Naikan: Unterschied zwischen den Versionen

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Naikan (japanisch NAI = Inneres und KAN = Beobachten; Naikan = Innenschau) ist eine Methode der Selbsterkenntnis auf der Grundlage einer stillen und intensiven Betrachtung der eigenen Lebensgeschichte, die auch im Strafvollzug praktiziert wird.
Naikan (japanisch NAI = Inneres und KAN = Beobachten; Naikan = Innenschau) ist eine Methode der Selbsterkenntnis auf der Grundlage einer stillen und intensiven Betrachtung der eigenen Lebensgeschichte, die in Deutschland u.a. auch im Strafvollzug, in Schulen, der Suchthilfe praktiziert wird. In Japan, wo rund 40 Naikan Zentren existieren, wird diese Methode außer im Strafvollzug auch in Schulen, im Geschäftsleben und in der Suchtbehandlung angewandt. Die Methode, die ihre Ursprünge im japanischen  [[Jodo Shinshu]] Buddhismus hat, wird auch in manchen Tempeln und Gemeinschaften dieser Sekte praktiziert, wobei die drei Naikan-Fragen auch durch eine Reflexion bestimmter religiöser Texte ersetzt werden können.
Das erste deutsche Naikan-Zentrum wurde von Gerald Steinke in Tarmstedt bei Bremen gegründet.  


meditativer Reflexion in der Form einer Schweigeklausur, während der man sich mit drei Fragen auseinandersetzt: "Was hat mir ein bestimmter Mensch Gutes getan? Was habe ich diesem Menschen Gutes getan? Welche Schwierigkeiten habe ich dieser Person bereitet?" Claudia Müller-Ebeling (2008: 184) schreibt zu den Zielen von Naikan-Übungen: "Diesesr Prozess der Innenschau bewirkt eine Veränderung der eigenen Perspektive. Man erkennt die Tragweite der Selbstverantwortung und wie sehr man tatsächlich seines eigenen Glückes Schmied ist. Die Konzentration auf diese drei Fragen und das Fehlen der vierten Frage 'Welche Schwierigkeiten haben andere mir bereitet?', die normalerweise unseren inneren Monolog beherrscht, führen dazu, dass man sich als Handlender und nicht als Opfer wahrnimmt."
== Ursprung ==
Naikan wurde in den 1950er Jahren von dem buddhistischen Geschäftsmann [[Yoshimoto Ishin]] (1916-1988), einem Mitglied der [[Jodo Shinshu]] Sekte, entwickelt, um die Vorteile der Introspektion, die er aus der anstrengenden und komplizierten Meditationsmethode [[mishirabe]] gewonnen hatte, einem weiteren Kreis von Personen zugänglich zu machen. Er führte Naikan im japanischen Strafvollzug ein - und tatsächlich lag die Rückfallquote bei Naikan-Teilnehmern laut einer Evaluationsstudie von Akira Ishii aus den 1980er Jahren um rund ein Viertel niedriger als Nicht-Teilnehmern (Müller-Ebling 2008: 184; siehe auch www.Naikan.de).


ist ein aus [[Japan]] stammender Weg, der zu [[Selbsterkenntnis]] führen soll. Die Wortbedeutung ergibt sich aus NAI = Inneres und KAN = Beobachten. Grundlage ist eine stille und intensive Betrachtung der eigenen Lebensgeschichte.  
== Methode ==
Bei Naikan geht es darum, innerlich - in aller unabgelenkten Stille - sich mit drei Fragen auseinanderzusetzen.  


Die Methode des Naikan will gleichzeitig [[Meditation|meditativ]] und [[Psychologie|psychisch]] wirksam sein. Sie ist vollständig frei von religiösen oder psychologischen Inhalten.
*Was hat mir ein bestimmter Mensch Gutes getan?
*Was habe ich diesem Menschen Gutes getan?
*Welche Schwierigkeiten habe ich dieser Person bereitet?


Naikan beruht auf der Erkenntnis, dass wir unsere [[Persönlichkeit]] und Sicht der Welt selbst erschaffen haben, und damit auch viele unserer Blockaden und [[Konflikt]]e. Naikan soll eine Möglichkeit bieten, die eigene Vergangenheit, andere Menschen und sich selbst in neuem Licht zu sehen.
Begonnen wird mit der Mutter, für jeweils aufeinanderfolgende Lebensabschnitte von etwa fünf Jahren. Dabei wird das gesamtes Leben mit der Mutter betrachtet, von der Geburt bis zur letzten Erinnerung. Dies wird mit allen wichtigen [[Bezugsperson]]en wiederholt. Der Naikan-Leiter kommt in regelmäßigen Abständen an den Platz und begleitet den Naikan-Praktizierenden bei dieser Schau der Vergangenheit.


Naikan hat nicht zum Ziel, die Persönlichkeit zu verändern. Es gibt im Naikan keinen [[Therapeut]]en, keine [[Interpretation]]en, keine Kommentare, und es finden weder [[Dialog]]e noch Gruppenprozesse statt. Alles, was geübt wird, ist eine neue [[Wahrnehmung]], die alte Blockaden und Beziehungsmuster auflösen soll.  
Dabei  geht es in der
*1.Frage um die Beziehungen (zur Mutter, zum Vater..)
*2.Frage um das Miteinander im Tun mit der entsprechenden Bezugsperson. Hier tritt eine erste Beschämung auf: Ich habe für sie nichts oder wenig gemacht...
*3.Frage um die soziale Verantwortung, das ist meist schmerzhaft und spricht das Ehr- u Schamgefühl an. Oft kommt es dann zu Tränen. Sie führt dann dazu, aktiv die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Sie lehrt, sich selbst von außen zu sehen. Das kann das Empathievermögen und die soziale Kompetenz stärken.


Fragen werden innerlich, in der Stille, beantwortet. Begonnen wird mit der Mutter, für jeweils aufeinanderfolgende Lebensabschnitte von etwa fünf Jahren. Dabei wird das gesamtes Leben mit der Mutter betrachtet, von der Geburt bis zur letzten Erinnerung.  
Claudia Müller-Ebeling (2008: 184, siehe auch www.Naikan.de) schreibt zu den Zielen von Naikan-Übungen: "Diesesr Prozess der Innenschau bewirkt eine Veränderung der eigenen Perspektive. Man erkennt die Tragweite der Selbstverantwortung und wie sehr man tatsächlich seines eigenen Glückes Schmied ist. Die Konzentration auf diese drei Fragen und das Fehlen der vierten Frage 'Welche Schwierigkeiten haben andere mir bereitet?', die normalerweise unseren inneren Monolog beherrscht, führen dazu, dass man sich als Handelnnder und nicht als Opfer wahrnimmt."


Dies wird mit allen wichtigen [[Bezugsperson]]en wiederholt. Der Naikan-Leiter kommt in regelmäßigen Abständen an unseren Platz und begleitet uns bei dieser besonderen Schau der Vergangenheit.
Naikan macht es möglich, die eigene Vergangenheit, andere Menschen und sich selbst in neuem Licht zu sehen. Ziel ist nicht die Veränderung der Persönlichkeit. Es gibt keinen [[Therapeut]]en, keine [[Interpretation]]en, keine Kommentare. Es finden weder [[Dialog]]e noch Gruppenprozesse statt. Alles, was geübt wird, ist eine neue [[Wahrnehmung]], die alte Blockaden und Beziehungsmuster auflösen soll.  


Erinnert werden sollen nur tatsächliche Ereignisse - alle [[Meinung]]en, [[Wertung]]en und Interpretationen werden beiseite gelassen. Die Fragen klingen einfach, doch sie sollen tief in die innere Erlebniswelt führen und nach und nach ihre Wirkung entfalten.
Erinnert werden sollen nur tatsächliche Ereignisse - alle [[Meinung]]en, [[Wertung]]en und Interpretationen werden beiseite gelassen. Die Fragen klingen einfach, doch sie sollen tief in die innere Erlebniswelt führen und nach und nach ihre Wirkung entfalten.


Im Naikan werden nicht die Probleme betrachtet, sondern es wird versucht, Lösungen zu erfinden. Diese sollen darin bestehen, das Erlebte anders zu betrachten und soll im psychischen und spirituellen Sinn heilsam und erfüllend wirken.  
Im Naikan werden nicht die Probleme betrachtet, sondern es wird versucht, Lösungen zu erfinden. Diese sollen darin bestehen, das Erlebte anders zu betrachten. Am Beginn steht eine besondere, intensive Versöhnung mit den Eltern und anderen Angehörigen. Die Naikan-Erfahrung weitet sich aus zu den Beziehungen zu Menschen und Dingen unseres Alltags.
 
Am Beginn steht eine besondere, intensive Versöhnung mit den Eltern und anderen Angehörigen. Die Naikan-Erfahrung weitet sich aus zu den Beziehungen zu Menschen und Dingen unseres Alltags. Die Wahrnehmung der Welt soll sich verändern.
 
Im Naikan sollen die Erkenntnisse allein aus der Kraft der [[Selbstbetrachtung]] und [[Aufmerksamkeit]] wachsen. Dabei sollen sich neue Einsichten von selbst einstellen, ohne etwas dazulernen zu müssen.
Die drei Fragen des Naikan:
1. Was hat ein ( mir nahestehender) Mensch für mich im Zeitraum xy getan, meist in Fünf-Jahresschritten?
2. Was habe ich für ihn im Zeitraum xy getan?
3. Welche Schwierigkeiten habe ich ihm im Zeitraum xy bereitet?


Dabei  geht es in der
== Probleme ==
- 1.Frage um die Beziehungen (zur Mutter, zum Vater,..)
- 2.Frage um das Miteinander im Tun mit der entsprechenden Bezugsperson. Hier tritt eine erste Beschämung auf: Ich habe für sie nichts oder wenig gemacht...
- 3.Frage um die soziale Verantwortung, das ist meist schmerzhaft und spricht das Ehr- u Schamgefühl an. Oft kommt es dann zu Tränen. Sie führt dann dazu, aktiv die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Sie lehrt, sich selbst von außen zu sehen. Und wenn ich das kann, dann beziehe ich das auch auf andere Menschen und kann mich in sie hineinversetzen. Eine Stärkung der sozialen Kompetenz ist die Folge.


Gibt es Hinweise auf stärkere familiäre Probleme, insbesondere eine Verstrickung des Teilnehmers mit den Schicksalen von Familienangehörigen, sollte dies zuvor mit einem Familientherapeuten geklärt werden. Oft ist eine Familienaufstellung sinnvoll, bevor mit Naikan begonnen wird.
Der Befürchtung, dass die durch Naikan erzeugten Schamgefühle Schuldkomplexe hervorrufen und das Selbstwertgefühl der Praktizierenden ruinieren könnte, halten Naikan Lehrer entgegen, dass solche Vorstellungen aus "westlichen" Vorstellungen vom "Selbst" stammten, die sich grundsätzlich von buddhistischen Vorstellungen vom Selbst unterschieden.


Das erste deutsche Naikan-Zentrum wurde von Gerald Steinke in Tarmstedt bei Bremen gegründet.
Der Fokus auf den Familien-Beziehungen im traditionellen Naikan ist bei Personen mit fragmentierten oder ausgesprochen dysfunktionalen Familienhintergründen nicht so angemessen. Es gibt allerdings auch - wie in der buddhistischen metta meditation (mettā bhāvanā) - keine dringende Notwendigkeit, unbedingt mit den Familienbeziehungen als Ausgangspunkt zu beginnen. Der Nutzen der Betrachtung der Familienbeziehungen liegt nur eben meist darin, dass diese oft emotional ausgesrpochen komplex und stark mit unserer "Selbst"-Wahrnehmung verbunden sind.


== Literatur ==
* Gerald Steinke/Claudia Müller-Ebeling: "Naikan - Versöhnung mit sich selbst"; Kamphausen-Verlag 2003
* Claudia Müller-Ebeling: "Naikan Praxisbuch"; Kamphausen 2004
* Gregg Krech: ''Die Kraft der Dankbarkeit''
* Dr. Detlev  Bölter: "Drei Fragen, die die Welt verändern", Kamphausen-Verlag 2004 (speziell für Fortgeschrittene und Psychotherapeuten)
== Ursprung ==
Entwickelt wurde Naikan in den 1950er Jahren von dem japanischen Geschäftsmann Ishin Yoshimoto, der die Methode in den Strafvollzug einführte. Nach einer Evaluationsstudie von Akira Ishii aus den 1980er Jahren wiesen Naikan-Teilnehmer eine um rund ein Viertel niedrigere Rückfallquote als Nicht-Naikan-Teilnehmer auf (Müller-Ebling 2008: 184).


== Naikan im deutschen Strafvollzug ==
== Naikan im deutschen Strafvollzug ==


In Deutschland wird Naikan seit 2001 in 10 Haftanstalten angeboten. "In der JVA Braunschweig wurde sogar ein Anstalten übergreifendes Naikanzentrum mit sechs Plätzen eingerichtet, wo die Teilnehmer sieben Tage von 06.00 bis 21.00 Uhr Naikan üben und auf sämtliche Ablenkungen von außen verzichten. Über 300 Gefangene nahmen bislang an diesen Schweigeseminaren teil. Selbst hartgesottene Straftäter werden sich hierbei ihrer Taten bewusst und konfrontieren sich mit den Auswirkungen auf ihre Opfer" (Müller-Ebeling 2008: 183).  
In Deutschland wird Naikan seit 2001 bundesweit in 10 Haftanstalten angeboten. Zahlreiche Mitarbeiter des Justizvollzuges und Gefangene haben bereits an einem Naikanseminar teilgenommen. "In der JVA Braunschweig wurde sogar ein Anstalten übergreifendes Naikanzentrum mit sechs Plätzen eingerichtet, wo die Teilnehmer sieben Tage von 06.00 bis 21.00 Uhr Naikan üben und auf sämtliche Ablenkungen von außen verzichten. Über 300 Gefangene nahmen bislang an diesen Schweigeseminaren teil. Selbst hartgesottene Straftäter werden sich hierbei ihrer Taten bewusst und konfrontieren sich mit den Auswirkungen auf ihre Opfer" (Müller-Ebeling 2008: 183). Naikan im niedersächsischen Justizvollzug wird vom Kriminologischen Dienst im Bildungsinstitut des niedersächsischen Justizvollzug wissenschaftlich begleitet.
 


== Literatur ==
== Literatur ==


*Bölter, Detlev (2004) Drei Fragen, die die Welt verändern. Bielefeld: Kamphausen.
*Dittschar, Wilhelm & Ishii, Akira (2008) Naikan in der Schule. Bielfeld: Kamphausen
*Krech, Gregg (2003) Die Kraft der Dankbarkeit. Berlin: Theseus
*Müller-Ebeling, Claudia (2004) Naikan Praxisbuch. Bielefeld: Kamphausen.
*Müller-Ebeling, Claudia (2008) Naikan - neue Wege im Justizvollzug. Forum Strafvollzug 57. Heft 4: 183-185.
*Müller-Ebeling, Claudia (2008) Naikan - neue Wege im Justizvollzug. Forum Strafvollzug 57. Heft 4: 183-185.
*Steinke, Gerald/Claudia Müller-Ebeling (2003) Naikan - Versöhnung mit sich selbst. Bielefeld: Kamphausen.
[http://www.naikan.de Naikan-Zentrum]== Weblinks ==
www.naikan.de
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