen behält. Dieser Rückzug des Sozialstaates hat wiederum weitgreifende Folgen für den einzelnen Bürger. Dieser ist immer mehr den Unwägbarkeiten des Marktes ausgesetzt und damit den globalen Kräften, auf dessen Wirkung er kaum Einfluss nehmen kann um sich zu schützen <ref>www.literaturkritik.de/public/rezension.php063</ref>.
Staatliche Institutionen verlieren ihre Macht in den Augen der Bürger, die dem Staat deswegen immer weniger Aufmerksamkeit schenken. Um diesen Verlust an Legitimität auszugleichen, greift der Staat zu einer Neudefinition seiner staatlichen Aufgaben. Er reduziert sein gesellschaftliches Engagement auf die Stärkung der strafrechtlichen Intervention, um nicht den tatsächlichen Ängsten seiner Bürger ins Auge zu schauen.  
Staatliche Institutionen verlieren ihre Macht in den Augen der Bürger, die dem Staat deswegen immer weniger Aufmerksamkeit schenken. Um diesen Verlust an Legitimität auszugleichen, greift der Staat zu einer Neudefinition seiner staatlichen Aufgaben. Er reduziert sein gesellschaftliches Engagement auf die Stärkung der strafrechtlichen Intervention, um nicht den tatsächlichen Ängsten seiner Bürger ins Auge zu schauen.  
Kollektives Handeln und gesellschaftliche Solidarität werden zunehmend unattraktiver. Der Wettbewerb des Marktes fördert die Spaltung der Gesellschaft, die immer mehr aus einem Netzwerk von individuellen und sehr variablen Verbindungen im Internet besteht. Die Individuelle Flexibilität, die von jedem gefordert wird, nährt die Verunsicherung und Ungewissheit noch weiter. Auf der Suche nach individuellen Sicherheiten setzt man sich immer tiefer greifenden Überwachungsszenarien und - technologien aus <ref>(https://www.fernuni-hagen.de/.../BuchempfehlungZygmuntBauman.shtm)</ref>.
Kollektives Handeln und gesellschaftliche Solidarität werden zunehmend unattraktiver. Der Wettbewerb des Marktes fördert die Spaltung der Gesellschaft, die immer mehr aus einem Netzwerk von individuellen und sehr variablen Verbindungen im Internet besteht. Die Individuelle Flexibilität, die von jedem gefordert wird, nährt die Verunsicherung und Ungewissheit noch weiter. Auf der Suche nach individuellen Sicherheiten setzt man sich immer tiefer greifenden Überwachungsszenarien und - technologien aus <ref>https://www.fernuni-hagen.de/.../BuchempfehlungZygmuntBauman.shtm</ref>.
Menschen werden im übertragenen Sinne zu marktgängigen Waren, die sich problemlos in die immer schneller rotierende Konsumindustrie einbinden, beobachten und kontrollieren lassen <ref>(www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/.../index.html)</ref>.
Menschen werden im übertragenen Sinne zu marktgängigen Waren, die sich problemlos in die immer schneller rotierende Konsumindustrie einbinden, beobachten und kontrollieren lassen <ref>www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/.../index.html</ref>.


Damit ist ein wichtiger Punkt genannt. Statt nur "Überwachungsstaat" zu schreien, so wie es in der jetzigen Debatte oft geschieht, ist es die Aufgabe der Kriminologie auf die komplexen Verflechtungen von Interessen, Ängsten und politischer Macht darzulegen, die sich hinter diesen „Social Control Technologies“ verbergen, hinzuweisen. Z. B. um etwa dadurch den Faktor ‚staatliche Verantwortlichkeit’ in die Überwachungsdebatte zu reintegrieren.  
Damit ist ein wichtiger Punkt genannt. Statt nur "Überwachungsstaat" zu schreien, so wie es in der jetzigen Debatte oft geschieht, ist es die Aufgabe der Kriminologie auf die komplexen Verflechtungen von Interessen, Ängsten und politischer Macht darzulegen, die sich hinter diesen „Social Control Technologies“ verbergen, hinzuweisen. Z. B. um etwa dadurch den Faktor ‚staatliche Verantwortlichkeit’ in die Überwachungsdebatte zu reintegrieren.  
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