Definition

"Beweggrund, Anlass, Antrieb"; über das gleichbedeutende mittellateinische "motivum" aus dem Wortstamm des lateinischen Verbs "movere": "bewegen".

Die Frage nach dem Motiv einer Handlung ist die Frage nach eben den Beweggründen, nach – womöglich nicht unmittelbar erschließbaren – Ursachen für ein Verhalten. Grundlage eines Interesses an Motiven ist so einerseits die Annahme, dass ein Motiv mit der Persönlichkeit eines Handelnden verknüpft ist, und andererseits die Annahme, dass sich aus dem insofern persönlichkeitsgebundenen Motiv Aufschlüsse über Hintergründe einer Handlung ergeben können.

In der Psychologie wird das Motiv als "relativ überdauernde Disposition" unterschieden von der Motivation als Beweggrund "für das Hervorbringen einer konkreten Handlung" (GREUEL u a., 1998, S.169). Solche Unterscheidung ist in der kriminologischen Literatur eher implizit zu finden, wenn – ganz entsprechend der psychologischen Unterscheidung – angenommen wird, dass situative Bedingungen auf ein Handlungsmotiv zurückwirken und es verändern (vgl. die Bedingungen, die FELSON in seinem Routineaktivitäten-Ansatz als Voraussetzung einer Tat postuliert).

Facetten des Motivbegriffs

Es gibt eine Reihe von sich z.T. überschneidenden Facetten des Motivbegriffs, die für die Kriminologie Bedeutung haben.

intrinsisch/extrinsisch

Motive können als intrinsisch oder extrinisch beschrieben werden: Der Besitz eines bestimmten Kleidungsstücks ist für mich so eng mit meinem Selbstwertempfinden verknüpft, dass ich es besitzen muss; wenn ich es nicht kaufen kann, stehle ich es (intrinsisch). Ohne dies Kleidungsstück zu stehlen, werde ich niemals die Anerkennung meiner peer-group erlangen (extrinisch).

Die Annahmen der Kontrolltheorie könnten als Widerstreit intrinsischer und extrinsischer Motive beschrieben werden: Das intrinsische Motiv zu einer kriminellen Handlung steht den extrinsischen Motiven gegenüber, die sich aus den sozialen Bezügen ergeben.

Attribuierung

Motive können selbst- oder außenattribuiert werden: Ich sehe mich selbst für mein Handeln verantwortlich oder mache andere (die Gesellschaft, schlechte Einflüsse, eine psychische Erkrankung…) dafür verantwortlich.

Die Theorie der rationalen Wahl betont den Selbstattribuierungaspekt und die daraus folgende Eigenverantwortung, während der Etikettierungsansatz eher Einflüsse von Fremdattribuierung nahe legt.

Wessen Motiv?

Ein Motiv kann ein Verbrechen betreffen und ist dann das "Tatmotiv". Die Klärung des Tatmotivs trägt vor allem für den Außenstehenden sehr dazu bei, eine Tat verstehen und damit in gewisser Weise kontrollieren und bewältigen zu können. Typischerweise wird das Tatmotiv ausführlich in der allgemeinen Presse erörtert.

Auch andere Akteure im Umfeld eines Verbrechens haben Motive: Welches Motiv hat jemand, eine Anzeige zu erstatten (vgl. z.B. SCHWIND, 2007, §20, 4ff)? Welches Motiv hat ein Zeuge, seine Aussage so und nicht anders zu gestalten (hierzu z.B. GREUEL u.a., 1998, S.169ff)?

Literatur

Greuel, L., Offe, S., Fabian, A., Wetzels, P., Fabian, T., Offe, H., Stadler, M.: Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage. Theorie und Praxis der forenisch-psychologischen Begutachtung. Weinheim 1998

Schwind, H.-D.: Kriminologie. Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen. 17., neuberabeitete und erweiterte Auflage. Heidelberg u.a. 2007