Maßregeln der Besserung und Sicherung: Unterschied zwischen den Versionen

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== Entstehungsgeschichte ==
== Entstehungsgeschichte ==
Die Wurzeln der Institution "Maßregeln der Besserung und Sicherung" reichen (zumindest) zurück bis zum Marburger Programm und zur Idee der schuldunabhängigen Sicherung der Gesellschaft vor weiteren Taten gefährlicher und unverbesserlicher Täter (von Liszt, 1883: 38, zitiert nach Schewe, 1999: 3). Während v. Liszt die Strafe überhaupt zugunsten der Maßregeln aufgeben wollte, setzte sich dann als Kompromiss die Idee des Nebeneinanders von Strafen und Maßregeln (Carl Stooss) durch. Stooss sah die Strafe als schuldabhängig, wollte aber auch bei schuldunfähigen gefährlichen Tätern eine sichernde Sanktion ermöglichen. Deshalb baute er in seinen Vorentwurf des allgemeinen Teils des schweizerischen Strafrechts erstmalig sichernde Maßnahmen in das vorhandene Strafrecht ein.  
Die Wurzeln der Institution "Maßregeln der Besserung und Sicherung" reichen (zumindest) zurück bis zum Marburger Programm und zur Idee der schuldunabhängigen Sicherung der Gesellschaft vor weiteren Taten gefährlicher und unverbesserlicher Täter (von Liszt, 1883: 38, zitiert nach Schewe, 1999: 3). Während [[Franz v. Liszt]] die Strafe überhaupt zugunsten der Maßregeln aufgeben wollte, setzte sich dann als Kompromiss die Idee des Nebeneinanders von Strafen und Maßregeln ([[Carl Stooss]]) durch. Stooss sah die Strafe als schuldabhängig, wollte aber auch bei schuldunfähigen gefährlichen Tätern eine sichernde Sanktion ermöglichen. Deshalb baute er in seinen Vorentwurf des allgemeinen Teils des schweizerischen Strafrechts erstmalig sichernde Maßnahmen in das vorhandene Strafrecht ein.  


Eingeführt wurden die Maßregeln der Besserung und Sicherung in Deutschland durch das (NS-) Gewohnheitsverbrechergesetz (= Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933).
Eingeführt wurden die Maßregeln der Besserung und Sicherung in Deutschland durch das (NS-) Gewohnheitsverbrechergesetz (= Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933).
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Einzelne frühere Vorschläge aus der Weimarer Zeit werden vom Naziregime derartig umgebogen, um sie als Instrumente für die Durchsetzung politischer Zwecke nützlich zu machen.
Einzelne frühere Vorschläge aus der Weimarer Zeit werden vom Naziregime derartig umgebogen, um sie als Instrumente für die Durchsetzung politischer Zwecke nützlich zu machen.
Zum Beispiel wurde im Zusammenhang mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ bereits im Sommer 1933 über eine Vorschrift beraten, die die Sterilisation und Kastration von Straftätern möglich machen soll. Hitler gibt ein Sondergesetz über die „Entmannung von gemeingefährlichen Sexualverbrechern und die Unfruchtbarmachung von Gewohnheitsverbrechern“ in Auftrag. (vgl. Müller: 1997, 34 ff.)<br>
Zum Beispiel wurde im Zusammenhang mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ bereits im Sommer 1933 über eine Vorschrift beraten, die die Sterilisation und Kastration von Straftätern möglich machen soll. Hitler gibt ein Sondergesetz über die „Entmannung von gemeingefährlichen Sexualverbrechern und die Unfruchtbarmachung von Gewohnheitsverbrechern“ in Auftrag. (vgl. Müller: 1997, 34 ff.)<br>
Die gesetzlichen Hürden für die Sicherungsverwahrung wurden so niedrig gesetzt, dass die Anordnungen  beliebig ausgedehnt werden konnten. Diese Maßnahmen gipfelten dann zwischen 1939 und 1945 in organisierten Tötungsaktionen, die u. a. auch ""PatientInnen"" der psychiatrischen Maßregel und Sicherungsverwahrte betraf.  (vgl. Dessecker, 2004: 98 ff.) <br>
Die gesetzlichen Hürden für die Sicherungsverwahrung wurden so niedrig gesetzt, dass die Anordnungen  beliebig ausgedehnt werden konnten. Diese Maßnahmen gipfelten dann zwischen 1939 und 1945 in organisierten Tötungsaktionen, die u. a. auch "PatientInnen" der psychiatrischen Maßregel und Sicherungsverwahrte betraf.  (vgl. Dessecker, 2004: 98 ff.) <br>
Nach 1945 wird die Maßregel der „Entmannung“ als nationalsozialistisches Unrecht aufgehoben. Die 1941 eingeführte Todesstrafe für Gewohnheits- und Sittlichkeitsverbrecher wurde abgeschafft. (vgl. Müller: 1997, 95) In der amerikanischen Zone wird vorübergehend das Arbeitshaus abgeschafft. <br>
Nach 1945 wird die Maßregel der „Entmannung“ als nationalsozialistisches Unrecht aufgehoben. Die 1941 eingeführte Todesstrafe für Gewohnheits- und Sittlichkeitsverbrecher wurde abgeschafft. (vgl. Müller: 1997, 95) In der amerikanischen Zone wird vorübergehend das Arbeitshaus abgeschafft. <br>
Die DDR übernimmt die Sicherungsverwahrung nicht. Auch im Einigungsvertrag wird sie erst nicht mit übernommen. 1995 wird sie dann auch in den neuen Bundesländern eingeführt.  
Die DDR übernimmt die Sicherungsverwahrung nicht. Auch im Einigungsvertrag wird sie erst nicht mit übernommen. 1995 wird sie dann auch in den neuen Bundesländern eingeführt.  
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===§66 <nowiki>StGB</nowiki>-Sicherungsverwahrung===
===§66 <nowiki>StGB</nowiki>-Sicherungsverwahrung===
 
Im Gegensatz zu den vorher genannten Maßregeln (nach den §§ 63 und 64 <nowiki>StGB</nowiki>) Untergebrachten, steht bei der [[Sicherungsverwahrung]] die "sichere Unterbringung" zum Schutz der Allgemeinheit im Vordergrund (§ 129 StVollzG). Unter dem Einfluss des Prinzips der Resozialisierung sollen jedoch auch hier Angebote zur Wiedereingliederung gemacht werden.
Eine Therapie ist im Gegensatz zu den nach den §§ 63 und 64 <nowiki>StGB</nowiki> Untergebrachten, nicht vorgesehen.<br>
Seit einigen Jahren wird die Legitimation der Maßregeln diskutiert. Insbesondere die Sicherungsverwahrung steht dabei im Mittelpunkt.<br>
Am 31. März 2003 befanden sich bundesweit 306 Männer in der Sicherungsverwahrung. Frauen waren zum Stichtag keine untergebracht.(Statistisches Bundesamt 2003)<br>
Alle zwei Jahre muss gerichtlich geprüft werden, ob die Maßnahme weiterhin notwendig ist, oder ob eine Entlassung auf Bewährung möglich ist. <br>
Alle zwei Jahre muss gerichtlich geprüft werden, ob die Maßnahme weiterhin notwendig ist, oder ob eine Entlassung auf Bewährung möglich ist. <br>
Durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 1. April 1998 wurde die zwingende Entlassung aus der ersten Sicherungsverwahrung nach Ablauf von 10 Jahren aufgehoben. Wird festgestellt, dass die Gefahr besteht, dass der Sicherungsverwahrte infolge seines Hanges weitere erhebliche Straftaten begehen wird, kann die Maßregel über die 10 Jahre hinaus vollstreckt werden. Für die Betroffenen heißt das im schlechtesten Fall lebenslänglich. <br>
Durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 1. April 1998 wurde die zwingende Entlassung aus der ersten Sicherungsverwahrung nach Ablauf von 10 Jahren aufgehoben. Wird festgestellt, dass die Gefahr besteht, dass der Sicherungsverwahrte infolge seines Hanges weitere erhebliche Straftaten begehen wird, kann die Maßregel über die 10 Jahre hinaus vollstreckt werden. Für die Betroffenen heißt das im schlechtesten Fall lebenslänglich. <br>
Seit 2002 gibt es die Möglichkeit die Sicherungsverwahrung nachtäglich anzuordnen.
Seither ist es, unter dem Druck einzelner Bundesländer, zu einer beträchtlichen Aufwertung der Sicherungsverwahrung gekommen. 2002 wurde durch § 66a StGBdie Möglichkeit eingeführt, dass ein noch unentschlossenes Tatgericht sich eine spätere Einweisung in die Sicherungsverwahrung ausdrücklich vorbehalten kann. 2004 ging der Bundestag einen Schritt weiter und beschloss in § 66b StGB die Möglichkeit der nachträglichen Verhängung der Sicherungsverwahrung für den Fall, dass sich während des Vollzuges Anhaltspunkte für eine künftige Gefährlichkeit ergeben. Die Entscheidung darüber muss die zusändige Strafvollstreckungskammer treffen. 2008 wurde die Sicherungsverwahrung auch im [[Jugendstrafrecht]] eingeführt.
Sollte sich also erst während des Strafvollzuges herausstellen, dass von dem Gefangenem weitere Straftaten zu befürchten sind, so soll es die Möglichkeit geben ihn weiterhin wegzusperren.
 
Vorraussetzung hierfür ist jedoch, dass dies im Urteil bereits vorbehalten ist.
Einige Bundesländer (Bayern und Sachen-Anhalt, Baden- Württemberg und  Thüringen) haben in ihren Landesgesetzen die rückwirkende Sicherungsverwahrung, ohne das dies im Urteil vorbehalten wurde, geregelt.<br>
Das Bundesverfassungsgericht hat am 5. Februar 2004 diese Regelungen für verfassungswidrig erklärt, betonte aber, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach bundesrecht verfassungskonform sei. Es hat entschieden, „...dass die verfassungswidrigen, aber nicht nichtigen Landesgesetze (Vgl. § 31 Abs. 2 S.3 <nowiki>BVerfGG</nowiki>) bis zum 30. September 2004 anwendbar bleiben, damit der Bundesgesetzgeber eine eigene verfassungskonforme Regelung der nachträglichen Sicherungsverwahrung schaffen kann.
<br>Am 18. Juni hat der Bundestag nach einem Entwurf von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries ein Gesetz beschlossen, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung möglich macht.  
Am 29. Juli 2004 ist dieses Gesetz in Kraft getreten.
===Fazit===
===Fazit===
Seit Bestehen der Maßregeln waren diese immer wieder heftiger Kritik ausgesetzt. <br>
Seit Bestehen der Maßregeln waren diese immer wieder heftiger Kritik ausgesetzt. <br>
Der wohl älteste Vorwurf ist der des Etikettenschwindels. Er wurde bereits vor Einführung der Maßregeln, von Moritz Liebmann erhoben (Dessecker, 2004, S.  25) und dauert bis heute an. Kritisiert wird, dass sich Strafe und Maßregel (insb. die Sicherungsverwahrung) in ihrer Ausgestaltung faktisch nicht voneinander unterscheiden.
Der wohl älteste Vorwurf ist der des Etikettenschwindels. Er wurde bereits vor Einführung der Maßregeln, von [[Moritz Liepmann]] erhoben (Dessecker, 2004, S.  25) und dauert bis heute an. Kritisiert wird, dass sich Strafe und Maßregel (insb. die Sicherungsverwahrung) in ihrer Ausgestaltung faktisch nicht voneinander unterscheiden.


== Maßregeln ohne Freiheitsentzug ==
== Maßregeln ohne Freiheitsentzug ==
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*Gronemeyer, D. Zur Reformbedürftigkeit der strafrechtlichen Fahrerlaubnisentziehung und des strafrechtlichen Fahrverbots, Frankfurt am Main: Lang, 2001  
*Gronemeyer, D. Zur Reformbedürftigkeit der strafrechtlichen Fahrerlaubnisentziehung und des strafrechtlichen Fahrverbots, Frankfurt am Main: Lang, 2001  
*Kaiser, G.: Befinden sich die kriminalrechtlichen Maßregeln in der Krise? Heidelberg: C.F. Müller,1990  
*Kaiser, G.: Befinden sich die kriminalrechtlichen Maßregeln in der Krise? Heidelberg: C.F. Müller,1990  
*Mushoff, T.: ""BVerfG"" zur Sicherungsverwahrung. Forum Recht Heft 2 (2004), S. 66   
*Mushoff, T.: BVerfG zur Sicherungsverwahrung. Forum Recht Heft 2 (2004), S. 66   
*Meier, B.-D.: Strafrechtliche Sanktionen. Berlin u. a.: Springer, 2001, S. 217-307  
*Meier, B.-D.: Strafrechtliche Sanktionen. Berlin u. a.: Springer, 2001, S. 217-307  
*Müller, Christian: Das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24.11.1933. Kriminalpolitik als Rassenpolitik. Baden-Baden, Nomos, 1997  
*Müller, Christian: Das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24.11.1933. Kriminalpolitik als Rassenpolitik. Baden-Baden, Nomos, 1997  
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