Moralisch korrektes Töten: Unterschied zwischen den Versionen

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Das Prinzip der Immunität Unschuldiger bzw. von Nichtkombattanten geht auf Thomas von Aquins Lehre der doppelten Wirkung zurück. Aquin hatte darauf hingewiesen, dass Handlungen mehrere Wirkungen haben können. Folglich kann eine Handlung einerseits die vom Handelnden erwünschte Wirkung haben, andererseits jedoch auch unintendierte Nebenwirkungen.  
Das Prinzip der Immunität Unschuldiger bzw. von Nichtkombattanten geht auf Thomas von Aquins Lehre der doppelten Wirkung zurück. Aquin hatte darauf hingewiesen, dass Handlungen mehrere Wirkungen haben können. Folglich kann eine Handlung einerseits die vom Handelnden erwünschte Wirkung haben, andererseits jedoch auch unintendierte Nebenwirkungen.  


Aus dieser Unterscheidung der Handlungsfolgen schließt Aquin, dass die ''absichtliche'' Tötung oder Verletzung Unschuldiger Personen moralisch nicht gerechtfertigt ist. Die ''Inkaufnahme'' von unintendierten Handlungsfolgen -sogenannten "Kollateralschäden"- kann hingegen gerecht sein, wenn die vorausgesehenen schlechten Folgen in einem akzeptablen Verhältnis zum guten Zweck stehen.  
Aus dieser Unterscheidung der Handlungsfolgen schließt Aquin, dass die ''absichtliche'' Tötung oder Verletzung unschuldiger Personen moralisch nicht gerechtfertigt ist. Dabei ist es irrelevant, ob diese absichtliche Handlung einen Selbstzweck darstellt, oder als Mittel zur Erreichung des gewünschten Zweckes eingesetzt wird. Die bloße ''Inkaufnahme'' von unintendierten Handlungsfolgen -sogenannten "Kollateralschäden"- kann hingegen gerecht sein, wenn die vorausgesehenen schlechten Folgen in einem akzeptablen Verhältnis zum guten Zweck stehen.  


Die Vertreter der Theorie des gerechten Krieges beziehen sich auf Aquins Lehre von der doppelten Wirkung, und erklären die Kriegsführung, die sich an das besagte Prinzip hält, für gerecht.
Die Vertreter der Theorie des gerechten Krieges beziehen sich auf Aquins Lehre von der doppelten Wirkung, und erklären die Kriegsführung, die sich an das besagte Prinzip hält, für gerecht. Auf diese Weise wird argumentiert, dass beispielsweise der Abwurf einer Bombe auf eine gegnerische Munitionsfabrik gerecht sein könne, auch wenn dieser die Tötung von Unschuldigen zur Folge hat, da das Ziel des Angriffs die Munitionsfabrik sei und die getöteten Personen lediglich eine Nebenfolge dieses Angriffs darstellten. Die Angriffe der Alliierten auf deutsche Städte im zweiten Weltkrieg hingegen, bei denen das erklärte Ziel die Tötung von Zivilisten gewesen sei, sei nicht gerecht.


===Pazifismus===
===Pazifismus===

Version vom 19. März 2010, 17:44 Uhr

"Moralisch korrektes Töten" ist der Titel eines 2005 erschienenen Buches von Uwe Steinhoff. Die Diskussion der Ethik des Krieges und des Terrorismus stellt, wie Steinhoff im Vorwort erklärt, ein Zwischenergebnis seiner Beschäftigung mit den ethischen Aspekten der politischen Gewalt dar. Die Beschäftigung mit diesem Teilgebiet sei durch die Anschläge auf das World Trade Center im Jahr 2001 und dem folgenden "War on Terror" besonders angespornt worden. Trotz der Bezüge zum aktuellen politischen Geschehen sei es jedoch das Ziel des Buches, die Ethik des Krieges und des Terrorismus grundsätzlich zu klären.

Dabei wendet sich Steinhoff gegen die vorherrschende Doppelmoral in der Beurteilung von Krieg und Terrorismus. Diese zeige sich darin, dass die Bezeichnung einer Handlung als "terroristisch" oder "nicht terroristisch" nicht an Eigenschaften der Handlung festgemacht wird, sondern an Eigenschaften ihres Urhebers. Gleichzeitig sei die Bezeichnung als "terroristisch" immer zugleich ein Unwerturteil: Terrorismus könne niemals moralisch gerechtfertigt sein. Deshalb würden nur die Handlungen des jeweiligen politischen Gegners als terroristisch bezeichnet. Steinhoff hingegen strebt eine wertfreie Definition von "Terrorismus" an, und versucht zu zeigen, dass Terrorismus unter bestimmten Umständen moralisch gerechtfertigt sein kann.

Steinhoff setzt sich in diesem Buch mit den Positionen zweier Theorierichtungen der moralphilosophischen Diskussion des Krieges und des Terrorismus auseinander, die er beide zurückweist: die Theorie des gerechten Krieges und den Pazifismus. Ziel seiner Analyse ist eine Ethik des Krieges auf der Grundlage einer "aufgeklärten, liberalen und individualrechtlichen Perspektive".

Die Theoretiker des gerechten Krieges schlagen eine Unterscheidung zwischen dem jus ad bellum (Rechtmäßigkeit des Kriegseintritts bzw. des Fortsetzens des Krieges) und des jus in bello (Rechtmäßigkeit der Kriegsführung) vor, und nennen für diese jeweils spezifische Kriterien. Steinhoff konstruiert seine Ethik des Krieges auf der Grundlage der Diskussion dieser Kriterien. Anschließend wendet er die aufgestellten Prinzipien auf die Strategie des Terrorismus an.

Jus ad bellum

Legitime Autorität

Das erste Kriterium für einen gerechten Krieg lautet, dass der Krieg von einer legitimen Autorität beschlossen wurde. So argumentiert Coates beispielsweise, dass dieses Prinzip den Versuch darstelle, private Kriege und den Terrorismus zu bekämpfen, indem es ein öffentliches Gewaltmonopol konstituiert. Es sei somit eine Voraussetzung für die zivile Gesellschaft. Legitime Gewalt könne folglich nur öffentliche Gewalt sein.

Steinhoff setzt diesem Argument entgegen, dass das Durchbrechen dieses Gewaltmonopols ebenfalls eine historische und unumgehbare Voraussetzung für die Demokratisierung sei, Beispiele hierfür seien die Durchsetzung der Demokratie gegen den Absolutismus in Frankreich oder die Unabhängigkeit der USA von Großbritannien.

Er betrachtet das Prinzip der legitimen Autorität nicht als Garant der zivilen Gesellschaft, sondern vielmehr als ein Relikt des Mittelalters, das dessen anti-individualistisches und kollektivistisches Vorurteil widerspiegle. Im Mittelalter existierten noch keine Individualrechte, und folglich auch nicht das Recht des Einzelnen, seine Rechte gegen andere - auch den Staat - mit Gewalt durchzusetzen, wenn diese sie missachteten.

Steinhoff weist das Prinzip der legitimen Autorität als Kriterium eines gerechten Krieges zurück, weil es auf der Vorstellung beruht, der Staat könne Rechte haben, die der Einzelne nicht hat. Er bezieht sich an dieser Stelle auf Locke, demzufolge die Gemeinschaft nur Rechte haben kann, welche ihm die Mitglieder übertragen haben. Hat die Gemeinschaft unter bestimmten Umständen ein "Recht auf Krieg", so hat der Einzelne dieses Recht ebenfalls, es ist also in erster Linie ein Individualrecht. Die Theorie des gerechten Krieges hat folglich Privatkriege zu Unrecht ausgeschlossen.

Das Prinzip der legitimen Autorität habe lediglich eine sinnvolle Funktion, wenn es innerhalb einer Gesellschaft um den Eintritt in einen öffentlichen Krieg gehe. Da öffentliche Kriege im Gegensatz zu Privatkriegen im Namen der gesamten Gemeinschaft geführt werden, dürfe in diesem Fall nicht der Einzelne für die Gemeinschaft entscheiden.

Gerechter Grund (nebst Unterkriterien) und gerechte Absicht

Neben der legitimen Autorität werden für die Gerechtigkeit eines Kriegseintritts folgende Kriterien genannt:

  • Es besteht ein gerechter Grund zum Kriegseintritt wie zum Beispiel die Verteidigung gegen einen Aggressor.
  • Der Krieg wird mit gerechten Absichten geführt - also im Sinne des gerechten Grundes und ohne den Plan, sich darüber hinaus einen Vorteil wie die Aneignung von Ressourcen oder der Machtsteigerung zu verschaffen.
  • Der Krieg erfüllt die Bedingung der Proportionalität. Er ist verhältnismäßig, richtet also nicht mehr Unheil an als er abwendet.
  • Es besteht die Aussicht auf Sieg.
  • Der Krieg ist das letzte Mittel (ultima ratio).

Steinhoff diskutiert diese Kriterien mit dem Ziel einer logischen Reorganisation. Als Kriterien für die Zulässigkeit eines Krieges kommen seiner Ansicht nach nur der gerechte Grund und die gerechte Absicht in Frage. Die Kriterien der Proportionalität, Erfolgsaussicht und des letzten Mittels sind keine unabhängigen Kriterien, sondern lediglich Unterkriterien des gerechten Grundes.

Diese Abhängigkeit der Kriterien ergibt sich aus dem Umstand, dass nicht jeder gerechte Grund gleichermaßen Gewalthandlungen zu legitimieren vermag. Vielmehr ist es genau der Grund des Krieges, welcher Proportionalitätserwägungen unterzogen werden muss. Dabei muss geprüft werden, ob der Kriegsgrund hinreichend schwerwiegend ist, um die erwarteten Kosten - z.B. der Leben unschuldiger Opfer eines Krieges - hinzunehmen. Wird diese Frage verneint, liegt zwar ein gerechter, aber kein hinreichender Grund vor, und der Krieg ist somit nicht zulässig. Insofern ist die Proportionalitätserwägung kein logisch unabhängiges Kriterium, sondern ist dem Kriterium des gerechten Grundes untergeordnet.

Auch die Kriterien des letzten Mittels und der Erfolgsaussicht können nicht als unabhängige Kriterien beibehalten werden. Vielmehr stellen sie ihrerseits Unterkriterien der Bedingung der Proportionalität dar. Um gerechtfertigt zu sein, muss ein Krieg nicht das letzte Mittel darstellen, denn auch unter der Annahme alternativer Mittel kann der Krieg das geringere Übel sein. So führen beispielsweise wirtschaftliche Sanktionen oft zu mehr unschuldigen Todesopfern als eine militärische Intervention. Folglich ist das Kriterium des letzten Mittels ebenfalls Teil der Proportionalitätserwägung, da geprüft werden muss, ob es eine Alternative gibt, die weniger moralische Kosten verursacht. Auch die Bedingung der Erfolgsaussicht wird Proportionalitätserwägungen ausgesetzt. Denn unter besonderen Umständen wie der Verteidigung gegen einen Aggressor, kann ein Krieg auch ohne Aussicht auf Erfolg gerecht sein.

Jus in bello

Die zentrale Frage der Rechtmäßigkeit der Kriegsführung lautet folgendermaßen: "Wen, falls überhaupt, darf man im Krieg töten (und warum)?" (49). Für die Bewertung moderner Kriege, bei denen immer auch Zivilisten getötet werden, ist besonders die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Tötung Unschuldiger relevant. Steinhoff diskutiert die folgenden zwei Antworten auf diese Frage, welche er beide zugunsten einer dritten Lösung ablehnt:

  1. Die Lehre von der doppelten Wirkung
  2. Verbot jedweder wissentlicher Tötung Unschuldiger (Pazifismus).

Die Lehre der doppelten Wirkung

Das Prinzip der Immunität Unschuldiger bzw. von Nichtkombattanten geht auf Thomas von Aquins Lehre der doppelten Wirkung zurück. Aquin hatte darauf hingewiesen, dass Handlungen mehrere Wirkungen haben können. Folglich kann eine Handlung einerseits die vom Handelnden erwünschte Wirkung haben, andererseits jedoch auch unintendierte Nebenwirkungen.

Aus dieser Unterscheidung der Handlungsfolgen schließt Aquin, dass die absichtliche Tötung oder Verletzung unschuldiger Personen moralisch nicht gerechtfertigt ist. Dabei ist es irrelevant, ob diese absichtliche Handlung einen Selbstzweck darstellt, oder als Mittel zur Erreichung des gewünschten Zweckes eingesetzt wird. Die bloße Inkaufnahme von unintendierten Handlungsfolgen -sogenannten "Kollateralschäden"- kann hingegen gerecht sein, wenn die vorausgesehenen schlechten Folgen in einem akzeptablen Verhältnis zum guten Zweck stehen.

Die Vertreter der Theorie des gerechten Krieges beziehen sich auf Aquins Lehre von der doppelten Wirkung, und erklären die Kriegsführung, die sich an das besagte Prinzip hält, für gerecht. Auf diese Weise wird argumentiert, dass beispielsweise der Abwurf einer Bombe auf eine gegnerische Munitionsfabrik gerecht sein könne, auch wenn dieser die Tötung von Unschuldigen zur Folge hat, da das Ziel des Angriffs die Munitionsfabrik sei und die getöteten Personen lediglich eine Nebenfolge dieses Angriffs darstellten. Die Angriffe der Alliierten auf deutsche Städte im zweiten Weltkrieg hingegen, bei denen das erklärte Ziel die Tötung von Zivilisten gewesen sei, sei nicht gerecht.

Pazifismus

Nichtkombattanten-Immunität und die Definition von Schuld und Unschuld

Die Ethik des Terrorismus

Literatur

  • Steinhoff, Uwe (2005): Moralisch korrektes Töten. Zur Ethik des Krieges und des Terrorismus. Neu-Isenburg: Melzer.

Weblinks

Diskussion zwischen Steinhoff und Oberhem in dessen Weblog [1]