Polizeiforschung: Unterschied zwischen den Versionen

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Mit dem Wort "Polizeiforschung" ist in diesem Beitrag die empirische Untersuchung der Institution "Polizei" gemeint.
=== Geschichte===
=== Geschichte===


Entwicklung ab Ende der sechziger Jahre bis Ende der achziger Jahre:<br>
Die deutsche Polizeiforschung begann mit der Untersuchung von Feest und Blankenburg (1972), die das Alltagshandeln von Polizeibeamten mittels teilnehmender Beobachtung untersuchten und zu dem Ergebnis gelangten, daß sich außerhalb der formellen Eingriffsermächtigungen, welche die Strafprozeßordnung unter Berücksichtigung der Ermessensspielräume bietet, einiger Raum zur Definition der Situation für die Beamten selbst fand, welcher gesetzlich nicht abgedeckt war. Die Beamten hätten, so die Untersuchung, Selektionsmechanismen entwickelt um eine Situation vorzudefinieren, da sie trotz des Legalitätsprinzips nicht alle Straftaten mit gleicher Intensität bearbeiten könnten. Ob die Beamten strafverfolgend tätig werden oder nicht, hängt nach dieser Untersuchung neben der Definition vom gesamten Verhalten des Bürgers ab – unabhängig ob er Opfer, Täter, Zeuge oder Beschwerdeführer ist - und davon, welche „Beschwerdemacht“ demselben zugeordnet wird. Die Wahrscheinlichkeit des Einschreitens der Beamten sinkt mit der Zunahme der potentiellen Beschwerdemöglichkeit, welche die Beamten mit dem Bürger verbinden (vgl. Ohlemacher 1999, S.5).  
Erste Anfänge der sozialwissenschaftlichen Forschung über die Polizei und ihre Handlungsfelder gibt es seit Ende der sechziger Jahre. Im Fahrwasser der gesellschaftlichen Umwälzungen dieser Zeit und dem einhergehenden allgemeinen Mißtrauen gegenüber staatlichen Herrschaftsstrukturen entwickelte sich in Teilen der Sozialwissenschaft ein Interesse an polizeilichem Handeln, seinen Folgen und Akteuren. Im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses standen nun gleichsam die Instanzen formaler Sozialkontrolle: Polizei, Justiz u.a. Zuvor hatte sich die Forschung im übergreifenden Kontext der Thematik [[Kriminalität]] bzw. Verbrechen auf die Täterforschung konzentriert. Wegbereiter des neuen Forschungsaspektes war die Untersuchung von Feest/ Blankenburg (1972) und zugleich wohl auch Wegbeschwernis für die nachfolgenden Arbeiten. Mittels teilnehmender Beobachtung untersuchten Feest und Blankenburg die Strategien der Strafverfolgung und mögliche soziale Selektionen im polizeilichen Alltagshandeln der Schutz- und Kriminalpolizei und kamen zu dem Ergebnis, daß sich außerhalb der formellen Eingriffsermächtigungen, welche die Strafprozeßordnung unter Berücksichtigung der Ermessensspielräume bietet, einiger Raum zur Definition der Situation für die Beamten selbst fand, welcher gesetzlich nicht abgedeckt war. Die Beamten hätten, so die Untersuchung, Selektionsmechanismen entwickelt um eine Situation vorzudefinieren, da sie trotz des Legalitätsprinzips nicht alle Straftaten mit gleicher Intensität bearbeiten könnten. Ob die Beamten strafverfolgend tätig werden oder nicht, hängt nach dieser Untersuchung neben der Definition vom gesamten Verhalten des Bürgers ab – unabhängig ob er Opfer, Täter, Zeuge oder Beschwerdeführer ist - und davon, welche „Beschwerdemacht“ demselben zugeordnet wird. Die Wahrscheinlichkeit des Einschreitens der Beamten sinkt mit der Zunahme der potentiellen Beschwerdemöglichkeit, welche die Beamten mit dem Bürger verbinden (vgl. Ohlemacher 1999, S.5).  




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Sowohl in Wissenschaftskreisen als auch in der Polizei scheint sich heute Akzeptanz gegenüber der Entwicklung einer Polizeiforschung etabliert zu haben. Deutliches Indiziez hierfür ist die bereits genannte Vielfältigkeit heutiger Polizeiforschung und ihrer polizeiexternen und -internen Forschungseinrichtungen und Geldgeber. Beleg hierfür sind aber auch eine Vielzahl an Tagungen, Konferenzen und Workshops. Das Thema ist in der Polizei kein Reizwort mehr, einige Polizeiführungen haben den Nutzen derartiger Forschungen für die Institution Polizei erkannt. Die polizeiinternen Unterstützer agieren nicht am Rande, sondern bekleiden zentrale Positionen. So finden sich unter ihnen bspw. der Präsident der Polizei-Führungsakademie K. Neidhardt und J. Stock, Leiter des Kriminalistischen Instituts des BKA. Hinzu kommen Dozenten  von Fachhochschulen der Polizei aus mehreren Bundesländern, so zum Beispiel B. Frevel (NRW), K. Liebl (Sachsen), H. Asmus (Sachsen-Anhalt), T. Ohlemacher (Niedersachsen) u.a., unter deren Regie die „Tagung zur empirischen Polizeiforschung“ entstanden ist, welche vom 08.VII. - 10.VII.2004 in Frankfurt/M. zum sechsten Mal stattfindet. Auf universitärer Ebene treiben vor allem Kriminologen, Soziologen und Politologen mit zahlreichen theoretischen Beiträgen und empirischen Arbeiten die Diskussion voran. In Summa waren die externen und internen Bemühungen um die Polizeiforschung nie zuvor so intensiv und von Erfolg (vgl. Feltes: Frischer Wind und Aufbruch zu neuen Ufern? Was gibt es Neues zum Thema Polizeiforschung und Polizeiwissenschaft? Quelle: Internet, 25.03.2004).<br>
Sowohl in Wissenschaftskreisen als auch in der Polizei scheint sich heute Akzeptanz gegenüber der Entwicklung einer Polizeiforschung etabliert zu haben. Deutliches Indiziez hierfür ist die bereits genannte Vielfältigkeit heutiger Polizeiforschung und ihrer polizeiexternen und -internen Forschungseinrichtungen und Geldgeber. Beleg hierfür sind aber auch eine Vielzahl an Tagungen, Konferenzen und Workshops. Das Thema ist in der Polizei kein Reizwort mehr, einige Polizeiführungen haben den Nutzen derartiger Forschungen für die Institution Polizei erkannt. Die polizeiinternen Unterstützer agieren nicht am Rande, sondern bekleiden zentrale Positionen. So finden sich unter ihnen bspw. der Präsident der Polizei-Führungsakademie K. Neidhardt und J. Stock, Leiter des Kriminalistischen Instituts des BKA. Hinzu kommen Dozenten  von Fachhochschulen der Polizei aus mehreren Bundesländern, so zum Beispiel B. Frevel (NRW), K. Liebl (Sachsen), H. Asmus (Sachsen-Anhalt), T. Ohlemacher (Niedersachsen) u.a., unter deren Regie die „Tagung zur empirischen Polizeiforschung“ entstanden ist, welche vom 08.VII. - 10.VII.2004 in Frankfurt/M. zum sechsten Mal stattfindet. Auf universitärer Ebene treiben vor allem Kriminologen, Soziologen und Politologen mit zahlreichen theoretischen Beiträgen und empirischen Arbeiten die Diskussion voran. In Summa waren die externen und internen Bemühungen um die Polizeiforschung nie zuvor so intensiv und von Erfolg (vgl. Feltes: Frischer Wind und Aufbruch zu neuen Ufern? Was gibt es Neues zum Thema Polizeiforschung und Polizeiwissenschaft? Quelle: Internet, 25.03.2004).<br>
Thematisiert werden muß allerdings auch eine weiter vorhandene Tendenz der "Traditionalisten" innerhalb der Polizei und Teilen der Politik, eine Öffnung und angestrebte Transparenz der Polizei zu verhindern. Prominentestes Beispiel ist 2004 die Landespolizeischule Sachsen in Bautzen, deren inhaltliche und formale Selbständigkeit Anfang des Jahres im Rahmen einer Strukturreform aufgegeben wurde. Seither ist die polizeiliche Fortbildungseinrichtung nicht nur ohne Namen, sondern auch in ihren progressiven Entwicklungen ausgebremst worden. Die inhaltliche und organisatorische Hoheit liegt nun bei der Landesbereitschaftspolizei Sachsen – ein Rückschritt ohne Vergleich in der jüngsten Geschichte einer sich öffnenden Polizei. Die Absage aller Tagungen und Seminare der Einrichtung mit externen Bildungsträgern läßt den düsteren Schluß zu, daß die zehnjährigen Bemühungen der Sozialwissenschaftler an der Einrichtung in Bautzen einen herben Rückschlag erlitten haben und mit ihnen die Entwicklung der Polizeiforschung. In diesem Zusammenhang liegt die Zukunft der Polizeiforschung auch in der Verantwortung politischer Mandatsträger, die auf Bundes-und Landesebene den beschriebenen Entwicklungen abwartend bis skeptisch gegenüberstehen. Insgesamt gesehen besteht allerdings Grund zur Hoffnung für eine sich immer weiter nach vorn entwickelnde Polizeiforschung in Deutschland.
Thematisiert werden muß allerdings auch eine weiter vorhandene Tendenz der "Traditionalisten" innerhalb der Polizei und Teilen der Politik, eine Öffnung und angestrebte Transparenz der Polizei zu verhindern. Prominentestes Beispiel ist 2004 die Landespolizeischule Sachsen in Bautzen, deren inhaltliche und formale Selbständigkeit Anfang des Jahres im Rahmen einer Strukturreform aufgegeben wurde. Seither ist die polizeiliche Fortbildungseinrichtung nicht nur ohne Namen, sondern auch in ihren progressiven Entwicklungen ausgebremst worden. Die inhaltliche und organisatorische Hoheit liegt nun bei der Landesbereitschaftspolizei Sachsen – ein Rückschritt ohne Vergleich in der jüngsten Geschichte einer sich öffnenden Polizei. Die Absage aller Tagungen und Seminare der Einrichtung mit externen Bildungsträgern läßt den düsteren Schluß zu, daß die zehnjährigen Bemühungen der Sozialwissenschaftler an der Einrichtung in Bautzen einen herben Rückschlag erlitten haben und mit ihnen die Entwicklung der Polizeiforschung. In diesem Zusammenhang liegt die Zukunft der Polizeiforschung auch in der Verantwortung politischer Mandatsträger, die auf Bundes-und Landesebene den beschriebenen Entwicklungen abwartend bis skeptisch gegenüberstehen. Insgesamt gesehen besteht allerdings Grund zur Hoffnung für eine sich immer weiter nach vorn entwickelnde Polizeiforschung in Deutschland.
'''Marschel Schöne'''


== Literatur ==
== Literatur ==
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