Leipziger Prozesse: Unterschied zwischen den Versionen

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Am 10.01.1921 fanden sich im ersten der Leipziger Prozesse drei ehemalige Pioniere, die auf keiner Auslieferungsliste gestanden hatte, vor Gericht wieder. Weil sie mit gezogener Waffe im Oktober 1918 in einem belgischen Gasthaus Geld und Wertgegenstände entwendet hatten, wurden sie der Plünderung gem. § 133 Militärstrafgesetzbuch für schuldig befunden und zu Gefängnisstrafen zwischen 2 und 5 Jahren verurteilt. Die Verurteilung erfolgte nicht nach der Haager Landkriegsordnung von 1907 (Art. 28 und 47). Das Gericht sah kein Kriegsverbrechen, sondern ein Verbrechen bei Gelegenheit des Krieges.
Am 10.01.1921 fanden sich im ersten der Leipziger Prozesse drei ehemalige Pioniere, die auf keiner Auslieferungsliste gestanden hatte, vor Gericht wieder. Weil sie mit gezogener Waffe im Oktober 1918 in einem belgischen Gasthaus Geld und Wertgegenstände entwendet hatten, wurden sie der Plünderung gem. § 133 Militärstrafgesetzbuch für schuldig befunden und zu Gefängnisstrafen zwischen 2 und 5 Jahren verurteilt. Die Verurteilung erfolgte nicht nach der Haager Landkriegsordnung von 1907 (Art. 28 und 47). Das Gericht sah kein Kriegsverbrechen, sondern ein Verbrechen bei Gelegenheit des Krieges.


=== Die späteren Verfahren ===
In den weiteren Verfahren kam es nur zu einer juristischen Neuerung: neben dem bereits zur Anwendung gekommenen Militärstrafgesetzbuch wurde nun auch das zivile Reichs-Strafgesetzbuch (RStGB) herangezogen, um Delikte zu erfassen, die vom Militärstrafrecht nicht abgedeckt wurden. Dass hingegen auch Kriegshandlungen "völkerrechtliche Grenzen gezogen waren, bei deren Überschreitung eine strafrechtliche Sanktion drohen konnte, hatte in der Vorstellung der deutschen Justiz keinen Platz“ (Hankel 2003: 92). Einen eigenständigen Begriff von "Kriegsverbrechen" entwickelten die Leipziger Prozesse nicht.  
In den weiteren Verfahren kam es nur zu einer juristischen Neuerung: neben dem bereits zur Anwendung gekommenen Militärstrafgesetzbuch wurde nun auch das zivile Reichs-Strafgesetzbuch (RStGB) herangezogen, um Delikte zu erfassen, die vom Militärstrafrecht nicht abgedeckt wurden. Dass hingegen auch Kriegshandlungen "völkerrechtliche Grenzen gezogen waren, bei deren Überschreitung eine strafrechtliche Sanktion drohen konnte, hatte in der Vorstellung der deutschen Justiz keinen Platz“ (Hankel 2003: 92). Einen eigenständigen Begriff von "Kriegsverbrechen" entwickelten die Leipziger Prozesse nicht.  


In der Zeit zwischen Januar 1921 und November 1922 gab es insgesamt nur 17 Verfahren, darunter 11, die die Alliierten verhandelt wissen wollten. Von diesen 11 endeten 4 mit einer recht milden Verurteilung, die restlichen 7 Urteile lauteten auf Freispruch. Dieses Resultat rief bei den Alliierten Protest und große Unzufriedenheit hervor. In diesem Zusammenhang wurde bereits im August 1921 eine interalliierte Kommission gegründet, die sich aus Vertretern Belgiens, Frankreichs, Großbritanniens und Italiens zusammensetzte, um die Arbeit des Reichsgerichts zu beobachten und beurteilen zu können. Die Kommission fungierte dabei lediglich als eine Art Prozessbeobachter und mischte sich nicht weiter in die Verfahrensabläufe oder den Prozess ein.
Die weiteren Verfahren verliefen nicht zur Zufriedenheit der Alliierten. Im August 1921 gründeten sie eine interalliierte Kommission aus Vertretern Belgiens, Frankreichs, Großbritanniens und Italiens, um die Arbeit des Reichsgerichts zu beobachten und beurteilen zu können. Im August 1922 kam die Kommission einstimmig zu dem Ergebnis, dass das Leipziger Reichsgericht nicht in der Lage sei, unvoreingenommen zu verhandeln: die Strafen seien stets zu gering und der Anteil der Freisprüche insgesamt zu hoch. Daraufhin kündigten die betreffenden Staaten am 23.08.1922 die weitere Zusammenarbeit mit dem Reichsgericht auf. Nur die Probeliste sollte noch abgearbeitet werden. Ansonsten würden keine Unterlagen mehr übersandt.


Im August 1922 erfolgte aufgrund der bisherigen Prozessverläufe eine offizielle Empfehlung jener Kommission an die jeweiligen alliierten Regierungen und war äußerst weitreichend in ihrer Wirkung. Die Kommission kam einstimmig zu dem Ergebnis, dass das Leipziger Reichsgericht nicht in der Lage war, unvoreingenommen zu verhandeln und die Strafen stets zu gering und der Anteil der Freisprüche insgesamt zu hoch sei. Die betreffenden Staaten nahmen diese Empfehlung zum Anlass und sendeten am 23. August 1922 eine gemeinsame Note an Deutschland, worin die weitere Zusammenarbeit alliierter Behörden mit dem Reichsgericht aufgekündigt wurde. Nur bei jenen Angeklagten, deren Namen auf der Probeliste standen, wurde noch kooperiert, doch in allen anderen Fällen fand keine Übermittlung von Unterlagen mehr statt. Daher stand für die Ermittlungsarbeit des Reichsgerichts fest, dass es keine Verbesserung der Informationslage durch alliierte Dokumente geben und auch nicht zu einer Vernehmung ausländischer Zeugen kommen würde. Das Resultat hieraus war an Deutlichkeit kaum zu überbieten. Als am 17. November 1922 gegen den Angeklagten Max Grüner eine Strafe von zwei Jahren Zuchthaus aufgrund schwerer Plünderung gemäß §§ 129, 133 MStGB verhängt wurde, war dies die letzte Strafe, die das Reichsgericht in einem Urteil verhängte und zugleich die letzte öffentliche Sitzung. Alle weiteren Verfahren fanden nur noch hinter verschlossenen Türen statt.
Das Reichsgericht sah seine Arbeit sabotiert. Am 17. November 1922 verhängte es gegen den Angeklagten Max Grüner eine Strafe von zwei Jahren Zuchthaus wegen schwerer Plünderung (§§ 129, 133 MStGB). Das war die letzte Strafe, die das Reichsgericht in einem Urteil verhängte. Und die letzte öffentliche Sitzung des Reichsgerichts in den Leipziger Prozessen. Der Rest war Abwicklung: da man davon ausging, dass sich die Informationslage aufgrund des Boykotts der Alliierten nicht verbessern würde und es auch zu keiner Vernehmung ausländischer Zeugen mehr kommen würde, ging es von nun an im wesentlichen darum, hinter verschlossenen Türen eine möglichst reibungslose Einstellung zu ermöglichen.  


Zu diesen nichtöffentlichen Verfahren zählte auch das Wiederaufnahmeverfahren gegen zwei Besatzungsmitglieder des U-Bootes U 86 (John Boldt und Ludwig Dithmar) sowie das Verfahren gegen ihren U-Bootkommandanten Helmuth Patzig wegen der Versenkung des englischen Lazarettschiffs Llandowery Castle. Aufgrund einer Vereinbarung von Vertretern des Auswärtigen Amtes, des Reichsjustizministeriums, der Reichsanwaltschaft und der Marineleitung von Juli 1926 sollten diese drei Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt werden, um eine Kritik aus dem Ausland zu vermeiden. Am 4. Mai 1928 wurde die Verurteilung von Boldt und Dithmar in nichtöffentlicher Sitzung aufgehoben, da eine bloße Tätigkeit als Ausguck noch keine Beihilfe sei. Am 20. März 1931 wurde das Strafverfahren gegen Patzig in nichtöffentlicher Sitzung eingestellt, da laut Auffassung des Reichsgerichts hier das Gesetz über Straffreiheit vom 14. Juli 1928 sowie das dazu ergangene Ausführungsgesetz vom 24. Oktober 1930 Anwendung finden würde. Im Laufe des Strafverfahrens hatte Patzig ausgesagt, er habe am 27. Juni 1918 die Versenkung des Lazarettschiffs befohlen, da dieses das Rote Kreuz zu Unrecht trage. Als er seinen Irrtum bemerkt habe, habe er die Beschießung der Rettungsboote befohlen, damit die alliierte Kriegspropaganda keine Zeugen mehr habe. Durch diesen Ausgang der Strafverfahren gegen Boldt, Dithmar und Patzig blieb der Tod von 234 Menschen ungesühnt.
Zu diesen nichtöffentlichen Verfahren zählte auch das Wiederaufnahmeverfahren gegen zwei Besatzungsmitglieder des U-Bootes U 86 (John Boldt und Ludwig Dithmar) sowie das Verfahren gegen ihren U-Bootkommandanten Helmuth Patzig wegen der Versenkung des englischen Lazarettschiffs Llandowery Castle. Aufgrund einer Vereinbarung von Vertretern des Auswärtigen Amtes, des Reichsjustizministeriums, der Reichsanwaltschaft und der Marineleitung von Juli 1926 sollten diese drei Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt werden, um eine Kritik aus dem Ausland zu vermeiden. Am 4. Mai 1928 wurde die Verurteilung von Boldt und Dithmar in nichtöffentlicher Sitzung aufgehoben, da eine bloße Tätigkeit als Ausguck noch keine Beihilfe sei. Am 20. März 1931 wurde das Strafverfahren gegen Patzig in nichtöffentlicher Sitzung eingestellt, da laut Auffassung des Reichsgerichts hier das Gesetz über Straffreiheit vom 14. Juli 1928 sowie das dazu ergangene Ausführungsgesetz vom 24. Oktober 1930 Anwendung finden würde. Im Laufe des Strafverfahrens hatte Patzig ausgesagt, er habe am 27. Juni 1918 die Versenkung des Lazarettschiffs befohlen, da dieses das Rote Kreuz zu Unrecht trage. Als er seinen Irrtum bemerkt habe, habe er die Beschießung der Rettungsboote befohlen, damit die alliierte Kriegspropaganda keine Zeugen mehr habe. Durch diesen Ausgang der Strafverfahren gegen Boldt, Dithmar und Patzig blieb der Tod von 234 Menschen ungesühnt.
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